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Freitag, 20. Juli 2012

Wann sind Gewalttäter Helden, wann Terroristen?

Die Frage rückt durch Syrien wieder in den Vordergrund der politischen Diskussion. Und die meisten wagen es nicht, die Frage wirklich zu beantworten. Sie weichen aus und behalten sich vor, in Syrien Mörder Freiheitskämpfer zu nennen und in Palästina Mitglieder der Hamas Terroristen. In linken Kreisen war die Diskussion zur Zeit der RAF geführt worden, heute in rechten Kreisen zur Zeit der NSU. Und selbst viele biedere Normalbürger biegen sich ihr Weltbild gerade mal wieder so hin, wie es in die augenblickliche Gefühlslage, oder sagen wir besser Medien-Berichts-Lage passt.

Die einzige demokratische Verfassung Thailands seit der von 1946, die 1947 durch einen von inzwischen 19 Militärcoups beseitigt worden war, galt nur von 1997 bis zum Militärcoup von 2006. Aber sie verpflichtete jeden Staatsbürger, sie notfalls mit Gewalt zu verteidigen. Also waren die Soldaten, die am 19.09.2006 den Putsch ausführten, Terroristen. Sie hatten das Ziel die verfassungsmäßige Grundordnung zu zerschlagen. Damals hatte nur ein harmloser Taxifahrer die Mahnung aus der Verfassung ernst genommen und in einem Akt  der waffenlosen Hilflosigkeit einen Panzer mit seinem Taxi gerammt. Wenn aber in diesem Moment die Menschen zu den Waffen gegriffen hätten, und die Soldaten bekämpft hätten, wären sie die guten, die Soldaten die Bösen, die Terroristen gewesen, oder?

Die Frage erübrigte sich allerdings schon nach wenigen Stunden, als nämlich das vom Westen hoch geachtete Staatsoberhaupt König Bhumibol die Putschisten empfing und ihnen seinen Segen gab. Der Putsch lief dann innerhalb Thailands unter dem Motto: „Der Putsch für den König“. Durch die Unterschrift des Königs unter ein Dekret wurden nun diejenigen zu Terroristen, die sich für die demokratische Verfassung von 1997 einsetzten. Und die Soldaten waren die Guten. Sie bekamen Straffreiheit und Amnestie für alle auch in Zukunft begangenen Verbrechen, die mit dem Umsturz in Zusammenhang hingen. Abgesegnet von praktisch allen westlichen Freunden. Nach wenigen Monaten Zurückhaltung mit Zahlungen aus den USA an das Militär, wurden diese Milliarden- Zahlungen nach weniger als einem Jahr wieder rückwirkend vorgenommen.

Schauen wir auf Jassir Arafat, er war zuerst Terrorist, dann Staatschef und später Friedensnobelpreisträger. Bis er, wie man inzwischen vermutet, ,möglicherweise durch Radioaktivität vergiftet wurde, als er einem möglichen Friedensplan zu nahe kam. Es gibt viele ähnliche Lebensläufe. Oder schauen wir nach Israel, sehen wir noch ähnlicher Fälle. Herauszuheben ist der Fall von Jitzchak Rabin. Zuerst Mitglied der,  heute würde man sagen Terrororganisation Hagana, dann Premierminister. Schließlich erhielt er den Friedensnobelpreis und wurde dann ermordet, als er Friedenspläne verfolgte, die aber übrigens keinen zusammenhängenden palästinensischen Staat in den Grenzen der UNO-Resolutionen vorsahen.

Auch in Deutschland gibt es Beispiele, wie gespalten der Umgang mit Menschen ist, die Gewalttaten aus Überzeugung begehen. Graff Stauffenberg führte das Attentat vom 20. Juli 1944 gegen Hitler aus. Die Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands empfand das als einen terroristischen Akt. Und selbst nach dem Krieg dauerte es noch Jahrzehnte, bis die ersten Straßen nach Stauffenberg benannt wurden und Nachkommen mit dem gleichen Namen nicht wie Aussätzige behandelt wurden, wenn sie versuchten, in der jungen Bundeswehr Karriere zu machen.

Wenn Soldaten in Myanmar bzw. Birma 2007 Mönche und Reporter im Verlauf friedlicher Demonstrationen erschießen, sind diese Soldaten Terroristen? Nein, denn sie vertreten die Staatsmacht. Und nun kommt es entscheidend darauf an, welche politische Meinung der Betrachter verfolgt. Inzwischen hat sich das Land für ausländische Investitionen geöffnet, eine Scheinverfassung und Scheinparlament eingerichtet, und schon gehört es nicht mehr zu den "Bösen" dieser Welt. Was sich aber bald ändern kann, wenn weitere Informationen über unterirdische Atomforschungsanlagen die Runde machen.

In Thailand wurden von Soldaten Menschen erschossen, mit Gewehrkolben erschlagen und wie Vieh in Lagen übereinander liegend transportiert, so dass beim Transport dutzende starben. Waren das Terroristische Akte? Nein, die befehlshabenden Offiziere wurden noch befördert und erhielten sogar nach dem aktiven Dienst zusätzlich zu ihrer Pension und ihrem horrenden Einkommen aus Korruption noch lukrative Berateraufträge der Regierung. Sie haben Terroristen bekämpft.

Als 2009 über hundert unbewaffnete Demonstranten von Soldaten angeschossen und glücklicherweise wenige getötet wurde, da gab es keinen Aufschrei in der westlichen Welt. Und als dann hierdurch ermutigt 2010 sogar 92 Menschen erschossen, über 4000 verletzt und viele traumatisiert wurden, da war es, wie man in den USA verbreitete, beim Kampf gegen den Terrorismus. Keine Sanktionen, keine Ermahnung. Obwohl kein einziger Terrorist erschossen wurde, sondern nur unbewaffnete Demonstranten und Passanten. Kein Zurückhalten von Militärhilfe.

WELCHER WIDERSTAND IST ERLAUBT

Die Freiheitskämpfer Thailands von 2010 kämpften mit brennenden Reifenstapeln, Steinschleudern und Mini-Molotow-Cocktails, um ihre demokratische Verfassung und neue Wahlen zu erzwingen, weil die gewählte Regierung in einem Justizputsch, der durch die neue Militärverfassung legitimiert wurde, beseitigt worden war. War dieser Widerstand ungesetzlich, wie von der US-Regierung verbreitet wurde, die Geheimdienstspezialisten {Sicherheitsexperten} zur Beratung des Militärs bereit stellte? (1)

Schauen wir uns die blutig nieder geschlagenen Demonstrationen in Bahrain an. Das Regime dort musste sogar Militärhilfe aus dem Nachbarland Saudi-Arabien, einem der schlimmsten Diktaturen der reichen Ölregion, holen, um die unbewaffneten Demonstranten mit viel Blut von den Straßen zu fegen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl waren die Opferzahlen nicht geringer als in Syrien zu Beginn der dortigen Revolte. Nachdem Totenstille durch Militärhilfe aus dem Ausland eingetreten war, erklärte das Deutsche Auswärtige Amt, dass Bahrain ja Reformen angekündigt hätte, weshalb weitere Maßnahmen nicht notwendig wären. Reformen, die bis heute keine nennenswerten Änderungen bewirkt haben, außer dass mehr Waffen, mehr Sicherheitskräfte und mehr Gefängnisse geschaffen wurden. Ist hier bewaffneter Widerstand erlaubt? Nach Lesart des Außenministeriums sind dort Aufständische, die mit Waffen gegen die Regierung vorgehen ... Terroristen.

Als im Jahr 2006 in Bangkok ein Auto voller Sprengstoff auf Grund eines Tipps von der Polizei angehalten wurde, war der Fahrer war Soldat, der einem der höheren Offiziere des Sicherheitskommandos diente. Sein Ziel war eine Überführung gewesen, über die der damalige gewählte Premierminister fahren sollte. Bei seiner Festnahme erklärte er vor Journalisten, dass sie sich alle noch wundern würden. Er wurde gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt, Tage später kam es zum Putsch. Der Fahrer wurde Jahre später wegen illegalen Transport von Sprengmitteln zu einer kleinen Bewährungsstrafe verurteilt, war aber inzwischen bereits befördert worden. War er nun ein Held oder ein Terrorist? Nun die Putschisten sehen ich ihm vermutlich einen Helden, während die Demokratiebewegung in ihm einen Terroristen sieht. Und wie immer entscheidet die Macht der Waffen darüber, wer letztendlich die „Wahrheit“ verkündet.

Und wenn wir uns Syrien anschauen sehen wir Grausamkeiten auf allen Seiten, die begangen werden. Und trotzdem feiern Menschen blutige Massaker und Terrorangriffe einer Seite, weil sie der eigenen persönlichen Meinung nach der „richtigen“ Seite dienen.

DIE FOLGEN DER LÖSUNG VON KONFLIKTEN MIT GEWALT

Was in Thailand und in anderen Ländern einer Generation von jungen Menschen lehrt ist: Je mehr Waffen du hast, je brutaler du vorgehst, desto eher kannst du deine Meinung durchsetzen. Du darfst eben nur nicht verlieren. Wenn die internationale Staatengemeinschaft erlaubt, dass Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen werden, oder sogar wie im Fall von Libyen und Syrien dabei helfen, wird wieder in einer ganzen Generation der Glauben erzeugt, dass Krieg die Lösung aller Probleme wäre. Man muss eben nur stark genug sein um zu gewinnen. Und genau diese Entwicklung muss man leider im Moment in Deutschland feststellen.

DER BEGRIFF TERRORIST

Andererseits muss man vorsichtig mit der Verurteilung von Menschen sein, die mit der Waffe in der Hand gegen eine von ihnen so empfundene Besatzungsmacht kämpfen. Man sollte insbesondere das Wort Terrorismus erst gar nicht verwenden. Es wurde aus politischen Gründen geschaffen und wird längst weltweit missbraucht, um eigene politische Ziele zu erreichen, Gewalt zu legitimieren. Diese Menschen müssen mit den Gesetzen verfolgt werden, die ihren Taten entsprechen. Mord, Entführung, Nötigung, Körperverletzung usw.

Und eines möchte ich noch hinzufügen. Wenn jemand unbewaffnete Zivilisten, egal wie stark diese ein verhasstes System unterstützen, tötet, der tötet auch jeden Anspruch darauf, als etwas anderes als Mörder angesehen zu werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Gewalt gegen die Staatsmacht gerichtet ist, oder von ihr ausgeht.

Wer also in Deutschland über Terrorangriffe in Syrien und im Iran jubelt, aber gleichzeitig Gewalttaten, die z.B. durch die Hamas oder einzelne Palästinenser-Gruppierungen zur "Befreiung Palästinas" begangen werden, verurteilt, sollte seine Einstellung einmal gründlich überdenken.

Mord an Unbeteiligten, auch wenn er nur als „Kollateralschaden“ wie bei den Drohnentötungen der USA täglich stattfinden, ist ein Verbrechen, und muss mit den angemessenen Gesetzen verfolgt werden. Es gibt keinen „guten“ oder „bösen“ Mord.

DER TYRANNENMORD
„Der Begriff Tyrannenmord bezeichnet die Tötung – meist durch Attentat – eines als ungerecht empfundenen Herrschers (Tyrannen), der das Volk bzw. die Bürger gewaltsam unterdrückt. Er ist ein politischer Mord. ... Bereits in der antiken Philosophie wurde diskutiert, ob der Tyrannenmord ein legitimes Mittel zur Befreiung der Bürger sei. Es stellt sich die ethische Frage, was für die Angehörigen eines Gemeinwesens (ob nun Polis oder Königreich) schwerer zu verantworten ist: dass die Mitbürger Unterdrückung, Gewalt oder gar den Tod durch den Tyrannen erleiden oder dass man die Schuld eines Mordes auf sich lädt, wenn man den Gewaltherrscher durch ein Attentat beseitigt. Weil dadurch auch die bestehende staatliche Ordnung (die Alleinherrschaft als Monarchie oder Diktatur) grundsätzlich in Frage gestellt wird, lehnten die „Monarchien“ der Neuzeit den Tyrannenmord als letztes Mittel der Politik vehement ab.
Das deutsche Grundgesetz enthält seit 1968 ein Widerstandsrecht (Artikel 20) (Absatz 4). Es schließt den Tyrannenmord als letztes Mittel gegen einen verbrecherischen Diktator nicht aus.“ (Wikipedia)
Auch ein Tyrannenmord lädt Schuld auf den Mörder. Auch ein "Tyrannenmörder" muss sich vor rechtfertigen und vor einem angemessenen Gericht verantworten. Und dieses muss eine Güterabwägung vornehmen. Wenn man dieser Rechtfertigung aus dem Weg geht, ist und bleibt man ein Mörder. Und ein Lynchmord an einem bereits gestürzten Diktator Gaddafi ist einer der schlimmsten Verbrechen. Denn er verhindert nicht nur, dass der Ermordete seiner gerechten Strafe zugeführt wird, sondern er verhindert die saubere Aufarbeitung der Geschichte und ermöglicht die typische Sieger-Geschichtsschreibung. Während andererseits Mythenbildung gefördert wird, die vielleicht schon den nächsten Konflikt in sich birgt. Eine deutsche Regierungschefin, die sich öffentlich darüber freut, ist ein trauriges Zeichen des Zustandes dieses Landes.

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(1) Die Mehrheit der Thailänder sah das offenbar nicht so. Denn die Opposition, die mit den Demonstranten sympathisierte, gewann im Juli 2011 zur Überraschung des Establishments mit einem Erdrutschsieg und führt heute eine Regierung an, die fast 3/4 der Thailänder repräsentiert. Trotzdem kann sie nicht agieren wie sie möchte, da die Militärverfassung und die faktische Kontrolle des Militärs über die Gewalt in Zusammenarbeit mit der Justiz, dies unmöglich machen. Im Gegenteil versucht derzeit anscheinend das oberste Verfassungsgericht zum zweiten Mal (nach 2008) die Regierung mit einem Justiz-Coup zu stürzen.

2 Kommentare:

  1. War Merkels Freude nicht auf Bin Laden bezogen? Oder hat sie sich bei Gadaffi auch so unverhältnismäßig gefreut?

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  2. Nein, sie nicht wirklich. War vorsichtiger.
    Und die Kanzlerin übt diesmal Zurückhaltung: Sie lässt Regierungssprecher Seibert twittern:

    Kanzlerin: Mit heutigem Tag ist Weg f. demokratischen Neuanfang in #Libyen endgültig frei. DE zur Unterstützung bereit.

    Ein demokratischer Neuanfang, der mit der Ermordung eines Verdächtigen beginnt, dessen Auftritt vor einem Gericht sich für viele seiner ehemaligen Verbündeten sehr kritisch hätte gestalten können. Angela Merkel lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass wir eine westliche Tötungskultur erreicht haben, die es uns erlaubt, die Ermordung von Menschen mit exakt den Werten zu rechtfertigen, mit deren Nichteinhaltung wir deren Verfolgung begründen: Freiheit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. (http://www.freitag.de/autoren/aredlin/zum-tod-von-muammar-al-gaddafi-die-totungskultur-des-westens)

    Auch interessant: Rassismus als Grund für unverholene Freude über Gaddafis Tod:
    http://www.tagesspiegel.de/meinung/kontrapunkt-so-sind-sie-nun-mal-die-araber-/5668602.html

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