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Donnerstag, 7. Juni 2012

Wie die Gerichte und das Militär Thailand regieren


Bis zum Jahr 2006 gab es in Thailand eine mehr oder weniger geheime Steuerung der Politik durch das „Netzwerk Monarchie“, wobei sich alles um den König und den Kult um seine Person zentrierte. Der König lebt nun seit Jahren im Krankenhaus. Seinen Tod vor Augen hatte er 2006 eine Rede gehalten, in der er den Gerichten eine quasi Führungsrolle übergab. Sie sollten das tun, was er während 19 Militärcoups und vielen Aufständen im Kampf um Demokratie und Freiheit bis dahin getan hatte: Dafür gesorgt, dass die „Guten“ siegen und die „Bösen“ verlieren.

2006

Und das taten die Richter, von denen sich einige vorher Rat bei der Friedrich Naumann Stiftung geholt hatten (Militärcoup kann ein notwendiges Übel sein) und erklärten die Wahl von 2006 für ungültig. Als dann das Militär im Herbst, kurz vor Neuwahlen wieder mal mit einem Militärputsch, den bis dahin populärsten und beliebtesten Premierminister stürzten, und der Coup sofort vom König legitimiert wurde, ordneten sich viele der Richter unter und halfen dabei, eine neue Verfassung zu schreiben, die die Macht des Militärs und der Richter zementieren sollte.

2007

Dann ließen sich Richter dazu benutzen in einem Schauprozess die ehemaligen Regierungsparteien aufzulösen und die Politiker mit Berufsverbot zu belegen. Wobei man vom Militär angeordnete rückwärts wirkende Regelungen anwandte. Und wobei, wie sich später herausstellte, wichtige Zeugenaussagen von der gegnerischen Democrat Party (verbunden mit der deutschen FDP) gekauft worden waren.

2008

Nach der Phase der Militärregierung im Jahr 2007 kam es im Dezember zu Neuwahlen, aus denen, trotz erheblicher Manipulationen, Propaganda und Verfolgung, wieder die gleichen Kräfte als Sieger hervorgingen, die ein Jahr zuvor vom Militär gestürzt worden waren. Daraufhin entstand eine zivile Gegenbewegung, die schon vor dem ersten Putsch die Gesellschaft auf den Putsch eingestimmt hatte. Mit Unterstützung des Militärs begannen sie mit gewalttätigen Demonstrationen, besetzten die Regierungsgebäude und schließlich die internationalen Flughäfen. Während dieser Demonstrationen hatte die Polizei absolutes Schusswaffenverbot. Trotzdem kam es während einer der Demonstrationen zu einer Toten und einigen schwer Verletzten. Die Ursachen für die Verletzungen sind umstritten. Die Demonstranten behaupten, die Verletzungen stammten von Tränengasgranaten (die das Militär der Polizei zur Verfügung gestellt hatte). Die Polizei behauptete, dass die Demonstranten selbst gebastelte Sprengkörper mit sich getragen hätten, die durch die Explosion der Gasgranaten vorzeitig explodiert wären.

Im Dezember  2008 wurde dann die gewählte Regierung mit dem ersten Justizputsch (The Nation sagte Putsch à la Anupong {Armeechef}) gestürzt. Die Armee warb den korruptesten Teil der Regierung ab und zwang sie (später sollte ein Abgeordneter sagen „mit vorgehaltenem Gewehr“) dazu, mit der Democrat Party, die sich mit dem Militär verbündet hatte, eine Koalition zu bilden.

2009

Im Jahr 2009 entstanden daraufhin immer größere Demonstrationen, an denen in der Spitze bis zu 400.000 Menschen teilnahmen. Sie wurden aber schließlich mit Kriegswaffen von Soldaten nieder geschlagen. Es gab 2 offizielle Tote, die mit Armeefesseln an den Händen aus dem Fluss geborgen worden waren und ca. 6-12 unbestätigte Tote, für die es keinen Beweis gibt. Über 120 Menschen wurden in Krankenhäusern mit Schussverletzungen behandelt. Während die Justiz keinem einzigen der Demonstranten aus 2008 Freiheit auf Kaution verwehrt hatte, war dies nun ganz anders. Die Organisation der Demonstranten wurde aufgelöst, sämtliche Werkezuge, Druckmaschinen usw. beschlagnahmt oder vernichtet, alle Medien waren schon vorher verboten worden. Verhaftungen, Anklagen und Verfolgung folgten.

2010

Trotzdem erstarkte die Bewegung erstaunlich schnell und schon ein Jahr später war sie, diesmal noch stärker, wieder auf den Straßen Bangkoks. Diesmal besetzten sie ein Gebiet, das zum Einkaufszentrum der High-Society gehört. Am 10. April 2012 kam es zu einem Blutbad, als die Soldaten versuchten, eine erste Demonstrationsmeile mit Scharfschützen, die auf unbewaffnete Demonstranten schossen und mit bewaffneten Soldaten so „reinigen“. Unbekannte Täter hatten zwei Handgranaten gegen die Führungsoffiziere eingesetzt {gewisse Untersuchungen behaupten von innerhalb der Gruppe der Soldaten selbst}, die dadurch getötet oder verletzt wurden. Ob dies rivalisierende Einheiten der Armee waren, die sich übergangen fühlten bei den Beförderungen, oder um „Terroristen“ ist bis heute umstritten. Die toten Demonstranten, die am Ende auf den Straßen lagen waren jedenfalls sämtliche unbewaffnet gewesen. Demonstranten, die für Neuwahlen und für ihre Volksverfassung von 1997 demonstriert hatten.

Die so genannten „Rothemden“ räumten das Schlachtfeld und zogen sich in das Kerngebiet der Demonstration zurück. Die Soldaten kreisten es ein, behaupteten, dass 800 Terroristen dort untergebracht wären und richteten Todeszonen ein, in denen auf jeden geschossen wurde, der sich dort befand.

Der Sicherheitsverantwortliche der Demonstranten wurde mitten in einem Interview mit ausländischen Korrespondenten von einem Scharfschützen erschossen. Ebenso wie in den nächsten Tagen zahlreiche unbewaffnete Demonstranten, Passanten und Journalisten. Als am 19.04. die Armee mit schweren Waffen vorrückte, und mit Radpanzern das Zeltlager der Demonstranten geräumt hatte, waren 92 Menschen getötet und ca. 2000 schwer verletzt worden. Die meisten tödlichen Schüsse waren durch Kopfschüsse zu beklagen.

Die Justiz verfolgte ausschließlich die Demonstranten. Obwohl es keinerlei Beweise für „Terroristen“ bis auf einige fragwürdige Interviews und einige verrostete Waffen, die Tage später vorgeführt wurden, gab, wurden zahlreiche Verfahren wegen eben dieses Verbrechens erhoben. Wodurch den Beschuldigten die Todesstrafe droht. Untersuchungen gegen die Armee wurden nicht unternommen. Ihre Taten waren durch den Ausnahmezustand sowieso nicht rechtlich verfolgbar. Der Versuch des Anwalts der Demonstranten, den internationalen Strafgerichtshof zu einer Untersuchung zu bewegen, z.B. durch die Vorlage von hunderten von Zeugenaussagen, darunter auch Soldaten, die aktiv teil genommen hatten, waren bisher erfolglos.

2011

Bis zum Jahresende wurde Bangkok unter Ausnahmezustand regiert. Als dieser aufgehoben wurde, begannen sofort wieder Demonstrationen. Und die Regierung erklärte sich bereit, im Juli eine Wahl durchzuführen. Die Wahlen am 3. Juli 2011 gewannen die Oppositionsparteien mit einem Erdrutschsieg. Die wichtigste Partei, die mit den Demonstranten sympathisiert hatte, erhielt fast die absolute Mehrheit der Stimmen. Sie bildete mit allen andern Parteien, außer mit der Democrat Party, die als Partei des Militärs angesehen wurde, eine starke Regierung.

Ein Jahr lang versuchte das Militär und die Gerichte die Regierung und ihre Sympathisanten zu bekämpfen. Nun droht schließlich ein neuer Justizcoup gegen die Regierung.

2012

Die Regierung hatte es schließlich doch gewagt, einige Änderungen an der Verfassung des Militärs in die gesetzgebende Versammlung einzubringen. Durch den enormen Wahlsieg verfügt sie über eine notwendige Mehrheit, obwohl das Oberhaus zur Hälfte vom Militär ernannt worden war. Aus diesem Grund ziehen die Gerichte nun die Notbremse. Das Verfassungsgericht wies das Parlament an, die Lesungen des Gesetzentwurfes zu unterbrechen, bis es selbst eine Stellungnahme dazu verfasst hatte. (1)

Political Prisoner Thailand, eine Gruppe junger thailändischer Akademiker, hat dazu eine dedizierte Meinung: (2)
„In einer kürzlich erfolgten Meldung zeigte PPT wie das Verfassungsgericht versucht, sich in den politischen Prozess einzumischen, indem es „die Verfassungsmäßigkeit“ eines vorgeschlagenen Vorgehens anzweifelte. Dabei war es eine politische, keine juristische Entscheidung, für die es weder in der Verfassung, noch im Gesetz eine Grundlage gibt. PPT hat keinerlei Argumente gesehen, die gegen diese Sichtweise sprechen würden.
Dies vorausgeschickt sei gesagt, dass das Verfassungsgericht das unzweifelhaft ungesetzliche Vorgehen versuchte zu rechtfertigen, weshalb es Sinn macht, sich mit den neuesten Argumenten auseinander zu setzen.

Wie die Bangkok Post schreibt, sehen wir, dass das Gericht „darauf besteht, dass es die Autorität hat, Petitionen gegen die Verfassungsänderungen anzunehmen und das Parlament anzuweisen, die dritte Lesung des Gesetzes nicht durchzuführen“. Es kann ja verbieten was es will, es hat nur keinerlei gesetzliche Grundlage dafür.

Wie die Bangkok Post schreibt, „zitierte der Sprecher des Gerichts Sektionen 69 und 70 der Verfassung, mit der begründet wurde, warum das Gericht die Petitionen angenommen hatte, und zusätzlich Sektion 68 das die Basis für die Petitionen sein soll.

PPT hatte sich schon mit Artikel 68 in früheren Berichten beschäftig, und die Leser werden auch die Ausführungen von Bangkok Pundit lesenswert finden. Der Artikel 68 bietet keinerlei Grundlage für die Entscheidung des Gerichts. Dass der Sprecher des Gerichts auch noch Artikel 69 und 70 erwähnte, lässt erhebliche Verzweiflung erkennen. Diese Artikel besagen:
Artikel 69: Eine Person soll das Recht erhalten, sich gewaltfrei gegen jeden Akt zu wehren, der beabsichtigt, die Herrschaft des Landes durch Maßnahmen, die nicht in Einklang mit der Verfassung stehen, zu verändern.
Artikel 70: Jede Person soll die Pflicht erhalten, Nation, Religion und den König sowie das demokratische System der Regierungsführung mit dem König als Staatsoberhaupt unter der Verfassung zu beschützen.
Wie sollen wir diese Regelungen verstehen, da das Gericht sie anführt? PPT sieht darin nichts Anderes als das Zugeben der Tatsache, dass der Artikel 68 missbraucht wurde, und dass das Gericht sich jetzt auf allgemeine Regeln zurückziehen muss, um seine Aktionen zu rechtfertigen. Mit anderen Worten gibt das Gericht erneut zu, dass es aus politischen Gründen interveniert hat.
Der Sprecher des Gerichtes macht dann noch notwenige zweideutige Rechtsgymnasik, um das nun anders begründete Vorgehen des Gerichts zu vertreten. Er sagt:
„Die Richter haben beschlossen, dass auf Grund dieser drei Artikel der Verfassung, jedermann, der Kenntnis von Akten hat, die in Sektion 68 genannte werden, das Recht hat, beim Generalstaatsanwalt eine Petition einzureichen, worauf dieser die Sache untersuchen und an das Gericht weiterleiten wird. Er kann auch direkt eine Anklage bei Gericht einleiten.“
Wie schon früher gesagt besagt Artikel 68 in keiner Weise dies. Zusätzlich zeigt auch die Webseite des Gerichtes dies auf, wie Bangkok Pundit aufgezeigt hat.  … Ende Einrücken
Es folgt eine Reihe von weiteren Erklärungen.

Tatsächlich wird hier erneut versucht, ein mit großer Mehrheit gewählte Regierung auszuhebeln, nachdem man schon vorher gegen einzelne Abgeordnete vorgegangen war. Um nur ein Beispiel zu nennen. Anführer der Demonstranten hatten sich als Parlamentskandidat beworben, waren aber wegen „Terrorismus“ in Untersuchungshaft genommen worden, und konnten nicht an der Wahl teilnehmen. Die Verfassung besagt jedoch, dass gewählte Mitglieder des Parlaments ihr Amt nicht wahrnehmen dürfen, wenn sie nicht selbst an der Wahl teilgenommen hatten. Das war ihnen ja ausdrücklich verwehrt worden. Sozusagen als Vorbeugemaßnahme gegen ein Mandat. Und so führte das dann dazu, dass das gewählte Parlamentsmitglied von Gerichten disqualifiziert wurde. Alles vollkommen im Einklang mit den vom Militär eingesetzten Gesetzen.

Was wir gerade sehen, ist nichts anderes als das Vorspiel zu einem erneuten Justiz-Coup. Dieser wird wieder zu Blutvergießen auf den Straßen führen, vielleicht sogar zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, wie schon im Süden des Landes, in dem Aufständische für Autonomie kämpfen. Hier einzugreifen, wäre Aufgabe einer Friedenspolitik. Diplomatisch eingreifen, BEVOR der Konflikt eskaliert.

FAZIT

In der Tagesschau wird dann irgendwann eine 10-Sekunden Meldung erscheinen, dass die thailändische Regierung vom Verfassungsgericht wegen Verstoß gegen die Verfassung aufgelöst wurde. Und hier wird jeder sagen „Wie schön, dass Thailand ein Rechtstaat ist“. Eine Woche später wird dann über „blutige Unruhen“ berichtet, die vom Militär mit Gewalt nieder geschlagen werden „mussten“.

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(1) www.bangkokpost.com/news/politics/296184/charter-vetting-put-on-ice
Weiterführende Information:   
http://asiancorrespondent.com/83703/constitution-court-pushes-thailand-towards-a-potential-constitutional-crisis/

(2) https://thaipoliticalprisoners.wordpress.com/2012/06/07/court-clarifies-it-is-politically-biased-ii/

Die Beschreibung der Geschichte ist teilweise verkürzt und enthält nicht gerichtlich bewiesene Aussagen bzw. Interpretationen.


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