Ich habe leider seit über einem Monat keinen LQFB-Zugang, daher meine Bedenkung zu dieser Initiative (1) auf diesem Wege. Natürlich sind die Piraten pro-europäisch. Niemand ist europäischer als die Piraten. Und so liegt es auf der Hand, dass pro-europäische Initiativen sich immer großer Zustimmung erfreuen. Ich selbst habe in Italien, Frankreich, Belgien gelebt und gearbeitet und habe mich schon in der deutsch-französischen Jugendbewegung und dann in der Carl-Duisberg-Gesellschaft vor ca. 38 Jahren für ein vereintes Europa eingesetzt. Und doch muss ich heute etwas Öl auf die Wogen der Begeisterung schütten, denn unter dem Banner „Europa“ kommen einige blinde Passagiere mit ins Boot, die einen überzeugten Basisdemokraten schnell ins Grübeln bringen. Weshalb ich begründen möchte, warum ich der o.g. Initiative NICHT zustimmen werde.
Während der erste Absatz noch wenig strittig sein sollte, birgt schon der zweite Absatz Potential für Widerspruch:
„Die Möglichkeiten kleinteiliger, technokratischer Integration sind endgültig erschöpft.“
Dies ist eine Aussage, die implizit die Nachricht enthält,
dass die Krise auf mangelnder technokratischer Integration beruhen würde. Eine
Einschätzung, die vollkommen die Grundsatzkritik an der bestehenden Geld- und
Finanzordnung und der Rollen der Banken außer Acht lässt. Hier wird behauptet,
dass eine allumfassende (im Gegensatz zu kleinteilige) technokratische
Integration die Probleme lösen würden. Außerdem übersieht diese Behauptung die
Tatsache, dass noch niemals vorher mehr neue Staaten entstanden als in den
letzten 20 Jahren. D.h. die globale Tendenz geht hin zur Dezentralisierung und
Selbständigkeit. Was nicht heißen soll, dass dies die Lösung für Europa wäre,
sondern nur klarstellen soll, wie stark man die o.g. Aussage als Tatsache hinterfragen sollte.
„Die wirtschaftliche und politische Krise Europas wird alleine mit einem weiterem Vertrag und noch einem Krisengipfel nicht mehr gelöst werden können. Europa benötigt eine Neuerfindung seiner selbst - und diese kann nicht von oben herab verordnet werden. Wenn ein neu strukturiertes Europa von den europäischen Bürgern akzeptiert und unterstützt werden soll, dann bedarf es einer echten Verfassung, in deren Ausarbeitung seine Bürger von Anfang an einbezogen werden. Ein Scheitern wie mit dem Vertrag über eine Verfassung für Europa können wir uns heute nicht mehr leisten.“
Also obwohl es eine Abneigung der Völker der EU gegen eine
gemeinsame Verfassung gibt, will man diese nun doch durchsetzen. Ist das nicht
das Gegenteil von Basisdemokratie? Haben die Völker Europas nicht eindeutig
gezeigt, für wie wichtig sie die jeweiligen Errungenschaften in ihren Ländern
achten? Französische Freunde haben mir erklärt, dass sie Angst hätten, unter
einer gemeinsamen Verfassung bald wie in Deutschland, erst mit 67 in Rente
gehen zu können. Und deutsche Freunde erklärten mir, dass eine gemeinsame
Verfassung den Weg ebnen würde, damit deutsche Soldaten mit französischen
Fremdenlegionären in gemeinsam in Kriege unter dem westlichen Banner von R2P
ziehen könnten, ohne dass unser dann nicht mehr gültiges Grundgesetz noch etwas
daran verhindern könnte.
„EINBERUFUNG EINES VERFASSUNGSKONVENTES
Um Europa auf eine neue, tragfähige und von den Bürgern legitimierte Grundlage zu stellen, fordern wir Piraten die Einberufung eines europäischen Verfassungskonventes, der unter Aufsicht und Beteiligung der europäischen Bürger während des gesamten Prozesses eine Verfassung für Europa entwirft, über die im Anschluss in einem Referendum befunden wird.“
Ein solcher Verfassungskonvent ist sicher sinnvoll und auch
zu unterstützen. Aber wie will man eine solche Jahrhundertaufgabe, wie sie die
Erstellung einer gemeinsamen Verfassung ist, in Verbindung mit der aktuellen
Krise bewältigen? Wollte man wirklich eine auf Konsens aufgebaute
Verfassungsgebende Versammlung mit der Aufgabe einer gemeinsamen Verfassung
beauftragen, müsste man realistischer Weise mehrere Jahre der Entwicklung zugestehen.
Denn neben der Konsensfindung innerhalb der einzelnen Länder, der schwer genug
sein dürfte, muss ja auch eine Konsensfindung international stattfinden, und
genauer gesagt beide Prozesse müssen im ständigen Dialog gesehen werden. So
etwas realisiert man nicht so schnell wie eben mal ein Gesetz zu schreiben, um
Finanztransaktionen zu besteuern, und selbst dieser Prozess dauert ja schon
Jahre.
Also ganz klar: Verfassungskonvent JA, aber nicht unter Zeitdruck, und nicht unter dem Druck aktueller Probleme.
Der nächste Absatz „Europa als Informationsgesellschaft“ hat meine volle Unterstützung. ABER wenn der Prozess, um das zu erreichen, unter Zeitdruck und unter „technokratischer Führung“ erfolgen soll, wird sich sicher kein demokratisches Konstrukt finden, mit dem sich die Menschen Europas identifizieren können.
Der nächste Abschnitt berichtet über „Die drei Säulen der Demokratie in Europa“. Als erste Säule wird die demokratische Legitimierung eines Präsidenten gefordert, „der direkt von den Bürgern oder den Volksvertretern im Parlament gewählt wird“.
DIREKTE PRÄSIDENTENWAHL
D.h. die Bürger Europas sollen sich zwischen einem Kandidaten aus Frankreich, Finnland oder Deutschland entscheiden. Das ohne Kenntnisse seiner Sprache, seines kulturellen Hintergrundes und seiner politischen Meinung, da diese ja in der Regel in Landessprache veröffentlicht wurde. Weshalb also die Bürger gar keine direkte Entscheidung fällen können, sondern den Medien folgen, oder den Empfehlungen der entsprechenden Parteien. Abgesehen davon, dass schon alleine die Frage des Prozesses einer Kandidatur mehr als ein Jahr dauern dürfte, stellt sich eine andere Frage: Sollte man nicht zunächst versuchen, eine gemeinsame Sprache einzuführen? Eine Sprache, die in allen Ländern in der Grundschule als 2. Sprache gelehrt wird, und in ein oder zwei Generationen dann von jedem Bürger der EU verstanden wird? Und sollte man dann nicht zunächst den Politikern vorschreiben, alle politischen Veröffentlichungen zweisprachig, d.h. in ihrer Heimatsprache und in der einheitlichen EU-Sprache zu veröffentlichen? Wäre das nicht die Schaffung einer Voraussetzung, dass die Menschen überhaupt in die Lage versetzt werden, ein Urteil im Fall einer gemeinsamen Präsidentenwahl zu fällen?
STÄRKUNG DES PARLAMENTS
Die zweite Säule fordert die Stärkung des Parlaments. „Ihm allein muss im Rahmen der Kompetenzen der Europäischen Union der Beschluss von Gesetzesakten obliegen. Dabei muss ihm volles Initiativrecht in allen Bereichen zustehen.“ Das bedeutet, dass alle Gesetze zukünftig von der EU verfasst werden. Dann stellt sich sofort die Frage, wie denn überhaupt das Parlament zusammengesetzt werden soll? Alleine über die Frage der Vertretung in einem Parlament mit einer derartigen Macht werden Dissertationen geschrieben werden und viele Monate intensivster Diskussionen vergehen. Eine so sensible Frage kann nicht im Hau-Ruck-Verfahren entschieden werden. Das ist vollkommen unmöglich.
Bevor es zu einer solchen Stärkung des Parlaments kommt, müssen zunächst die Parteien verschmelzen und über länderspezifische Befindlichkeiten hinweg kommen. Und dabei geht es nicht um die Piratenpartei, sondern die wirklich wichtigen derzeitigen Regierungsparteien. Wenn die Sozialisten in Frankreich die Rente mit 60 akzeptieren, aber die Sozialdemokraten in Deutschland mit 67 einverstanden sind, um wieder zu dem obigen Bild zurück zu kommen, zeigt das die enormen ideologischen Unterschiede, schon zwischen den gleichartigen Parteien der verschiedenen Länder.
Nur wenn die Parteien beginnen, eine länderübergreifende Ideologie und Politik zu betreiben, wird auch die Zusammensetzung eines Parlamentes leichter zu vereinbaren sein. Weil dann auch kleinere Länder eher in der Lage sein werden, den Einfluss von bevölkerungsreichen Ländern zu akzeptieren. Und dort wiederum wird man eher bereit sein, kleineren Ländern größeren Einfluss zuzubilligen, wenn die ideologischen Unterschiede nicht mehr zwischen den Ländern, sondern den Parteien bestehen.
Das Ziel, die Stärkung des Parlaments, ist sicher richtig, aber der Weg, und der Anlass, nämlich die Finanzkrise, eindeutig falsch.
Als dritte Säule wird verlangt:
Also ganz klar: Verfassungskonvent JA, aber nicht unter Zeitdruck, und nicht unter dem Druck aktueller Probleme.
Der nächste Absatz „Europa als Informationsgesellschaft“ hat meine volle Unterstützung. ABER wenn der Prozess, um das zu erreichen, unter Zeitdruck und unter „technokratischer Führung“ erfolgen soll, wird sich sicher kein demokratisches Konstrukt finden, mit dem sich die Menschen Europas identifizieren können.
Der nächste Abschnitt berichtet über „Die drei Säulen der Demokratie in Europa“. Als erste Säule wird die demokratische Legitimierung eines Präsidenten gefordert, „der direkt von den Bürgern oder den Volksvertretern im Parlament gewählt wird“.
DIREKTE PRÄSIDENTENWAHL
D.h. die Bürger Europas sollen sich zwischen einem Kandidaten aus Frankreich, Finnland oder Deutschland entscheiden. Das ohne Kenntnisse seiner Sprache, seines kulturellen Hintergrundes und seiner politischen Meinung, da diese ja in der Regel in Landessprache veröffentlicht wurde. Weshalb also die Bürger gar keine direkte Entscheidung fällen können, sondern den Medien folgen, oder den Empfehlungen der entsprechenden Parteien. Abgesehen davon, dass schon alleine die Frage des Prozesses einer Kandidatur mehr als ein Jahr dauern dürfte, stellt sich eine andere Frage: Sollte man nicht zunächst versuchen, eine gemeinsame Sprache einzuführen? Eine Sprache, die in allen Ländern in der Grundschule als 2. Sprache gelehrt wird, und in ein oder zwei Generationen dann von jedem Bürger der EU verstanden wird? Und sollte man dann nicht zunächst den Politikern vorschreiben, alle politischen Veröffentlichungen zweisprachig, d.h. in ihrer Heimatsprache und in der einheitlichen EU-Sprache zu veröffentlichen? Wäre das nicht die Schaffung einer Voraussetzung, dass die Menschen überhaupt in die Lage versetzt werden, ein Urteil im Fall einer gemeinsamen Präsidentenwahl zu fällen?
STÄRKUNG DES PARLAMENTS
Die zweite Säule fordert die Stärkung des Parlaments. „Ihm allein muss im Rahmen der Kompetenzen der Europäischen Union der Beschluss von Gesetzesakten obliegen. Dabei muss ihm volles Initiativrecht in allen Bereichen zustehen.“ Das bedeutet, dass alle Gesetze zukünftig von der EU verfasst werden. Dann stellt sich sofort die Frage, wie denn überhaupt das Parlament zusammengesetzt werden soll? Alleine über die Frage der Vertretung in einem Parlament mit einer derartigen Macht werden Dissertationen geschrieben werden und viele Monate intensivster Diskussionen vergehen. Eine so sensible Frage kann nicht im Hau-Ruck-Verfahren entschieden werden. Das ist vollkommen unmöglich.
Bevor es zu einer solchen Stärkung des Parlaments kommt, müssen zunächst die Parteien verschmelzen und über länderspezifische Befindlichkeiten hinweg kommen. Und dabei geht es nicht um die Piratenpartei, sondern die wirklich wichtigen derzeitigen Regierungsparteien. Wenn die Sozialisten in Frankreich die Rente mit 60 akzeptieren, aber die Sozialdemokraten in Deutschland mit 67 einverstanden sind, um wieder zu dem obigen Bild zurück zu kommen, zeigt das die enormen ideologischen Unterschiede, schon zwischen den gleichartigen Parteien der verschiedenen Länder.
Nur wenn die Parteien beginnen, eine länderübergreifende Ideologie und Politik zu betreiben, wird auch die Zusammensetzung eines Parlamentes leichter zu vereinbaren sein. Weil dann auch kleinere Länder eher in der Lage sein werden, den Einfluss von bevölkerungsreichen Ländern zu akzeptieren. Und dort wiederum wird man eher bereit sein, kleineren Ländern größeren Einfluss zuzubilligen, wenn die ideologischen Unterschiede nicht mehr zwischen den Ländern, sondern den Parteien bestehen.
Das Ziel, die Stärkung des Parlaments, ist sicher richtig, aber der Weg, und der Anlass, nämlich die Finanzkrise, eindeutig falsch.
Als dritte Säule wird verlangt:
„SCHAFFUNG EINER VIRTUELLEN BÜRGERKAMMER
„Angesichts der Größe und Vielfalt Europas bedarf eine lebendige europäische Demokratie neben repräsentativen Elementen auch solche der direktdemokratischen Einflussnahme. Zur unmittelbaren Teilhabe aller Bürger an der europäischen Politik ist daher als dritte demokratische Säule eine an das Parlament angeschlossene, virtuelle, europäische Bürgerkammer zu schaffen, an der jeder Bürger der Europäischen Union teilnehmen kann. Die Bürgerkammer hat die Aufgabe, mit einem Referendumsrecht nach Schweizer Vorbild an der politischen Gestaltung der Europäischen Union mitzuwirken.“
Wir haben derzeit 23 EU-Amtssprachen. Und wir haben eine
Elite in Europa, die mehrere Sprachen spricht. Was hier geschaffen werden soll
ist das Gegenteil von Basisdemokratie, von Graswurzeldemokratie. Es handelt
sich um die Fortführung des Konzeptes einer bürgerlichen Zivilgesellschaft. Ein
Konzept, das sicherlich einen positiven Einfluss auf die Entwicklung von
Demokratien in vielen westlichen Ländern genommen hat. Ein Konzept, das aber
nun zunehmend renovierungsbedürftig ist. Wie wir in China und Thailand deutlich sehen, sind die bürgerlichen Zivilgesellschaften nicht mehr in der Lage, echte Demokratisierung voran zu treiben. Sehen wir die Finanzierung, die
Aktionen und die Einflussnahme, wird deutlich, dass wir eine neue,
demokratischere Form der Mitwirkung finden müssen.
Wie diese Beteiligung aussehen sollte, darf nicht vorgegeben werden. Sondern wir benötigen umfangreiche Gespräche und auch Untersuchungen von unterschiedlichsten Organisationsformen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Wir brauchen eine neue Form der Mitwirkung von Menschen, die nicht zur Elite gehören, wollen wir, dass Europa wirklich von den Menschen akzeptiert wird. Und wieder heißt es daher: Wir müssen anfangen nach einer Lösung zu suchen, aber nicht unter Zeitdruck. Der Nächste Absatz:
Wie diese Beteiligung aussehen sollte, darf nicht vorgegeben werden. Sondern wir benötigen umfangreiche Gespräche und auch Untersuchungen von unterschiedlichsten Organisationsformen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Wir brauchen eine neue Form der Mitwirkung von Menschen, die nicht zur Elite gehören, wollen wir, dass Europa wirklich von den Menschen akzeptiert wird. Und wieder heißt es daher: Wir müssen anfangen nach einer Lösung zu suchen, aber nicht unter Zeitdruck. Der Nächste Absatz:
„GRUNDRECHTE UND RECHTSSTAAT
Die Einführung der Europäischen Grundrechte-Charta hat den Schutz grundlegender Rechte der Menschen in Europa gestärkt. Der Wert von Grundrechten steht und fällt jedoch mit der Möglichkeit, diese gegen den Staat effektiv vor Gericht durchsetzen zu können. Leider zeigt die Erfahrung, dass es den Bürgern an brauchbaren rechtsstaatlichen Möglichkeiten fehlt, sich gegen grundrechtsverletzende Rechtsakte der Europäischen Union effektiv zu wehr zu setzen. Daher ist ein dem Europäischen Gerichtshof übergeordneter Europäischer Verfassungsgerichtshof zu schaffen, vor dem jeder Bürger seine Grundrechte gegen europäische Rechtsakte und sonstiges staatliches Handeln mittels einer europäischen Verfassungsklage verteidigen kann.“ (sic)
Wenn es eine europäische Verfassung gibt, muss natürlich
dafür auch ein europäischer Verfassungsgerichtshof geschaffen werden. Aber die
größere Diskussion wird sich darauf konzentrieren, ob und welche Sanktionen ein
solches Gericht verhängen kann. Schauen wir uns das Verfassungsgericht der
Bundesrepublik Deutschland an, wundern wir uns, wie oft es z.B. Gesetze als verfassungswidrig
anerkennt, ohne dass es aber Sanktionen für die Verursacher dieser
Grundgesetzverletzungen kommt. In anderen Ländern sehen die Verfassungen sehr
wohl Bestrafungen für Mitglieder der Regierung vor, wenn diese gegen die
Verfassung verstoßen. Eine solche grundlegende Regelung kann aber kaum im
Hau-Ruck-Verfahren erreicht werden.
Die Initiative geht aber noch weit über die o.g. Forderungen hinaus. Sie fordert
Die Initiative geht aber noch weit über die o.g. Forderungen hinaus. Sie fordert
„EUROPÄISCHE SOLIDARITÄT UND SOZIALE SICHERHEIT (2)
Die Staatsschuldenkrise der Mitgliedsstaaten ist nicht unerheblich eine Folge der globalen Bankenkrise. Außerdem haben einzelne Mitgliedsstaaten von der Verschuldung anderer Mitgliedsstaaten unmittelbar wirtschaftlich profitiert. Daher plädieren wir um der Gerechtigkeit und des innereuropäischen Friedens willen für eine einmalige, teilweise Vergemeinschaftung der Schuldenlast in Gemeinschaftsanleihen eines neu verfassten Europas.“
Diese verbundene Initiative geht davon aus, dass die „Mitgliedsstaaten“
von der Verschuldung profitierten. Dabei wird aber übersehen, dass es durchaus
nicht in derster Linie die Staaten waren, sondern Organisationen und Einzelpersonen, die in in besonderem Maße von dieser Verschuldung profitierten. Während die Staaten, z.B. über Exportkreditgarantien etc. einen großen Teil des Risikos trugen. Da waren die Banken, die
über Jahrzehnte Zinsen für die Darlehen an Staaten erhielten, da waren die
großen Rüstungsunternehmen, die an den Lieferungen an Griechenland
profitierten. Und ja, die Mitarbeiter der Firmen erhielten ein Gehalt. Ein
Gehalt, das aber in Hinsicht auf die Arbeitseffektivität unter europäischem
Niveau lag.
Ja, es gab Profiteure der heutigen Krise. Und diese sollten zuballerst heran gezogen werden. Aber es sind nicht die „Staaten“, sondern Organisationen und Individuen in den Staaten, und erst in zweiter Linie die Staaten durch geringere Soziallasten und höhere Steuern. Und in diesem Masse und Verhältnis müssen die Lasten verteilt werden. Und wenn die Organisationen, Unternehmen oder Personen nicht mehr ihren angemessenen Anteil leisten können, weil die Gewinne längst ausgeschüttet oder „verwendet“ wurden, dann muss das zu Konsequenzen führen. Wenn diese Unternehmen ihre Last dem Staat, also jedem einzelnen Bürger, aufbürden, müssen Sie auch ihr Eigentumsrecht abgeben. So wie jeder Schreiner gezwungen wird, seine Maschinen zu verkaufen und das Geschäft aufzugeben, wenn er sich verkalkuliert hat und seine Schulden nicht mehr bezahlen kann, so müssen dann auch Banken oder große Organisationen in Allgemeineigentum übergehen, wenn die Allgemeinheit für ihre Verbindlichkeiten einstehen muss.
Also auch hier: Grundsätzlich Zustimmung, aber mit einer deutlicheren Aussage, wer welche Lasten übernehmen soll. Als nächstes Modul wurde eingeführt:
Ja, es gab Profiteure der heutigen Krise. Und diese sollten zuballerst heran gezogen werden. Aber es sind nicht die „Staaten“, sondern Organisationen und Individuen in den Staaten, und erst in zweiter Linie die Staaten durch geringere Soziallasten und höhere Steuern. Und in diesem Masse und Verhältnis müssen die Lasten verteilt werden. Und wenn die Organisationen, Unternehmen oder Personen nicht mehr ihren angemessenen Anteil leisten können, weil die Gewinne längst ausgeschüttet oder „verwendet“ wurden, dann muss das zu Konsequenzen führen. Wenn diese Unternehmen ihre Last dem Staat, also jedem einzelnen Bürger, aufbürden, müssen Sie auch ihr Eigentumsrecht abgeben. So wie jeder Schreiner gezwungen wird, seine Maschinen zu verkaufen und das Geschäft aufzugeben, wenn er sich verkalkuliert hat und seine Schulden nicht mehr bezahlen kann, so müssen dann auch Banken oder große Organisationen in Allgemeineigentum übergehen, wenn die Allgemeinheit für ihre Verbindlichkeiten einstehen muss.
Also auch hier: Grundsätzlich Zustimmung, aber mit einer deutlicheren Aussage, wer welche Lasten übernehmen soll. Als nächstes Modul wurde eingeführt:
„SICHERE EXISTENZ UND GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE (3)
Weiterhin geht mit einer gemeinsamen Fiskal- und Wirtschaftspolitik die Verpflichtung einher, die sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen in Europa zu sichern, wenn die sozialen Errungenschaften erhalten bleiben sollen.“
Dies ist leider eine viel zu vage Aussage. Welche „Errungenschaften“
sind gemeint? Um beim Eingangsbeispiel zu bleiben: Das frühe
Renteneintrittsalter der Franzosen, oder die „Herdprämie“ der Deutschen, sollte sie denn
kommen? Oder alle sozialen Errungenschaften in Summe? Eine solche Forderung ist
schnell aufgestellt aber wesentlich schwerer definiert. Und deshalb muss dies
Teil des Zusammenwachsens der politischen Parteien werden, die sich zunächst
darauf einigen, was als Errungenschaft anzusehen ist, und dies in die
Regierungen und Verhandlungen einbringen.
Der nächste Absatz betrifft:
GRUNDRECHTLICHE GARANTIEN IN DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT
Zunächst wird freier Zugang zu Bildung verlangt. Wenn man die Menschenrechtskonvention richtig liest, ist dies bereits durch die allgemeine Menschenrechtserklärung abgedeckt. Und daher wäre es doch sinnvoller, überhaupt auf bereits geltende internationale Rechtsnormen zu verweisen. Eine bedingungslose Akzeptanz der allgemeinen Menschenrechtskonvention würde so viele Dinge enthalten, dass wir uns sicher über viele andere Dinge nicht mehr unterhalten müssten. Und m.E. sollte man sich nicht auf Bildung und Freiheit der Kommunikation beschränken. Die Durchsetzung der Menschenrechte sollten vor allen anderen Zielen primär und uneinschränkbar gefordert werden. Und dann sind diese beiden Forderungen Teil derselben.
Dann wird der „Schutz des Vertrauens in Informationstechnische Systeme“ gefordert. Dies wäre m.E. ein Teil der Verfassungsdiskussion. Und man sollte vorher hinterfragen, ob nicht diese Forderung längst durch eine Interpretation der allgemeinen Menschenrechte als abgedeckt angesehen werden könnte. Und dann nur Teil der normalen Gesetzgebung, aber nicht der Verfassung wäre.
IMMATERIALGÜTER UND ALLGEMEINHEIT
Die Forderung, Wissen und Kultur allgemein verfügbar zu machen, und nicht nur einer Elite zu überlassen, ist sicherlich Teil einer Verfassungsdiskussion. Und hier zeigt sich schon, wie schwierig solche Diskussionen werden sollen. Diese Forderung, die hier aufgestellt wird, ist sicherlich wichtig genug, um separat aufgeführt zu werden. Aber sollte man nicht überlegen, ob diese Forderung nicht eine globale, einen Menschenrechtsforderung ist? Und nicht nur eine Forderung, die den sowieso schon besser gestellten EU-Ländern bzw. ihren Bürgern, zunutze kommen sollte? Wäre es nicht sogar sinnvoll, dass Wissen und Kultur der industriellen Welt auch der unterentwickelten Welt verfügbar gemacht werden müsste? Reden wir also von Bürgerrechten einer EU, mit der ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern oder Regionen erreicht werden soll? Oder reden wir davon, diese Forderung als Teil einer globalen Solidarisierung zu begreifen?
Der nächste Absatz betrifft:
GRUNDRECHTLICHE GARANTIEN IN DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT
Zunächst wird freier Zugang zu Bildung verlangt. Wenn man die Menschenrechtskonvention richtig liest, ist dies bereits durch die allgemeine Menschenrechtserklärung abgedeckt. Und daher wäre es doch sinnvoller, überhaupt auf bereits geltende internationale Rechtsnormen zu verweisen. Eine bedingungslose Akzeptanz der allgemeinen Menschenrechtskonvention würde so viele Dinge enthalten, dass wir uns sicher über viele andere Dinge nicht mehr unterhalten müssten. Und m.E. sollte man sich nicht auf Bildung und Freiheit der Kommunikation beschränken. Die Durchsetzung der Menschenrechte sollten vor allen anderen Zielen primär und uneinschränkbar gefordert werden. Und dann sind diese beiden Forderungen Teil derselben.
Dann wird der „Schutz des Vertrauens in Informationstechnische Systeme“ gefordert. Dies wäre m.E. ein Teil der Verfassungsdiskussion. Und man sollte vorher hinterfragen, ob nicht diese Forderung längst durch eine Interpretation der allgemeinen Menschenrechte als abgedeckt angesehen werden könnte. Und dann nur Teil der normalen Gesetzgebung, aber nicht der Verfassung wäre.
IMMATERIALGÜTER UND ALLGEMEINHEIT
Die Forderung, Wissen und Kultur allgemein verfügbar zu machen, und nicht nur einer Elite zu überlassen, ist sicherlich Teil einer Verfassungsdiskussion. Und hier zeigt sich schon, wie schwierig solche Diskussionen werden sollen. Diese Forderung, die hier aufgestellt wird, ist sicherlich wichtig genug, um separat aufgeführt zu werden. Aber sollte man nicht überlegen, ob diese Forderung nicht eine globale, einen Menschenrechtsforderung ist? Und nicht nur eine Forderung, die den sowieso schon besser gestellten EU-Ländern bzw. ihren Bürgern, zunutze kommen sollte? Wäre es nicht sogar sinnvoll, dass Wissen und Kultur der industriellen Welt auch der unterentwickelten Welt verfügbar gemacht werden müsste? Reden wir also von Bürgerrechten einer EU, mit der ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern oder Regionen erreicht werden soll? Oder reden wir davon, diese Forderung als Teil einer globalen Solidarisierung zu begreifen?
TRANSPARENZ STAATLICHEN HANDELNS
„Demokratische Teilhabe erfordert die Möglichkeit, sich ein Bild von staatlichem Handeln machen zu können. Daher ist, wenn dem keine überwiegenden Belange entgegenstehen, das staatliche Handeln aller Staatsgewalten ohne besonderen Antrag und ohne Erhebung von Gebühren transparent zu machen.“
Eine richtige Forderung, die unbedingt unterstützt werden
muss. Aber auch hier fragt man sich, ob diese allgemeine Forderung mit der dann
folgenden Begründung in ein Schnellverfahren eingebracht werden sollte. Denn
als Begründung wird der drohende Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM)
genannt. Dieser kann aber nicht als Begründung für dermaßen einschneidende und
gründlich zu diskutierende Änderungen heran gezogen werden. Im Gegenteil muss
die Geld- und Finanzkrise zuerst gelöst werden, bevor es zu einer Einigung
kommt. Ansonsten haben wir genau den gleichen Fehler wie bei der Einführung des
Euros noch einmal gemacht: „Einführen auf Teufel komm raus, der Rest wird sich
finden.“
Diesen Fehler war ich erleben, als ich seinerseits begeistert dem Euro
zujubelte. Jetzt sollten wir nicht den gleichen Fehler machen.
FAZIT
Wir dürfen uns nicht wegen einer Krise, in die uns die Elite der Gesellschaft manövriert hat, dazu bringen lassen, überhastet und übereilt in eine neue Gesellschaftsordnung einzutreten, in der noch stärker Eliten das Sagen haben und Einfluss nehmen werden. Wodurch mehr Sprengstoff entsteht, als wir derzeit durch die Finanzkrise angehäuft sehen.
Im Gegenteil sollte man meinen, dass ZUERST das Problem beseitigt werden müsste, was wir angeblich mit einem vereinten Europa beseitigen würden. Und das Problem beruht zum großen Teil auf der Tatsache, dass Eigentum des Staates und die Geldschöpfung auf private Eigentümer umgeschichtet wurde, während die Schulden und Verbindlichkeiten bei der Allgemeinheit verblieben. Also EU-Einheit ja, als langfristiges, basidemokratisch vorbereitetes Projekt beginnen. Aber vollkommen unabhängig von der derzeitigen Geldordnungs- und Finanzkrise. Beides darf nicht verknüpft werden. Ansonsten dient die Finanzkrise als Begründung und Erpressung um etwas durchzusetzen, das mit Sicherheit zu noch größeren Problemen in der Zukunft fürhen wird.
FAZIT
Wir dürfen uns nicht wegen einer Krise, in die uns die Elite der Gesellschaft manövriert hat, dazu bringen lassen, überhastet und übereilt in eine neue Gesellschaftsordnung einzutreten, in der noch stärker Eliten das Sagen haben und Einfluss nehmen werden. Wodurch mehr Sprengstoff entsteht, als wir derzeit durch die Finanzkrise angehäuft sehen.
Im Gegenteil sollte man meinen, dass ZUERST das Problem beseitigt werden müsste, was wir angeblich mit einem vereinten Europa beseitigen würden. Und das Problem beruht zum großen Teil auf der Tatsache, dass Eigentum des Staates und die Geldschöpfung auf private Eigentümer umgeschichtet wurde, während die Schulden und Verbindlichkeiten bei der Allgemeinheit verblieben. Also EU-Einheit ja, als langfristiges, basidemokratisch vorbereitetes Projekt beginnen. Aber vollkommen unabhängig von der derzeitigen Geldordnungs- und Finanzkrise. Beides darf nicht verknüpft werden. Ansonsten dient die Finanzkrise als Begründung und Erpressung um etwas durchzusetzen, das mit Sicherheit zu noch größeren Problemen in der Zukunft fürhen wird.
(3) https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/3746.html
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UPDATE
Auch wenn wir uns nicht wesentlich näher gekommen sind. Danke für die sachliche und konstruktive Diskussion.
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UPDATE
Crackpille hat dankenswerterweise auf meine Kritik am seiner
LQFB-Initiative reagiert und eine Antwort geschrieben. Ich möchte in der Folge
darauf eingehen:
„Eine Replik auf die Kritik an Europa 2.0, Posted on 2. Juli 2012 by Benjamin Siggel
JoMenschenfreund hat den Antrag Europa 2.0 versucht zu zerpflücken. Ich habe ihm auf Twitter entgegnet, er habe Politik nicht verstanden. Dies möchte ich begründen.“
Zunächst möchte ich mich entschuldigen für den Eindruck,
dass ich versucht hätte, die Initiative „zu zerflücken“. Das war nicht meine
Absicht, aber zurückblickend könnte man den Eindruck gewinnen. Lasst mich
betonen, dass ich FÜR eine Pro-Europa-Initiative bin, aber losgelöst von der
Finanzkrise.
„Dafür muss man sich zunächst darüber klar werden, wie Politik funktioniert – und wie nicht. Jo Menschenfreund geht von einem Politikbild aus, in dem man ein Ziel definiert, einen Prozess plant, der dorthin führt und dies dann umsetzt. Ungefähr so, wie man ein Haus baut, Skizze, Fundament, Träger, Steine, Dach, Richtkranz, große Einweihungsparty.“
Nun, ich kann das nirgendwo lesen, dass ich das so gesagt
habe. Ich denke da interpretierst du meine Aussagen falsch, oder ich habe mich
missverständlich ausgedrückt. Ich werde später noch darauf zurückkommen, dass ich ausdrücklich
wünsche, dass die Krise zum Anlass genommen wird, um zu reagieren, aber
auf andere Weise. Wellenreiten ja, aber anders ... ;-)
„Aber so läuft es nicht; Politik ist nicht so planbar. Es ist eher wie Tetris-Spielen. Man bekommt einen Stein und muss dann schauen, wie man am besten sein Spiel macht, wie man näher an seine Ziele kommt, mit den Spielsteinen, die kommen. Und ja, man bekommt nicht immer den Spielstein den man will, aber es ist eben der, den man bekommt. Darüber kann man sich aufregen, man kann den Stein kritisieren, man hätte gerne einen anderen, oder aber bitte nicht so schnell, aber es wird der Stein bleiben und er wird so schnell fallen, wie er fällt.“
Natürlich ist Politik ein Prozess, der von vielen Unwägbarkeiten
beeinflusst wird, bei dem man Gelegenheiten nutzen muss und andere meiden. Da
pflichte ich dir durchaus bei. Aber schauen wir doch einmal, was die letzten Male passierte, als sich eine solche Möglichkeit eröffnete. Als das
Sowjetimperium zusammen brach, hatten viele Menschen die Hoffnung, dass jetzt
eine Zeit des Friedens, der Abrüstung beginnen würde. Und was haben wir
erreicht? Atomwaffen, netterweise jetzt „Mini Nukes“ genannt sind nicht mehr
Abschreckungswaffen, sondern Teil des normalen Kriegsszenarios der Nato. Es
wird mehr statt weniger in Rüstung in der westlichen Welt ausgegeben. Wir haben
mehr Kriege als jemals vorher. Und wir stehen heute vielleicht näher vor einem
3. Weltkrieg als zur Zeit des Eisernen Vorhangs und der gegenseitigen
Abschreckung.
Damals haben viele versucht die Gunst der Stunde zu nutzen, um Frieden und Abrüstung voran zu bringen, nur hat es wenig genutzt.
Oder schauen wir uns die Einführung des Euro an. Auch damals sagte man uns: „Das ist ein historischer Moment, den müssen wir wahrnehmen“. Und alle Kritiker wurden ausgelacht als ewig Gestrige, von mir übrigens auch. Ich WOLLTE die Gefahren nicht sehen und war überzeugt, dass der Euro nun der Beginn einer wunderbaren EU-Vereinigung werden würde.
Oder schauen wir uns die Widervereinigung an. Es war ein Moment, den man natürlich nutzen musste. Aber wer hatte letztendlich davon profitiert? Davon, dass „blühende Landschaften“ aus der „Portokasse“ versprochen wurden?
Was ich sagen möchte ist, dass immer wieder die „Pragmatiker“, die „Realpolitiker“ und diejenigen die Oberhand behielten, die Macht und Kontrolle für sich beanspruchen. Und weil man aus der Geschichte lernen kann, dass gute Absichten und Hoffnungen stets dazu missbraucht werden, um eine ganz andere Agenda voran zu bringen, denke ich eben nicht, dass es eine Chance gibt, ein nachhaltiges vereinigtes Europa unter dem Druck der Finanzkrise aufzubauen.
Damals haben viele versucht die Gunst der Stunde zu nutzen, um Frieden und Abrüstung voran zu bringen, nur hat es wenig genutzt.
Oder schauen wir uns die Einführung des Euro an. Auch damals sagte man uns: „Das ist ein historischer Moment, den müssen wir wahrnehmen“. Und alle Kritiker wurden ausgelacht als ewig Gestrige, von mir übrigens auch. Ich WOLLTE die Gefahren nicht sehen und war überzeugt, dass der Euro nun der Beginn einer wunderbaren EU-Vereinigung werden würde.
Oder schauen wir uns die Widervereinigung an. Es war ein Moment, den man natürlich nutzen musste. Aber wer hatte letztendlich davon profitiert? Davon, dass „blühende Landschaften“ aus der „Portokasse“ versprochen wurden?
Was ich sagen möchte ist, dass immer wieder die „Pragmatiker“, die „Realpolitiker“ und diejenigen die Oberhand behielten, die Macht und Kontrolle für sich beanspruchen. Und weil man aus der Geschichte lernen kann, dass gute Absichten und Hoffnungen stets dazu missbraucht werden, um eine ganz andere Agenda voran zu bringen, denke ich eben nicht, dass es eine Chance gibt, ein nachhaltiges vereinigtes Europa unter dem Druck der Finanzkrise aufzubauen.
„Also ganz klar: Verfassungskonvent JA, aber nicht unter Zeitdruck, und nicht unter dem Druck aktueller Probleme.
Das nenne ich Augen verschließen vor Realitäten. Zeitdruck kann man doof finden und ja, dass Demokratie zunehmend unter steigendem Zeitdruck stattfindet, ist ein Problem. Diese Erkenntnis ändert aber nichts daran, dass der Zeitdruck immernoch da ist. Es ist ja mitnichten so, dass Frau Merkel einen Knopf hat, mit dem sie mal eben die Welt anhalten kann; nein: Der Zeitdruck ist da, er ergibt sich aus den akuten Problemen die eben nicht warten."
Zeitdruck? Ist die Verschuldung der Banken nicht so überraschend gekommen wie der Schnee im Winter? Und ist diese Krise und ihre Entwicklung nicht längst in elitären Kreisen bekannt, wurde aber bewusst herunter gespielt? Wollen wir uns wirklich weiter vor diesen Karren spannen lassen?
"Und nein, wir können auch nicht diese Probleme lösen und mit einer politischen Union warten, wenn eben diese politische Union ein Teil der Lösung darstellt. Denn wir haben nunmal eine gemeinsame Währung, der eine adäquate gemeinsame Steuerung fehlt. Und wenn wir eine Steuerung bauen wollen, dann müssen wir zusammenarbeiten. Dafür müssen wir Kompetenzen nach Brüssel abgeben und dafür brauchen wir eine neue Verfassung. Zum einen, weil es das Bundesverfassungsgericht fordert, zum anderen weil uns ansonsten die Demokratie erodiert."
Hier ist der Dissenz. Ich glaube nicht daran, dass ein
vereintes Europa die Krise des derzeitigen Geld- und Finanzsystems lösen wird.
Diese Krise wird lediglich um ein paar Jahre verschoben, um dann umso härter
zuzuschlagen. Denn dann wird noch mehr ehemaliges Vermögen des Staates, also
der Allgemeinheit privatisiert sein, wird noch mehr Geld und Macht in den
Händen weniger akkumuliert sein, während der Staat immer schwächer und
wehrloser wird. Aber dann mit noch weniger Möglichkeiten des Bürgers darauf
Einfluss zu nehmen. Denn die Entscheidungen werden immer weiter weg gerückt
werden.
„Sich hinzustellen und zu sagen: “Nee, unter Zeitdruck kann ich nicht arbeiten” ist da ungefähr so hilfreich wie beim Tetris-Spielen die Aussage “die Steinchen kommen zu schnell runter”.
Außerdem verkennt dieser Ansatz die menschliche Natur. Je besser es einer Gesellschaft geht, desto mehr hat jeder Einzelne zu verlieren und desto weniger ist er motiviert, etwas zu verändern. Erst ein akutes Problem, eine akute Krise lässt Gesellschaft und Politik beweglich werden; denn plötzlich drohen alle etwas zu verlieren und es setzt sich die Einsicht durch, das man etwas verändern muss, wenn man sich das, was man hat, mehr oder weniger erhalten möchte. Und plötzlich werden Dinge möglich, die Ewigkeiten nicht gingen. Das ist die Chance auf Veränderung, auf eine Neuorientierung, die in jeder Krise liegt.“
Ich sage ja nicht, dass man nichts tun sollte. Im Gegenteil,
ich sage, zunächst muss das Finanzproblem gelöst werden. Noch nie in der
Geschichte hat sich ein Staat gebildet, um eine Finanzkrise zu beseitigen. Im
Gegenteil hat man durch Staatenbildung versucht, den Einfluss von Geld und
Kapital, von außen zu verringern. Wie z.B. bei der Gründung der USA, die von
England unabhängig werden wollten.
Natürlich muss man etwas tun. Aber dieses Tun muss die Krise an der Wurzel anpacken und nicht am Symptom bekämpfen. Aber statt sich daran zu wagen, will man lieber Zeit gewinnen.
Natürlich muss man etwas tun. Aber dieses Tun muss die Krise an der Wurzel anpacken und nicht am Symptom bekämpfen. Aber statt sich daran zu wagen, will man lieber Zeit gewinnen.
„Natürlich könnten wir auch hingehen und sagen: Okay, wir packen alle Schulden in einen Topf, dann sind alle schuldenfrei, schmeißen die Druckerpresse an und inflationieren die Schulden weg. Mal davon abgesehen, dass der Preis, den eine Gesellschaft für Inflation bezahlt, immens hoch ist, würde die vorübergehende Linderung des Problems auch eben diesen Anreiz nehmen, die politische Union später noch zu machen. In aller Ruhe. Irgendwann."
Es gibt noch genügend Anreize, die Vereinigung voran zu
treiben. Die wichtigste ist vielleicht die zunehmende Konkurrenz durch die aufstrebenden
Schwellenländer. Dann noch eine provokative Frage: Soll das heißen, dass die
Finanzkrise die letzte Krise Europas sein sollte? Dass es eine Chance ist, die
nie mehr wieder kommen wird, weil es keine Krisen mehr geben wir, die dazu
zwingen werden, sich näher zu kommen?
„Deshalb ist sie auch im letzten Jahrzehnt schon zustande gekommen; es ist ja nicht so, dass nicht jedem klar war, dass eine Währung auch eine entsprechende politische Union erfordert. Spill-Over-Effekt nannte Monet diese Form der Einigung, in der Integration Stück für Stück zu weiteren Integrationsschritten führt. Darauf beruht die europäische Einigung.
Also obwohl es eine Abneigung der Völker der EU gegen eine gemeinsame Verfassung gibt, will man diese nun doch durchsetzen. Ist das nicht das Gegenteil von Basisdemokratie?
Man will eine gemeinsame Verfassung durchsetzen, weil sie jetzt in greifbare Nähe rückt. Und zwar weil sowohl die Politik als auch die Bürger beweglicher werden. In diesen Zeiten, der Unsicherheit, der Abneigung gegen den Euro, den wideraufflammendem Nationalismus, den “faulen Griechen” und ohne vorhergehende Debatte oder besondere Werbung der Parteien befürworten immerhin 43% der Deutschen die Vereinigten Staaten von Europa. Ich bin davon positiv überrascht.“
Was denn nun. Hier wiederspricht sich der Autor. Entweder es
gibt nur noch die eine Chance, Europa mit Gewalt durch die Finanzkrise zu
vereinigen (wie vorher gelesen), weil sonst keine Bereitschaft mehr besteht,
oder es befürworten doch viele Menschen ein vereintes Europa. Ich persönlich
glaube, dass IM MOMENT noch die Abneigung gegen Europa überwiegt. Und ein
großer Teil dieser Abneigung beruht auf der Art, wie Politik umgesetzt wird.
Nämlich mit Erpressung und Nötigung. Und wie sollen die Menschen ein Europa
akzeptieren, wenn sie nun wieder zum Vereinten Europa genötigt werden? Oder
sollte es unerheblich sein, Hauptsache Fakten sind geschaffen? Das wäre zumindest nicht mein Verständnis von glaubhafter und nachhaltiger Politik. Auch wenn Adenauer und Kohl damit ganz erfolgreich erschienen.
„Weiterhin ist es ganz nüchtern ökonomisch betrachtet schlichtweg der sinnvollste Weg. Genauso sieht das langfristig aus, wenn man sich die weltpolitischen Machtverschiebungen anschaut; allein der Bevölkerungsanteil Europas an der Weltbevölkerung, der Anfang des letzten Jahrhunderts noch bei ~20% lag, liegt heute unter 10%, Tendenz weiter fallend. Das ist die Bühne auf der wir spielen und ganz sicher können wir unsere Interessen als ein Europa weitaus besser vertreten, als mit einem Chor aus Nationalstaaten.“
Genau deshalb wird die europäische Einigung kommen, früher
oder später. Warum also jetzt unter der Finanzkrise erzwingen?
„Daraus folgt: Politik wird gerade flexibler. Es wird mehr möglich (in alle Richtungen) und es geht an die Fundamente. Das ist zum einen eine schlichte Realität, zum anderen aber auch eine Chance.
Ich weiß nicht, ob das allen bereits so klar ist, aber wir leben wahrhaft in historischen und spannenden Zeiten. Sofern Europa den Bogen kriegt und nicht zerbricht, werden wir, durch die Krise gezwungen die Vollendung der Vision von Monet und Schuman, die Europa als föderalen Staat am Ende eines lange andauernden Einigungsprozesses sahen, noch miterleben. Und die Basis dieses Europas wird vermutlich die politischen Realitäten der nächsten Epoche bestimmen.
Das ist der Tetrisstein. Er taucht jetzt auf und fällt zu Boden. Es stellt sich jetzt die Frage, was wir damit machen. Ganz sicher keine europäische Sprache entwickeln. Auch nicht diskutieren, ob Rente mit 65 oder 67 oder ob wir den Menschenrechtskatalog erweitern wollen. Denn für all das ist dieses Steinchen aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht tauglich.“
Wie sehr kann ich diese Begeisterung verstehen. Und ich würde durchaus auch gerne zustimmen. Aber als Zeitzeuge von so vielen „Historischen Chancen“
und ihren Umsetzungen kann ich eben die Hoffnung nicht teilen, die sich aus dem
folgenden Absatz ergibt:
„Es eignet sich aber hervorragend, staatliche und gesellschaftliche Grundstrukturen neu zu definieren. Unsere Verfassung ist geprägt von den Notwendigkeiten des Industriezeitalters; gesellschaftlich aber sind wir darüber zum Teil schon hinaus. Wir sind auf dem Weg ins Informationszeitalter und die Piraten haben das Ziel und auch die Verantwortung, genau dorthin zu führen. Und der Tetrisstein Europa+Krise ist schlichtweg die größte Chance die wir bisher hatten (und vielleicht je haben werden), diesen Transformationsprozess ganz grundlegend zu gestalten.
Der Ausbau von demokratischer Teilhabe mit virtuellen Mitteln, die Absicherung freier Kommunikation, die Einhegung der Immaterialgüterrechte zum Wohle der Allgemeinheit und natürlich auch das Übertragen gewisser Errungenschaften wie ein starkes Verfassungsgericht auf die europäische Ebene – die Chance war nie größer, diese Dinge so tiefgreifend und nachhaltig politisch zu verwirklichen.“
Genau das tut diese Situation eben nicht. So wenig wie der
Zusammenbruch des Sowjetreichs Frieden und Abrüstung gebracht hat, so wenig wie
die Wiedervereinigung „blühende Landschaften“ finanziert aus der „Portokasse“
erschuf, so wenig wie der EURO dazu geführt hat, dass die damals schon
erkennbare Finanzkrise verhindert wurde. Wie immer werden gutwillige Menschen
dazu missbraucht, eine ganz andere Agenda zu unterstützen. Und diese ist
elitär, sozial unausgewogen, technokratisch.
„Wenn wir kluge Politik betreiben, dann nutzen wir dieses Steinchen genau dafür.“
Das ist Wunschdenken. Leider ist es andersherum. Wenn wir diese Politik unterstützen, werden wir missbraucht für andere Ziele, und selbst wenn wir vielleicht die Vorratsdatenspeicherung für ein paar Jahre verhindern, oder wenn wir die freie Kommunikation für ein paar Jahre absichern … mal ehrlich: Lohnt es sich dafür, mit fast machiavellinischen Begründungen den Bürgern Europas etwas aufzuzwingen, was sie so gar nicht haben wollen?
FAZIT:
Ich sehe keine wirkliche Erklärung, wie die Probleme durch ein vereinigtes Europa gelöst werden können. Werden die Schulden-Probleme der USA geringer, weil es ein großer Bundesstaat ist? Die Probleme von tausenden von Milliarden Euro Schulden von Banken, die aber über Jahrzehnte höchste Dividenden ausgeschüttet haben werden nicht geringer. Die vollkommen unkontrollierten internationale Börsen- und Finanztransaktionen werden nicht geringer. Die korrupten Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft werden sich nicht verringern und die Zustände werden schlimmer werden, weil sich immer mehr Geld außerhalb des Staates akkumuliert, während die Staaten und ihre Bürger verzweifelt versuchen die Verschuldung zu reduzieren.
Ein Vereintes Europa in der derzeitigen Krise würde in einigen Jahren lediglich zu einem noch größeren Problem führen, wenn wir nicht vorher eine Reform der Geld- und Finanzordnung in Angriff nehmen.
Die Chance, die wir durch diese Krise haben, und die wir wahrnehmen sollten, ist nicht, im Hau-Ruck-Verfahren Europa zu erzwingen, sondern das Geld- und Finanzsystem zu reformieren und unter die Kontrolle der Allgemeinheit zu bringen. Nicht die Menschen und die Demokratie müssen „marktkonform“ werden, sondern die so genannten Märkte müssen sich den Menschen und der Demokratie unterordnen.
FAZIT:
Ich sehe keine wirkliche Erklärung, wie die Probleme durch ein vereinigtes Europa gelöst werden können. Werden die Schulden-Probleme der USA geringer, weil es ein großer Bundesstaat ist? Die Probleme von tausenden von Milliarden Euro Schulden von Banken, die aber über Jahrzehnte höchste Dividenden ausgeschüttet haben werden nicht geringer. Die vollkommen unkontrollierten internationale Börsen- und Finanztransaktionen werden nicht geringer. Die korrupten Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft werden sich nicht verringern und die Zustände werden schlimmer werden, weil sich immer mehr Geld außerhalb des Staates akkumuliert, während die Staaten und ihre Bürger verzweifelt versuchen die Verschuldung zu reduzieren.
Ein Vereintes Europa in der derzeitigen Krise würde in einigen Jahren lediglich zu einem noch größeren Problem führen, wenn wir nicht vorher eine Reform der Geld- und Finanzordnung in Angriff nehmen.
Die Chance, die wir durch diese Krise haben, und die wir wahrnehmen sollten, ist nicht, im Hau-Ruck-Verfahren Europa zu erzwingen, sondern das Geld- und Finanzsystem zu reformieren und unter die Kontrolle der Allgemeinheit zu bringen. Nicht die Menschen und die Demokratie müssen „marktkonform“ werden, sondern die so genannten Märkte müssen sich den Menschen und der Demokratie unterordnen.
Auch wenn wir uns nicht wesentlich näher gekommen sind. Danke für die sachliche und konstruktive Diskussion.
Manueller Trackback: Eine Replik auf die Kritik an Europa 2.0.
AntwortenLöschenKlasse, und die URL vergessen ;) http://benjamin-siggel.eu/2012/07/02/eine-replik-auf-die-kritik-an-europa-2-0/
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