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Freitag, 23. März 2012

Die Sache mit der „Schwarmintelligenz“


Nun, viele Vergleiche hinken, klingen aber gut. Dieser hier ist so einer. Natürlich hat ein Fischschwarm keine Intelligenz, sondern einen Instinkt. Aber als Taucher fand ich es natürlich faszinierend, in einen Schwarm zu schwimmen und zu beobachten wie er sich öffnete und wieder schloss, als ob es ein einziges denkendes Wesen wäre. Aber in Wahlkampfzeiten, wenn die Sitten rauer werden, sollte man versuchen, bildhafte Sprache auf Missbrauchsmöglichkeiten hin zu prüfen. So gerne ich in der Vergangenheit den Begriff Schwarmintelligenz verwendet habe, kommen mir Zweifel, ob ich das auch weiterhin tun sollte.


Schauen wir uns an, was Wikipedia zum „Schwarmfisch“ schreibt:

„Echte Schwarmfische zeichnen sich durch einen konstanten Individualabstand, Desorientierung isolierter Tiere, koordinierte Bewegung des gesamten Schwarmes, Kommunikation zwischen den Individuen des Schwarmes, sowie meist lebenslange Orientierung im Schwarm aus. Im Schwarm schwimmen in der Regel Tiere derselben Art und desselben Alters.

… Grundsätzlich handelt es sich um Tierarten, die unter hohem Feinddruck leben. Die Arten haben Merkmale, die den Zusammenhalt des Schwarmes fördern, im Fall der genannten Süßwasserarten sind es bestimmte Zeichnungsmerkmale.“


DIE SCHWARMDEFINITION

Passt das {heute noch} zu den Piraten?

„durch einen konstanten Individualabstand,“ So wie ich die Piraten kennen gelernt habe, ist es ein buntes Völkchen mit Ideen, die so weit auseinandergehen wie wohl kaum in einer anderen Partei Deutschlands. Es gibt typische Heimwerker, die lieber am eigenen Computer sitzen, und es gibt Group-Worker, die sich nur im Chaos einer wild diskutierenden Gruppe wohl fühlen. Also findet sich hier schon der erste Widerspruch.

koordinierte Bewegung des gesamten Schwarmes“ Wie sagte kürzlich der Vorsitzende der Partei in einer Twitter-Meldung {sinngemäß}: „Wir sind unsere beste Opposition“. Also gerade in der Piratenpartei findet sich eben keine „koordinierte Bewegung des gesamten Schwarmes“, denn die Piratenpartei ist in einem ständigen Wettstreit über die Richtung und den Inhalt. Ein Ringen um Profil, das längst nicht entschieden ist, und das alles andere erzeugt als eine „koordinierte Bewegung des gesamten Schwarms.“

„… Grundsätzlich handelt es sich um Tierarten, die unter hohem Feinddruck leben.“ Leben die Piraten unter Feinddruck? Man mag es nicht so recht glauben. Die Medien sind derzeit, mit Ausnahmen abgesehen, äußerst angetan von den frischen und unverbrauchten Gesichtern und den so gar nicht langweiligen Antworten, wenn es denn Antworten gibt. Nein Feinde haben die Piraten im Moment kaum. Das mag sich jetzt im Wahlkampf ändern, aber die Piraten sind weit entfernt davon, ähnlich angefeindet zu werden, wie die Partei „Die Linken“ oder die FDP.

„Die Arten haben Merkmale, die den Zusammenhalt des Schwarmes fördern..
“ Nun, das war sicher ausgeprägter zu einer Zeit, da die Partei wenige Mitglieder hatte, und diese wie Verschworene mit einem Vokabular kommunizierten, das für Außenstehende kaum verständlich war {, manchmal bis heute oft Fragezeichen in den Augen von Neupiraten erzeugt}. Gibt es heute noch eindeutige Merkmale? Rein äußerlich könnte es die Affinität zum Netz sein. Aber diese Affinität betrifft eine ganze Generation. Bleibt nur die Ausprägung der Beziehung zum Netz. Aber kann man ein intelligentes Mobiltelefon, ein Notebook, ein Tablet-PC als gemeinsames Merkmal bezeichnen. Lassen wir es gelten. Dann steht es 3:1 für den Schwarm.

DIE SCHWARMVORTEILE

Als Taucher weiß man, dass manche Schwärme das Gegenteil von intelligent sind. Da gibt es Raubfische und Säugetiere, die ein regelrechtes Schlachtfest unter einem Schwarm anrichten können, und in der Lage sind, ihn fast vollkommen zu vernichten. Eben weil im Schwarm die Individualität verloren geht.

„Der Schutz des Schwarms vor Räubern ergibt sich vor allem daraus, dass ein Räuber nur eine begrenzte Zahl von Fischen im Auge behalten kann und auch nur eine begrenzte Zahl von Fischen fressen kann. Je mehr Fische also zusammen schwimmen, desto geringer wird bei einem Angriff das Risiko für jeden einzelnen Fisch. Andererseits hat ein Schwarm auch Nachteile: Große Schwärme könnten mehr Räuber anziehen als ein kleiner Schwarm oder ein einzelner Fisch. Daher kann auch die Anzahl der Angriffe, und damit das Risiko von einem Räuber gefressen zu werden, mit der Schwarmgröße zunehmen.“

Sollten wir uns wirklich wie ein Schwarm verhalten? Oder laufen wir Gefahr, wenn wir erst einmal in den Fokus von „mächtigen Feinden“ geraten, dann gerade relativ einfach vernichtet zu werden.

Ich denke, was insbesondere Afelia meinte, die sympathische Geschäftsführerin Marina Weisband, die bei den Piraten ähnlich wie Rudi Dutschke bei den 1968er Linken schon Kultstatus erreichte, bevor er sein Studium abgeschlossen hatte, ist sogar das Gegenteil.

Wenn Sie von „Schwarmintelligenz“ spricht, meint sie m.E. die vielfältig vorhandene und daher jederzeit austauschbare Kompetenz vieler Piraten. Wird ein Fisch weggejagt, nimmt sofort ein anderer seinen Platz ein. Sie meint, so glaube ich sie zu verstehen, die Anpassungsfähigkeit der Partei, die aus unterschiedlichsten Positionen besteht, durch eine intensive Konsensfindungsphase. Vergleichbar mit dem wunderschön anzusehenden Verformen eines Schwarmes, das einem größeren Fisch oder Taucher ausweicht. Sie meint das spontane Engagement jedes Einzelnen, der nicht auf eine Einladung oder einen Befehl wartet, sondern seine eigene Organisation vor sich her treibt. Sie meint das Shitstormen, das durch die Reihen geht, wenn es ein Organ der Partei es wagt, eine Äußerung verlautbaren zu lassen, für die es keinen Konsensbeschluss gab, ganz wie das Zittern, das manchmal durch einen Schwarm geht, und von dem man nicht genau weiß, was eigentlich die Ursache war.

POLITISCHE KOLONISTEN?

So schön das Bild ist, sollten wir angesichts der möglichen Fehlinterpretationen vielleicht zu neuen Bildern greifen. Ich will mir nicht erdreisten, ein besseres Bild schaffen zu können, aber mir kommt spontan die Idee der „Kolonisten“.

Kolonisten sind in der Regel Gruppen vollkommen unterschiedlicher Menschen, die sich aber einem gemeinsamen Ziel verpflichtet fühlen. Wikipedia schreibt dazu: „Die Kolonisation in der Neuzeit kann die Urbarmachung, Besiedelung und Entwicklung bisher ungenutzter Gebiete eines Staates bedeuten. In diesen Fällen wird auch von Binnenkolonisation (-kolonisierung) oder innerer Kolonisation gesprochen.“

Aber natürlich hat Kolonisierung auch einen negativen Touch, der mit Ausbeutung und Unterdrückung einhergeht. Man denkt an Imperialismus und sogar Krieg. Dann wird Kolonialismus als Herrschaftsprinzip verstanden. Um sich davon eindeutig abzutrennen wäre vielleicht der Begriff: „Politische Kolonisten“ eine passende Wahl. Piraten besiedeln bisher brach liegende Themen, erschließen neue Ideen und Gedanken und ihre politische Kolonie wächst und erschließt bisher unentdeckte Gebiete, oder solche, die längst in Vergessenheit geraten waren.

Im Übrigen würde der Begriff auch thematisch passen, schreibt doch Wikipedia: „Kolonisationen gibt es seit der Entstehung von Hochkulturen. Kolonisatoren konnten außer Staaten, auch Gebietskörperschaften (Teilstaaten) oder Institutionen (Kaufleute, Orden, Freibeuter, Piraten) sein.“ Womit wir wieder bei Piraten wären.

Als israelische Siedlungen noch keine riesigen Industriekonglomerate waren, die illegal Land besetzen und ausbeuten, hatte ich einmal für eine solche Gesellschaftsform geschwärmt. Jeder wurde dort benötigt, jeder hatte einen ähnlichen gesellschaftlichen Wert, unabhängig davon ob er Manager oder Bauer war, jeder hatte eine Aufgabe, jeder war wichtig, und jeder konnte auch mitbestimmen. Kommt das nicht der Idee und der Hoffnung vieler Piraten sehr nahe?




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