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Sonntag, 29. März 2015

Was Krieg bedeutet: Jemen, Syrien, Ukraine

Die meisten der Kommentatoren, die sich für Härte, "entschlossenes Auftreten gegen ... Aggression" und zugunsten "beschränkter Militärschläge" aussprechen, haben keine Ahnung, was Krieg für die Menschen bedeutet, die davon betroffen sind. Ich habe bisher auch darauf verzichtet, die Fotos von verstümmelten Leichen, oft auch Kindern, zu posten. Aber vielleicht wird es eines Tages eine Schocktherapie geben, die einigen die Augen öffnen werden, was Krieg eigentlich bedeutet. Ich will es schonender versuchen, aus eigener Erfahrung berichten.


Zunächst will ich erklären, dass ich keineswegs ein "pazifistischer Träumer" bin, und sehr entschieden an Selbstverteidigung und Nothilfe glaube. Aber diese müssen immer angemessen sein, und sich nachträglich rechtfertigen. Dies vorausgeschickt will ich nicht von eigenen Erfahrungen in Asien berichten, weil ich nicht direkt als Kämpfer daran teilgenommen hatte, sondern von meinem Vater berichten.

DER SOLDAT IM 2.WK


Mein Vater, der 1911 im Alter von 95 Jahren verstarb, hatte offensichtlich mit zunehmenden Alter, immer stärker unter Erlebnissen aus dem 2. Weltkrieg gelitten. Er war während des Krieges sieben Male verwundet worden, davon waren zwei Fälle Verschüttungen. Die schlimmste Verwundung war die eines Granatsplitters im Kopf, eine Verletzung, die er nur ganz knapp überlebte. Es folgte Gefangenschaft in Russland.

Nach dem Krieg lag der Hauptfokus auf der Überwindung der verschiedenen kriegsbedingten Verwundungen und -Erkrankungen. Immer wieder wälzte er sich im Bett und schrie vor Schmerzen, und die Kinder mussten auf Zehenspitzen durch die Wohnung schleichen. Reha-Maßnahmen versuchten den Zustand zu verbessern, aber mein Vater blieb 70%, später 100% erwerbsunfähig und wurde schließlich frühzeitig in Rente geschickt.

Dan kam die Zeit, da ich als Junge zu Karneval Cowboy sein wollte, und auch tatsächlich von einer Tante einen Pistolengurt mit Knallblättchen-Revolver erhielt. Als er die Spielzeugpistole sah, wurde er wütend. Er packte sie und warf sie in den Abfall. Ich werde nie vergessen wie er schrie:"Du hast keine Ahnung, fasse nie eine Waffe an, nie. Du wirst die sonst eines Tages verfluchen, was du mit ihr getan hast."

Einige Zeit später erhielt mein Vater Besuch von ehemaligen Kameraden. Sie erzählten meiner Mutter, wie er bei zwei Gelegenheiten Kameraden, unter Feindbeschuss, und dem Einsatz des eigenen Lebens, aus der Schusslinie geholt hatte, und dabei selbst verwundet worden war. Er war ein Held? Aber davon wollte er nichts wissen. Er wollte auch nicht, dass der Kontakt zu seinen ehemaligen Kameraden aufrecht erhalten wurde. Er wollte einfach seine Vergangenheit vergessen.

Die körperlichen Verletzungen gerieten mit zunehmendem Alter in den Hintergrund. Dafür hörte man immer häufiger in der Nacht Schreie aus dem Schlafzimmer meines Vaters. Meine Mutter war schon lange in ein eigenes Schlafzimmer ausgezogen. Oft weckten wir ihn, der in Schweiß gebadet war, auf, oder fanden ihn mit weit aufgerissenen Augen, wie abwesend, aber wach gegen die Decke starrte.

Bis in die letzte Woche seines Lebens verfolgten ihn die Gespenster des Krieges. Niemals erzählte er darüber, was ihn so verfolgte. Es muss so schrecklich gewesen sein, dass er es einfach nicht aussprechen konnte.

Ich erinnere mich aber, dass ich einmal eine Bemerkung über die bösen Russen machte, als wir gemeinsam die Tagesschau sahen, was unsere abendliche Pflichtfernsehsendung vor dem Schlafen gehen war. "Junge, ich war in russischer Gefangenschaft. Aber was die Russen mit uns machten, war in keinerweise auch nur annähernd so schlimm, wie das, was wir den Russen angetan hatten." Auch das hatte sich in meine Erinnerung eingebrannt.

Da nun die letzten Zeitzeugen des letzten großen europäischen Krieges aussterben, werden auch immer weniger Kinder derselben in der Lage sein, ihre Geschichte zu erzählen. Die Erinnerung verblasst, und offensichtlich muss es erst wieder den nächsten großen Krieg geben, damit die Menschen für eine Weile aufhören, Gewalt als normales Werkzeug der Politik anzusehen.

HEUTIGE SOLDATEN


Vermutlich wird die Mehrzahl der Soldaten, die Erfahrungen des Krieges verdrängen. Oder, wie im Fall des Piloten, der die erste Atombombe, und zwar bewusst auf zivile "weiche" Ziele, abwarf, sich gegen jeden Zweifel abschotten.  Und oft gelingt die Abschottung so hervorragend, dass der Enkel dann in der gleichen Einheit bereit ist, das Kommando über die gleiche Aufgabe zu übernehmen.

So wenig wie der Einsatz der Atomwaffen gegen Hiroshima und Nagasaki notwendig für das Beenden des 2. Weltkrieges war, so wenig ist heute der Einsatz von Uranmunition  notwendig, oder der Einsatz von Flächenbombardements oder Drohnentötungen, meist weit im Hinterland des Feindes. Es sind Mittel der Macht, die zynisch langfristige Wirkung einkalkulieren, weil sie in Feindesland stattfinden.

DIE MILITARISIERUNG DER GESELLSCHAFT


Wenn ich in manchen Twittermeldungen die Freude über die Aufrüstung der Bundeswehr lese, schaudert es mich. Wer tut so was. Da ist ein 35jähriger beamteter Lehrer, der überzeugt ist, dass wir den demokratischen Werte helfen müssen, sich zu verbreiten. Oder ein 40-jähriger Autoelektriker, der findet, Deutschland müsse ruhig international stärker Flagge zeigen, und auch an "robusten Einsätzen" von Verbündeten teilnehmen. Alles Menschen, die indoktriniert wurden, durch eine Kriegspropaganda in Deutschland, die vor 25 Jahren noch undenkbar gewesen wäre.

Die Massen an Informationen, die heute über Kriege zur Verfügung stehen, haben nicht für eine Sensibilisierung, sondern eine DEsensibilisierung, eine seelische Abhärtung gesorgt.
"Von einem “Krieg ohne Gnade” sprach Israels Verteidigungsminister Ehud Barak. Während dieses Krieges wurden 1.434 Palästinenser getötet und weitere 5.303 verletzt, viele von ihnen auf grausame Weise verstümmelt. Auch setzte Israel international geächtete Waffen wie Phosphor- und DIME-Granaten ein. Unter den 960 toten Zivilisten waren ein Drittel Frauen und Kinder (288 Kinder und Jugendliche sowie 121 Frauen). Auf israelischer Seite starben 13 Menschen, davon 3 Zivilisten, 84 wurden verletzt."

Der deutsche Medienkonsument empört sich vielleicht einen Moment, vergisst es aber schon im nächsten Augenblick, wenn von den furchtbaren "Kopfabschneidern" der ISIS berichtet wird, die die Kultur Europas angreifen wollen.

WER VERGISST BEGEHT DIE GLEICHEN FEHLER


Unsere Elite führt uns wieder genau auf den gleichen Pfad der Gewalt und des Krieges, auf den uns unsere Führer seit tausenden von Jahren führen. Und immer noch werden sie in den Geschichtsbüchern als große Eroberer, als mächtige Könige und große Menschen der Geschichte dargestellt. Jene, die in erster Linie an Frieden und Zufriedenheit ihrer Untertanen interessiert waren, führen ein Leben unter "ferner liefen".

Und wir werden wieder geführt von jenen, die von Eroberungswillen, von Dominanz, von Geltungstrieb, beherrscht werden. Eroberung nicht im klassischen Sinn, der Eroberung und Beherrschung eines Landes, sondern im modernen Sinn, nämlich seinen Willen und seine Überzeugung anderen Völkern aufzuzwingen. Dominanz im Sinne des ständigen Suchens nach Überlegenheit, und von Geltungstrieb, weil offensichtlich Menschen glauben, nur dann einen Platz in den Geschichtsbüchern zu erhalten, wenn sie einen Krieg gewonnen haben.

Das wird erst beendet sein, wenn wir, die Untertanen, begreifen, dass der eigentliche Kampf nichts mit politischen Richtungen, Rassen, Nationen, Religionen oder Regionen zu tun hat, sondern mit dem Kampf OBEN gegen UNTEN. Ob ich noch einmal erleben werde, dass die Menschen das begreifen?

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