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Mittwoch, 21. März 2012

Piraten Mandatsbewerber: Sind sie anders?


Die überraschend angesetzte Landtagswahl 2012 in NRW verschafft Einsichten in die Struktur und Eigenschaften der Piratenpartei, deren Mitglied auch ich bin. Seit die Partei von einer Hand voll "Nerds", volkstümlich auch "Computer-Freaks" genannt, gegründet worden war, war sie zur vermutlich viert wichtigsten Kraft im zukünftigen Landtag von Nordrhein-Westfalen gewachsen. Das hatte einerseits die länger dienenden Parteimitglieder in einen Kampf gegen die "neuen Karrieristen", die "nach der Wahl in Berlin" hinzugekommen wären, eintreten lassen. Hatte aber andererseits auch dazu geführt, dass in den deutlich über 20.000 Parteimitgliedern (im Bund) tatsächlich eine nicht unbeträchtliche Zahl enthalten ist, die glaubt, mit dem Rückenwind des Erfolges bei den Wählern, in ein gut dotiertes Amt gespült werden zu können. Sind aber die "Gründerväter" grundsätzlich besser geeignet als "Neulinge"? Ist "Stallgeruch" wichtiger als Kompetenz? Zeigt das jahrelange Eintreten für die Partei ein bedingungsloses Unterstützen der Ideen, die sich doch eigentlich jetzt erst langsam aus der gewachsenen Basis heraus entwickeln?



DER ANSPRUCH

Einer der Ansprüche der Piraten ist die Verpflichtung zur "Basisdemokratie". Statt Befehle von oben zu erhalten, erwarten Piraten, selbst die Politik als Summe der Einzelmeinungen bestimmen zu können. Die Piraten führen z.B. keine Delegiertenkonferenzen durch. Sondern sie laden ALLE Mitglieder zu Parteitagen ein. Wobei die Diskussion, ob das wirklich basisdemokratischer ist als eine Vertretung durch Delegierte, entbrannt, aber noch nicht beendet wurde. Wer kein Geld, oder aus anderen Gründen nicht reisen kann, wird von der politischen Mitwirkung ausgeschlossen.

Im Fall der Parteiämter hört man die Forderung, dass solche nicht bezahlt werden dürfen, weil dies sonst nur zu Karrierepolitikern führen würde, die sich von der Basis entfernen könnten. Dass dadurch aber eigentlich nur Studenten, gut betuchte Selbständige oder selbstzerstörerische Idealisten ein solches Amt ausüben können, wurde bisher nicht ausreichend bewertet. Angeblich wäre ein Amtsträger in der Piratenpartei der "Knecht der Partei", der ausschließlich verwaltende, koordinierende, schlichtende und moderierende Funktion inne hätte. Ein Hedonist ohne Ansprüche. Und der selbstlos alle eigenen politischen Ideen und Ambitionen hinter den Willen und die Interessen der Parteibasis stellt.


DIE WIRKLICHKEIT

Viele einfache Mitglieder, die oft heftig und leidenschaftlich in Mailinglisten, in Foren und auf Veranstaltungen über den richtigen Weg für die Piratenpartei streiten, achten sehr darauf, dass keine Aussage von Vertretern der Partei gemacht wird, die nicht einen Konsensprozess durchlaufen hat. Was teilweise sogar dazu führt, dass man den Organen der Partei versucht zu untersagen, eigene Meinungen öffentlich zu vertreten. Die "Shitstorms" der Basis sind legendär, und haben manchen wohl meinenden Vertreter der Partei schon dazu gebracht, über Tage keine Twitter-Meldungen mehr zu lesen, oder die Mails unbeachtet zu lassen.

Andererseits hat sich neben diesem offensichtlichen, oft auch übertrieben Aufrechterhalten von "Basisdemokratie" auch das übliche "Klüngel-" Phänomen eingeschlichen.

Längst hat sich innerhalb der Partei ein Netzwerk verschiedener Beziehungen gebildet, die die ursprüngliche Idee einer Basisdemokratie immer stärker verwässert. Da ist der Vorstand eines großen Kreisverbandes, der zu einem benachbarten wichtigen Kreisverband fährt, und versucht Absprachen für die Wahl des Landesvorstandes zu treffen. Da sind die Bewerbungen von Amtsinhabern auf dem Tisch die zeigen, dass Ämter letztendlich als Sprungbrett zu einem gut bezahlten Mandat angesehen werden. Da haben Mandatsträger hunderte von Stimmrechte gesammelt, um im elektronischen Abstimmsystem der Piraten, zu dem aber nur ein Teil der Mitglieder Zugang haben, gebündelt Initiativen pushen zu können, mit denen Meinungsbilder eingeholt werden sollen. Da erklären Mandatsträger offen, "manipulieren zu wollen" und nicht der Stimmung und dem Willen der Basis zu folgen, um die eigenen politischen Ideen umzusetzen. Und da sammeln Vorstände Adressen und Unterstützer durch ruheloses Reisen durch das Land im Dienste der Partei.

Ganz besonders aktiv in der Bildung und Bewahrung von Netzwerken sind nun jene Parteimitglieder, die einmal mit dem Gedanken der Basisdemokratie angefangen hatten. Sie ziehen in den Krieg gegen so genannte "Trolle", also angeblich "Spammer", die nur Unruhe und Verwirrung stiften. Nicht selten sind das aber auch nur Andersdenkende, die sich vielleicht etwas zu penetrant aufführen und immer wieder gegen eine vertretene Meinung von Alteingesessenen auf begehren.

Und gerade diese alten Helden der Gründerzeit halten die "Freiheit des Mandats" besonders hoch. D.h. sie beteuern, dass Mandatsträger keiner Fraktionsdisziplin sondern nur ihrem Gewissen verpflichtet wären. Eine Äußerung, deren Widerspruch zur Basisdemokratie, insbesondere wenn die Mandate ausschließlich über Listen erreicht werden, nicht aufgelöst werden können. Wer durch eine Parteiliste in ein Parlament kommt, wird ganz offensichtlich vom Wähler wegen den Grundideen und Absichten der Partei, und nicht wegen seiner eigenen Persönlichkeit gewählt. Das wird aber ganz einfach übersehen.

Kaum war die Entscheidung über die Wahl in NRW bekannt geworden, hatten sich innerhalb von Stunden Mitglieder zusammen geschlossen, um den Wahlkampf zu beginnen. Das war echte Basisdemokratie. Der Vorstand wurde quasi vor dem Enthusiasmus der eigenen Mitglieder her getrieben und schaffte es dann aber auch, das sich abzeichnende Chaos innerhalb kürzester Zeit in geordnete Bahnen zu lenken. Zweifellos ein großer Erfolg des Modells.

DAS GRILLEN DER BEWERBER

Dann fand z.B. am 20.03.2012 im Mumble, dem virtuellen Telefon-Konferenzraum der Piraten, auch übertragen durch das Piratenradio, ein "Kandidatengrillen" statt, an dem mehrere dutzend Bewerber für Listenplätze Antworten auf Fragen von Mitgliedern gaben.

Die am häufigsten gestellten Frage waren sinngemäß: "Warum bist du nach dem Erfolg der Berlin Wahl erst in die Partei eingetreten". "Glaubst du nicht, dass du nicht zu kurz in der Partei bist für ein Mandat". Damit begab sich die junge, frische, basisdemokratische Partei in die gleiche Richtung wie die etablierten Parteien, die auf Stallgeruch, öffentliche Wirkung und Beziehungen mehr Wert legen, als auf Kompetenz und Fähigkeiten. Und im Fall der Piratenpartei würde es noch bedeuten, mehr Wert zu legen auf Zugehörigkeit als auf basisdemokratisches Bewusstsein.

Dann wurde sinngemäß folgende Frage gestellt: "Wenn du als Mandatsträger vor einer Abstimmung stehst, und du weißt, dass die Meinung der Basis von deiner abweicht, was tust du dann?" Interessanterweise ähnelten sich die Äußerung bis auf Nuancen sehr stark. "Man wolle mit der Partei verhandeln", man "wäre sicher, dass es nichts gäbe, was gegen das eigene Gewissen verstoßen würde", weshalb die Frage rein theoretisch wäre. Eben die gleichen Argumente, die Eheleute wählen, um sich vor der Entscheidung zu drücken, einen Ehevertrag abzuschließen. Aber immer wurde die Unabhängigkeit des Mandats betont. Einige erklärten sich der Stimme enthalten zu wollen, einige waren überzeugt, dass sie sich von der Basis würden überzeugen lassen, aber nicht wenige behielten sich das Recht vor, gegen die Meinung der Parteibasis zu stimmen.

Interessanterweise war kaum einer der Kandidaten bereit gewesen zu erklären, dass er sein Mandat zurückgeben würde, wenn er in eine Situation käme, in der er aus Gewissensgründen gegen die Meinung der Parteibasis stimmen müsste.

KOPPELN SICH DIE MANDATSTRÄGER AB?

Der einfache Pirat fasst sich an den Kopf und fragt sich, warum keinerlei Regelungen und Vereinbarungen mit Mandatsträgern getroffen wurden, um die Verbindung, die Kommunikation zwischen Mandatsträgern und Parteibasis aufrecht zu erhalten. Die 14-tägigen Sprechstunden von Abgeordneten in ihren Wahlkreisen oder dem Parteibüro dürfte eher zu etablierten Altparteien passen. Aber die modernen Kommunikationsmittel alleine reichen sicher nicht aus, um die Partei und Mandatsträger zusammen zu halten.

Der einfache Basispirat fragt sich, warum die Partei nicht jedem Mandatsträger einen Assistenten zur Seite stellt, der die Schnittstelle zwischen Mandat und Partei darstellt. Da die Piratenpartei ja auch gegen Spenden von Mandatsträgern an die Partei wettert, was in anderen Parteien üblich ist, hätte man dem Mandatsträger zumindest vorschlagen können, diesem Verbindungsmitglied eine Aufwandsentschädigung zu zahlen, damit ausreichend Zeitkapazität für die Schnittstellenfunktion zur Verfügung gestellt werden kann.

Solche oder ähnliche Modelle zu diskutieren erscheint in den Kreisen der Anwärter auf Mandate derzeit nicht opportun. Obwohl dieses Problembewusstsein noch nicht ausreichend ausgeprägt scheint, zeigten sich beim Kandidatengrillen einige Bewerber, die herausragten, und einfachen Basispiraten Grund zur Hoffnung geben.

DIE HOFFNUNGSTRÄGER

Da gibt es jene Bewerber, die durch langjährige, zähe, intensive Arbeit in Arbeitskreisen, die Programmatik der Partei zum Teil maßgeblich beeinflusst haben. Da ist der aus vollem Herzen redende Bewerber "vom Land", der offen sagte, dass er versuchen wollte, die Landbevölkerung zu vertreten, und diese zu motivieren, sich wieder politisch zu engagieren, der seine Kandidatur sogar von einem "Stimmungsbild", einer Probeabstimmung in kleinem Kreis, abhängig machen wollte. Da ist der relativ frisch in die Partei eingetretene Bewerber, der glaubhaft machte, eigentlich eingetreten zu sein, um sich gesellschaftlich zu engagieren, nicht um zu kandidieren. Der aber dann zur Kandidatur bewegt worden war, weil er die Gefahr einer Entfremdung der Mandatsträger von der Basis entgegen wirken wollte. Da war der alte Kämpe der Partei, der seit Jahren den größten Teil seiner Freizeit den Ideen der Partei geopfert hat, und jetzt endlich an die Schaltstellen der Macht, ins Parlament will, um den Kampf der Partei eine Stufe höher führen zu können.

DER PARTEITAG ENTSCHEIDET

Am Wochenende 24./25. März 2012 wird in Münster ein Parteitag stattfinden, in dem aus den vermutlich bis dahin ca. 160 bis 170 Bewerbern, einige Dutzend ausgewählt werden, die dann hoffentlich in den Landtag in Düsseldorf einziehen sollen.

Die Mitglieder, die es sich erlauben können, das Wochenende in Münster zu verbringen, und über die Liste zu entscheiden, werden vielleicht eine Meilensteinentscheidung in der Geschichte der jungen Partei fällen. Der Verband NRW ist ein wirklich großer Verband, und der mögliche Einzug seiner Abgeordneten wird noch aufmerksamer im Fokus der Öffentlichkeit stehen, als der Einzug der Abgeordneten ins Berliner Rathaus. Und besonders das Verhalten der Abgeordneten wird einen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Piratenpartei nehmen. Es wird darüber entscheiden, ob der Zufluss an Neumitgliedern ungebrochen bleibt. Oder ob die Meinung vorherrscht, dass es ja "doch nur eine Partei wie alle anderen" ist.

BASISDEMOKRATIE IST HART UND TEUER

Ein Pirat, der seine Verpflichtung ernst nimmt, wird an mindestens vier Parteitagen im Jahr teilnehmen. Wie jetzt im Fall von vorgezogenen Neuwahlen, können es dann auch mal schnell 5 oder sogar 6 Parteitage werden. Das kostet nicht nur viel Zeit, sondern auch nicht unerhebliche Mittel.

Die Ideen innerhalb der Partei, solche Beteiligungen endlich auf virtueller Basis zu ermöglichen, werden immer wieder von aktuellen Ereignissen überschattet und überrollt. Um aber eine faire, solidarische und wirklich basisdemokratische Weiterentwicklung zu erreichen, ist die Frage einer wirklich breiten Beteiligung der Mitglieder von existentieller Bedeutung. Dies ist "des Pudels Kern". Wird die Piratenpartei eine Vorreiterrolle wahrnehmen, oder im Politikalltag versinken?

DIE ENTSCHEIDENDEN FRAGEN

Die entscheidenden Fragen werden nicht nur in der Programmatik der Partei liegen, die noch entwickelt werden muss, und deren eigenes Profil hoffentlich nicht auf dem Altar der Koalitionsfähigkeit geopfert werden wird. Die entscheidenden Fragen der nächsten Monate werden sein: a) Welche Außenwirkung haben mögliche Abgeordnete der Piratenpartei in einem der wichtigsten Landtage Deutschlands, und b) Welche Innenwirkung hat die Partei auf die Mandatsträger.

Einer der Bewerber um ein Mandat hatte gestern erklärt "wir müssen die Parteibasis mit in den Landtag nehmen". Ich möchte das abändern in: "Die Parteibasis muss die Mandatsträger mitnehmen in die anderen Landtage und in den Bundestag".

Wird einmal ein Direktwahlkandidat der Piraten in einem Wahlkreis gewählt werden, ergibt sich für diesen ein direktes Mandat aus dem Willen seiner Wähler. Aus basisdemokratischer Sicht ist seine Legitimation nur zum Teil auf der Partei aufgebaut, zum großen Teil aber auf dem Willen des Wählers, ihn persönlich zu wählen. Bis wir aber dort hin kommen, werden Mandatsträger gewählt, weil die Wähler die Ideen, das Programm und die Entscheidungen der Parteibasis wählen. Aus diesem Grund sind diese Mandatsträger Vertreter der Partei, die wiederum Vertreter des Wählers ist.

Die verschiedenen Äußerungen von Mandatsträgern "es gibt ja auch den Wähler außerhalb der Partei" für die der Abgeordnete verantwortlich wäre, sollte den einfachen Mitgliedern unter den Piraten zu denken geben. Denn diese Wähler außerhalb der Partei haben SIE gewählt, und sie haben den Mandatsträger gewählt. Sie, die einfachen Parteimitglieder wurden vom Wähler ausgewählt, die richtigen Mandatsträger zu bestimmen. Das sollten wir auch tun.


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