Gastbeitrag. Die folgende E-Mail veröffentliche ich
anonymisiert mit Erlaubnis des Absenders.
Lieber Jo, du hattest mich gebeten meine Meinung zum Landesparteitag NRW in Dortmund abzugeben. Es hat etwas gedauert, aber hier meine Eindrücke: Ich habe auf Grund deines Hinweises den größten Teil des Tages verfolgt. Dabei fiel mir auf, dass manche Themen und Diskussionen seltsam wirkten. Da wurde z.B. über Sex mit Tieren umfassend diskutiert, die Kastration von Katzen (die vollkommen zurecht von den Tierschützern gefordert wurde) wurde gar als verfassungswidrige Verstümmelung bezeichnet (war das nicht sogar ein Rechtsanwalt?), und die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen wurde mit dem Argument „Freiheit statt Angst“ abgelehnt. (Ich hätte als langsamere Autofahrerin eher gesagt „Keine Angst statt Freiheit“, aber ich bin auch keine Piratin.)
Einige Diskussionen wurden episch lange geführt, manchmal auf einem scheinbar intellektuellen Niveau, tatsächlich aber mit teilweise absurden Argumenten. Und nachdem man sich lange und ausführlich über die für die meisten Menschen nebensächlichen Themen gestritten hatte, wurde ein Antrag (ich meine deinen aus der AG Friedenspolitik) mit Begründungen abgebügelt, die nichts mit dem Antrag zu tun hatten. Und wie in einigen anderen Fällen beobachtete ich, dass die Mehrheit einfach bestimmten Leitwölfen folgte (wie auch bei der Katzenkastration) ohne sich wirklich selbst eine Meinung zu bilden.
Einerseits ist die Vorstellung, dass jeder auf einem Parteitag etwas sagen kann, faszinierend. Aber das als Basisdemokratie zu bezeichnen ist etwas übertrieben. Denn was ich gesehen habe, kann man eher als „gelenkte Basisdemokratie“ bezeichnen. Nun muss ich zugeben, dass ich auch den Artikel in der Wirtschaftswoche gelesen habe, der mich vielleicht etwas beeinflusste. (1)
Ich habe zuletzt nicht mehr gewählt, das weißt du. Also wählen werde ich euch vielleicht dieses Mal in der Landtagswahl, denn während der Programmdiskussion gab es viele Punkte im Umweltschutz (Atomenergie) und Bildung, die mir sehr zusagten. Aber mitarbeiten oder Mitglied werden verkneife ich mir im Moment. Denn ich will erst abwarten, wie sich die Abgeordneten und die Partei entwickeln wird, wenn sie erst im Landtag ist. „Gelenkte Basisdemokratie“ ist nicht mein Ding. Ich möchte nicht als „Vorzeige Basisdemokrat“ enden, während die Abgeordneten dann die Politik machen, die sie für richtig halten. Aber ich werde euch aufmerksam weiter beobachten, was sich nicht vermeiden lässt, weil du mich oft genug daran erinnerst.
Wenn du meine E-Mail veröffentlichen willst, bitte ohne Namensnennung. Herzliche Grüße …
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