Gewalt in Ukraine - Screenshot Video unbekannter Autor |
Immer wieder hatte die Bundesregierung behauptet, die Bevölkerung der Ukraine hätte den unmissverständlichen Wunsch geäußert, der EU und der NATO beizutreten, obwohl das Gegenteil der Fall gewesen war, wie Sakwa in seinem Buch an verschiedenen Stellen nachweist. Auf Seite 90 schließlich erklärt er, wie viel Geld die EU ausgegeben hatte (neben den über 5 Milliarden US-Dollar, die die USA in die "Demokratisierung" investiert hatten), um die Ukraine in ihren Machtbereich zu integrieren:
"... Es wurde später erkannt, dass die EU, zwischen 2004 und 2013, 496 Millionen € ausgegeben hatte, um in der Ukraine ‚bezahlte Front-Gruppen‘ zu unterstützen. Patrick Armstrong drückt es so aus: ‚Brüssel und Washington zündeten die Lunte an, das Feuer brennt. Es ist einfach, sie anzuzünden, schwer sie zu löschen‘. (17) ..."Und schließlich war die Politik der EU-Funktionäre darauf ausgerichtet, extremistische Kräfte zu stärken, die eindeutig auf Konfrontation mit Russland ausgerichtet waren. Sakwa schreibt zurückhaltend:
"... Aber nun wurde, was befürchtet worden war, Realität, teilweise wegen der Philosophie selbst. Wie die Pluralisten lange gewarnt hatten, würde die Behandlung Russlands als Feind, zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Die Dynamik des Konflikts, eingebettet in den integrativen Nationalismus, wurde nun verstärkt durch die exklusiven Ambitionen des Projektes eines ‚ausgedehnten Europas‘. Jene, die eine eher pluralistische Art des ukrainischen Staates vertraten, und im Konflikt mit den Institutionen des ‚Groß-Europas‘ vermittelten, wurden marginalisiert. Die Ukraine wurde von einem Sturm der im Wettstreit liegenden Ambitionen getroffen. ... " (Seite 91)Es besteht m.E. sogar ein ausreichend großer Anfangsverdacht, dass die Unterstützung der Gewalt auf dem Maidan durch die EU, sogar so weit ging, die Schüsse, die nach heutigen Erkenntnissen mit großer Wahrscheinlichkeit von Teilen der neuen Machthaber zu verantworten sind, billigend in Kauf genommen wurden. Sakwa schreibt das nicht explizit, aber sagt:
"... Das Wesen dieses Vorwurfs ist erstaunlich, nicht weniger ist die ruhige Antwort von Ashton, als ob sie überhaupt nicht überrascht wäre, durch die Eröffnung, dass die Maidan-Führer möglicherweise für die Morde verantwortlich sind:
‚Ich denke, wir wollen das untersuchen. Ich meine, ich habe das nicht übernommen, du meine Güte‘. ..." (Seite 92)Sakwa weist in seinem Buch auf Indizien und Beweise, die die Verantwortlichen für die Schüsse auf dem Maidan, als in den Reihen der Demonstranten befindlich, vermuten lassen. Aber zum Zeitpunkt, als er das Buch geschrieben hatte, waren noch längst nicht alle Fakten bekannt. (Die verschiedenen Untersuchungen wurden im vorhergehenden Artikel verlinkt.)
Interessant an den Beschreibungen des Autors, der auf den Staatsstreich folgenden Tage, ist, dass sich das Land ganz offensichtlich tatsächlich in einem nicht verfassungsgemäßen Zustand befand. Was das Narrativ der Bundesregierung, alles wäre mit rechten Dingen zugegangen, weshalb jeder Widerstand gegen das neue Regime illegitim gewesen wäre, unhaltbar wird. Einzelheiten zu diesem Märchen der Bundesregierung kann man HIER nachlesen. Sakwa zufolge hatte sich ein "Volksparlament" auf dem Maidan konstituiert, dass sich anmaßte, die neuen Autoritäten zu überwachen und zu kontrollieren.
"... Während die territoriale Integrität des Landes auf dem Spiel stand, behielt der militante Teil des Platzes über die eher pazifistischen ‚bourgeoisen‘ Elemente die überhand - auch wenn die territoriale Bedrohung ja gerade in erster Linie die Antwort auf die Militanz auf dem Platz war. Die Allianz wurde beibehalten, aber der Platz brachte am Ende wenig mehr zum Schloss, als eine um-konfigurierte Form der bürokratisch-oligarchischen Macht, auch wenn diese nun die Sprache der Zivilgesellschaft, und die Verbiegungen derselben durch die Ultra-Nationalisten, übernahm.Sakwa beschreibt dann, wie Entscheidungen der Art, die gefasst wurden, verfassungsmäßig hätten gefasst werden müssen, und weist nach, dass der Machtübergang in keiner Weise verfassungsmäßig war. Schließlich fasst er zusammen:
Was als Bewegung für die Unterstützung von ‚Europäischen Werten‘ begonnen hatte, wurde nun der Kampf, eine monistische Darstellung der ukrainischen Nationalität zu erreichen. Die amorphe liberale Rhetorik musste einer harschen Agenda der integrierenden Nationalstaatlichkeit weichen, und die Euphorie erzeugte einen Rausch schlecht durchdachter Politik. Im Taumel des Sieges unternahmen die triumphalen Oppositionsparteien eine Reihe von schicksalhaften Schritten. ..." (Seite 94)
"... Artikel 111 der Verfassung listet vier Umstände, in denen eine amtierender Präsident das Amt verlassen kann: Rücktritt, ernsthafte Gesundheitsprobleme, Impeachment, und Tod - nichts konnte auf den Fall angewandt werden. ..." (Seite 94)Schließlich wird klar, dass die ursprünglichen Ziele der fehlgeleiteten ersten Demonstranten auf dem Maidan, fehlgeschlagen waren. Denn wer jetzt an die Macht kam, war alles Andere als ein unbeschriebenes Blatt, und die Ukraine blieb weiter eine Oligarchie.
"... Das war alles andere als eine neue Generation von Politikern. Turtschynow war ein enger Verbündeter von Tymoschenko, und hatte als ihr Vorsitzender gearbeitet, als sie vom Februar bis September 2005 Premierministerin war. Als ein alter Kamerad von Tymoschenko, war er tief in die verschiedenen ‚Gas-Kriege‘ zwischen Firtaschs RUE und Tymoschenkos Itera als Erdgas-Vermittler zwischen Russland und der Ukraine beteiligt. Das war eine Schlacht, die mit wechselnden Siegen von 2004 an über fünf Jahre andauerte, und die unmessbaren Schaden erzeugte, darunter auch die Verantwortung für die Gassperren im Januar 2006 und Januar 2009, die erst mit den brüchigen Vereinbarungen vom 19. Januar 2009 endeten. Minister mussten nun erst die Zustimmung des Maidan einholen, bevor sie ernannt werden konnten. Der Platz beanspruchte, ein ‚souveränes‘ Volk zu konstituieren, als ‚das Parlament des Volkes‘, welches über der Rada stehen sollte. Ca. 70 Abgeordnete von Janukowytschs PoR flohen in den Osten, während 30 die Fahnen, und zur siegreichen Koalition wechselten. Die Partei wurde gespalten in die Achmetow- und die Firtasch-Anhänger, jedoch hatten diese beiden Oligarchen den ‚Regime Change‘ erleichtert, indem sie Janukowytsch im entscheidenden Moment ihre Unterstützung versagt hatten. Zwei Tage später entließ die Rada fünf Verfassungsrichter, eine klare Verletzung der Idee der Gewaltenteilung, weil sie angeblich ihre Eide gebrochen hätten, indem sie Janukowytschs Forderung im Jahr 2010 nachgekommen waren, die Verfassung von 1996 wieder einzuführen. ..." (Seite 95)Die neue Regierung nannte sich zwar "Regierung der Einheit", betrieb aber das Gegenteil. Nur zwei Minister aus dem ganzen Süden und Osten, der die Hälfte des Landes ausmachte, waren in dem 21-köpfigen Kabinett vertreten. Zwischen fünf und acht (was von den sich ändernden Zugehörigkeiten abhing) der Posten in Schlüsselministerien, wurden durch den Rechten Sektor und die Swoboda gestellt, darunter die Spitze der Nationalen Sicherheit, Verteidigung und der Justiz (Generalstaatsanwalt). Der Justizminister, und der stellvertretende Ministerpräsident, wurde von der russophoben Swoboda Partei gestellt, und ihr Gründer, Parubij, wurde Sekretär der NSDC, während Jarosch, zu nicht weniger als seinem Stellvertreter nominiert wurde, was er jedoch ablehnte, zugunsten eines wichtigeren Postens. Und all das war nicht genug, um die deutschen Bundesregierung zu warnen, dass hier eine extrem nationalistische, ja extremistische rechte Bewegung, ans Ruder gekommen war.
Parubij, Gründer einer dem Nationalsozialismus nahestenden Partei, wurde verantwortlich für die Sicherheitspolizei! Fünf Positionen wurden alleine durch die radikale Swoboda Partei besetzt, obwohl die Partei zu diesem Zeitpunkt lediglich 8% der Sitze im Parlament hatte, und weitere sieben holte sich die Batkivshchyna. Kein einziger Posten wurde der PoR erlaubt zu übernehmen, obwohl die Partei 27% der Sitze in der Rada beanspruchte.
"...Der Kult um Gewalt, als notwendige Feuerprobe, zur Reinigung der Nation, trug faschistischen Symbolismus. Die Darstellung der Ukraine als bekränzte junge Frau, mit der Krone einer Braut, schikaniert durch einen Unterdrücker, wurde auf dem ganzen Maidan universell genutzt, und stammte aus dem Manuskript einer romantisch-nationalistischen Verbindung der Vorstellungen des 19. Jahrhunderts, und der integrierenden nationalistischen Bewegung der 2000er Jahre. ..." (Seite 96)All das angeblich unbemerkt von deutschen Politikern und Medien. Erst als die Regierung ein Gesetz aufheben wollte, das die Sprach-Rechte der Minderheiten regelte, wurden westliche Politiker offensichtlich aktiv, und verhinderten, dass Präsident Turtschynow, nach Monaten der Verzögerung, das Gesetz unterschrieb. Aber da hatte sich die Krim schon, auch unter dem Eindruck dieses Gesetzes, von der Ukraine verabschiedet.
Die bewaffneten Militanten erhielten quasi offiziellen Status, patrouillierten durch die Straßen, angeblich um Sicherheit zu gewährleisten, was sie aber nicht davon abhielt, selbst in Gebäude einzubrechen, wie z.B. in das der Kommunistischen Partei, und die Akten und Besprechungsräume verwüstete.
Schließlich sollten die militanten und gewalttätigen Banden zusammen gefasst, und ihre Aktionen kanalisiert, und möglichst durch die Regierung beeinflusst werden. Was dazu führte, dass eine Nationalgarde gegründet wurde. Daneben hatten verschiedene Oligarchen eigene Milizen aufgestellt, die ausgeschickt wurden, die Aufständischen im Donbass, die sich nicht der neuen Ordnung unterordnen wollten, zu bekämpfen.
Sakwa beschreibt dann, wie die Entwicklung in der Ukraine, maßgebliche beeinflusst von den USA, einen Weg nahm, der die typischen Stufen einer Revolution mit zunehmender Geschwindigkeit durchmachte:
"... meist absurd lächerlich, und sicher tragisch: vom echten populären Enthusiasmus für eine demokratische Sache, über Radikalisierung, und dem Erscheinen einer revolutionären Elite, gefolgt von der Machtübernahme, und Strafaktionen gegen ‚Feinde der Revolution‘, was in einer Gegen-Mobilisierung und schließlich einen Bürgerkrieg mündet. Die letzte Phase ist verbunden mit Denunziationen von Mitgliedern einer ‚Fünften Kolonne‘, und der Förderung eines ganz besonders intensiven Hasses, der für einen Kampf Bruder gegen Schwester benötigt wird, bis die Revolution in einem Rausch von Schuldzuweisung implodiert, und eine autoritäre Stabilisierung eintritt, eingerichtet durch einen neuen Diktator, entweder dem ‚Mann auf dem Pferderücken‘ oder einem vom Ausland gestützten Usurpator..." (Seite 97)Ein Teil der Maidan-Selbstverteidigungs-Gruppen war klar antisemitisch und dem Nationasozialsmus zugeneigt. Erst als die Polizei einen der Anführer (Musytschoko) getötet hatte, unterließen die Gruppen antisemitsche Ausfälle, und fokussierten sich in der sprachlichen Gewalt auf Angriffe in Richtung Russland.
Im nächsten Artikel werden wir sehen, wie Sakwa das Massaker von Odessa am 2. Mai 2014 beschreibt. Ein politischer Massenmord, unterstützt und ausgeführt durch Kräfte, die der neuen ukrainischen Regierung angehörten, die von unserer Regierung unterstützt wird. Ein Massaker, das unsere Medien verschämt "Tragödie" nennen, und beschreiben, als ob es ein Naturereignis gewesen wäre.
Dieser Teil der Geschichte des europäischen Versagens ist so wichtig, dass ich ihm einen separaten Artikel widmen will.
---> Frontline Ukraine - Crisis in The Borderlands, Richard Sakwa, I.B. Tauris, London, 2015 (Englisch)
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