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Donnerstag, 12. November 2015

UKRAINE, KRIM, die EU, NATO und Russland-Teil 02

Stepan Bandera
Quelle: Wikipedia
Haben Sie sich schon mal gefragt, was die Ukraine überhaupt darstellt? Prof. Sakwa hat. Und anschließend beschreibt er "den Countdown zur Konfrontation". Auch wer glaubt, er wäre ja Zeitzeuge und wüsste genau, was passierte, sollte mal lesen, wie die Chronologie der Ereignisse nüchtern und ohne dogmatische Einfärbung in Sakwas Buch wissenschaftlich analysiert wird. Wie z.B. Stepan Bandera und der angebliche Völkermord an Ukrainern durch Russen einzuordnen ist.

Um zu erklären, was die Ukraine überhaupt darstellt, geht Sakwa zurück zum Zusammenbruch des Russischen Zaren-Imperiums im Jahr 1917. Damals wurde mitten in Zeiten von Revolution und Bürgerkrieg, ein prekärer unabhängiger Staat gegründet, der aber schon 1919 wieder von der Landkarte verschwand. Mit dem Sieg der Bolschewiken mit ihrem Anführer Lenin, wurde das Land als föderales Gebilde einer größeren Einheit neu erschaffen. Dies dürfte wohl auch den Hass der ukrainischen Nationalisten auf Lenin-Statuten erklären. Andererseits war die Ukraine eine der Gründungsnationen der UDSSR im Dezember 1922, und erhielt, wie Sakwa erklärt, als Folge des 2. Weltkrieges, einen Sitz in der UN, obwohl die Ukraine nicht mehr als eine Teilrepublik war. Sakwa erklärt dann, warum die Idee eines eigenständigen Staates sich nicht durchsetzen konnte:

"...Aber diese Idee wurde ruhiggestellt durch Verpflichtung zugunsten eines größeren Sowjet-Projektes, welches Industrialisierung, Urbanisierung und die Schaffung einer relativ modernen und gebildeten Gesellschaft mit sich brachte..." (Seite 7)
Der Autor geht dann wieder auf die zwei unterschiedlichen Modelle des ukrainischen Staates ein, die er schon mit seiner Farbenlehre angerissen hatte:
"...Dies entspricht dem langen Kampf in der ukrainischen Geschichte zwischen jenen, die behaupten, dass das Land eine bodenständige, kulturelle und politische Einheit wäre, und jenen, die glauben, dass die gemeinsamen Vorfahren in der Kiewer Rus, einer losen Föderation Ost-Slawischer Stämme, vom neunten bis dreizehnten Jahrhundert, beherrscht durch die Dynastie Rurik, bedeute, dass die Ukraine Teil der gleichen Kultur, und dadurch implizit der gleichen politischen Gemeinschaft wäre. Der Übertritt zur Orthodoxie im Jahr 988 des Kiewer Prinzen Wladimir der Große, verband darüber hinaus die modernen russische, ukrainische und weißrussische Nation mit der gleichen Religion. Jedoch wurde der frühe slawische Staat bereits fragmentiert, als die Invasion der Mongolen Kiew zerstörte, und die verschiedenen Völker trennte. Putins Sicht, dass Russland und die Ukraine nur zwei Aspekte einer einzigen Zivilisation wären, ist in Russland weit verbreitet. Die ukrainischen Nationalisten argumentieren jedoch, dass ihr Land schon vor langer Zeit einen eigenen Pfad der Entwicklung beschritten hätte..." (Seite 8)
Sakwa wird noch öfters in seinem Buch auf diesen Aspekt der Ukraine eingehen. An dieser Stelle beschreibt er chronologisch die Konflikte, die aus dieser Auseinandersetzung immer wieder entstanden:
"... Besonders im späten Achtzehnten Jahrhundert wurde die Ukraine oft als ‚Malorossiya‘ (Kleines Russland) beschrieben, ein Ausdruck, der von byzantinischen Karten stammte, auf denen das Gebiet als Lesser Rus, oder Rus Minor bezeichnet wurde. Die Idee, dass die Ukraine ein „Kleines Russland“ wäre, sieht das Land als Emanation einer größeren Russischen Identität, wodurch im neunzehnten Jahrhundert versucht wurde, die Sprache des Landes zu einer Form zu standardisieren, die zur russisch slawischen Norm wurde. Das war die Ansicht von Nikolai Gogol, der, obwohl er ethnischer Ukrainer war, in Russisch schrieb. Dem widerspricht die lange Tradition des Ukrainischen, die argumentiert, dass die ukrainische Version der Ost-Slawischen Sprache, das Aufkommen einer vollkommen eigenständigen ethnischen Identität repräsentiere. Der Name ‚Ukraine‘, wie der Begriff Malorossiya, basiert auf kartographischen Ortsnamen, und bedeutet wörtlich übersetzt ‚Grenzgebiet‘. ..."
(Seite 8)
Am Beispiel von Solschenizyn zeigt Sakwa auf, wie die Spannungen zwischen Monisten und Pluralisten in einer Person miteinander rangen.
"... In seiner mächtigen Analyse von 1990, „Rebuilding Russia“, führt er aus: ‚Wir haben nicht genug Energie, um ein Imperium zu betreiben. Lasst uns mit den Achseln zucken.‘ Aber wenn es um die Ukraine ging, setzte er sich für die Bildung einer ‚Russischen Union‘, mit der Ukraine als dem Herz, ein...." (Seite 8)
Aber ukrainische Nationalisten weisen genau diese Denkweise vehement zurück. Sie wollen das Land vom "imperialen Erbe" befreien, und eine vollkommen eigenständige ukrainische Nation gestalten. Wie Sakwa erklärt, repräsentiert die malorussische Tradition ein hiervon vollkommen unterschiedliches Staatsmodell, eines, das diversen zivilisatorischen Erfahrungen, Sprachen und Kulturen Rechnung trägt, und die unterschiedlichen ukrainischen Ausprägungen respektiert.

DER COUNTDOWN ZUR KONFRONTATION

Sakwa ist der Meinung, dass die Ukraine noch weit davon entfernt ist, eine einheitliche Nation zu sein. Er begründet das u.a. mit Ernest Renan und führt dann aus:
"... Die Geschichte ist noch im Rohzustand und lebt. Zum Beispiel hat die Krise von 2014 die Vorstellung eines ‚Föderativen Staates Neu-Russlands‘ zurück in den öffentlichen Diskurs gebracht. Zwischen 1764 und 1917 war Novorossiya [Neu-Russland] eine definierte administrative Einheit des russischen Imperiums, die sich entlang des Schwarzen Meeres von Transnistrien im Westen bis nach Mariupol im Osten erstreckte, und bis heute überwiegend russischsprachig geblieben ist. ..." (Seite 9)
Es folgen noch mehr Beispiele und Fakten, die seine Meinung begründen. Und nach weiteren Zitaten schließt er daraus:
"... Deshalb geht der derzeitige Wettbewerb zwischen ‚Europa‘ und Russland Jahrhunderte zurück, und er ist ein wesentlicher Bestandteil der historischen DNA der Ukraine. (Siehe Karte 1) ..." (Seite 9)
Nun ist Sakwa bei der geschichtlichen Aufarbeitung beim Zerbrechen der Sowjetunion angelangt. Wobei er darauf hinwies, das ausgerechnet Russland das Land war, das den Weg aus der Sowjetunion heraus, geebnet und bereitet hatte. Russland erklärte am 12 Juni 1990 seine Souveränität und darauf folgte am 16. Juni das der Ukraine, in welchem der neutrale Status des Landes betont wurde.

Aber schon in diesem Moment war es den Nationalisten gelungen, Zweideutigkeiten in die Staatenbildung zu ihren Gunsten zu implementieren, wie Sakwa wie folgt beschreibt:
"... In dem allumfassenden Referendum vom 17. März 2991, mit der die Sowjet-Union in eine Konföderation souveräner Republiken transformiert wurde, stimmten 70,5% der Ukrainer zugunsten des Beibehaltens einer erneuerten Union, jedoch war durch die ukrainischen Autoritäten eine zweite Entscheidung eingefügt worden, mit der gefragt wurde, ob die Ukraine Teil der Union Souveräner Staaten auf der Basis der Deklaration der staatlichen Souveränität der Ukraine‘ sein sollte. Hier stimmten 80,2% auch für Ja...." (Seite 9)
Als die Pluralisten gegen den Zerfall des Staates am 18. bis 21. August 1991 versuchten, zugunsten einer pluralistischen Demokratie, und eines dezentralisierten Staates, zu putschen, wirkte das als Desintegrator eines Staates, den sie gerade versuchten zu retten. Die Traditionalisten waren diskreditiert, und der zum Nationalisten gewendete Kommunist Leonid Krawtschuk wurde erster ukrainischer Präsident. Die Sowjetunion war endgültig tot, und 15 unabhängige Staaten starteten ihren eigenen Weg der Modernisierung und Staatenbildung.

Sakwa erklärt dann, warum es die Ukraine bei diesem Prozess besonders schwer hat:
"... Die neu erschaffene unabhängige Republik beinhaltete verschiedene Gebiete und Völker, die in einigen Fällen der Ansicht waren, Teil eines benachbarten Staates zu sein, und umfasste eine Gesellschaft, die massive Veränderungen und Traumata durchgemacht hatte. Als das russische Imperium 1917 zusammenfiel, betrug die Bevölkerung der Ukraine 32,9 Millionen Ukrainer (67,7%), 5,4 Millionen Russen (11,1%), und 4,3 Millionen Juden (8,8%). Der Zensus der Sowjetunion im Jahr 1989 registrierte eine Gesamtbevölkerung von 51,7Millionen, davon waren 37,4 Millionen (72%) Ukrainer, und 11,4 Millionen (22%) Russen, während die Zahl der Juden auf ein Zehntel, 486.628 (19) gefallen war. Die Zahlen für den Zensus von 2001 ermittelten 37.541.700 Ukrainer, was 77,8% der Bevölkerung repräsentierte, und 8,3 Millionen Russen (17,3%)...."
(Seite 10)
Der Autor führt ausführlich aus, welche Sprachen in welchen Gebieten gesprochen, welche Ethnien wo siedelten. Und es wird klar, dass ein solcher Vielvölkerstaat, ohne Pluralisierung, kaum ohne Spannungen existieren kann. Dabei waren die Voraussetzungen für einen solchen Staat denkbar günstig, denn es gab kaum echte Spannungen auf Grund von Sprache oder Ethnie. Sakwa erklärt:
"... Separatismus wurde kaum registriert, und die Mehrheit betrachtete die Ukraine als ihre Heimat, aber es gab tief sitzende Beschwerden, besonders über den Status der Russischen Sprache im Staat, und den Bildungsorganisationen - verbunden mit einer feindlichen Einstellung gegen eine NATO-Mitgliedschaft, und einer geopolitischen Neuorientierung zum Westen. Es war ein Fehler, diese Besonderheit, und die Erkenntnis, dass die Revolution von Februar 2014 feindliche Kräfte an die Macht gebracht hat, die eine Rebellion provozierte, in einer Verfassungsreform zu zementieren...." (Seite 12)
Nebenbei hat hier Sakwa die Behauptung der Mainstream-Medien in Deutschland zurück gewiesen, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung unbedingt Teil der NATO und der EU werden wolle. An dieser Stelle geht Sakwa nicht weiter auf die Hintergründe ein, die dazu führten, dass die offensichtlich besser geeignete Lösung eines pluralistischen Staates im Handstreich beseitigt worden war, sondern erklärt weiter geschichtliche Hintergründe. Er beschreibt wie Deutschland, Polen, Ungarn und Russland, die Ukraine in Besitz genommen hatten. Dann erklärt er, dass ausgerechnet der von den ukrainischen Nationalisten meist gehasste Politiker, Stalin, den größten Anteil am Staaten-Bildungs-Prozess der Ukraine hatte, indem er große Landesteile dem Osten und Westen hinzugefügte. Er schränkt dann aber ein:
"... In kultureller Hinsicht jedoch, kehrte er die kulturelle Renaissance der Periode der ‚Ukrainisierung‘ der 1920er Jahre, als die Politik der „Krenizatsiya“ (Indigenisierung), die die Lehre und die Veröffentlichung von Büchern in der Sprache der Eingeborenen förderte, Mitte der 1930er Jahr um.  ..." (Seite 12)
DIE KRIM

Sakwa berichtet in seinem Buch auf Seite 13, warum in Russland die Sezession der Krim, und anschließende Aufnahme in die Russische Föderation, eine so gewaltig umfassende Zustimmung in der Bevölkerung Russlands erfuhr.
"... Die Krim-Halbinsel ist das Kernland der Idee eines russischen Nationalbewusstseins. Es war in Chersonesos, wo Prinz Wladimir zur Orthodoxie konvertierte, und zur offiziellen Religion der Menschen von Rus machte. Nach der Mongolen-Invasion, ab 1441, herrschte der Khanat der Krim, dessen Territorien zeitweise einen großen Teil der nördlichen Küste des Schwarzen Meeres umspannten. 1736 begann Russland mit seinen Bemühungen, die Region zu übernehmen, ausgelöst insbesondere durch den Wunsch, die Angriffe auf den slawischen Teil des Nordens zu beenden. Dem Vordringen von Katharina der Großen gegen das Osmanische Reich, folgte die Besetzung der Krim durch russische Truppen im Jahr 1783, und am 2. Februar 1784 wurde sie formal  Taurida Oblast, Teil des Russischen Imperiums. ..." (Seite 13)
Der Autor erklärt dann das Schicksal der Ureinwohner der Krim, der Tartaren, und welcher Unterdrückung sie im Laufe der Jahrhunderte ausgesetzt waren, und wie ihr Bevölkerungsanteil von 80% auf heute 13% zurück gegangen war. Erst 1954 schließlich, ohne die Menschen der Region zu fragen, wurde die Krim ukrainischer Jurisdiktion unterstellt, wozu Sakwa festhält:
"...1954 wurde die Region von russischer unter ukrainische Jurisdiktion gestellt, eine Entscheidung, die von Anfang an umstritten war, vor allem weil Russen die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten. Der Zensus von 2001 stellt fest, dass 1,45 Millionen (57%) der Gesamtbevölkerung von 2 Millionen erklärten, Russen zu sein, 576.000 Ukrainer und 245.000 Tataren, während ca. 77% als russische Muttersprachler registriert waren. ..."(Seite 13)
Dazu soll später noch mehr zu lesen sein. Nach der Erläuterung der ethnischen und sprachlichen Diversität erklärt Sakwa wie unterschiedlich und komplex die religiösen Zugehörigkeiten sind, und wie die religiösen Streitigkeiten zusätzliche Spannungen erzeugten.
"... Die Teilung provozierte einige würdelose Raufereien über Gemeindegrenzen, wobei ca. die Hälfte der Gläubigen weiter Moskau gegenüber loyal blieb, besonders in den vorwiegend russischsprachigen Regionen, und sich nun in der Ukrainisch Orthodoxen Kirche - Moskauer Patriarchat (UOC-MP) zu registrieren. In den Jahren 2013 und 2014 war Filaret ein enthusiastischer Unterstützer der pro-EU-Proteste gewesen, eine Haltung, die zum Streit mit der Moskau-orientierten Kirche führte. Es gab eine Vielzahl von Vorfällen, in denen Druck auf Moskau-getreue Kongregationen ausgeübt wurde, der Revolution vom Februar 2014 zu folgen. Der Moskauer Patriarch Kirill jedoch, der oft beschuldigt wurde, dem Putin-Regime zu nahe zu stehen, wenn es um Fragen der Ukraine ging, versuchte den Pfad der Versöhnung und des Dialoges zu gehen..."
(Seite 14)
Sakwa erklärt dann, wie der neue unabhängige Staat nicht in der Lage war, sich eine adäquate politische Form der pluralistischen Demokratie zu geben, ähnlich zu Belgien oder Kanada. Ohne aber zu hinterfragen, warum die westlichen Berater und NGOs niemals in diese Richtung aktiv geworden waren, sondern im Gegenteil, die Idee eines unitären nationalistischen Einheitsstaates unterstützten.

DIE BEIDEN MODELLE DER UKRAINISCHEN STAATLICHKEIT

Sakwa beschreibt nun, was die Ukraine-Krise von 2013-14 in Wirklichkeit war, eine Erklärung, die das übliche Narrativ westlicher Medien, es wäre um den Sturz eines Diktators gegangen, ad absurdum führt:
"... Wie ich schon erwähnte, gibt es in der Ukraine zwei Visionen eines Staates, und letztendlich ist die Ukraine-Krise von 2013-14 eine Schlacht zwischen den beiden. Die erste ist eine Vision des monistischen Nationalismus, die angetrieben wird von der Idee, dass die Ukrainische Nation, nach mehreren Jahrhunderten der unzureichenden Eigenstaatlichkeit, die Gelegenheit nutzen muss, um an vorderster Front für einen einheitlichen Nationalstaat einzusetzen. Der Vertrag von Perejaslawl, der die Ukraine mit Russland vereinigte, und der durch Hetman Bogdan Khmelnitsky im Jahr 1654 unterzeichnet worden war, wurde widerrufen, gemeinsam mit den nachfolgenden Jahrhunderten der Russlandisierung, die nur im späten neunzehnten Jahrhundert in ein bewusst betriebenes Programm der Russifizierung übergegangen war. Ukrainisierung legte vor allen Dingen Wert auf die Landessprache, als das einzige wichtigste Anzeichen von Eigenstaatlichkeit. Diese Art des ukrainischen Nationalismus bekräftigt die Beziehung zwischen Ethnie und dem Staat, wenn auch verklausuliert, in der zivilisierten Sprache moderner Regierungsführung. Die Spannung zwischen nationalistischen Ambitionen, und der Anerkennung der Tatsache, dass die Ukraine ein zerbrechliches Ensemble von Menschen und Gebieten ist, erzeugte übertriebene Ängste über ein Auseinanderbrechen des Landes. Aus diesem Grund bestand die ukrainische Elite darauf, einen zentralistisch geführten Einheitsstaat zu schaffen, aus Angst um die territoriale Integrität des Landes.

So wurde das monistische Modell, das eines integrierenden Nationalismus, in dem der Staat nationalisierend wirkt, unter Bezug auf die Tradition des Ukrainismus, in dem bestehende Grenzen gefüllt werden mit scharfen Abgrenzungen gegenüber Russland. Das Land sollte offiziell einsprachig, unitär, und kulturell spezifisch sein...." (Seite 14)
Sakwa geht dann auf die Gründer und die Geschichte des ukrainischen Nationalismus ein und erläutert viele interessante Details, insbesondere, wie der ukrainische Nationalismus sich mit faschistischen Ideen anfreundete und von ihnen schließlich so stark beeinflusst wurde, dass dies bis heute nachwirkt. Dabei geht er auch auf den Nationalhelden Bandera ein:
"... Im Juni 1933 wurde Stepan Bandera der Kopf der OUN-Exekutive in Galizien, einem Gebiet, das nach dem großen Krieg Teil von Polen geworden war. Bandera führte eine bösartige Kampagne gegen polnische Beamte und polnische Politik. Im September 1939 aus dem Gefängnis entlassen, zog er nach Krakau, der Hauptstadt der deutschen Generalverwaltung des besetzten Polen. Dort spaltete sich die OUN in eine mehr konservative Fraktion, die von Melnik (OUN-M) angeführt wurde, und einen radikalen Flügel, dessen Kopf Bandera (OUN-B) war. Nach den Bedingungen des Molotow-Ribbentrop-Paktes vom August 1939, wurde Galizien zum ersten Mal Teil der Sowjetunion. Der Frieden dauerte gerade einmal zwei Jahre, bis die deutsche Invasion vom 22. Juni 1941, zunächst von der ukrainischen nationalistischen Bewegung begrüßt wurde, in der Annahme, dass Deutschland eine Art von ukrainischer Eigenstaatlichkeit wieder einrichten würde. 
Bandera trat für eine virulente Form des integralen Nationalismus ein, eine exklusive, und auf die Ethnie zentrierte Definition der ukrainischen Nation, verbunden mit der mörderischen Verunglimpfung alle jener, die angeblich diese Vision unterminieren, besonders Polen, Juden und Russen, von denen die Letzteren die schlimmsten wären. Banderas Anhänger argumentierten, dass er eigentlich für eine Politik der einschließenden Nationenbildung eintrat, die Juden und andere beinhaltete, solange sie die nationalistischen Ziele unterstützten. Das ist wahr bis zu der Tatsache, dass die Teilnahme der OUN beim Ermorden der Juden in der frühen Periode der deutschen Besatzung, weniger von virulentem Antisemitismus motiviert war, als der situativen Allianz mit den Nazis. (27) Gegen Ende des Jahres 1941 wurde ihre Gewalt gegen die Deutschen gerichtet. Das Ziel der OUN war die Erschaffung eines unabhängigen ukrainischen Staates, um ethnische Ukrainer zu einen, und sie waren bereit, von jeder Quelle Unterstützung anzunehmen, soweit sie dieses Ziel unterstützte. Zaitsev definiert den integralen Nationalismus als
„Form eines autoritären Nationalismus, der die Nation als ein organisches Ganzes ansieht, und die bedingungslose Unterwerfung des Individuums, unter die Interessen ihrer oder seiner Nation verlangt, was über dem Interesse jeder anderen Gruppe oder Nation, oder der Menschheit als Ganzes, steht.“ (28) ..." (Seite 16)
Da der Name Bandera immer wieder in Diskussionen über die Ukraine eine Rolle spielt, hier noch ein weiteres Zitat aus dem Buch Sakwas.
"... Bandera wurde in einem speziellen Flügel des Konzentrationslagers Sachsenhausen untergebracht, der für politische Gefangene reserviert war (Zellenbau), von hier wurde er im September 1944 von den Deutschen entlassen, als die Deutschen glaubten, dass er sich noch einmal gegen die vordringenden sowjetischen Truppen als nützlich erweisen könnte. Selbst ohne ihn hatten die Banderites (Banderovtsy) die ukrainische Waffen SS Nachtigall und Roland-Divisionen gegründet, die zusammen mit der Division Galizien, verantwortlich für den Tod einer halben Million Menschen waren, wie einige Historiker schätzen, eine Vernichtung, die typischerweise von extremer Brutalität begleitet war. Der militärische Flügel der OUN-B, die Ukrainische Aufständischen Armee (Ukrayinska Povstanska Armiya, UPA), wurde in Volyn im Jahr 1943 gegründet, um nach dem Krieg für eine unabhängige Ukraine zu kämpfen. Am Anfang verursachte dies eine Radikalisierung des seit langem andauernden polnisch-ukrainischen Bürgerkrieg.
Beginnend mit dem ‚blutigen Sonntag‘ schlachtete am 11. Juli 1943 die UPA ca. 70.000 Polen, meist Frauen und Kinder und unbewaffnete Männer, in Volyn, und bis 1945 hatte die Organisation mindestens 130.000 Menschen in Ost-Galizien ermordet. Ganzen Familien wurden die Augen ausgestochen, wenn sie im Verdacht standen, Informanten zu sein, bevor sie zu Tode zerhackt wurden. 
Nachdem die Ukraine durch die sowjetischen Streitkräfte im Sommer 1944 befreit worden waren, führte die nationalistische Widerstandsbewegung (OUN-B und UPA) einen Partisanenkrieg gegen die polnischen und sowjetischen Behörden weiter, offensichtlich mit der Unterstützung durch den britischen Geheimdienst (MI6), bis 1949. Bandera selbst wurde durch den KGB im Oktober 1959 in München ermordet. (30) ..." (Seite 17)
Für die Banderisten spielt es keine Rolle, dass die Ukraine den größten und wichtigsten Teil des Landes erst durch die Sowjetunion zugeteilt erhalten hatten. Ebensowenig, dass Russland genau wie die Ukraine, Täter und Opfer gleichzeitig, des sowjetischen Imperiums waren. Sakwa erklärt:
"... Wie in so vielen der ehemaligen kommunistischen osteuropäischen Staaten, war die Nationenbildung begleitet durch den betonten Kult einer Opferrolle, eine Brutstätte für neue Konflikte. Insbesondere der Holodomor (gemeint ist die ‚Auslöschung durch Hunger‘) war ausschlaggebend für die Selbst-Identifikation der Nation. Mehr als zwei Millionen Menschen starben in der Hungersnot in den Jahren 1932/33, als Folge von Stalins tödlicher Kollektivismus-Kampagne, die Bauern von ihrem Land entwurzelte, und die so genannten Großgrundbesitzer nach Sibirien deportierte. Auch als die Lebensmittelproduktion zusammen brach, durch eine die Situation verschärfende Trockenheit, führte das Sowjet-Regime weiter Getreide aus, um Maschinen-Werkzeuge und andere Ausrüstung zu kaufen, damit die Kampagne der vorangetriebenen Industrialisierung beschleunigt werden konnte. 
Die Hungersnot, befiel das Kernland der ukrainischen Staatlichkeit, und die stalinistische Elite mag sehr wohl gedacht haben, den Geist der Nation zu zerstören, aber die Hungersnot war nicht auf die Ukraine alleine beschränkt, denn Millionen starben auch im Gebiet des Kuban und der unteren Wolga...." (Seite 19)
Auf Seite 19 wagt es Sakwa, anzudeuten, warum die nationalistische Bewegung trotz offensichtlicher faschistischer, und für die Ukraine ungeeigneter Staatsidee, vom Westen tatkräftig unterstützt wurde:
"...Die Exil-Bewegung inspirierte die Bildung des „Captive Nations Committee“ (Komitee der Nationen in Gefangenschaft), das den US-Kongress im Jahr 1959 überzeugte, die „Captive Nations Week“ offiziell anzuerkennen. Dies erkannte Nazi-Produkte wie Idel-Ural und Cossackia als besetzt an, mit Russland als verbrecherischem Besatzer. Unabhängig von ihrer Ideologie, wurde in dieser Tradition, Russland als grundsätzlich böse angesehen, und auch der Fall des Kommunismus machte nicht den geringsten Unterschied: Russischer Imperialismus wurde vor und nach dem Kommunismus als repressiv angesehen. (33) Dies war Wasser auf die Mühlen des unversöhnlichen Teils der monistischen nationalistischen Tradition, die beachtliche Resonanz in Washington fand, was pragmatische und konstruktive Beziehungen zwischen den beiden Ländern bedrohte. 
Katerina, die zweite Frau von Juschtschenko, eine US-amerikanische Staatsbürgerin, wandte sich kürzlich an das Captive Nations Committe, und schrieb ihren bekannten anti-russischen Brief an die Washington Times (nicht mehr online verfügbar). Ihre Karriere hatte sie während der Reagan Präsidentschaft für das Außenministerium der USA und das Weiße Haus arbeiten lassen, sie war eine Mitbegründerin und Vize-Präsidentin der US-Ukraine Foundation.... " (Seite 19)
In diesem Zusammenhang unterstützte die USA einen Präsidenten Juschtschenko, der Holodomor mit Holocaust gleich setzte. Sakwa dazu:
"... Die logische Schlussfolgerung war, dass die Partisanen, die Holodomor als Genozid ansahen, nicht nur das stalinistische System verurteilten, sondern damit auch anti-russische Begriffe verbanden. Statt es zu einem gemeinsamen Desaster aller Menschen der Sowjetunion zu machen, erklärten monistische Nationalisten es zu einer einzigartigen ukrainischen Tragödie. Diese Frage zerstritt den westlichen Teil des Landes vom östlichen ..." (Seite 20)
Sakwa erläutert dann die Spielarten des Nationalismus, der, nicht immer unterdrückend, gleichschaltend und repressiv sein muss. Der aber in der Ukraine genau jene faschistoiden Züge von Anfang an klar erkennen ließ. Leider geht Sakwa nicht darauf ein, warum die westlichen Politiker dies nicht erkannten. Noch weniger hinterfragt er, ob sie es vielleicht nicht erkennen wollten. Statt dessen beschreibt er einige Auswüchse desselben:
"... Ukrainisch war die einzige offizielle Sprache des Staates, und deshalb waren alle offizielle Dokumente, Schilder und Hinweise nur in dieser Sprache. Nicht jeder verstand die staatlichen Dokumente die gelesen und unterschrieben werden mussten, und selbst während der Vorwahlzeit, wurden alle Hinweise nur in Ukrainisch veröffentlicht...."
(Seite 20)
Und dabei zeigt Sakwa auch hier wieder auf, wie positiv die Voraussetzungen waren, einen Vielvölkerstaat zu erschaffen, indem die verschiedenen Ethnien, Sprachen und Religionen hätten friedlich zusammen leben können:
"... Die Identitäten der Menschen sind so vermischt, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich mit mehreren Identitäten arrangiert hat. Aber das repräsentierte die soziale Adaption, und basierte nicht auf der Lösung der politischen Frage auf Verfassungsebene.
Der Kern des Problems ist eine ideologische Frage. Im Herzen des monistischen Modells, wie bereits festgestellt, ist ein restitutives Verständnis einer wieder hergestellten Staatlichkeit. Mit anderen Worten ist das Ziel nicht die Spiegelung der existierenden Realitäten, und insbesondere nicht die Geschichten der unterschiedlichen Gebiete, die die heutige Ukraine ausmachen, sondern das Ziel ist die Wiederherstellung einer idealisierten Vision der Staatlichkeit. ... Wie alle Ideologien, versucht das restitutive Modell, ein fremdes Muster über die Realität zu stülpen...." (Seite 21)
Und genau dies wurde durch den Westen vehement unterstützt, gefördert und schließlich sogar entscheidend mitgestaltet. Was Sakwa an dieser Stelle leider nicht erwähnt. Was aber richtig gewesen wäre, da die westlichen Medien immer behaupteten, dem ukrainischen Volk "müsse man die Entscheidung überlassen". Tatsächlich wurde aber mit der Unterstützung der Nationalisten durch den Westen genau das Gegenteil getan.

Welche Formen dieser westlich unterstützte Nationalismus dann annahm, soll Thema eines folgenden Artikels werden.

---> Frontline Ukraine - Crisis in The Borderlands, Richard Sakwa, I.B. Tauris, London, 2015 (Englisch)


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