In einem Bericht über ein Fernsehduell zwischen den Spitzenkandidaten von CDU und SPD in NRW wurde erwähnt, dass der CDU-Kandidat Röttgen ein hervorragendes Detailwissen gehabt hätte, und dass er Frau Kraft von der SPD förmlich mit Fakten in die Ecke gedrängt hätte. Trotzdem, so die Analyse, hätte dies wenig Einfluss auf den Eindruck den der Wähler gehabt hätte, und den Ausgang der Wahl. Fakten spielen keine Rolle? Das brachte mich dazu einmal genauer darüber nachzudenken, ob in einer Demokratie überhaupt Fakten, Tatsachen, die Wahrheit, die Politik entscheiden.
Aus der Konsumgüterforschung wissen wir schon seit langer Zeit, welche Faktoren wichtig für den Erfolg eines Produktes sind. Dazu gehören ganz oben auf der Liste die Verpackung, das Design (1) und das Image eines Produktes. Die ADAC Untersuchung über den Automarkt sagt: „Neben den Basisanforderungen: Qualität und Sicherheit, nimmt die Bedeutung der Marke kontinuierlich zu. Das Design spielt eine wachsende Rolle. Das Thema Umwelt wird weniger beachtet.“ (2) Auch im Bereich der freiverkäuflichen Arzneimittel findet man eine Vielzahl von Produkten, die trotz niemals nachgewiesener Wirksamkeit über Jahre, ja Jahrzehnte zu den bestverkauften Produkten gehören.
Wo spielt hier der Verstand, die Faktenlage, die Vernunft eine Rolle? Nun die logische Frage: Warum sollten Menschen in einer Demokratie vernünftiger entscheiden. Wie üblich in der Manipulation der Verbraucher, ist die USA schon einen Schritt weiter. Dort werden Politiker längst wie Waschmittel oder neue Autos beworben. Und das mit Erfolg. Warum sollte es in Deutschland anders sein?
Als die SPD mit den Grünen die Agenda 2010 durchsetzten, und dann Kanzler Schröder auf Grund des Widerstandes in der Gesellschaft die Vertrauensfage stellte, wählten die Menschen ausgerechnet besonders stark jene Partei, die eigentlich noch viel weitergehende Schnitte in das soziale Netz machen wollte. Aber, mit Themen wie „schlanker Staat“, „Freiheit“ und „Steuersenkung“ an die egoistischen Motive appellierten.
SACHLICHE ENTSCHEIDUNGEN IN EINER DEMOKRATIE?
Wer insbesondere in den letzten Jahren die politischen Diskussionen verfolgt, kann kaum daran glauben, dass in einer Demokratie Beschlüsse auf sachlichen Fakten basieren. Ein gutes Beispiel ist die zweifache Atomwende. Aber selbst über Dinge wie Krieg und Frieden wird von den normalen Menschen in keiner Weise sachlich entschieden. Die Zustimmung zum Bombenhagel auf Libyen war überragend hoch in Deutschland. Aber auf Grund einer Anfrage im Bundestag konnte die Bundesregierung keinen einzigen Angriff der Regierungstruppen auf Zivilisten dokumentiert benennen. Noch einmal: Kein einziger Angriff auf die Zivilbevölkerung durch das Militär des Diktators Gaddafi konnte dokumentiert nachgewiesen werden. Trotzdem wurden zwischen 40.000 und 80.000 Zivilisten durch Bombenangriffe der Nato getötet, um angeblich eben diese Zivilisten zu schützen. Aber bis heute glaubt die Mehrheit der Bevölkerung, dass der Angriff aus humanitären Gründen gerechtfertigt war. Zweifellos hatte Gaddafi zahllose Menschenrechtsverbrechen begangen. Aber als der durch einen Mob gelyncht wurde, statt seine Verbrechen vor einem internationalen Gericht zu verantworten, klatschten die Menschen Beifall. Das kann unmöglich eine faktenbasierte und sachliche politische Reaktion sein.
BASISDEMOKRATIE SACHLICHER ALS REPRÄSENTATIVE DEMOKRATIE?
Böses schwant dem Leser der obigen Zeilen. Wie werden denn überhaupt politische Entscheidungen in einer Basisdemokratie gefällt? Basiert auf Fakten? Nun möchte ich am Beispiel vom Landesparteitag der Piraten NRW die Frage belichten. Ich bin Motorradfahrer und fahre bei leerer Straße auch schon mal gerne schnell über die Autobahn zu meinem Ziel. Trotzdem verstehe ich es nicht als rationale Entscheidung, wenn man mit dem Argument „Freiheit statt Angst“ gegen eine Limitierung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen stimmt. Die AG Tierschutz schlug eine Zwangskastrierung von frei laufenden Katzen vor. Ein Maßnahme, die von ernsthaften Tierschützern international als wichtige tierschützerische Maßnahme angesehen wird. Der Antrag wurde abgelehnt, obwohl alle sachlichen Argumente eindeutig waren. Emotionale Argumente brachten einen sachlich begründeten und gerechtfertigten Beschlussantrag zu Fall. Es gab noch einige andere Beispiele, die zeigten, wie die Mitglieder der Partei nicht auf Grund von Vorbereitung, sachlicher Diskussion und Entscheidung, sondern auf Grund der Aussagen von Meinungsmultiplikatoren einerseits, bewussten oder unbewussten Falschaussagen und Emotionen andererseits, gefällt wurden. (3)
Dem interessierten Beobachter ergibt sich bei Delegiertenkonferenzen das Bild von wesentlich weniger „wankelmütigen“ Entscheidungen. Befürworter von Basisdemokratie wie ich, haben in der Vergangenheit dies als „Kungelei“ und „Hinterzimmerentscheidungspolitik“ bezeichnet. Aber könnte es nicht sein, dass Delegiertenkonferenzen gezwungen sind, faktenbasierter und sachlich vorbereiteter zu entscheiden? Schließlich müssen die Delegierten am Ende des Tages den Mitglieder Rede und Antwort stehen, wie sie abgestimmt haben. Das einzelne Mitglied dagegen ist nur sich selbst gegenüber verantwortlich.
WAS SIND SACHLICHE ENTSCHEIDUNGEN?
Was Basisdemokraten wie ich bisher abgelehnt hatten, waren politische Tauschgeschäfte. Du gibst mir hier die Stimme, dann helfe ich dir dort. Sicher spielt bei repräsentativen Systemen ein solches Stimmverhalten eine große Rolle. Eine Rolle, die bei basisdemokratischen Systemen einfach zu aufwendig zu administrieren wäre. Solche Absprachen sind zwar unter „sachlichen Argumenten“ zu betrachten, die Frage ist aber, ob dies moralisch und ethisch zu vertreten ist. Sicher ist dies noch kein Macchiavellismus, aber ist es das, was die einfachen Bürger von der Politik erwarten?
WAS HAT POLITIK MIT RELIGION ZU TUN?
Wer den Wahlkampf von Barack Obama verfolgt hat, konnte kaum noch Unterschiede zu Auftritten von Sektenpriestern feststellen. Endgültig bestätigt wurde dies durch einen seltsam begründeten Friedensnobelpreis. „We can“ wurde zu einem geflügelten Begriff wie „Amen“. Und auch heute, da längst aktenkundig ist, dass er einer der kämpferischsten Präsidenten der USA ist, dass er persönlich eine große Anzahl von Tötungen z.B. durch Drohneneinsatz, angeordnet hat. Und trotzdem verehren ihn immer noch viele als Lichtgestalt eines modernen Humanismus.
IST DEMOMOKRATIE DANN DIE RICHTIGE GESELLSCHAFTSFORM?
Der Hauptnutzen der Demokratie liegt in der Möglichkeit, einen Regimewechsel unblutig durchzuführen. Statt wie früher unter monarchistischen Diktaturen, als nur Ermordungen und Kriege zu einem Regierungswechsel führen konnte, sind es heute Mehrheitsentscheidungen. Und Wahlen sind gleichzeitig ein Ventil um Unzufriedenheiten los zu werden, die sich in anderen Systemen in Gewalttätigkeiten ausdrücken. Verfeinert wird die Wirkung noch durch die Berücksichtigung von Minderheiten und die Möglichkeit, die Mehrheit zumindest informell zu kontrollieren. Nun stellt sich die Frage, ob diese befriedende Funktion wirksamer wird, wenn die Entscheidungen rein sachlich, faktenbasiert gefällt würden. These: Eher das Gegenteil ist der Fall. Würden Entscheidungen nur sachlich gefällt, könnte dies emotional genau das Gegenteil bewirken.
IST DEMOKRATIE EIN AUSLAUFMODELL?
China macht große Anstrengungen, in Schwellenländern in Afrika und Asien die eigene Gesellschaftsform einer kapitalistischen Freiheit, verbunden mit Unterordnung des Individuums unter eine zentrale Entscheidungsmacht, zu verbreiten. Schnell, effizient, weniger Fehler durch Kompromisse, lautet das Credo. Und der zunehmende Wohlstand stellt das Ventil dar, das in der Demokratie durch Wahlen und Mitbestimmen gewährleistet wird.
Wie üblich liegt der goldene Weg in der Mitte. Emotional Entscheidungen in einer Demokratie sind nicht grundsätzlich zu verteufeln. Andererseits birgt die Anfälligkeit des demokratischen Systems für emotionale Entscheidungen eine große Gefahr. Die Gefahr, dass durch Propaganda und bewusste, aber auch unbewusste, an Emotionen und nicht den Verstand gerichtete Nachrichten, Mehrheiten zu irrationalen Entscheidungen bewegt werden.
Der Glaube, dass der Bildungsstand einer Bevölkerung diese für Propaganda unempfänglicher macht, wurde wiederholt wiederlegt und kann getrost ins Reich der Sagen und Mythen abgelegt werden. (4) Wie aber kann man die Menschen dazu bringen, unempfindlicher für Propaganda zu werden?
Ich denke, dass derzeit niemand wirklich ernsthaft darüber nachdenkt. Denn jeder glaubt, die Möglichkeiten der Propaganda für sich nutzen zu können. Die Aktivisten meinen, endlich eine globale Stimme erhalten zu haben, die Propagandisten ihrerseits benutzen das Internet längst für eigene Zwecke. Schon seit Jahren haben moderne Propagandaspezialisten das Internet, YouTube und Co als perfektes Medium entdeckt, um falsche, halbwahre oder verfälschte Informationen zu verbreiten, aber vor allen Dingen um Informationen, die nicht auf den Verstand, sondern das Gefühl abzielen. Und durch bewegte Videobilder z.B. von getöteten Kindern oder gequälten Tieren lässt sich besser Stimmung machen, als mit irgendeinem Text. Und niemand hinterfragt mehr am Ende, warum ein Verbrecher seine eigenen Taten filmt und dann ins Internet stellt, wer Täter und wer Opfer war. Die Lüge, die zum ersten Irakkrieg führte wäre heute ebenso möglich, aber mit Videounterstützung. (7)
Das Internet bietet einerseits eine noch nie da gewesene Möglichkeit, sich global zu informieren, gleichzeitig aber auch eine Möglichkeit global zu desinformieren. Ich selbst habe eine solche Desinformation im Detail erlebt. Im Jahr 2010 hatte es Demonstrationen in Bangkok gegeben, die nach einem Militärputsch Neuwahlen und Rückkehr zur demokratischen Verfassung verlangten. Im Verlauf der Demonstrationen strebte eine Gruppe von Demonstranten zum Parlament. Durch ein nicht mit Sicherheitskräften besetzten besetztes Tor drangen ca. ein Dutzend Personen ein, weil sie vermuteten, dass Waffen im Parlament vorhanden waren, was nach thailändischem Gesetz illegal war. Der Großteil der Demonstranten wurde jedoch von Ordnern der Demonstranten am Tor am Eintritt gehindert. Trotzdem titelte die Bangkok Post nur Minuten nach dem Eindringen: „Rothemden stürmen Parlament“. Und ein Artikel beschrieb, wie Mitglieder der Regierung „flüchteten“. Innerhalb von wenigen Minuten verbreitete sich diese Nachricht über die ganze Welt. Nur Stunden später verkündete der vom Militär ins Amt manövrierte Premierminister den Ausnahmezustand, und die blutige Niederschlagung der Demonstrationen begann. Dass die Demonstranten nach nur ca. 20 Minuten wieder aus dem Parlament kamen und dabei Waffen, die dort gefunden worden waren, mit einer Anzeige bei der Polizei abgaben, wurde praktisch nicht berichtet. (6)
Ein noch krasseres Beispiel von Desinformation ist derzeit die Informationslage über Syrien und den Iran. Sie gipfelte darin, dass sogar das ZDF ein Video über angebliche Misshandlungen von Syrern zeigte. Aufmerksame Internetaktivisten entlarvten das Video als Misshandlungen durch irakische Sicherheitskräfte an vermutlichen Drogenhändlern. Eine Tat, die schon ein Jahr früher und im Irak stattgefunden hatte. Aber die Nachricht hatte längst ihre psychologische Wirkung getan. Kritische Blogs sind inzwischen voll von solchen Entlarvungen. Dies hat eine verheerende Wirkung für wirkliche Alarmmeldungen und Berichte über Menschenrechtsverletzungen. Durch diese Art der psychologischen Kriegsführung muss man heute jede Nachricht im Internet inzwischen grundsätzlich hinterfragen.
Umso wichtiger werden Organisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International, die aber selbst auch ständig in Gefahr sind durch einseitige Interessenlagen nicht, zu spät oder unangemessen zu reagieren. Zuletzt gut zu beobachten in Thailand, als die dortige (hauptberufliche) Vertretung der Organisation sogar aktiv die Stellungnahme eines vom Militär an die Macht gebrachten Außenministeriums an westliche Botschaften verbreitet hat. Dadurch hatten diese sich nicht für eine Frau eingesetzt, die auf Grund einer Rede, die angeblich den König beleidigt hatte, zu 18 Jahren Gefängnis und folterähnlicher Inhaftierung in einem Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit verurteilt worden war.(5) Oder Human Rights Watch, die zwar nicht über die Streumunition Thailands im Waffengang gegen Kambodscha, wohl aber über angebliche oder tatsächliche Streumunition von Gaddafi im Libyenkrieg der Nato berichtete.(8)
FAZIT:
Es müssen dringend neue Medienstrukturen aufgebaut werden, seriöse Berichterstatter mit nachprüfbaren Ergebnissen los geschickt werden. Es müssen Agenturen aufgebaut werden, die Glaubwürdigkeitsurteile zu Nachrichten abgeben. (7) Und wenn die Piratenpartei einmal im Bundestag vertreten ist, sollte sie sich eigene Quellen erschließen, die vor Ort Bilder, Videos und Berichte erstellen, die dann von spezialisierten Mitgliedern der Partei ausgewertet werden können.
-------------------------------
Auch empfohlen:
http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/03/ist-die-irankrise-eine-krise-der-medien.html
-------------------------------
(1) http://www.dw.de/dw/article/0,,5107925,00.html
(2) http://www.aptservizi.com/it/wp-content/uploads/2010/11/02.wilde.pdf
(3) http://www.wiwo.de/politik/deutschland/mein-leben-als-pirat-piratenpartei-streitet-ueber-wiwo-bericht/6553202.html
(4) Propaganda, Jacques Ellul, Vintage Books, New York, 1965, ISBN 978-0-394-71874
(5) http://www.schoenes-thailand.de/startseite/analysen/7844-skandale-bei-amnesty-international
(6) http://www.schoenes-thailand.de/startseite/analysen/5747-sturm-auf-das-parlament-wieder-in-die-falle-gegangen
(7) http://de.wikipedia.org/wiki/Brutkastenl%C3%BCge
(8) http://www.schoenes-thailand.de/startseite/analysen/7808-menschenrechtsorganisationen-als-werkzeuge-globaler-politikinteressen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen