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Mittwoch, 4. April 2012

Piratenpartei und die Basisdemokratie


Frank A. Meyer hat im Cicero Interview (1) gezeigt, dass ihm jedes Verständnis der Piratenpartei fehlt. Manche Dinge klingen regelrecht komisch. Wenn er z.B. nicht ausschließt, dass die Piraten die „5. Kolonne von Google und Facebook“ wären! Aber er ist wenigstens so ehrlich zu erklären: „Ich bin ratlos und versuche herauszufinden, worum es sich handelt bei den Piraten“. Und damit steht er schließlich nicht alleine. Selbst  ich als Mitglied der Partei frage mich manchmal, wohin sich die Partei wohl entwickeln wird.


Eingetreten bin ich, wie ich glaube unter dem Eindruck der gleichen Beweggründe wie Tausende andere Mitglieder. TRANSPARENZ, BASISDEMOKRATIE, MITMACHPARTEI!  Dass es kein fertiges Programm gab, war nicht Hindernis, sondern schließlich Ansporn, einzutreten, konnte man doch endlich etwas bewegen. Dass der BPT 2011.2 nicht ausreichend Zeit bieten würde, um ein komplettes Programm zu entwickeln, war lange klar. Deshalb läuft die gesamte Planung nun darauf hinaus, für den Programmparteitag 2012.2 zu arbeiten. Und das seit Monaten!

Aber je größer die virtuellen Wahlergebnisse in Umfragen und auch in Landtagswahlen, desto verwirrender auch die Aussagen von wichtigen Meinungsmultiplikatoren innerhalb der Partei. Insbesondere jene, die ein Mandat besitzen und Berufspolitiker wurden. D.h. sie können den ganzen Tag damit verbringen, politisch aktiv zu agieren. Und dann sind da noch weitere verwirrende Eindrücke, die einzuordnen sind. Zeit, eine Diskussion über TRANSPARENZ, BASISDEMOKRATIE und MITMACHPARTEI zu führen.


KEIN RANTING

Wenn der Spiegel schreibt: „
Wer bei den Piraten ein führendes Amt besetzt, muss extrem resistent gegen Hasswellen aus den eigenen Reihen sein“, soll dieser Artikel nicht in der Kategorie von Bashing oder Shitstorm landen. Obwohl der Spiegel-Satz (4) auch nicht vollkommen korrekt ist, denn man muss nicht ein „führendes Amt“ besetzten, um Resistenz gegen Hasswellen entwickeln zu müssen. Vielleicht müssen manche Neumitglieder noch resistenter sein, wenn sie mitreden wollen, obwohl {oder weil?} sie erst nach der Berlinwahl eingetreten sind. (11) Insbesondere soll dies kein Angriff gegen einzelne Mitglieder sein, sondern ihre Erwähnung ist stellvertretend für eine Strömung.

TRANSPARENZ

Da gibt es Informationen darüber, dass Piraten in benachbarte Kreisverbände fahren, um zu versuchen, mit ihnen Absprachen über Abstimmungen zu Ämtern zu treffen. Oder Mitglieder des Bundesvorstandes, die versuchen Absprachen über Ämterkandidaturen zu vereinbaren. Und da gibt es seltsame Verfahren bei der Kandidatenkür, die die Befragung von Kandidaten ausschließen, weil  eine absolute Mehrheit notwendig ist. Und die findet sich nur selten, weil ja die Liste gefüllt werden muss. Was dazu führt, dass Befragungen schon an Mobbing grenzen. (2) Wenn dann aber der Streit zwischen BuVo und Berliner Delegierten offen ausgetragen wird (erfreulicherweise ohne beleidigende Details), mag man sich im Moment noch beruhigt zurück lehnen: Transparenz noch gegeben!

Dann gibt es da die Diskussion zwischen „Kernis“ und „Vollis“. Ein Streit darüber, ob die Partei sich auf die Ursprünge und Kernthemen der Gründer der Piratenpartei konzentrieren, oder sich zu einer „Volkspartei“ entwickeln sollte. M.E. ist diese Diskussion längst durch die Ereignisse überholt. Mit 25.000 Mitgliedern und weiter steigenden Zahlen, mit Umfrageergebnisse über 10%, gibt es kein Zurück zu den Wurzeln mehr. Außer man verschwindet wieder in der Unsichtbarkeit, ähnlich wie die Piratenpartei in Schweden bei Parlamentswahlen, zuletzt 2010. (2)

BASISDEMOKRATIE

Ein wesentlich größeres Streitthema ist die Frage, was die von den Piraten beanspruchte „Basisdemokratie“ überhaupt sein soll.

Dr. Michael Borchard schreibt für die Konrad Adenauer Stiftung:
In der „analogen“ Politik drohen die Piraten nun zunehmend auf der Sandbank der Beliebigkeit aufzusitzen oder auf dem harten Felsen aufzulaufen, selbst zu einer etablierten Partei zu werden.“ (3) Wenn ich so etwas lese, dann schrillen natürlich alle Alarmglocken, und ich frage mich, ob an der Analyse etwas dran ist.

Für mich war der Begriff „Basisdemokratie“ eigentlich relativ klar, als ich in die Piratenpartei eintrat. Ich war der Meinung, dass alle Mitglieder, Amts- und Mandatsträger davon überzeugt wären, einer gemeinsamen Sache zu dienen, nämlich der Durchsetzung eines konsensual gefundenen Zieles. Dabei hatte ich es gar nicht als notwendig angesehen, die Regeln des Grundgesetzes Artikel 38 (1) in Frage zu stellen.(6) Denn schließlich erwartete ich, dass Mandatsträger automatisch ihrem Gewissen folgen würden. Und dass dieses nicht zulassen würde, dass sich ein Mandatsträger in Widerspruch zur Basis setzen würde. Und so war ich erstmalig überrascht über die Antworten von Bewerbern um einen Landeslistenplatz für die Wahl in NRW am 13.05. Nur einzelne Ausnahmen erklärten, dass sie ihr Mandat der Partei zurückgeben würden, falls ihr Gewissen nicht mehr im Gleichklang mit dem Willen der Parteibasis schlagen würde. Das war die erste Überraschung für mich und ich hatte darüber bereits öffentlich nachgedacht. (7) Denn Wikipedia (10) schreibt über Basisdemokratie: „
Sofern es Amtsträger gibt, sollen sie deshalb unter dem Vorbehalt der ständigen Abwahlmöglichkeit stehen.“

Wikipedia definiert Basisdemokratie wie folgt: „
Ziel ist in der Tendenz die Trennung zwischen Regierenden und Regierten aufzuheben und durch umfassende direkte Partizipation an Willensbildungsprozessen zugunsten eines als erkennbar betrachteten Gemeinwillens … zu ersetzen.“(8).

Durch die Verweigerung dieser Grundsätze durch große Teile der Gruppe der Delegierten, drängt sich mir der Eindruck auf, dass ich vielleicht eine Minderheit in der Partei sein könnte. Bestärkt wird dies durch einige Aussagen von Meinungsmultiplikatoren, die ich so nicht vereinbar mit Basisdemokratie ansehe.

URBAN P1RATE

Am 27.01.2012 twitterte @UrbanP1rate
„@JoMenschenfreun Das war Werbung für die Initiative, die ich gut finde. Absichtlich manipulativ“. Ausgangspunkt war meine Frage, warum er nur Werbung für eine von drei Liquid Feedback-Initiativen machte, statt die Mitglieder zu befragen, welche der drei Initiativen die bevorzugte wäre. Außerdem hatte er mit der Macht von über 100 Delegationen einen großen Einfluss auf die Abstimmung genommen. Ich in meiner Naivität hatte geglaubt, dass ein Delegierter zwar für eine Position werben kann, dann aber eine Mehrheitsentscheidung als Willen der Partei akzeptieren würde.

Dann im März schreibt der Spiegel (9): „
Für den Berliner Abgeordneten Oliver Höfinghoff ist allein der Gedanke daran, sofort zweistellige Wahlergebnisse zu erzielen, ein Graus. "Wenn wir Volkspartei werden, bin ich weg", twitterte er am Dienstag.“ Und, verwirrend für mich, vertritt er gleichzeitig Positionen, die von mir stammen könnten. „Wenn wir uns in unseren Strukturen zu sehr den etablierten Parteien annähern, dann können wir irgendwann keine Visionen mehr verfolgen." Wie erklärt sich das? Einerseits die gleichen Maßnahmen zur Einflussnahme in der Partei wie bei den Etablierten, andererseits die Absicht, doch anders zu sein.

Dann entwickelte sich heute eine Twitterdiskussion zwischen UrbanP1rate und mir, nachdem ich folgende Meinung geäußert hatte:
„Sollten in einer basisdemokratischen #Piraten Partei die Amtsträger nicht Diener, und die Mandatsträger Stimme und Arm der Basis sein?“

@UrbanP1rate: @JoMenschenfreun interessante Formulierung. Sollten wir mal ausdiskutieren. … Mit meinem Mandat mache ich aktiv Politik. Das ist mein Auftrag. Vorstände sollen verwalten. … Hausmeisterbüro vs. SEK ;-) {gemeint ist vermutlich die Funktion eines Amtsträgers vs. Mandatsträger} … ich rede von aktuellen Zuständen. Natürlich haben wir Piraten eine zwischenform mit Mitgliederbeteiligung. … fechten aber die echten politischen Kämpfe aus.

Für mich war kein Argument dabei, das mich überzeugte, dass diese Sichtweise basisdemokratisch wäre.

CHRISTOPHER LAUER

Dann gibt es noch Christopher Lauer. den Medienstar der Berliner Piraten. In einem Artikel im „TheEuropeen“ vom 04.04.2012 (12) schreibt er
: „Wir Piraten sind oft stolz auf unsere direktdemokratischen Parteielemente, vorneweg Liquid Feedback, mit dem große Teile des Bundesprogramms der Partei geschrieben worden sind.“  Und unwillkürlich frage ich mich, woher er die Beweisführung nimmt, dass Liquid Feedback in seiner heutigen Form tatsächlich direktdemokratisch ist. Das, obwohl nach heutigem Stand nur 6360 von ca. 25.000 Mitgliedern in Liquid Feedback vertreten sind, obwohl dort die Entscheidungen in der Regel von 100 bis 300 Mitgliedern gefällt werden, welche sich besonders dieser Technologie verschrieben haben?

Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Innen, Recht und Demokratie, Sicherheit. Ein wichtiges Thema.  Ablehnung des Extremismusbegriffs! Derzeit unterstützt von 74 Mitgliedern und 114 Delegationen. Also Stimmrechten, die irgendwann einmal Personen wie Christopher Lauer oder UrbanP1rate anvertraut worden waren! Und das in einem Umfeld von 25.000 Mitgliedern.

Oder schauen wir uns eine abgelaufene Entscheidung an. Initiative „Interventionskritische Außenpolitik“ (13) Ja: 253 (66%), Enthaltung 85, Nein: 133 (34%) Angenommen! Bei den Ja-Stimmen, so kann man auf Grund der Unterstützerzahlen annehmen, stammten 128 Stimmen von einer Person, die o.g. Delegationen vertrat. Damit hätten knapp 130 bis 150 Mitglieder abgestimmt. Die Frage ist, ob das basisdemokratisch oder direktdemokratisch genannt werden kann.

Eine vehemente Verfechterin der Idee des Liquid Feedback hatte zufällig heute einen Blogbeitrag über die Überprüfbarkeit von LF geschrieben. Denn dies ist darüber hinaus ein Problem.  Keine mir bekannte Untersuchung über das derzeitige Liquid Feedback konnte aufzeigen, dass das System bereits in der Lage wäre, direkte Demokratie zu fördern, die auch basisdemokratisch war.

Liquid Feedback / Liquid Democracy ist eine brillante Idee. Aber eine Idee, die noch längst nicht so in die Praxis umgesetzt wurde, dass man ihre Anwendung auch basisdemokratisch nennen könnte.

FAZIT

Werde ich die Idee der Basisdemokratie realisiert sehen, oder muss ich mich damit anfreunden, dass auch die Piratenpartei durch eine kleine elitäre Gruppe von Meinungsmultiplikatoren definiert werden wird?

Angela Merkel sagte vor kurzem:
"Wir leben ja in einer Demokratie und das ist eine parlamentarische Demokratie und deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments und insofern werden wir Wege finden, wie die parlamentarische Mitbestimmung so gestaltet wird, dass sie trotzdem auch marktkonform ist."(5) Sind wir Piraten auch dabei, uns Basisdemokratie so hin zu biegen, dass sie „marktkonform“ ist? Und ist das der richtige Weg?



(1) http://www.cicero.de/videos/meyers-monolog-die-piraten-sind-die-lobbypartei-toxischer-kraefte
(2) http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/03/opferte-die-piratenpartei.html
(3) http://www.kas.de/wf/de/33.30685/
(4) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,825689,00.html
(5) http://www.youtube.com/watch?v=n8WDLLira90
(6) http://dejure.org/gesetze/GG/38.html
(7) http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/03/piraten-mandatsbewerber-sind-sie-anders.html 
(8) Petra Bendel: Basisdemokratie, in : Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik. Band 7.: Politische Begriffe, C.H. Beck Verlag, München 1998, S.66 und : Peter Lösche: Direkte Demokratie , in : Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon der Politik. Band 7. : Politische Begriffe, C.H. Beck Verlag, München 1998, S.130
(9) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,825496,00.html
(10) http://de.wikipedia.org/wiki/Basisdemokratie
(11) http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/03/der-neue-mctrollerismus.html
(12) http://theeuropean.de/christopher-lauer/10609-piraten-und-basisdemokratie
(13) https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/2394.html



 

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