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Montag, 9. Juli 2012

Ich möchte nicht Mitglied einer Partei sein, die braver wird, verspießert …

Dieser Artikel ist die Replik auf einen Blogbeitrag von Hollarius (1).

Lieber Hollarius, leider bist du in eben einer solchen Partei gelandet. Denn was du als „progressiv“ oder eben „unverspießert“ ansiehst, sind Äußerlichkeiten, die lediglich darauf hinweisen, dass diejenigen, die ein solches Verhalten benutzen, anscheinend nicht gelernt haben, respektvoll und fair mit anderen Meinungen umzugehen. Auch unflätige Ausdrücke können sehr spießerisch sein. Delikaterweise finden sich  Menschen verachtende Unflätigkeiten ganz besonders im rechten Gesinnungsbereich, was schon alleine ein Grund sein sollte, darauf zu verzichten.



Aber schauen wir uns die vielen anderen Gründe an, warum du Unrecht hast.
„Ganz ehrlich, ich möchte, dass wir eine Spaßpartei bleiben, in denen die lobbyistische AG Waffenrecht mit einer AG Kriegswaffenrecht gekontert wird, die zum Flakschießen einlädt,“
Du verwechselst Mobbing mit „Spaß haben“. Und das ist leider kein Einzelfall. Wer sich nicht anpasst wird gnadenlos verunglimpft und verleumdet, wer „zu jung in der Partei“ ist, wird über Twitter-Mobbing zum Unwählbaren erklärt. Das hat nichts mit „Spaß haben“ zu tun. Das hat was mit blanker Machtausübung zu tun.
„Als Regelfuchser bei Rollenspielen kam ich schnell mit GO-Antrag und ähnlichem klar – und ich habe bis heute das Gefühl, dass wir da ein großes Rollenspiel angefangen haben, in dem wir Politiker spielen.“
Das ist das Problem. Du siehst Politik als Rollenspiel an und unterwirfst dich den Regeln von jenen, die die Spielregeln aufgestellt haben. Politik ist aber das Aufstellen von Regeln, nicht das Spielen nach den Regeln von anderen. Daher muss man den Mut haben an den Spielregeln zu rütteln.
Wir wollen professionell sein, und deswegen passen wir uns an, anstatt den harten Weg zu gehen, und die anderen Parteien uns anzupassen.“ 
Wir sind doch schon längst angepasst. Oder was glaubst du steckt dahinter, wenn wir sagen „wir brauchen keine Meinung zu haben“ als sich anzupassen? Wir sind schon längst angepasst. Wir waren es schon immer. Wir haben ein großes Bundes-Programm … mit lauter zweitrangigen Problemen. (Landesprogramme ausgenommen von dieser Erklärung.) Wir haben aber keine wirkliche alternative oder vielleicht sogar revolutionäre Politik zu den etablierten Parteien auf Bundesebene entwickelt. Warum nicht, wo doch seit Jahren die anscheinend besonders geeigneten Altpiraten den Ton angeben. Schau dir die Äußerungen vom BuVo vom 4.6. an, in dem BuBernd erklärt, dass man natürlich gerne einen Minister stellen möchte. Schau dir die Tatsache an, dass es für das wichtigste Politikfeld, das normalerweise den Vizekanzler stellt, die Außenpolitik, noch kein Programm entwickelt wurde. Wir haben auch keine alternative Geld- bzw. Finanzordnung in unserem Programm, obwohl wir mehrere höchst aktive AGs mit vielen guten Ideen haben. Vielleicht, weil man mit zu dedizierten Meinungen, die vom Mainstream abweichen, nicht mehr koalitionsfähig wäre?

Hollarius, du träumst einen Traum der nicht existiert. So wie die Piratenpartei im Moment aufgestellt ist, mit einem Establishment, das entweder scheinbar unpolitisch ist, und einer Basis, deren Ideen oder Vertreter nur dann zum Zuge kommen, wenn es dem Parteiestablishment in den Kram passt.

Wenn wir wirklich eine politische Alternative wären, wenn wir nicht angepasst wären, hätten unsere Führer politische Traktate über die wirklich wichtigen Fragen des Lebens und der Politik geschrieben. Wir hätten ein politisches Programm, das der Stachel im Fleisch der Etablierten ist. Aber wir machen einen Bogen um die großen Fragen der Politik, setzen uns für Fahrscheinlosen Nahverkehr und ein BGE ein. Haben aber kein Gesamtkonzept zur Verkehrs- und Sozialpolitik, das Wort Solidarität muss man in unserem Programm mit der Lupe suchen. Ganz zu schweigen von den noch wichtigeren Politikfeldern. Obwohl die Partei seit 6 Jahren existiert. Und wir haben keine grundsätzlich neuen Antworten auf die brennenden Fragen der Zukunft. Wir haben keine Position zu der vielleicht wichtigsten Zukunftsfrage, der zum Krieg. Wir haben, überspitzt ausgedrückt, keine andere Meinung, außer, dass das „Internet frei sein muss“. Glaubt man allen Ernstes, dass sich damit alles regeln lässt?

Statt um die wichtigen politischen Fragen dreht sich der größte Teil der Diskussion um technische Fragen und z.B. ein pseudo-demokratisches Liquid-Feedback. Wozu mir mal ein Kritiker, der schon länger in der Partei ist, sagte: „Ein Tool, das lediglich genutzt wird, um mit Hilfe von Massendelegationen nichts ahnender Parteineulinge bestimmte Meinungen eine Scheinlegitimierung zu verschaffen.“ Ich beobachte gerade einige Abstimmungen und werde dann vielleicht auch eine Meinung dazu haben. Und ich habe aus eigener Erfahrung erlebt, wie gleichzeitig hunderte von Konten plötzlich und ohne Vorankündigung (und ohne Begründung) deaktiviert werden. Ein Werkzeug für moderne Basis-Demokratie?

Vielleicht verwechselst du eine politische Partei mit einem Rollenspielclub. Aber das hier ist ernst. Wenn die Piratenpartei möglicherweise nach der nächsten Bundestagswahl das Zünglein an der Waage wird, könnte dieses Rollenspiel über Krieg und Frieden, oder über die Zukunft der Demokratie entscheiden.

Bisher sind wir lediglich die ungewaschenen möglichen Mehrheitsbeschaffer, mit ein paar Vertretern mit besseren Umgangsformen, und einer Vergangenheit oder Affinität zu etablierten Parteien. Dass sie auch ein paar geile Unflätigkeiten von sich geben, oder einige tolle Abkürzungen kennen, macht sie längst nicht zu einer politischen Alternative. Das täten Sie, wenn sie eine progressive politische Programmatik vertreten würden.

Der nächste Bundesparteitag wird darüber entscheiden, ob die Piraten mehr sind als die dankbaren Mehrheitsbeschaffer für die Etablierten, eine Partei, die für die Aufgabe von VDS gerne auf eigene Positionen in der Außenpolitik oder Wirtschaftspolitik verzichten. (Müssen wir keine Meinung haben, oder?) Oder ob die Piraten ein Stachel im Fleisch der Etablierten sind, ein Stachel, der sie nicht ruhen lässt, und der ihre Politik ständig in Frage stellt. Ein Stachel, der wirklich weh tut, denn dieser Stachel wendet sich an die Wähler und gefährdet deren Abnicken altbekannter Politik.

Das Potential dazu hätte diese Partei. Denn angelockt durch die Hoffnung, eine neue Politik mitgestalten zu können, sind viele Menschen in die Partei geströmt, die neue Ideen mitbringen. Die Frage ist, ob man zulassen wird, dass sie überhaupt zum Zuge kommen. Die Frage ist, ob die leicht beeinflussbare Mitgliederversammlung sich wieder verunsichern lässt, und den angepassten Weg wählt..



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