Vertreter der Plutokratie: Poroschenko |
2010 hatte also Janukowytsch die Präsidialwahlen knapp gewonnen. Um seine Macht zu erhalten, wandte er immer mehr autoritäre Methoden an, die natürlich von den Gegnern zum Anlass genommen wurden, ihn zu diskreditieren. Sakwa ist relativ vorsichtig darin, das Narrativ der westlichen Medien zu zerstören, dass die Justiz alleine aus politischen Gründen Verfahren gegen die politischen Gegner der Regierung begann. Aber er widerlegt die Behauptung auch nicht, obwohl es gute Gründe dafür gegeben hätte. Tatiana Zhurzhenko hatte sich einmal mit der Person Tymoschenko befasst und eine gute Analyse geliefert, und was die kriminellen Beschuldigungen angehen, hat Friedrich Beck einige Informationen aus den Anfangsjahren der "Gasprinzessing" zusammengefasst, die auch Zweifel am Ruf aufkommen lassen. Bei Sakwa findet man an anderer Stelle noch einige Hinweise, aber keine Verlinkung zu dieser Stelle im Buch, an der von "politischem Prozess" geschrieben wird:
"... Der Fall wurde als politisch motiviert angesehen. (17)" (Seite 57)Leider erläutert er an dieser Stelle nicht, inwiefern dies zutreffen, oder eben nicht zutreffen, könnte.
Janukowytsch machte im Prinzip weiter mit der Tradition, Osten und Westen gegeneinander auszuspielen, um für die Ukraine das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Aber der Westen wollte die Ukraine. So hatte er zwar die Freilassung von Tymoschenko als Voraussetzung für einen Beitritt des Landes zur EU und NATO bezeichnet, war aber stillschweigend davon abgerückt. Man wollte die Ukraine um jeden Preis. Die Situation beschreibt Sakwa mit folgenden Worten:
"...Das versetzte Janukowytsch in eine Zwickmühle, wurde er doch von Russland gedrängt, die traditionellen Verbindungen mit der CIS Freihandelszone beizubehalten, oder sogar den Vertrag über die Eurasische Zollunion (ECU) zu unterzeichnen, die sich gerade in die Eurasische Wirtschafts-Union (EEU) verwandelte. Russland bot am Ende 15 Milliarden US$ an unmittelbarer finanzieller Hilfe, und bevorzugte Sonderpreise für Gas, was wesentlich großzügiger war, als die Angebote der EU...." (Seite 57)Am 21. November 2013 verkündete dann Janukowytsch, dass er die Unterschrift unter die Vereinbarung mit der EU vorerst nicht leisten, sondern verzögern wolle. Daraufhin versammelte sich erneut die Menge auf dem Maidan, die bereits in der Orangen Revolution aktiv gewesen war. Diesmal jedoch in einer etwas anderen Zusammensetzung. Dazu mehr später.
Sakwa beschreibt, wie Janukowytsch versuchte, durch Verträge mit China, und durch Vergabe von Gas-Fracking-Lizenzen an US_Firmen, Bewegungsspielraum zu erhalten. Dann kommt Sakwa zu einem Punkt, der ein weiteres Narrativ zerstört. Nämlich die Behauptung, Janukowytsch wäre eine Marionette Moskaus gewesen.
"... Was die EU angeht, so drängte ihn sogar sein Chef-Berater, Sergei Levochkin, der einer Gruppe von Beratern vorsaß, die Verträge mit der EU zu unterschreiben, und das Rennen um das Präsidentenamt als Reformer zu bestreiten.(19) Das wäre durchaus machbar gewesen, denn die Beziehungen zu Russland während seiner Präsidentschaft, waren nie einfach gewesen. Er hatte sich kontinuierlich geweigert, Verträge mit der ECU abzuschließen, während die Gas-Preise hoch blieben. In den Monaten vor dem Gipfeltreffen in Wilna, hatte Russland eine Reihe von Restriktionen auf ukrainische Exporte verhängt, da das Land eine Flut unverzollter EU-Güter befürchtete, die die heimischen Produzenten unterminiert hätten. Dazu werde ich später noch einmal zurückkommen...." (Seite 58)DIE BEDEUTUNG DER VERFASSUNG
In einem vorhergehenden Artikel hatten wir ja bereits gelernt, dass sich die EU und die NATO in keiner Weise für die Verfassung der Ukraine, und z.B. die dort festgeschriebene Neutralität interessierte. Sakwa bringt ab Seite 58 weitere Informationen in diese Betrachtung ein.
Zunächst erklärt er, das die Ukraine als Zentralstaat, und nicht als Union in der Verfassung festgeschrieben worden war, weil Ängste um den Zusammenhalt des Landes bestanden hätten. Nun kann man sagen, dass eigentlich in diesem Fall das Gegenteil hätte der Fall sein sollen, nämlich von Anfang an die Bildung einer Föderation, um den Unterschieden Rechnung zu tragen, und um, wie in Belgien, Kanada und ja auch Deutschland, regionale Besonderheiten zu berücksichtigen, und den Missbrauch von Macht durch eine Zentrale, zu verhindern. Deshalb hätte man hier darauf eingehen sollen, wer denn diese Ängste benutzte, um einen Zentralstaat, statt ein föderales Staatswesen zu formen.
Die zweite umstrittene Angelegenheit in der Verfassung ist, nach Sakwa, die Frage der nationalen Sprache.
"...Die zweite Angelegenheit betraf die nationale Sprache. Wieder einmal hatte sich die Agenda der Eliten für eine ‚Nationalisierung‘ der Ukraine durchgesetzt, und Ukrainisch wurde als die einzige Nationalsprache eingeführt, wodurch Russisch zu einer einfachen Sprache der normalen privaten Kommunikation degradiert wurde. Wie wir schon sahen, war Artikel 10 unmissverständlich in seiner Aussage, dass die offizielle Sprache der Ukraine das Ukrainisch ist‘, aber er fuhr dann fort festzustellen, dass ‚die freie Entwicklung, die Nutzung und der Schutz von Russisch und anderen Sprachen der nationalen Minderheiten der Ukraine, garantiert ist.‘ Die Beschreibung von Russisch als Sprache einer ‚nationalen Minderheit‘ in einem Land, in dem 80% der Bevölkerung sich selbst als russischsprachig bezeichneten, war vorsichtig gesagt ärgerlich...." (Seite 58)Natürlich hatte sich die russische Sprache in erster Linie so stark entwickelt, weil zuerst durch das Zarensystem, dann durch die Sowjetunion, Russisch als dominierende, zusammen schweißende Sprache, vertreten wurde. Und auch nach Erreichung der Unabhängigkeit war dies nicht von einem auf den anderen Tag verändert. Aber unter einer nationalistischen Regierung wurde mit Gewalt versucht, dies umzudrehen, wie Sakwa schreibt:
"... Es war eine so große Kluft zwischen Praktik und Politik, und Juschtschenkos Präsidentschaft signalisierte die Radikalisierung des integrierenden Nationalismus-Modells, und der nun offensichtlicher werdenden, implizit repressiven Politik, gegenüber der russischen Sprache. Offizielle Dokumente sind jetzt nur in Ukrainisch, einschließlich Geburts- und Sterbeurkunden, und andere verbindlichen Dokumente. Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, in denen russischsprachige Ukrainer Dokumente unterschrieben, auch vertraglich bindende Verträge, ohne den Inhalt der Texte zu verstehen. Es gab jetzt auch eine Kampagne zum Wechseln von Ortsbezeichnungen, und in vielen Fällen wurden Russen gezwungen, ihre Namen zu ukrainisieren, wenn sie einen neuen Pass beantragten. Wie Deema Kaneff es ausdrückt: ‚Ukrainisierung ist eine Form der Repression, die man täglich erlebt.‘ (21)..." (Seite 59)Aber auch das interessierte, die angeblich auf den Willen der Bevölkerung, und ihre Freiheit ausgerichtete Politik der EU, offensichtlich nicht. Und so konnten alle Präsidentschaftskandidaten in ihren Wahlkämpfen versprechen, Russisch zur 2. Landessprache zu machen, dieses Versprechen aber nie einlösen, da der Widerstand der Nationalisten anscheinend zu groß war.
Janukowytsch jedoch kam der Erfüllung seines Versprechens etwas näher. Er erzwang 2012 ein Gesetz, das jede lokal gesprochene Sprache, die von mehr als 10% der Bevölkerung gesprochen wurde, zur offiziellen Sprache der Region gemacht werden konnte. Obwohl dieses Gesetz die offizielle Landessprache "Ukrainisch" in keiner Weise herabsetzte, traf es auf den erbitterten Widerstand der Nationalisten. Und dabei war die Zielgruppe dieses Gesetzes nicht nur die ethnischen Russen, bzw. die russisch orientierten Menschen, sondern es ging um insgesamt 18 Sprachen von Minderheiten. Darunter besonders Ungarisch, Rumänisch und Moldauisch. 13 von 27 Regionen, machten schließlich in Anwendung des Gesetzes, Russisch zur zweiten offiziellen Sprache. Aber der Status von Russisch war der einer Minderheitensprache. In der Verwaltung, dem Militär, der Politik war Ukrainisch Pflicht, ohne Einschränkung.
Sakwa weist darauf hin, wie Finnland und Kanada (aber auch die Schweiz, Belgien und andere Länder) gerade durch die Mehrsprachigkeit, die Einheit des Landes erhielten. Während es keinerlei Beispiel gibt, dass eine erzwungene Landessprache der Einheit genutzt hätte. Aber es wird nicht klar, warum diese logische Tatsache, nicht auch von den westlichen Beratern betont und sogar als Voraussetzung für eine EU-Mitgliedschaft erwähnt worden war. Nach Art. 3 Abs. 3 EUV ist es Aufgabe der Union, den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt zu wahren. Auch die Grundrechtecharta der EU (ABl. C 83 von 2010) verlangt in Art. 22: Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen. Maßnahmen der EU zur Förderung von Regional-und Minderheitensprachen sind im Internet zu finden unter: http://ec.europa.eu/education/languages/languages-of-europe/doc147_de.htm. Auch dieser Frage geht Sakwa leider nicht auf den Grund.
Die dritte umstrittene Regelung in der ukrainischen Verfassung, war der Streit, ob die Ukraine eine Präsidial- oder Parlamentsrepublik sein sollte. Die Verfassung beschrieb dann einen Mittelweg. Der Präsident wurde für fünf Jahre gewählt, und hatte bedeutende Macht, der Premierminister wurde aber vom Parlament bestätigt, und von der 450-köpfigen Rada gewählt. Jedoch wurde auf eine zweite Kammer verzichtet, d.h. es gibt keine regionale Versammlung, die in bestimmten Fragen noch einmal die Entscheidungen der Zentralregierung hinterfragen kann, wie z.B. der Bundesrat in Deutschland. Wie die Kontrolle der Zentralregierung dadurch beeinflusst wurde, beschreibt Sakwa mit folgenden Worten:
"...Dies machte die Rolle des 18-köpfigen Verfassungsgerichtes noch wichtiger, aber wenn es auf das Gericht ankam, wurde es wiederholt missbraucht und ignoriert. Das Gericht wurde weder über die Verfassungsreform konsultiert, die durch die Orangene Revolution Ende 2004 ausgelöst worden war, die, wie wir sahen, die Rolle des Präsidenten schwächte, und größere Macht dem Parlament verlieht, während die Änderungen unzulängliche gegenseitige Kontrollmöglichkeiten erzeugten. Bei Janukowytschs Annahme der Präsidentschaft im Jahr 2010, wurde die Verfassung erneut zum Spielfeld der Führung. Am 1. Oktober 2010 widerrief das Verfassungsgericht die Änderungen von 2004, indem sie diese für verfassungswidrig erklärte. Diese Entscheidung war höchst umstritten, und erfolgte unter Vorwürfen, dass vier Mitglieder des Gerichtes, vor der Abstimmung, durch Druck der Regierung, gezwungen worden wären, zurück zu treten. Nicht weniger umstritten war die Wiederherstellung der Verfassungsänderungen von 2004, am 22. Februar 2014, am Tag von Janukowytschs Fall, die durch eine vereinfachte Prozedur, in einer einzigen Sitzung, von einer überwältigenden Mehrheit der Parlamentsmitglieder (351 der 450 Sitze), ohne vorausgehende Debatte oder einer Diskussion, in einer Kommission, beschlossen wurde. Natürlich war Janukowytsch nicht in der Position um die Wiederherstellung zu ratifizieren, und deshalb repräsentierte dies einen weiteren revolutionären Akt der mobilisierten Menschen...." (Seite 60)Hier hören wir zum ersten Mal, dass der Sturz von Janukowytsch, im Februar 2014, vielleicht doch zu einer Situation geführt hatte, die nicht mit der damals gültigen Verfassung in Einklang stand. Was die Frage aufwirft, warum die Regionen sich an die geänderte Verfassung, die durch nicht verfassungsmäßige Maßnahmen zustande gekommen war, halten mussten, und Befehlen folgen sollten, die von nicht verfassungsmäßig an die Macht gekommenen Herrschenden, ausgegeben worden waren. Dazu wird man bei der Besprechung der "revolutionären Vorgänge" vom Februar 2014 und bei der Krim Frage noch mehr hören, insofern kann man Sakwas Schweigen an dieser Stelle zunächst akzeptieren.
Der Autor geht dann auf die Rolle der Oligarchen in der Ukraine ein, und beschreibt das alte und neue System als "OLIGARCHEN-DEMOKRATIE". Eine Tatsache, die ebenfalls die Demokratieaktivisten von Soros, oder die EU-Politiker, in keiner Weise interessiert hatte. Sakwa beschreibt das System in der Ukraine als Plutokratie der Oligarchie. Damit jeder versteht was er meint, betont er noch einmal:
".... Als Plutokratie wird ein System definiert, bei dem eine kleine Gruppe an der Spitze, große Teile des nationalen Vermögens ihr Eigen nennen, und eine Wirkung auf die Politik haben, die außerhalb jeder Proportion ihrer Anzahl ist. (23) ..." (Seite 60)---------------------------------------------------------------
Wie kann es sein, dass die EU um ein Land warb, in dem solche Zustände herrschten? Das fragt Sakwa leider nicht. Aber es ist doch äußerst seltsam, dass andere Länder nachweisen müssen, demokratische Reformen durchgeführt zu haben, während man den Oligarchen der Ukraine, wenn sie nur dem Westen zugeneigt sind, alles erlaubt.
---------------------------------------------------------------
Bei der Erklärungen der verschiedenen Clans bzw. "Familien" in der Ukraine, kommt Sakwa auch nicht umhin, über Julia Tymoschenko zu schreiben. Er tut dies aber vorsichtig und ohne zu bewerten, wollte den erlaubten Diskussionsrahmen wohl doch nicht sprengen. Wieder muss man zwischen den Zeilen lesen:
"...Julia Tymoschenko machte ihr Vermögen in den 1990er Jahren durch Handel mit Gas, und wurde eine der reichsten Oligarchen des Landes. Geboren am 27. November 1960 in Dnipropetrowsk, ist sie eine der schillerndsten politischen und Unternehmens-Führer. Ihre United Energy Systems of Ukraine (UESU) war von 1995 bis zum 1. Januar 1997 der Vorläufer der RUE, als privates Unternehmen Zwischenhandel für russisches Gas für die Ukraine, zu agieren, in dessen Folge sie den Spitznamen ‚Gasprinzessin‘ erhielt. Im Jahr 1999 bildete sie ihre eigene Partei, Batkivshchyna (Vaterland), und kurz darauf wurde sie stellvertretende Premierministerin für den Treibstoff und Energiesektor, wodurch sie zu den Oligarchen-Gruppen, die die Wirtschaft kontrollierten, in den Ring stieg. Im Jahr 2001 wurde sie entlassen und wegen Gas-Schmuggel und Steuerhinterziehung angeklagt, und 42 Tage in Haft gehalten. Später gab ein FBI-Ermittler, Bryan Earl einen lebhaften Eindruck, wie das System arbeiteteSakwa schreibt dann noch einige Details über verschiedene Aktivitäten, die Tymoschenko im Gasbereich, also ihrem privaten Geschäftsbereich, aber in wichtigen politischen Ämtern betrieben hatte. Dann beschreibt er noch die Aktivitäten und politischen Neigungen verschiedener anderer Clans. Er stellt fest, dass sie schlussendlich zerstritten waren, in orangene, und blaue Fraktionen, und wie nach der "Revolution" von 2014, die Oligarchen, die die "falsche" Gesinnung hatten, drastischen Nachteilen ausgesetzt waren. Alles, wohlgemerkt, unter dem wohlwollenden Nicken der westlichen Politiker.„Als er [Pavlo Lazarenko] der Vorsitzende des Oblast Dnipropetrowsk war, besuchte er alle erfolgreichen Geschäftsleute und sagte: „Gib mir 50% deiner Gewinne […] wenn du mir das Geld gibt’s, garantiere ich dir, dass du im Geschäfts bleibst und dass dein Unternehmen erfolgreich sein wird.“ Lazarenko stieg später höher in der politischen Karriere, und wurde stellvertretender Premierminister und schließlich Premierminister. […] Als er auf der internationalen Bühne auftauchte, begann er extensiv die Struktur der Gasimporte zu manipulieren. Wodurch praktisch über Nacht, Julija Tymoschenko und ihre Firma, der größte Gas-Importeur des Landes wurden.“ (27) .Am Ende floh Lazarenko im Februar 1999 in die USA, wo er später zu acht Jahren Gefängnis wegen Erpressung und Geldwäsche verurteilt wurde. Tymoschenko erscheint in diesen Vorgängen als ‚Mitverschwörerin‘, wurde aber nie verurteilt, eine Anomalie, die unerklärt bleibt. ..." (Seite 61/62)
Dann stellt er einen interessanten Vergleich mit Russland an.
"... Der Vergleich mit Russland ist lehrreich. Als Putin im Jahr 2000 an die Macht kam, reduzierte er den Einfluss der gierigsten, der ungeheuer politisch einflussreichen Oligarchen, insbesondere den von Boris Berezovsky und Vladmir Gusinky, und im Jahr 2001 waren beide im Exil. Die Politik der ‚Äquidistanz‘ der Oligarchen gegenüber dem Staat, hielt dann eine Reihe von Jahren, aber im Oktober 2003 wurde Michail Chodorkowski verhaftet, und schon bald danach, sein gigantischer Yukos Öl-Konzern in die Hände des Staates gebracht. Die politische Macht der Oligarchen war gebrochen worden, und im Anschluss daran identifizierten sie sich mit dem Staatsbild Putins. Russland erhielt eine wesentlich weniger pluralistische Politik, mit Medien die auch eher eine Statistenrolle einnahmen, jetzt, da die unabhängigen Oligarchen verschwunden waren. Aber was Russland an demokratischer Wettbewerbsfähigkeit verlor, gewann es an Geschlossenheit in der Führung des Staates...." (Seite 63)Von den US-Politikern konnte man erwarten, dass sie einen Kreml-Führer, der die Oligarchen entmachtet, hassen würden. Aber dass auch die EU-Politiker lieber mit Oligarchen der Ukraine, als mit einem vom Volk gewählten und getragenen Präsidenten kooperierten, sagt m.E. viel über den Zustand der westlichen Welt aus. Sakwa sagt nichts dazu. Aber er hat auch lobende Worte für die ukrainischen Oligarchen:
"... Die Existenz von mächtigen Oligarchen erfüllte die ukrainische Politik mit einem Pluralismus, der Russland fehlt. ..." (Seite 64)Als ob Oligarchen, die im Wettstreit liegende Wirtschaftsinteressen, auch politisch vertreten, Pluralismus verkörpern würden. Hier hat er sich wohl etwas verirrt, oder verzweifelt versucht, vom Rand der erlaubten Diskussion wieder zur "Mitte" zurück zu kehren. Er beschreibt dann, den von den USA ins Amt gebrachte Präsidenten Poroschenko, und sein Schokoladenimperium, und stellt fest:
"... Eine mysteriöse Holding mit dem Namen UkPromInvest, managt viele seiner anderen Interessen, darunter die Produktion von Bussen, den Autoverkauf, Schiffswerften, Banken und die Produktion von Kabeln für die Elektroindustrie. Forbes schätzte sein Vermögen im März 2013 auf 1,6 Milliarden US$. Wie die meisten ukrainischen Oligarchen, gehört ihm ein eindrucksvolles Anwesen, das in seinem Fall an den Ufer des Flusses Dnjepr gelegen ist (und was illegaler Weise den Zugang zum Ufer des Flusses für die Allgemeinheit unterbindet), ‚komplett mit einem weißen Säulenvorbau, der, nicht einmal nur unterschwellig, an das Weiße Haus erinnert, umgeben von einer gelben Ziegelmauer‘. (32) ..." (Seite 64)Dann folgt eine Beschreibung seiner politischen Laufbahn, in unterschiedlichen Ämtern, unter unterschiedlichen Regierungen, in unterschiedlichen politischen Lagern. Und er beschreibt WikiLeaks-Dokumente und Poroschenkos Taten, was erklärt, warum die USA und die EU ihn als Präsidenten sehen wollten, und ja schließlich auch bekamen.
"... Seine Reden waren konsistent pro-europäisch, und er denunzierte wiederholt Korruption, während er selbst vom korrupten Staat profitierte. Sein Name wird über einhundert Mal in den WikiLeaks-Telegrammen erwähnt, oft in wenig schmeichelhaftem Ton. Die meisten Telegramme bezogen sich auf die Periode zwischen 2006 und 2009, als er Abgeordneter und Ratsmitglied der NBU war. Die Feindschaft zwischen ihm und Tymoschenko wird wiederholt erwähnt, und in einem Telegramm vom 16. Februar 2006, beschreibt der amerikanische Botschafter, John Herbst, Poroschenko als einen ‚ehrlosen-Oligarchen‘. Andere Telegramme enthüllten, dass er sich als Außenminister geweigert hatte, einer Annäherung zwischen Kiew und Moskau zuzustimmen. Im Dezember 2009 z.B. drängte er westliche Kollegen auf einem Treffen der NATO-Ukraine-Kommission, sich den russischen Versuchen zu widersetzen, Einfluss in der Region auszuüben, und rief sie auf, sich nicht gegen die Hoffnungen des Landes auf eine NATO-Mitgliedschaft auszusprechen. ..." (Seite 65)Eben hatte Sakwa noch die ukrainischen Oligarchen als Pluralismus erwähnt, der Russland fehlen würde, da schreibt er auch schon wieder, welchen schädigenden Einfluss die Oligarchen auf die Gesellschaft hatten:
"...Die wachsende Kluft, zwischen der unverantwortlich agierenden Elite, und der Masse der Bevölkerung, war der entscheidende Faktor, für die Protest-Bewegung vom November 2013. Die ‚europäische Frage‘ diente nur als Proxy-Grund für das Blockieren von Veränderungen im Inland. Beamte des Staates, und die Klasse der Geschäftsleute agierten straflos. Der Fall des Abgeordneten von Tymoschenkos BYuT, Viktor Lozinsky, der am 20. April 2011 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, wegen vorsätzlichen Mordes, nachdem er einen Dorfbewohner 2009 erschossen hatte, während er mit dem Chef der lokalen Polizei jagte, war ein seltener Fall, in dem die Unantastbarkeit gelüftet worden war. In einem Land, mit dem viert-niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen in Europa, illustriert der Fall ‚die Krise der Legitimität, vor der sich die Demokratie gestellt sah, mit Beamten und Parlamentariern, die als eine elitäre Kaste angesehen wurden, und nicht als eine politische Klasse.‘ Stellvertreterstatus gewährten Geschäftsleuten mit Millionen eine Immunität, und Netzwerke um ihre Interessen zu beschützen, wobei parlamentarische Kommissionen einzigartige Möglichkeiten offerierten, sich zu bereichern. In seinen neun Jahren als Geschäftsmann und Abgeordneter der PoR, hatte Mykola Lisin keine einzige politische Rede gehalten, oder auch nur ein Interview gegeben, aber ‚das war gleich für den ganzen Kurs: Abgeordnete der Ukraine waren nicht gefordert, Interesse an der öffentlichen Politik zu zeigen.‘ Das geschlossene Listenmandats-System bedeutete, dass die meisten Abgeordneten nicht um ihre Mandate kämpfen mussten, oder auch nur im Parlament zur Wahl gehen mussten. Das Block-Wahl-System erlaubte Kollegen, im Auftrag der Gruppe, mit einem gut eingespielten System des ‚Klavierspiels‘, dass elektronische Wahlkarten von anderen in deren Namen genutzt werden durften. Der Tag, nachdem er in einem Autounfall starb, am 17. April 2011, war Lisin mit einer Abstimmung im Parlament registriert. (37)..." (Seite 67)Alles mit Wissen und offensichtlicher Zustimmung der EU und der USA.
---> Frontline Ukraine - Crisis in The Borderlands, Richard Sakwa, I.B. Tauris, London, 2015 (Englisch)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen