Der am Montag erscheinende Bericht des UN Flüchtlingswerkes
UNHCR zeigt auf, wie groß die Not der Menschen weltweit durch Krieg, Bürgerkrieg,
Verfolgung und Hunger ist. Alleine im Jahr 2011 waren über 4 Millionen Menschen
neu zur Flucht gezwungen gewesen. Und wenn man dann die Hitliste der Länder
sieht, aus denen die Menschen geflüchtet sind, wird man feststellen, dass es
ausgerechnet jene Länder sind, in denen der Westen intervenierte. Die Liste
wird angeführt von Afghanistan mit fast 3 Millionen Menschen, gefolgt vom Irak
mit fast eineinhalb Millionen Flüchtlingen, dahinter folgt Somalia mit über 1
Million Flüchtlingen. Irgendetwas scheint mit dem Konzept des „R2P“
Responsability to Protect, scheint etwas damit, wie diese noble Idee von
westlichen Staaten interpretiert wird, nicht zu funktionieren.
Insgesamt waren Ende 2011 über 40 Millionen Menschen auf der Flucht oder litten unter Vertreibung. Davon sind 4,8 Millionen Flüchtlinge gar nicht durch die UNHCR registriert. Diese Flüchtlinge, Palästinenser, die zum großen Teil seit Jahrzehnten nicht in ihre Heimat zurück kehren können, sind bei der UNRWA, der speziell für diese palästinensischen Flüchtlinge gegründeten Organisation, registriert. (1)
Im Iran leben derzeit 886.500 Flüchtlinge und es steht zu befürchten, dass die Zahl mit einer zunehmenden Intensität der Kämpfe in Syrien weiter steigen wird. Wohin werden diese Flüchtlinge sich aber wenden, wenn der Westen den Iran angreift? Aus dem Irak flohen viele Menschen nach Syrien. Nun werden sie im Rahmen von religiösen und ethnischen Verfolgungen durch Teile der Rebellen wieder zur Flucht gezwungen. Bald werden über eine Million Menschen im Iran, als Flüchtling leben. Wenn dieses Land dann auch angegriffen wird, und im Chaos der Destabilisierungspolitik untergeht, wird es für viele keine nächste Station auf ihrem Leidensweg mehr geben.
DAS STERBEN DER MENSCHEN
Weltweit sterben mehr Menschen durch Hunger und auf der Flucht vor Trockenheit und Dürre, als durch Massaker. Aber das Verhältnis des Aufwandes, der getrieben wird, um Krieg zu führen, steht in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, die Situation für Menschen auf der Flucht erträglich zu machen.
Prof. Noam Chomsky sprach am 23. Juli 2009 vor den Vereinten Nationen über Schutzverantwortung bzw. R2P und erklärte:
DIE BEFRIEDIGENDE EMPÖRUNGGenauso wenig denkt man heute daran, die Menschen im Gaza-Streifen zu schützen, obwohl es die Verantwortung der UN wäre, sie, zusammen mit dem Rest der „geschützten Zivilisten“ unter der Genfer Konvention zu schützen, und ihnen ihre fundamentalen Menschenrechte zu verschaffen. Nichts Ernsthaftes wurde unternommen, um die schlimmste Katastrophe in Afrika zu verhindern. Oder .. gegen die vielleicht größte Katastrophe in der Geschichte der Welt überhaupt: Im Östlichen Kongo, erst vor wenigen Tagen, berichteten BBC Reporter, dass multinationale Konzerne den illegalen Handel mit wertvollen Mineralien betreiben, und damit den mörderischen Konflikt finanzieren.
In einer anderen Region wurden nicht einmal die schwächsten Vorschriften von R2P angewandt, um grauenhafte Hungersnöte in armen Ländern zu verhindern. Die UN hat kürzlich geschätzt, dass die Anzahl der Hungernden über eine Milliarde Menschen beträgt. Gleichzeitig verkündete das World Food Programm der UN drastische Kürzungen der Hilfe, weil die reichen Länder ihre ohnehin mageren Anteile weiter reduzierten, um das Geld zur Rettung der Banken zu verwenden.
Vor einigen Jahren berichtete UNICEF, dass jeden Tag 16.000 Kinder aus Mangel an Nahrung stürben, viele davon wegen eigentlich leicht zu heilender Krankheiten. Die Zahlen sind heute noch höher. Alleine im nördlichen Afrika, sterben so viele Menschen wie während der Morde in Ruanda, aber nicht in 100 Tagen, sondern an einem einzigen Tag. Natürlich gibt es viele Warnungen, aber keinen Gedanken daran, R2P hier anzuwenden, obwohl es sehr einfach wäre, wenn der Wille dazu bestehen würde.
Auch wenn die Staaten sich nicht an die Menschenrechtserklärung halten. Einige sie sogar öffentlich ablehnen (darunter ganz entscheidend die mächtigsten Staaten der Welt), so können sie doch als ein Ideal dienen, das Aktivisten in ihrer Aufklärungsarbeit und in ihrer Organisation hilft, und das oft effektiv. Mein Verdacht ist aber, dass der größte Teil der Diskussion über die Anwendung von R2P ähnlich wie bisher sein wird, und leider nicht in diesem echten Sinn des Schutzes von Schwachen vor den Mächtigen verstanden werden wird. Und das, obwohl es in diesem Fall zu einem wirklich mächtigen Werkzeug werden könnte.
Statt sich über 16.000 tote Kinder zu empören, die jeden Tag sterben, weil die reichen Nationen der Welt nicht bereit sind, auf einen Teil ihres Reichtums zu verzichten, beruhigt es das Gewissen des guten Deutschen, sich über den Missbrauch von Kinder zu erregen, die angeblich nach Aussage eines (!) Zeugen in Bussen der regulären Streitkräfte als menschliche Schutzschilde missbraucht würden.
Da gibt es einen Anderen, der ist schuld. Der ist der Verbrecher, wann wird der endlich „weggebombt“? Und anschließend geht der gute Deutsche wieder seinem Tagesgeschäft nach, kauft die billigsten exotischen Lebensmittel, statt solche, für die ein fairer Preis gezahlt wurde und schnell noch ein T-Shirt, das durch Kinderarbeit im Grenzgebiet zwischen Thailand und Myanmar in halblegalen Fabriken zusammen genäht wurde. Er hat seine Schuldigkeit getan, er hat sich empört und ein militärisches Einschreiten gefordert.
DER WILLE ZUM UNTERWERFEN UNTER PROPAGANDA
Die meisten Menschen wollen gar nicht wirklich wissen, was in der Welt passiert. Sie scheinen instinktiv zu bemerken, dass die Wahrheit unbequem sein könnte, und das selbstzufriedene Weltbild in Gefahr bringen könnte. Sie berufen sich auf Sendungen im Fernsehen oder in „seriösen“ Medien, und machen sich gar nicht die Mühe die Quellen der Informationen zu suchen, oder selbst auf die Suche nach der Wahrheit zu gehen. Sie lieben es, sich dem Strom der Propaganda hin zu geben und keine Eigenverantwortung zu übernehmen.
Es ist wie immer. Genau wie unsere Väter und Großväter erklärten „wir haben es nicht gewusst“ werden die meisten Menschen einmal sagen: „Ich hatte keine Ahnung“.
DAS INTERNET ALS DESINFORMATIONSQUELLE
Vor wenigen Jahren erschien das Internet als Revolution zur direkten und unverfälschten Information über Demokratiebewegungen weltweit. Inzwischen ist es zu einer Jauchegrube der Desinformation geworden. So haben z.B. schon vor vielen Monaten CIA-Agenten tausende von Mobiltelefonen an bewaffnete Gruppen in Syrien verteilt und ihnen Grundsätze der psychologischen Kriegsführung beigebracht. Seitdem filmen diese Gruppen die Folgen der eigenen Gräueltaten und veröffentlichen sie als angebliche Taten der Gegenseite. Und da es verwackelt und unscharf ist, wirken die Bilder „authentisch“ während die offiziellen Fernsehbilder der Regierungsmedien, die natürlich auch nur ein einseitiges Bild aufzeigen, als „Propaganda“ gar nicht mehr beachtet werden.
Ich hatte schon einmal darauf hingewiesen, dass wir dringend eine Art Ratingagentur für Nachrichten benötigen (2). Denn längst bedienen sich alle Massenmedien aus dem vorhandenen Material im Internet und verbreiten dadurch einseitige Propaganda, ohne dass der Zuschauer die Chance hat, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Aber niemand hat wirklich Interesse daran. Der Bürger unterwirft sich nur zu gern dem heimeligen Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen. Und die Herrschenden nutzen nur zu gerne alle Propagandamedien wie sie diese eben nutzen können. Ich will nicht sagen, dass die Medien bewusst Falschmeldungen zu verbreiten. Sie unternehmen aber auch äußerst selten etwas, was sie vielleicht als gegen den Strom schwimmend kennzeichnen könnte. Die besten Auflagen, Einschaltquoten oder Klickraten erreicht man, wenn man an der Spitze der Empörungswelle schwimmt.
Ein gutes Beispiel war die Kampagne gegen den letzten Bundespräsidenten. Einmal zum Abschuss markiert, und dem Zorn des Volkes folgend, wagte sich kaum ein Medium, dem Shitstorm zu widersprechen. Alles was Wolff machte war grundverkehrt. Aber die Aufregung und die Empörung darüber standen eben nicht im richtigen Verhältnis zu den Dingen in der Welt, die wirklich empören sollten. Aber jeder wollte etwas neues Böses über Wolff hören, also suchten die Journalisten danach, statt wirklich wichtige Dinge zu hinterfragen, und im Notfall erfand man etwas. Moderner Qualitätsjournalismus eben. Als Quittung bekamen die empörten Bürger jetzt Gauck. (5) Und damit einen Präsidenten, der die Prinzipien wieder hervor zu holen scheint, mit denen unsere Vorfahren in die Kreuzzüge geschickt wurden. Rettet die armen Seelen vor dem Verderben! Wobei er geflissentlich übersieht, dass nicht das Sterben des Soldaten das Problem der Gesellschaft ist, sondern das durch ihn durchgeführte Töten, Verletzen, Verseuchen (6).
ALLES NUR DUMME?
Die gebildete Elite möchte sich gerne von dieser manipulierbaren Masse abheben. Man erklärt sich selbst zur erleuchteten Gruppe der Wissenden und behauptet, dass mangelnde Bildung dazu führen würde, dass Menschen leichter manipulierbar wären. Und doch ist genau das Gegenteil der Fall, wie Jacques Ellul schon in den 1960er Jahren nachwies (3). Es sind gerade die Gebildeten, die sich weigern, eine Wahrheit zu akzeptieren, die nicht sein kann. Denn schließlich haben sie ja studiert, um das „zu verstehen“.
Es könnte komisch sein, wenn es nicht so traurig wäre, zu beobachten, wie jemand, der über die „faulen Griechen“ twittert, dabei voller Empörung sein I-Phone traktiert. Während die Arbeiter, die das I-Phone zusammen geschraubt haben, sich gerade vom Fabrikdach stürzen, weil sie nicht genug Geld zum Überleben für ihre Arbeit erhalten.
DIE UNHEILIGE EMPÖRUNG
Ich war mehr als peinlich berührt über die Reaktion nach dem Tod des Al-Kaida-Anführers Osama bin Laden. Die Chefin eines angeblichen Rechtsstaates freute sich über die Tötung eines vermutlichen Terroristen, statt zu bedauern, dass er keinem ordentlichen Gericht vorgeführt werden konnte, damit seine Verbrechen aufgearbeitet werden konnten. Was aller Wahrscheinlichkeit durchaus möglich gewesen wäre. Ebenso bedrückend war die fast unverhohlene Begeisterung über den Lynchmord an Diktator Gaddafi. Eine solche Reaktion als wichtigste und mächtigste Repräsentantin Deutschlands? Was die Frage aufkommen lässt, ob wir denn überhaupt noch ein Rechtsstaat sind, wenn wir einen Lynchmord begrüßen, statt ein alles aufklärendes Gerichtsverfahren zu fordern. (Siehe dazu auch 4)
DER BLICK FÜRS WESENTLICHE
Und so sind immer mehr Menschen unter dem geballten Eindruck der Medien und der Politik gefangen. Sie stecken in einem täglichen Arbeitskampf einerseits, und dem Bemühen den anderen sozialen Rollen gerecht zu werden andererseits, und bringen gerade noch genug Zeit auf, sich 15 Minuten durch Tagesschau oder Nachtmagazin informieren zu lassen, um dann das richtige Maß an Empörung über das Böse in der Welt zu twittern.
Niemand stellt sich die Frage, ob ein Lynchmord nicht das Gegenteil dessen ist, wofür unsere Zivilisation einmal stand. Niemand stellt sich die Frage, ob die YouTube-Videos, die vom Heute-Magazin gezeigt werden, vielleicht gefälscht sein könnten. Wurde es doch durch ein „seriöses“ Medium ausgestrahlt. Und kaum jemand fragte sich, warum es keinerlei Videos über die 16.000 Kinder gibt, die täglich an Hunger sterben.
Da werden die früheren Überzeugungen, dass von deutschem Boden kein Angriffskrieg mehr ausgehen soll, zurückgestellt, und laut brüllen die Empörten die Forderung heraus „Bombt Assad weg!“ Wackelige Videos aus zweifelhaften Quellen werden als ausreichender Beweis gewählt, um die Todesstrafe zu fordern. Todesstrafe nicht nur gegen Assad, sondern zehntausende, hunderttausende von Menschen. Nicht zu sprechen von den Erkrankungen und Missbildungen durch Uranmunition, die das verseuchte Land über Jahrhunderte verfolgen wird, wenn es zu einem Angriffskrieg wie gegen den Irak, Afghanistan oder Libyen kommt.
Es heißt nicht: „Sammelt Beweise und stellt Assad vor den internationalen Gerichtshof“. Es heißt „Bombt Assad weg“. Gerade so wie ein Klu-Klux-Klan-Mob, der einen farbigen Mitbürger angreift, um ihn zu lynchen, weil er angeblich eine weiße Frau vergewaltigt hat.
TECHNISCHER FORTSCHRITT, SOZIALER RÜCKSCHRITT
Seit dem Zusammenbruch des Sowjetreiches gibt es keinen ernsthaften Gegner, der Widersprüche im Verhalten des Westens für eigene Propagandazwecke nutzen kann. Ohne diese Bedrohung verlieren wir seit diesem Zeitpunkt ständig mehr jener Werte, die uns einmal gegenüber dem real existierenden Kommunismus überlegen darstellen sollten. Wir foltern, wir eröffnen illegale Gefängnisse, und unterzeichnen wir Todeslisten mit Verdächtigen, die erst gar nicht in ein Gefängnis gebracht werden sollen. Und erhalten dafür den Friedensnobelpreis. Wir töten 1,7 Millionen Menschen im Krieg gegen den Terror, weil angeblich eine Bedrohung besteht, dass wir mit Massenvernichtungswaffen angegriffen werden, und erkennen die Absurdität unserer Argumentation gar nicht. Einerseits regen wir uns über Todesstrafe in Ländern, die wir als "Feinde" identifizieren, andererseits halten wir es für vollkommen normal, dass mit Drohnen Jagd auf Bewaffnete gemacht wird, und ein Schatten darüber entscheiden kann, ob eine Hellfire-Rakete abgefeuert wird, mit der in der Regel auch unbeteiligte Zivilisten getroffen werden.
Wir haben jedes Augenmaß verloren und uns in einen religionsartigen Kampf Gut gegen Böse gesteigert. Das letzte Argument lautet: „Bist du für unsere „Werte“ oder für die der anderen“. Das Problem ist, dass ich immer mehr der Werte, auf die ich einmal stolz war, vermisse. Und mich immer mehr über zunehmende Heuchelei ärgere. Bald wird vielleicht nichts mehr von den „Werten“ vorhanden sein, die wir angeblich verteidigen. Denn wir selbst sind unsere größten Feinde.
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(1) Auf Grund der Sperrfrist 18.06.2012 02:00 Uhr entnehmen Sie bitte die Einzelheiten den dann publizierten Pressemitteilungen und Artikeln.
(2) http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/04/die-manipulation-der-massenmedien-und.html
(3) Jacques Ellul, Propaganda, The Formation of Men’s Attitudes, Vintage Bpooks, New York.ISBN 978-0-394-71874-3
(4) http://uweness.eu/death-sells-gaddafi.html
(5) http://www.spiegelfechter.com/wordpress/8308/open-thread-gauck-und-der-krieg
(6) http://www.youtube.com/watch?v=GTRaf23TCUI
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