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Mittwoch, 11. November 2015

UKRAINE, KRIM, die EU, NATO und Russland-Teil 01

Es gibt sie, die aufrechten konservativen Wissenschaftler, jene, die bereit sind mit Fakten gegen den Strom zu schwimmen. So wie Prof. Dr. Richard Sakwa das tut, indem er das Narrativ westlicher Medien mit einer wissenschaftlich fundierten Analyse und Darstellung der wahren Vorgänge rund um die Krim-Krise zerstört. Es muss der europäischen Elite besonders weh tun, wenn ihnen einer der ihren den Spiegel vor das Gesicht hält, und er macht es erträglicher, indem er, der Kritiker Putins und der gesellschaftlichen Entwicklung in Russland, alles andere als eine einseitige Heldenverehrung des russischen Präsidenten betreibt. 
In seinem Buch "Die Ukraine Front - Krise in der Grenzmark", erschienen 2015 in Englisch im I.B. Tauris-Verlag, London, stellt Sakwa alles in Frage, was die westlichen Medien als gegebene Tatsachen ansehen, weil sie von politischen und militärischen Führern des Westens so erklärt werden. Das zu tun muss ihm ungeheuer schwer gefallen sein, denn er gehört zu jenen, deren Familien vor dem russischen Imperium geflohen waren.

Der Autor stammt aus Polen, einem Polen, das im 2. Weltkrieg und danach, sowohl gegen Nazi-Deutschland als auch das russische Imperium einen aussichtslosen Kampf führen musste. Und so landete Sakwa irgendwann in Großbritannien, nachdem sein Vater als Soldat eine militärische Odyssee im Rahmen der britischen Streitkräfte und des 2. Weltkrieges hinter sich gebracht hatte. Aber die kritische Einstellung zur russischen Politik und Gesellschaft, und seine Bücher über Putin und die Politik Russlands, verhinderten trotzdem nicht, dass sich Sakwa wissenschaftlich korrekt und unvoreingenommen auf eine Analyse mit offenem Ausgang einließ.

Schon im Vorwort beschwört der Autor die Geschichte und schlägt eine Brücke von der Situation heute, zur Vorgeschichte des 1. Weltkrieges:
"... Die Krise in und zur Ukraine brachte nicht nur das Spektrum der rauen Kriegswirklichkeit zurück. Und das am einhundertsten Jubiläum eines Konfliktes, der als das Ende aller Kriege bezeichnet worden war. Die Großmächte stellten sich auf, inmitten eines Sperrfeuers von Propaganda und Informationskriegsführung, und die kleineren Mächte trugen Ihr Scherflein zum Festival der Verantwortungslosigkeit bei. ... Der Fall der Berliner Mauer, 25 Jahre davor, und das folgende Ende des Kalten Krieges, waren von Erwartungen begleitet gewesen, dass „Europa vereint und frei“ sein könnte. Diese Hoffnungen zerstoben im Jahr 2014, und Europa setzt an, wieder in eine Ära der Spaltung und Konfrontation abzugleiten. Die Ukraine-Krise war der unmittelbare Anlass, aber sie spiegelte nur die tieferen Widersprüche des Bildes, das die post-kommunistische Entwicklung seit 1989 gezeichnet hatte. Mit anderen Worten: Die Krise Europas und die, in und um die Ukraine zusammen, hatten einen verheerenden Effekt...." (Vorwort, Seite 7)
Er beschreibt dann die inner-ukrainischen Positionen, die er mit Farben versieht, auf die er im Buch dann immer wieder zurück kommt.
"... Die orangefarbene Tendenz glaubt daran, dass die Ukraine ihr Schicksal als Nationalstaat, mit einer einzigen offiziellen Sprache, kulturell autonom von allen anderen slawischen Nationen, und vereinigt mit ‚Europa‘ und der Atlantischen Sicherheitspartnerschaft, finden kann. Ich beschreibe das als eine Art ‚Monoismus‘, weil diese Tendenz das Hauptgewicht auf die Einzigartigkeit der ukrainischen Erfahrungen legt. Im Gegensatz dazu steht das Blau. Es symbolisiert eher ein pluralistisches Verständnis der Herausforderungen, vor der die Ukraine steht, und erkennt an, dass die unterschiedlichen Regionen unterschiedliche historische und kulturelle Erfahrungen gemacht haben, und dass ein moderner ukrainischer Nationalstaat diese Diversität anerkennen muss, und das in einer umfassenden Verfassungslösung. Für Blau ist die Ukraine mehr ein Staat von Nationen, eine Ansammlung von verschiedenen Traditionen, und vor allem einen Staat, in dem Russisch als zweite offizielle Sprache anerkannt ist, und wirtschaftliche, soziale und sogar sicherheitspolitische Verbindungen mit Russland aufrechterhalten werden ..." (Vorwort, Seite 7)
Nach der Farblehre erklärt er schon im Vorwort, was eigentlich jedem Beobachter sehr schnell hätte klar werden müssen. Nämlich dass die Ukraine-Krise ein Musterbeispiel dafür ist, wie interne Spannungen von höheren Mächten instrumentalisiert und internationalisiert werden. Woraus eine Krise entstand, die viele Analysten mit der Kuba-Krise verglichen, bei der die Welt am Abgrund eines Atomkrieges den Atem anhielt.Und schon hier macht er klar, was er mit seinem Buch nachweisen wird:
"... Ich werde später beschreiben, wie das asymmetrische Ende des Kalten Krieges Russland aus dem Europäischen Sicherheitssystem ausschloss. Der Fehler, ein faires und inkludierendes europäisches Sicherheitssystem zu schaffen, verursachte in der europäischen Politik mächtige Stressfaktoren, die im Jahr 2014 das internationale Erdbeben verursachte, das wir Ukraine-Krise nennen.... " (Vorwort Seite 8)
Nun sieht er aber darin keinen Plan, sondern führt es auf das Versagen der europäischen und amerikanischen Politiker zurück, die Warnsignale der vielfältigsten Arten aus Russland, einfach missachteten. Er erklärt,k wie schon Boris Jelzin von einem Begriff des "Kalten Friedens" gesprochen hatte. Dann beschreibt Sakwa, wie Wladimir Putin, zu Beginn seiner Amtszeiten fast verzweifelt versucht hatte, die Asymmetrien zu überwinden. Was aber, insbesondere von den Eliten der EU vollkommen ignoriert, ja konterkariert wurde.
"... Die wichtigste nichtstaatliche Organisation im Herzen der ‚Architektur’ des post-kommunistischen Europas, die Europäische Union (EU), verschärfte die Spannungen noch, statt sich in einer transformativen Konfliktlösung zu engagieren. Die EU repräsentierte den Kern dessen, was ich in diesem Buch das ‚Ausgedehnte-Europa‘ nenne. Es ist eine auf Brüssel zentrierte Vision eines europäischen Kerns, der sich ausdehnt in das Innere eines Gebietes, das einst einer alternativen Großmacht, mit dem Zentrum Moskau, angehörte. Und die zunehmende Verschmelzung des Groß-Europas mit dem Atlantischen Verteidigungssystem (NATO), machte die Dinge noch schlimmer...." (Vorwort Seite 8)
Sakwa lässt hier aus zu erklären, welche Rolle die mächtigen neokonservativen Vordenker der USA-Politik zu Russland und der Ukraine ganz offen publiziert hatten. So z.B. im Buch von Zbigniew Brzeziński, "The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives", 1997.  Wikipedia meint dazu:
"Ziel dieses Buches ist es, "im Hinblick auf Eurasien eine umfassende und in sich geschlossene Geostrategie zu entwerfen". Die Vereinigten Staaten als "erste, einzige wirkliche und letzte Weltmacht"  nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion, müssen ihre Vorherrschaft auf dem "großen Schachbrett" Eurasien sichern, um so eine neue Weltordnung zu ermöglichen."
In diesem Buch finden sich dann auch Sätze wie:
„... Die Rolle Kiews bestätigt fraglos die These, dass die Ukraine der kritische Punkt ist, wenn es um Russlands eigene künftige Entwicklung geht. ...“
In dem Buch liest man auch, dass "keine einzelne Macht Kontrolle über dieses Gebiet erlangen" darf (gemeint ist natürlich Russland, nicht die USA) und ein "ungehinderter wirtschaftlicher und finanzieller Zugang" für die "Weltgemeinschaft" sichergestellt werden müsse. Allerdings ist unter "Weltgemeinschaft", statt eines multipolaren Pluralismus, natürlich die von "westlichen Werten" dominierten Kräfte der Globalisierung gemeint:
"...Somit kann das Bemühen Russlands, allein über den Zugang zu bestimmen, nicht hingenommen werden... ",
betont Brzezinski. (Zbiginiew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, 1997/2001, S. 216.) All das zu erwähnen unterlässt Sakwa.

Er beschreibt jedoch, wie Russland, und einige, schnell zur Seite gedrängte Politiker der EU, die politische Vision eines friedlich kooperierenden und sich respektierenden "Groß-Europas" verfolgt hatten. Eine Lösung, die Gorbatschow, der entscheidende Vertreter einer gewaltfreien Auflösung des repressiven Sowjetreiches, das "gemeinsame europäische Haus" genannt hatte. In einem Groß-Europa sollte sich niemand entscheiden müssen, für oder gegen irgendwen zu sein. Es wäre keine auf Brüssel, und inzwischen auf die NATO, zentrierte Macht, sondern ein Gebilde mehrerer Machtzentren, die die Interessen anderer Machtzentren respektierten.

Dann aber erklärt Sakwa schon die Rolle der NATO als Hauptverursacher der internationalen Krise rund um die Ukraine:
"... Die NATO war aber nicht aufgegeben worden, als die Sowjet-Union sich auflöste, und der Kalte Krieg beendet wurde. Dies war die Quelle der unausgewogenen Beendigung des Kalten Krieges, in dem der östliche Teil sein Verteidigungssystem auflöste, während die NATO in den 1990er Jahren ihren Marsch in Richtung Osten begann. Das löste zunehmend in Russland Alarmstimmung aus, während es angeblich den neuen Mitgliedern zusätzliche Sicherheit verschaffte, es in Wirklichkeit aber bedeutete, dass Sicherheit auf dem Kontinent nun aufgeteilt wurde. Noch schlimmer, entstand zunehmend die Auffassung, dass die EU-Vergrößerung fast automatisch der Vorläufer einer NATO-Erweiterung sein musste. Es gab darüber eine überwältigende geopolitische Logik innerhalb der EU-Erweiterung. Obwohl zum Beispiel viele Mitgliedsstaaten die Bereitschaft Bulgariens und Rumäniens zur Mitgliedschaft in der EU kritisch sahen, gab es die Befürchtung, dass sie wegdriften könnten, und zu westlichen Versionen der Ukraine würden. Das Projekt der wirtschaftlichen Integration Europas, und des damit verbundenen Friedensprozesses, verband sich endgültig mit der Euro-Atlantischen Sicherheits-Partnerschaft. Was ein verhängnisvoller Fehlgriff war, der die Rationale beider Sicherheitspartner unterminierte, und am Ende die Ukraine-Krise provozierte, die Gegenstand dieses Buches ist...." (Vorwort Seite 10)
Sakwa erklärt im Vorwort, was seine wissenschaftliche Untersuchung der Ukraine Krise ihn gelehrt hatte, nämlich dass dieser Fehler, keine aufrichtige, inkludierende und symmetrische post-kommunistische, politische und Sicherheitsordnung zu schaffen, erzeugte, was einige ansehen als einen Neuen Kalten Krieg. Er hatte lernen müssen, dass die "Dämonen des Krieges in Europa nicht getötet worden waren". Ihm hatte die Ukraine-Krise demonstriert, wie zerbrechlich die internationale Ordnung wurde, und wie viel Europa noch erreichen muss, um friedlich zu werden. Die Schwäche seiner Analyse wird schon hier deutlich. Er führt die Situation auf Fehler, auf Unwissenheit, Ungeschicklichkeit zurück, und wagt mit keinem Gedanken zu entwickeln, dass ein Plan verfolgt werden könnte. Sogar die Erwähnung einer solchen Theorie, oder Fakten die auf eine solche Theorie hindeuteten, schienen ihm wohl schon zu gefährlich zu sein.

Zunächst erklärt Sakwa dem Leser die Situation, wie Historiker die Vorgeschichte des 1. Weltkrieges sehen, das Versagen der Politiker und die divergierenden Interessen der damaligen Supermächte. Dann analysiert er die Auflösung der Sowjet-Union, die im Westen als Sieg gesehen wurde, aber in Russland keineswegs als Niederlage, ähnlich der Deutschlands oder Japans am Ende des 2. Weltkrieges, empfunden worden war.
"... Das hielt aber die angeblichen Sieger des Kalten Krieges nicht davon ab zu glauben, dass der Zusammenbruch des Sowjetsystems nicht nur die Institutionen, die den Kampf geführt hatten, sondern auch die Ideologie, in deren Namen sie geführt worden war, vernichtet hätte. Dies ermöglichte das Entstehen eines triumphalen Narratives der ‚Ende der Geschichte‘, in der einfach eine Ideologie durch eine andere ersetzt wurde. Nämlich durch den Glauben, dass der Vormarsch der liberalen Demokratie und der ‚Europäischen Werte‘, unaufhaltsam wäre...." (Seite 2)
Sakwa weist darauf hin, dass in Russland nicht die Substanz der Ideen, sondern die Art ihrer Durchsetzung abgelehnt worden waren. Dies wurde aber durch den Westen vollkommen negiert, und der Autor schreibt dazu:
"... Das versetzte all jene, die sich dem widersetzten, ... nicht nur in die Stellung von vollkommen Unverständigen, sondern sogar in gewisser Weise grundsätzlich bösartigen Subjekten, wodurch der Raum für pragmatische Debatte, Diplomatie und sogar für gesunden Menschenverstand, geschlossen wurde. ..." (Seite 3)
Und so schließt sich nach Sakwa der Kreis zu gleichen Fehlern, wie sie 1914 zu beobachten gewesen waren. Er behauptet damit indirekt, dass die politischen Führer des 21. Jahrhunderts sich in keiner Weise von denen des 19. und 20. Jahrhunderts unterscheiden, und auch keine Lehren aus der Geschichte gezogen hätten.

Dann beginnt er seine Beweisführung, nachdem er die verschiedenen Friedenskonferenzen Europas erläutert hatte, indem er aufzeigt, dass es zur Auflösung der Sowjet-Union keine solche Friedenskonferenz gab.
"... Die Sowjet-Union löste sich im Dezember 1991 auf, und Russland entstand als ‚Nachfolger-Staat‘, der die Bürden, die vertraglichen Verpflichtungen und nuklearen Verantwortung der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken (USSR) übernahm. Aus Sicht Russlands war das Ende des Kalten Krieges ein gemeinsames Verdienst: Jeder sollte vom Ende der Teilung Europas profitieren, die durch den Fall der Berliner Mauer im November 1989 symbolisiert wurde. Die Institutionen des Kalten Krieges im Osten wurden aufgelöst, allen voran der Warschauer Pakt, aber auf der anderen Seite wurden die Institutionen des Kalten Krieges ausgebaut. Allen voran suchte die NATO, die 1949 gegründet worden war, eine neue Rolle, die sie fand, indem sie ihr Zuständigkeitsgebiet verließ, (und insbesondere nach Afghanistan ging,) und sich erweiterte, indem sie einen Streifen von Staaten des ehemaligen Ostblocks aufnahmen. Polen, Ungarn und die Tschechische Republik traten im März 1999 bei, und dann der ‚Big Bang‘ im März 2004 mit den Baltischen Republiken (Estland, Lettland, Litauen), Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Slowenien, denen dann Albanien und Kroatien im April 2009 folgten. ..." (Seite 4)
Russland, das durch die Auflösung der Sowjet-Union und die umfassenden Veränderungen geschwächt, und durch die Beben der Transformation, abgelenkt war, stellte für den Westen eine besiegte Macht dar, mit der man nach eigenem Gutdünken umspringen konnte. Mehrmals hatte Russland davor gewarnt, dass das Vorrücken der NATO an seine Grenzen, als strategische Bedrohung erster Ordnung angesehen wurde. Aber die Osterweiterung ging ungebremst weiter. Sakwa beschreibt die unterschiedlichen Sichtweisen:
"... Aus Russlands Sicht gab es keinerlei Sicherheitsvakuum, das gefüllt werden müsste, aus Sicht des Westens: Wie konnte man sich dem Wunsch souveräner Staaten Zentral- und Osteuropas verweigern, Mitglied in der erfolgreichsten multilateralen Sicherheitsorganisation der Welt zu werden? ..." (Seite 4)
Und so entstanden jetzt aber, vollkommen vorhersehbar, genau aus dieser Erweiterung der NATO neue Risiken, die nunmehr herangezogen werden als Beleg dafür, dass die NATO unverzichtbar wäre.

Und immer noch nicht wagt Sakwa darüber nachzudenken, ob hier ein Plan im Spiel sein könnte, sondern schreibt alles der Unfähigkeit der westlichen Elite zu. Es war durch die NATO-Erweiterung ein Sicherheitsdilemma entstanden, das jeder Student der Politologie oder auch Militärwissenschaften wissen müsste:
"... Ein Sicherheitsdilemma besteht, nach Robert Jervis, wenn ein Staat Maßnahmen unternimmt, um seine eigene Sicherheit zu verbessern, wobei aber diese Maßnahmen unweigerlich von anderen Staaten als offensiv, und nicht defensiv, angesehen werden, wodurch jene dann Maßnahmen ergreifen, um ihre eigene Sicherheit zu verbessern, und so weiter - in diesem Fall wurde so die Ukraine-Krise provoziert. ..." (Seite 4)
Es war das Paradoxon entstanden, dass die NATO existierte, um die Risiken abzudecken, die durch ihre Existenz erst aufgetreten waren, stellt er nüchtern fest, und beschreibt dann die Krisen, die auf diese Weise entstanden waren, beginnend mit dem russisch-georgischen Krieg im Jahr 2008. Indem er unwidersprochen Margelow, den Vorsitzenden des Komitees für Auswärtige Angelegenheiten des Russischen Föderationsrates zitiert, zeigt er auch gleich seine Verachtung für das westliche Narrativ in Hinsicht auf diese Krise. Margelow hatte festgestellt:
"... Seit Beginn der Ukraine-Krise hat der Westen darin versagt, auf das Prinzip zu verzichten, nach dem nur westliche Interessen legitim sind. Ebenso wenig hatte der Westen die Lektion vom August 2008 gelernt, als Russland in dem Krieg intervenierte, der durch das Regime von Micheil Saakaschwili begonnen worden war, und dadurch die Region befriedete. Die Georgien-Krise hätte klar machen müssen, dass Russland nicht nur seine Stimme erhebt, sondern auch bereit ist, Gewalt einzusetzen, wenn seine nationalen Interessen auf dem Spiel stehen.... " (Seite 5)
War die westliche Elite wirklich so selbstherrlich und borniert, wie diese Aussage, und das Buch von Sakwa, es erscheinen lassen? Oder war genau diese Reaktion Russlands, was kühl kalkuliert worden war, als der Westen in der Ukraine zündelte? Aber dann blitzt auf Seite 5 von Sakwas Buch etwas auf, das aufhorchen lässt:
"... Am schlimmsten ist das Verhalten der Revanchisten in den post-kommunistischen Ländern Ost-Europas, ermutigt durch die Neokonservativen in Washington, und ihrer Vision einer globalen Transformation auf globaler Ebene, die Bedenken über Russlands angebliche Bereitschaft zur Despotismus und Imperialismus füttern. Die trotzkistischen Wurzeln des Denkens der Neokonservativen der USA sind bekannt, und für sie war die Weltrevolution niemals aufgegeben, sondern lediglich umgewandelt worden: Der Kampf heute geht nicht gegen revolutionären Sozialismus, sondern für eine kapitalistische Demokratie - um die Welt für die USA sicher zu machen. Aber dies wurde zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Indem Russland als Feind behandelt wurde, besteht nun die Gefahr, dass das Land zu einem wird. So fand die NATO zu einer neuen Rolle, die bemerkenswert ähnlich zu der ist, wegen der die Organisation einmal gegründet worden war: Russland in Schach zu halten. ..." (Seite 5)
Dann hält der Autor inne und schreibt, dass ein großer Teil der Diskussion um die Ukraine-Krise die Suche nach einem Sündenbock wäre. Und er beschreibt die Haltung seines Buches so, dass darin die strukturellen Widersprüche im internationalen System beschrieben werden sollen, ohne aber eine eindeutige Schuldzuweisung vorzunehmen. Dann aber weist er doch die Schuld zu, tut also etwas, was er gerade noch sagte, nicht tun zu wollen:
"... Als logische Schlussfolgerung findet der Westen nur eine adäquate Antwort, die bedeutet, dass die Widersprüche, die die Krise verursacht haben, weiter verstärkt werden. So wie Andrew Wilson mit Russlands angeblichen verdeckten Ambitionen seit 2004 argumentiert, seinen Einfluss in die ehemalige Sowjet-Peripherie auszudehnen, und damit auch auf Länder, die seitdem der EU und der NATO beigetreten sind, wie die Baltischen Staaten, begleitet durch eine „amerikanische Unaufmerksamkeit“, was die Wurzel der Krise darstellen würde...." (Seite 5)
So kann man das Ringen des Autors erkennen, der einerseits ein Verfechter westlicher Werte und Kritiker Putins ist, andererseits wissenschaftlich eine Analyse machen muss, die so gar nicht zu dieser Grundeinstellung passen will.

Und so weist er darauf hin, dass diese Ideologie der Neokonservativen der USA hauptverantwortlich dafür ist, dass die "Orangenen" nicht zu Pragmatismus und Ausgleich bereit sind. Das Ergebnis beschreibt er so:
"... Es lenkt ab von den Spannungen innerhalb des ukrainischen Staatenbildungsprojektes, indem die Verantwortlichkeit des Landes für sein Versagen auf andere übertragen wird, und, indem Russland dämonisiert, Möglichkeiten für ein konstruktives Engagement ausgeschlossen werden, die Lösung gemeinsamer Probleme, und ganz besonders jene, vor denen die Ukraine, aber auch Europa und die Welt stehen, verhindert werden ..." (Seite 6)
Während Sakwa die Starrköpfigkeit der Neokons geißelt, beschreibt er relativ verständnisvoll die Entwicklung Russlands zunächst unter Putin, und nach 8 Jahren dann 4 Jahre unter Medvedev, der bis heute wirkende liberale Reformen eingeführt hatte. Und dann macht Sakwa auch klar, warum es mit der Liberalisierung Russlands plötzlich nicht mehr weiter ging.
"... Am Ende waren es die bemerkten Bedrohungen des Auslands, insbesondere die Intervention des Westens in Libyen im Jahr 2011, die Putins Rückkehr in das Amt des Präsidenten im Jahr 2012, sicherstellte. Bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat am 17. März 2011, über die Einrichtung einer Flugverbotszone, enthielt sich Russland, was den westlichen Mächten erlaubte, Muammar Gaddafi am Ende des Jahres zu stürzen. Dies war ein weiterer Vorfall eines ‚Regime Change‘ der Russland so sehr alarmierte, und dazu geführt hat, dass Mitte der 2000er Jahre die ‚Schrauben angezogen“ wurden, als Antwort auf die verschiedenen ‚Farb-Revolutionen‘..." (Seite 6)
Nachdem Putin seine 3. Amtsperiode angetreten hatte, präsentierte sich Russland unter ihm nicht so sehr als anti-westlich, sondern als komplementär, in der Art eines "Neo-Revisionismus", erklärt Sakwa, und verspricht in seinem Buch zu beweisen, dass Russland nicht versucht die Fundamente der internationalen Ordnung zu verändern, sondern sicher zu stellen, dass Russland und andere "aufstrebende" Mächte im System als gleichwertig behandelt werden.

Weiter mit der kritischen Rezension von Sakwas Buch im nächsten Artikel.

---> Frontline Ukraine - Crisis in The Borderlands, Richard Sakwa, I.B. Tauris, London, 2015 (Englisch)








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