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Dienstag, 17. November 2015

UKRAINE, KRIM, die EU, NATO und Russland-Teil 06

In seinem Buch Frontline Ukraine, versucht Prof. Sakwa immer wieder verständnisvoll, die Fehler der westlichen Politik, mit Naivität, Unwissenheit oder Ungeschicklichkeit, zu entschuldigen. Aber als der Westen die Reaktion des Angriffs Georgiens gegen russische Soldaten in Ossetien in seiner Form umkehrte, als Angriff Russlands, und nicht erkannte, als endgültige Rote Linie Russlands gegen das weitere Vordringen einer expansiven und aggressiven NATO, konnte man auch zu einem anderen Urteil kommen. Lügen, gebrochene Versprechen, und Herstellung einer Einheit von NATO und EU können keine "Ungeschicklichkeit" sein.


DAS WIEDER GETEILTE EUROPA

Prof. Sakwa schreibt, dass die Spannungen zwischen den Ideen des ausgedehnten Europas, also des auf Brüssel und Washington zentrierten westlichen Europas, und des Groß-Europas, von dem De Gaulle und Putin schwärmten, und das den ganzen Kontinent umfasste, dass dieser Konflikt sich nun in zwei neue Blöcke zementierte, mit einem umstrittenen Gebiet in der Mittel.
"... Die Spaltung zwischen den Vorstellungen eines ‚ausgedehnten‘ und ‚großen‘ Europas wurde erzeugt durch die wachsende Kluft zwischen der Idee eines Europas als Kontinent, mit seiner eigenen Zukunft, und einem Europa, dass letztlich einfach ein Teil der größeren Euro-Atlantischen Gemeinschaft ist...." (Seite 44)
Die EU versteht sich als Anhängsel Washingtons, während die Idee des Groß-Europas eine Idee repräsentiert, die einen selbständigen Kontinent vorsieht, der seine Sicherheit und seine Wirtschaft unabhängig organisiert, und nicht auf einem Machtzentrum basiert, sondern auf dezentralen Einflusszentren, die im fairen Miteinander die Interessen des jeweils Anderen berücksichtigen.

Als der Kalte Krieg im Jahr 1989 endete, wurde erklärt, dass nun ‚die Stunde Europas‘ geschlagen hätte. Die Idee war, dass Europa sich von der Beherrschung durch Weltmächte befreien könnte, die den Kontinent über mehrere Jahrzehnte beherrscht hatten. Die Erwartung an Europa war, dass es selbst die Kontrolle über seine eigenen Angelegenheiten übernehmen würde, und dass der lange Schatten vom 2. Weltkrieg, begleitet von der ‚Besatzung‘ der beiden Hälften des Kontinents durch die Super-Mächte, Europa den Weg ebnen würde, ‚einig und frei‘ zu sein. Sakwa nennt diese Vorstellung "Kontinentalismus", die Idee, dass der europäische Kontinent sich selbst organisieren sollte. Dann urteilt er:
"... Die Erwartungen nach dem Kalten Krieg, dass der Kontinent auf einer inkludierenden und gleichberechtigten Basis zusammenwachsen würde, wurden versenkt durch die Art der neuen Sicherheitsordnung. ..." (Seite 44)
Auch zu dem Versprechen der westlichen Mächte, die NATO nicht nach Osten zu erweitern, findet man eine Anmerkung bei Sakwa:
"...Der dominante Trend war der Atlantizismus, eingebettet in die NATO. Als Deutschland wiedervereint wurde, verpflichteten sich die westlichen Führer, dass der östliche Teil Deutschlands nicht militarisiert werden würde. Während eines Treffens in Moskau am 9. Februar 1990, versprach der Außenminister James Baker Gorbatschow, dass, falls [das wiedervereinigte] Deutschland der NATO beiträte, und Russland seine 24 Divisionen abziehen würde, ‚würde es keine Erweiterung der NATO-Jurisdiktion auch nur einen Inch nach Osten geben‘, aber er bezog sich lediglich auf die ehemalige DDR. Die Frage der NATO-Erweiterung in Richtung anderer Sowjet-Länder kam ganz einfach niemanden in den Sinn. (42)...An diesem Tag sagte der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher dem sowjetischen Außenminister Eduard Shevardnadze, das eine Sache sicher wäre: Die NATO werde sich nicht nach Osten ausweiten‘ (43) Auch wenn Ost-Deutschland gemeint war, so reflektierte die Verpflichtungserklärung doch ein Verständnis, dass die NATO-Erweiterung eine neuralgische Frage für die Sowjet-Union war..." (Seite 45)
Wir wir inzwischen wissen, begann die NATO trotzdem seinen Weg der Erweiterung unter Clinton, und drohte Russland im Osten und Süden einzukreisen. Es gab keinen Vertrag, der das Vordringen der NATO verboten hätte, weil es 1990 als verrückt angesehen worden war, so etwas in Erwägung zu ziehen. Auf Grund der Schwäche Russlands in den 1990er Jahren, konnte Boris Jelzin kaum etwas anderes tun, als es hinzunehmen.

An dieser Stelle hätte Sakwa gut daran getan, noch einmal die vom Westen angewandten Rechtfertigungsversuche zu widerlegen. Wie er es an anderer Stelle teilweise getan hatte. Hier wäre der richtige Ort gewesen, Antworten auf diese wichtige Frage zusammen zu führen.

Von Putin wissen wir, dass er, als er 2000 an die Macht kam, mit dem Gedanken gespielt hatte, nicht nur der EU, sondern auch der NATO beizutreten. Sakwa schreibt dazu:
"...Bei einem Besuch in Großbritannien im Jahr 2000, wurde er von David Frost über die Möglichkeit Russlands befragt, der NATO beizutreten, worauf Putin antwortete: ‚Warum nicht?‘ Die Antwort war nicht direkt eine ernsthafte Anfrage nach Mitgliedschaft, sondern ein Signal (wie Putin es selbst in dem gleichen Interview ausdrückte), dass ‚Russland Teil der europäischen Kultur ist, und ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Land von Europa, oder was wir oft die ‚zivilisierte Welt‘ nennen, abgeschnitten werden könnte, […] die NATO als Feind anzusehen, ist für Russland destruktiv.‘ (44)..."
(Seite 45)
Jetzt fragt man sich, warum es nicht dazu gekommen ist. Sakwa erklärt, dass "die bestehenden Mitglieder" befürchteten, dass die russische Mitgliedschaft nicht nur die militärisch Effektivität der NATO beeinträchtigen, sondern auch seine Funktion bedrohen würde.

Was er damit meint, erklärt sich darin, dass die NATO im Prinzip der willige Gehilfe der USA bei deren illegalen Kriegen war und ist. Mit Russland hätte es z.B. kein Bombardieren der NATO von Libyen gegeben. Russland wäre durch seine Fähigkeiten in der Lage gewesen, die Entscheidungen der USA zu hinterfragen, die USA hätten sich die Führung mit Russland teilen müssen.
"...Stattdessen aber, wie der erste Generalsekretär, Lord Ismay es 1949  erklärte, blieb die NATO dem Mechanismus treu ‚die Russen draußen zu halten‘. Die NATO blieb das Fundament des atlantischen Sicherheitssystems, das Spaltungen eher vertieft, statt zu überbrücken...." (Seite 45)
Aber es gab auch Widerstand gegen die Erweiterung der NATO. Sogar George Kennan, ein ehemaliger Architekt der Eindämmungspolitik der Sowjet-Union, also sicher kein "Russen-Versteher", kritisierte die geplante Ratifizierung im US Senat mit deutlichen Worten:
"...Ich denke, dass die Russen ziemlich feindlich reagieren werden, und es wird ihre Politik beeinflussen. Ich halte es für einen tragischen Fehler. Es gibt keinerlei Grund hierfür. Niemand wurde durch irgendjemand bedroht. […] Diese Expansion würde die Gründungsväter des Landes in ihren Gräbern rotieren lassen. Wir haben unterschrieben, eine ganze Serie von Ländern zu beschützen, obwohl wir weder die Ressourcen, noch die Intentionen haben, es ernst zu meinen.... Ich war besonders beunruhigt von den Äußerungen, dass Russland ein Land wäre, das versuchen würde, West-Europa anzugreifen. Verstehen die Menschen denn überhaupt nichts? Wir hatten unsere Differenzen im Kalten Krieg mit dem kommunistischen Sowjet-Regime. Und nun drehen wir den Menschen den Rücken zu, die die größte unblutige Revolution in der Geschichte gestemmt hatten, indem sie die Sowjet-Union beseitigten....“  (Seite 46 - Literaturhinweis 45)
Nun geht Sakwa doch noch einmal auf die Gründe ein, warum die Osterweiterung der NATO so intensiv betrieben wurde, wobei Sakwa aber wieder nur EINEN Erklärungsversuch zulässt, ohne auf mögliche andere Gründe hinzuweisen.
"...Der liberale Universalismus der Präsidentschaft von Bill Clinton dominierte den Diskurs, und wischte die realistischen Einwände beiseite. Die Vorstellung war, dass die Aufnahme der ehemaligen kommunistischen Staaten in die ‚zivilisierten Institutionen und den Erfolg des Westens‘, sie verändern würde, gerade so wie Deutschland nach dem Krieg, und möglicherweise würde das gleiche auf Russland angewandt werden können. Das Problem war, dass Russland keine besiegte Macht war, und sich selbst als Großmacht verstand, sehr im Unterschied zum Nachkriegsdeutschland. ... Die damalige Behauptung, dass die NATO-Erweiterung ein Ende der Spaltung Europas bedeuten würde, schien gar nicht wahrzunehmen, dass Europas größtes Land, knurrend und zunehmend unzufrieden, außen vor gelassen wurde. ..." (Seite 46)
Sollten die Politiker wirklich so naiv gewesen sein? Sakwa scheint es zu glauben. Insbesondere, wenn man dann den folgenden Satz von Sakwa zu dem Thema liest:
"... Als Russland schlussendlich in der Art reagierte, die Kennan und andere Kritiker vorausgesagt hatten, wurde das als Rechtfertigung genommen, die NATO zu konsolidieren. Das ist die Essenz der Ukrainekrise.  ..." (Seite 46)
Die NATO-Vertreter(, oder sollte man sie NATO-Versteher nennen?), erzählen dann in der Regel, was sie alles versucht hätten, um Russland einzubinden. Russland wurde in das Programm „Partnerschaft für Frieden“ von 1994 aufgenommen, und die NATO-Russland-Gründungsakte über gemeinsame Beziehungen vom Mai 1997 "definierte die Ziele und Mechanismen von Konsultationen", darunter auch die Schaffung eines Permanenten Gemeinsamen Rates NATO-Russland. Die NATO verpflichtete sich, keine Truppen ständig in den neu gewonnenen Territorien zu stationieren. Im Jahr 2002 wurde der NATO-Russland-Rat (NRC) eingerichtet, als ein Forum der weiterentwickelten Kooperation, in der Russland nicht als ein Land gegen die andern angesehen werden sollte, sondern als Teil einer erweiterten Sicherheits-Gemeinschaft. Aber war das wirklich Ernst gemeint? Sakwa schreibt verharmlosend:
"... Sobald eine Krise auftrat, stellte sich der NRC als nutzlos dar, konnte nicht als Forum für die Konfliktlösung dienen, statt sich mit Russland zu arrangieren, wurde das Land isoliert...." (Seite 46)
Hatte es überhaupt einen ernsthaften Willen des Westens gegeben, Russlands Interessen zu berücksichtigen?

Dann kam das Versprechen der NATO, Georgien und Ukraine in das westliche "Verteidigungsbündnis" aufzunehmen. Das, obwohl der blockfreie Status der Ukraine in der Verfassung vorgegeben war. Was die EU-Politiker in keiner Weise zu interessieren schien. Das Gipfeltreffen der NATO vom 2. bis 4. April 2008 in Bukarest, auf dem diese Entscheidungen fielen, radikalisierte die russische Position, und Putin verstärkte seine militärischen und diplomatischen Verbindungen, und Hilfen, mit, und für Abchasien und Süd-Ossetien.

Sakwa beschreibt, wie, aus dieser Situation heraus, die NATO bzw. die westlichen Länder, weiter eskalierten und Russland immer klarer herausforderten, und Georgien und die Ukraine in Kriege stürzten:
"...Der Gipfel in Bukarest stattete Georgien außerdem mit etwas aus, dass sich dort als wenig fundierter Optimismus auswirkte, wenn auch nur informell, unter westlichen Schutz genommen worden zu sein. Michail Saakaschwili [Anm.:Georgiens ehemaliger Präsident, der in der Ukraine für die USA arbeitet, seit er in seinem Heimatland mit Haftbefehl gesucht wird] sabotierte offensichtlich alle Ansätze, den wachsenden Konflikt, nicht nur zwischen Tiflis und den beiden weggebrochenen Regionen, sondern auch zwischen Tiflis und Moskau, zu deeskalieren. Die russische Antwort, einfach gesagt, ‚der Krieg, der die NATO-Erweiterung aufhalten soll‘ genannt werden. (47) Es war eine Angelegenheit von existentieller Bedeutung für die Sicherheit des Landes, und in diesem Licht könnten die Aktionen Russlands als defensiv bezeichnet werden. Jedoch, statt daraus die angemessenen Lehren zu ziehen, bestimmte die wilde Propaganda des Saakaschwili-Regimes, hinsichtlich einer ‚Russischen Aggression‘ die westliche Wahrnehmung. Der britische Außenminister David Miliband, besuchte Kiew und plädierte für eine Unterstützung Großbritanniens, was das Land dazu verdammt, das nächste Epizentrum eines künstlich erzeugten Kampfes, nämlich um die Vorherrschaft in Europa, zu werden...." (Seite 47)
Wie kann es sein, dass die politische Elite des Westens auf einen Scharlatan wie Saakaschwili herein fällt? Oder wollte man hereinfallen, war er nicht eher ein Werkzeug des Westens, sieht man, wie er nun, finanziert durch die USA, in der Ukraine wirkt?

Mir erscheint hier nicht unbestreitbar, dass die transatlantischen Politiker Europas bewusst die Krise der Ukraine vorbereiteten. Anders kann man die dann weiter folgende Politik schwer erklären, auch wenn Sakwa der Meinung ist, dass nur Naivität und Unerfahrenheit der Grund wären. Der Autor schließt nach anfänglich richtiger Analyse, m.E. falsch, wenn er Folgendes im letzten Satz schreibt:
"...Das ‚Groß-Europa‘, und der kontinentale Ansatz der Regelungen europäischer Angelegenheiten, wurden abgelehnt, als ‚Gaullistisches Erbe‘, und die Diskussion darüber wurde für illegitim erklärt. Der Atlantizismus wurde zur neuen Ideologie, um Russland in seine Schranken zu verweisen. Dies manifestierte sich lebhaft am 15 Juli 2009 durch den Offenen Brief an Obama, in dem führende Intellektuelle und ehemalige Politiker aus Zentral- und Ost-Europa ihn warnten, die ‚transatlantische Orientierung‘ der Region, nicht als gewährleistet anzusehen. Der Brief stellte fest, dass ‚zwanzig Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges jedoch, sehen wir, dass die Zentral- und Osteuropäischen Länder der amerikanischen Außenpolitik nicht mehr am Herzen liegen‘, und er fuhr fort zu warnen, dass, falls diese Missachtung fortgeführt würde, die Region aufhören könnte, eine ‚pro-atlantische Stimme innerhalb der EU‘ zu sein, wegen des Drucks eines ‚revisionistischen‘ Russlands, das eine Agenda des 19. Jahrhunderts, mit den Taktiken des 21. Jahrhunderts, verfolgen würde‘. Der Brief war unverblümt in seiner Verurteilung, und behauptete, dass Russland ‚offene und verdeckte Mittel der wirtschaftlichen Kriegsführung nutzt, die von Energie-Blockaden und politisch motivierten Investitionen, bis zu Bestechung und Medien-Manipulation, reichen würden, um seine Interessen zu verfolgen, und die transatlantische Orientierung von Zentral- und Ost-Europa in Frage zu stellen.‘ (48) Die schockierende Erkenntnis aus dem Brief war, dass aus seiner Sicht, die EU nicht mehr als eine Komponente im Atlantischen Sicherheitssystem war, statt ein Friedensprojekt für den europäischen Kontinent. In dieser Hinsicht bewiesen die Ereignisse, dass der Brief Recht hatte, und die EU nicht in der Lage war, seine Wurzeln, als ein Instrument des Kalten Krieges, zu überwinden...." (Seite 48)
Die Ereignisse bewiesen m.E. nicht, dass die EU nicht in der Lage war, den Kalten Krieg zu überwinden, sondern dass es bei den transatlantischen Politikern an Willen fehlte, ihn zu überwinden.

Sakwa beschreibt vollkommen richtig, dass die NATO und die EU zu einer Einheit verschmolzen. Details erläutert er an mehreren Stellen. Er schreibt dann über die Reaktion in Russland:
"...Karaganov notiert, ‚die Ukrainekrise hat das Versagen der Politik nach Ende des Kalten Krieges bewiesen‘. Er war erschrocken über die Intensität der anti-russischen Gefühle in den westlichen Medien, in den beiden Jahren vor den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi. 
„Das frischten Erinnerungen an die doppelten Standards und Lügen auf, die für das Verhalten des Westens in den letzten 20 Jahren charakteristisch waren. Wir wurden an die Osterweiterung der NATO erinnert, ungeachtet der Bitten und Proteste eines schwachen russischen Staates. Wäre die Ukraine durch die Allianz absorbiert worden, wäre Russlands strategische Position intolerabel geworden"......." (Seite 48)
Da weder NATO noch die EU bereit waren, die Sicherheitsinteressen Russlands zu berücksichtigen, war Russland quasi gezwungen, auf den Angriff von Sakaschwili  auf russische Truppen in Ossetien zu reagieren. Es war das Stopp-Signal mit Waffengewalt, das nicht nur Georgien galt, sondern auch der NATO-Erweiterung. Aber dieses Signal war in der Ukraine wieder missachtet worden. Das kann kaum auf Dummheit oder Unerfahrenheit der Politiker zurück geführt werden.

---> Frontline Ukraine - Crisis in The Borderlands, Richard Sakwa, I.B. Tauris, London, 2015 (Englisch)




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