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Auch hier kratzt Richard Sakwa an den Grenzen er erlaubten Diskussion. Denn nach herrschendem Narrativ des Westens, ist alleine Russland dafür verantwortlich, dass es zu der Krise gekommen war. Während Sakwa in seinem Buch aufzeigt, dass es der Westen war, der jeden Versuch torpediert hatte, zu einem friedlichen Kontinent Europa zu kommen. Sakwa begründet dann:
"... Es gab auch ‚sentimentale‘ Faktoren, die sich auswirkten, da drei Millionen Ukrainer in Russland leben, verbunden mit dem Land durch eine Vielzahl von kulturellen und menschlichen Bindungen. Die Überweisungen von Emigranten in die Ukraine machen ca. 10 Milliarden $ pro Jahr aus, was 4% des BPI entspricht. Im Jahr 2012 hatte Andrei Kostin, der Chef der VTB Bank, bereits versucht, ukrainische Politiker zu überzeugen, dass der EU-Deal einer ‚Zwangsheirat‘ gleichkam, während die Assoziation mit Russland der Ukraine ‚wahre Liebe‘ entgegen gebracht hätte. Putin hatte wiederholt davor gewarnt, dass Russland, sollten die ukrainischen Märkte einmal für EU-Güter vollständig geöffnet sein, Russland mit geringwertigen ukrainischen Dingen, die neue Märkte im Osten suchen, überschwemmt werden könnte. Ab Juli 2013 wurden verschiedene krude Sanktionen verhängt, darunter ein Verbot der Einfuhr von Poroschenkos Roshen Süßigkeiten, begründet durch Nichterfüllung der Lebensmittelstandards. Im September wurde die Einfuhr von Eisenbahnwaggons nach Russland gestoppt. Medvedchuk, und was nun zu seiner Partei „Ukrainische Wahl“ geworden war, finanzierten eine Öffentlichkeitskampagne, um die ukrainische Gesellschaft zu überzeugen, dass eine Assoziierung mit der EEU im Interesse der Ukraine wäre. Die härteste Linie wurde durch Sergei Glazjew, Putins Berater für Fragen der Eurasien-Integration, verfolgt, der 2013 wiederholt die Ukraine gewarnt hatte, dass die Vereinbarung mit der EU soziale Unruhen und eine mögliche Sezession pro-russischer Regionen provozieren könnte. (52) ... " (Seite 77)Also wieder wird deutlich, dass die westlichen Politiker in vollem Wissen der drohenden Eskalation und eines Krieges, ihre Politik betrieben hatten. Stefan Füle, der EU-Beauftragte für Wachstum und europäische Partnerschaftspolitik hob hervor, dass die Ukraine wirklich vor einer Wahl stehe, und dass die zwei Freihandelszonen inkompatibel wären. Er erklärte noch im Oktober 2013, dass das Wilnus Gipfeltreffen überhaupt nicht als Bedrohung angesehen werden sollte. Er bestand darauf, dass das Ziel wäre, mit den östlichen Partnern zusammen zu arbeiten. Im gleichen Atemzug gab er aber zu:
"... „es ist wahr, dass die Mitgliedschaft in der Zollunion nicht kompatible, mit der in der DCFTA ist, die wir mit der Ukraine, der Republik Moldawien, Georgien und Armenien geschlossen haben. Dies geschah jedoch nicht auf Grund ideologischer Differenzen, und es handelt sich nicht um einen Zusammenstoß von Wirtschaftsblöcken oder einem Null-Summen-Spiel. Der Grund liegt in rechtlichen Unmöglichkeiten: Zum Beispiel kann man nicht gleichzeitig seine Zölle entsprechend den Vereinbarungen laut DCFTA senken, und sie als Ergebnis der Zollunions-Mitgliedschaft, erhöhen. ...Sakwa und andere schließen daraus, dass die EU weiter marschierte, ungeachtet der russischen Bedenken, und dass sie sich dabei auf die universalen Prinzipien der Wahlfreiheit und Souveränität bezog, die aber niemand überhaupt in Frage gestellt hatte. Der Autor stellt fest, dass zum ersten Mal in der Geschichte der EU man an seine Grenzen stieß, und er schreibt:
Das Projekt der Entwicklung der Eurasischen Wirtschafts-Union, muss die souveränen Entscheidungen unserer Partner respektieren. Jede Drohung aus Russland, die in Hinsicht einer möglichen Unterzeichnung eines Vertrages mit der Europäischen Union, ausgesprochen wird, ist nicht akzeptabel. […] Die Europäische Union wird jene, die Ziel eines solchen Drucks werden, unterstützen. (53) ..." (Seite 78)
"... und in der „Finalité“ der EU erwies sich die Politik als kläglich gescheitertes zerlumptes Konzept des territorialen Grenzaufbaus zwischen der atlantischen und der eurasischen Welt. ..." (Seite 78)Obwohl die Ukraine, was die Regierungsführung und Wirtschaft anging, in keiner Weise kompatibel mit der EU war, wollte die EU mit aller Macht Janukowitsch in Wilnus zur Unterschrift überreden. Sie verzichtete auf vorher aufgestellte Forderungen, wie die Freilassung von Tymoschenko, aber am 31. Mai 2013 unterzeichnete Janukowitsch ein Memorandum zur Vertiefung der Kooperation mit der zukünftigen EEU, also dem "Konkurrenzprojekt" Russlands. Sakwa führt die Sichtweise Putins in dieser Situation an, die sonst kaum Erwähnung in westlichen Medien findet:
"...Die Ukraine sollte das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen. Durch die Nutzung moderner diplomatischer Werkzeuge, konnten wir beweisen, dass das Dokument inkonsistent mit den russischen Interessen war, da die russische und ukrainische Wirtschaft eng verflochten sind. Wir haben alleine 245 Unternehmen in der Ukraine, die für unsere Verteidigungsindustrie arbeiten. ... Sie sagten, wir sollten uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern. Entschuldigen Sie bitte, ich möchte die Gefühle von niemand verletzen, aber es ist schon eine Weile her, dass ich etwas ähnlich snobistisches gehört hatte. Sie schlugen uns einfach die Tür vor der Nase zu, und sagten, wir sollten uns um unsere Angelegenheiten kümmern“. (55)...." (Seite 78)Sakwa weist darauf hin, dass die Assoziierungsvereinbarung versprach, ein Schock für das Land zu werden, wenn die internen Probleme so angegangen werden sollten, wie vorgeschrieben. Aber dieser Vorgang war eingebettet in ein größeres geopolitisches Projekt, das die Ukraine in ein unmögliche Position rückte. Janukowitsch war keineswegs besonders "pro-russisch", wie hier immer wieder behauptet wird, aber er verstand, dass die Assoziierungs-Vereinbarung das Land zwingen würde, radikale Änderungen durchzusetzen, die schließlich auch seine Position gefährden würden. Und, wie Sakwa nüchtern feststellt, war Janukowitsch ein akzeptabler Partner für die EU, solange er die Verträge unterschreiben sollte bzw. wollte, auch wenn er dann später dämonisiert wurde. Aus dieser Zwickmühle sah Janukowitsch dann keinen Ausweg. Sakwa beschreibt dann was passierte wie folgt:
"... Am 21. November 2013 verkündete er, dass er das Dokument nicht so unterschreiben würde, wie derzeit erstellt, und dass es mehr Zeit benötigen würde, die Auswirkungen, die die Vereinbarung auf die Ukraine haben würde, zu studieren. Eine Reihe von Faktoren wogen schwer in der Entscheidung, die Assoziierung zu verschieben. Es war sicher nicht einfach, weil er eine pro-russische ‚Marionette‘ war, dabei hatte man ihn unter brutalen Druck gesetzt, die Assoziierungs-Vereinbarung zu unterzeichnen. Putin, der wenig Respekt vor Janukowytsch persönlich hatte, zeigte ihm die Arbeit von Glazyev und anderen, die demonstrierten, wie zerstörerisch es für die ukrainische Wirtschaft sein wird. Wie die meisten ukrainischen Führer, hatte Janukowytsch, bei dem Versuch, das Beste herauszuholen, lange Moskau gegen Brüssel ausgespielt. Er begriff nun, dass die EU tatsächlich sehr wenig auf den Tisch gelegt hatte, das unmittelbaren Gewinn bringen würde, während die Reformen, eine bereits prekäre Situation, noch unsicherer machen würden. Moskau andererseits, bot ein Darlehn von 15 Milliarden $ und einen heftigen Rabatt auf den Gaspreis an. Am 17. Dezember wurde der Vertrag unterzeichnet, und zum Gasvertrag vom 19. Januar 2009 wurde ein Zusatz vereinbart, der den Preis für Erdgas, für die Ukraine, um ein Drittel, von 410$ auf 286,50 $ pro tcm, senkte. Die Vereinbarung mit Russland jedoch bedeutete nicht, dass in Janukowytschs Gedanken die Tür zur EU geschlossen war, und er plante sicherlich, nach Brüssel zurück zu kehren. Er spielte auch die chinesische Karte, mit einem Land, das er im Dezember besucht hatte, in der Hoffnung, es würde eine Fluchtroute aus der Sackgasse der Beziehungen zu den Nachbarn der Ukraine bieten. Zu diesem Zeitpunkt jedoch gerieten die Dinge für ihn außer Kontrolle...." (Seite 79)Immer mehr Analysten, und auch Putin selbst, sahen in der orangenen Revolution, und in der Expansionspolitik der EU, ohne Rücksichtnahme auf Russland, oder andere Interessen, ein Modell für politische Veränderungen, die auch auf Russland angewandt werden sollten.
Und dass Sie damit nicht falsch lagen, verraten schon Bücher von Vordenkern der Neokonservativen in den USA. Ein Beispiel ist das Buch von Zbigniew Brzeziński, "The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives", 1997. Wikipedia: Ziel dieses Buches ist es, "im Hinblick auf Eurasien eine umfassende und in sich geschlossene Geostrategie zu entwerfen". Die Vereinigten Staaten als "erste, einzige wirkliche und letzte Weltmacht" nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion, müssen ihre Vorherrschaft auf dem "großen Schachbrett" Eurasien sichern, um so eine neue Weltordnung zu ermöglichen. Darin finden sich Sätze wie:
"...Die Rolle Kiews bestätigt fraglos die These, daß die Ukraine der kritische Punkt ist, wenn es um Rußlands eigene künftige Entwicklung geht....“In dem Buch liest man auch, dass "keine einzelne Macht Kontrolle über dieses Gebiet erlangen" darf (gemeint ist natürlich Russland, nicht die USA) und ein "ungehinderter wirtschaftlicher und finanzieller Zugang" für die "Weltgemeinschaft" sichergestellt werden müsse. Allerdings ist unter "Weltgemeinschaft" statt eines multipolaren Pluralismus, natürlich die von "westlichen Werten" dominierten Kräfte der Globalisierung gemeint:
"... Somit kann das Bemühen Russlands, allein über den Zugang zu bestimmen, nicht hingenommen werden...",betont Brzezinski. (Zbiginiew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, 1997/2001, S. 216.)
Daher war klar geworden, dass die USA sich zu Russlands Haupt-Gegner gemacht hatten. Das Gipfeltreffen vom September 2013 der G20 in St Petersburg, war begleitet durch die Eiseskälte der Beziehungen zwischen den beiden Ländern, verschlimmert durch die Versuche Washingtons, einen Boykott der Olympischen Spiele in Sotschi, die für Februar 2014 geplant waren, anzuführen.
Nun geht Sawka aber wieder einen Schritt zurück, um nicht den erlaubten Rahmen der Diskussion zu verlassen. Er schreibt:
"... Auch war klar geworden, dass die EU ihre Ukraine-Politik kläglich verpfuscht hatte. Sie war unfähig gewesen, die Agenda der Länder des ‚neuen Europas‘, die sich mit den schärfsten Befürwortern eines extrem transatlantischen Kurses verbündet hatten, zu mäßigen. Die EaP Prinzipien dienten einem wichtigen Zweck, aber ihre Verwirklichung vollführte sich in den schlechtesten Paradigmen eines geopolitischen Wettbewerbs...." (Seite 80)Der Autor beschreibt also die EU-Politiker als unfähig, nicht aber als bewusste Betreiber einer Politik. Und das muss man bezweifeln. Meiner Meinung nach handelte es sich lediglich um ein Spiel "Guter Polizist / Böser Polizist". Denn die Spitzenpolitiker der EU hätten gekonnt, wenn sie gewollt hätten. Auch wenn die USA bekannt dafür ist, auch vor Erpressung mit Geheimdienstinformationen nicht zurück zu schrecken. (Siehe die ersten 30 Sekunden).
Alles war vorbereitet für eine Konfrontation in Europa, die gegen Ende 2013 eintrat. Da war die sich vertiefende Krise in der Ukraine mit einem Präsidenten, der bereits die Zivilgesellschaft zerstört hatte, als er noch Gouverneur von Donezk war, seine Gier und oligarchisches System der Herrschaft radikalisierte die öffentliche Meinung. Gleichzeitig drängten die europäischen Transatlantiker mit immer mehr Druck auf die Regierung, darauf hin, die Ukraine "umzudrehen". Sakwa beschreibt es wie folgt:
"... Der Katalysator war das Assoziierungsabkommen mit der EU, aber das war nur die Kulmination eines viel breiteren Versagens, eine von allen Seiten akzeptable Struktur der internationalen Politik in der Zeit nach dem Kalten Krieg zu schaffen. Die zentrale Position des Landes bedeutete, dass wenn die beiden Krisen sich kreuzten, es zu einer raschen Eskalation der beiden kommen würde. Tony Wood fast das sehr schön zusammen:
Und jeder konnte sehen, dass der Konflikt blutig werden, und in einem Krieg enden würde. Aber statt die Wogen zu glätten, wurde auch noch die letzte Lunte durch die Transatlantiker angezündet. Dazu mehr im nächsten Artikel."...Für die USA und Europa war das Ziel die ganze Zeit lang relativ geradlinig: Sie wollten das Land aus der russischen Einflusssphäre lösen, und die Expansion der NATO und der EU in Richtung Osten fortsetzen. […] Für Russland war das Hauptziel bis vor kurzem ein symmetrisches Zurückdrängen: Um die Ukraine aus den westlichen Sicherheits- und Wirtschaftsstrukturen heraus zu halten, sollte das Land wenigstens als neutralen Staat erhalten bleiben, wenn nicht sogar als aktives Mitglied einer ‚Eurasischen Union‘ die von Russland dominiert wurde, gewonnen.“ (57) (Seite 80)
---> Frontline Ukraine - Crisis in The Borderlands, Richard Sakwa, I.B. Tauris, London, 2015 (Englisch)
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