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Sonntag, 13. Dezember 2015

UKRAINE, KRIM, die EU, NATO und Russland-Teil 14

Die Brandbomben von Odessa
Quelle: Blog Alles Schall und Rauch
Dankenswerterweise zerstört Sakwa auch das Narrativ der westlichen Medien, nach dem das Massaker in Odessa durch Anhänger der Maidan-Bewegung und des neuen Regimes, sozusagen ein Unglück gewesen wäre, das wie ein geheimnisvolles Naturereignis zu sehen wäre.

In Odessa fand im März und April eine Serie von Demonstrationen und Gegendemonstrationen statt, verbunden mit der Gründung einer Anti-Maidan-Zeltstadt in der Nähe, auf dem ca. 300 Aktivisten campierten. Am 2. Mai wurde dann eine PRO-Maidan Demonstration im Stadtzentrum organisiert, bei der auch nationalistische Fans des Fußballklubs von Odessa und Charkiw teilnahmen. Die Genehmigung für die Demonstration wurde erteilt, obwohl bereits im Vorfeld klar war, dass daraus eine gewalttätige Auseinandersetzung werden würde. Sakwa beschreibt dann, was sich im Laufe der Demonstration entwickelte:

"... Ca. 1500 Demonstranten marschierten ins Zentrum der Stadt, und riefen dabei ‚Ruhm der Ukraine‘ und ‚Tod den Feinden‘, ebenso wie den nun obligatorischen Schlachtruf ‚das Messer für die Moskals‘ (‚Moskals‘ war der herabsetzende Begriff für Russen), der schon lange der Slogan der nationalistischen Studenten in Lwiw und anderswo war. Die Prozession wurde angegriffen von Leuten, die angeblich zur Anti-Maidan-Gruppe gehörten. Die Angreifer, ebenso wie einige Polizisten, waren mit roten Markierungen ausgerüstet, und präzise diese begannen mit dem Schießen. Sie wurden durch die Polizeikette gelassen, und es gibt Bilder, in denen man sieht, wie zu Beginn der Schießerei, rot markierte Provokateure neben den Polizisten stehen. Auf der anderen Seite waren die Maidan-Militanten angeführt vom Rechten Sektor, von denen ca. 500 kurz vorher angekommen waren, zusammen mit dem Maidan-Anführer Parubij.

Mehrere hundert Ultras griffen nun das Zeltlager im Kulikow-Feld an, brannten die Zelte ab, und trieben die Anti-Maidan-Demonstranten in ein benachbartes fünfstöckiges Gebäude, ein im Sowjet Stil errichtetes Gewerkschaftsgebäude. Militante des Rechten Sektors warfen Molotow-Cocktails und setzten das Gebäude in Brand, trieben die Demonstranten mit Baseball-Schlägern oder Messer zurück in die Flammen, wenn sie versuchten zu fliehen. Es gibt Behauptungen, dass die Demonstranten geschlagen, vergewaltigt und getötet wurden, bevor das Feuer sich mit einem seltsamen Brandmuster durchsetzte, sich auf den ersten und dritten Stock konzentrierend. Jene, die in dem brennenden Haus eingeschlossen waren, hörten die ukrainischen Nationalisten sie vergleichen, mit dem schwarz-und-rot-gestreiften Kartoffelkäfer, genannt Colorado, die Farbe des St. Georg Bandes: ‚Brenn, Colorado, brenn‘. Sie erschlugen diejenigen, die überlebten, wenn sie aus dem Fenster sprangen, begleitet von Rufen ‚Ehre der Ukraine!‘ und ‚Tod den Feinden!‘ Die offiziellen Zahlen führen 48 Tote auf (sieben Frauen und 41 Männer) und 247 Verletzte, während lokale Berichte die Annahme verbreiten, dass mehrere hundert durch das Feuer oder die Gewalt getötet wurden. Zwei Tage später wurde das Polizei-Hauptquartier gestürmt, um die Freilassung von 67 pro-russischen Aktivisten zu erzwingen, die bei den Kämpfen festgenommen worden waren. Die Webseite des Anführers des Rechten Sektors Dmytro Jarosch, lobte das Massaker, als einen weiteren leuchtenden Tag in unserer nationalen Geschichte‘, während ein Abgeordneter der Swoboda ausrief: ‚Bravo Odessa […] Lass die Teufel in der Hölle brennen‘ (23) Die Gewalt der Vigilanten, die auf dem Maidan begonnen hatte, befiel nun den Rest des Landes. ..." (Seite 98)
Wieder war der Autor vorsichtig, nicht zu weit zu gehen. Aber als Blogger darf man das. Inzwischen gibt es nicht nur einen Dokumentarfilm über das Ereignis, sondern jede Menge Berichte. Nur kaum reflektiert in den neuen Medien. Denn diese Berichte zeigen auf, wie nahe die Mörder in Odessa der neuen Regierung in Kiew standen. Wären da nicht die erschreckenden Bilder verkohlter Toter, könnte man z.B. den Artikel in Schall und Rauch, in dem auch die Täter, beim Basteln ihrer Brandbomben, zu erkennen sind, vollumfänglich empfehlen.

Sakwa beschreibt die brutale Gefühllosigkeit von Jazenjuk, als dieser behauptete, dass Odessa durch Russland organisiert worden wäre. Er beschreibt auch, wie vier Kommissionen gegründet, aber die Tatsachen einfach unter den Teppich gekehrt wurden, ohne dass der Westen sich für eine Aufklärung eingesetzt hätte. Der offizielle Bericht der Regierung lässt wichtige Teile aus, z.B. die Teilnahme eines der Anführer des Maidan-Aufstandes, Parubij mit 500 Militanten vom Maidan, die am Vortag mit Bussen nach Odessa gebracht worden waren. Dann stellt Sakwa nüchtern fest:
"... Am 6. Mai ernannte Turtschynow einen der engsten Vertrauten von Kolomojskyj, Igor Palitsa, zum Gouverneru der Odessa-Region, und die Gewalt wurde fortgesetzt..." (Seite 98)
Bevor wir zu dieser gewaltsamen Unterdrückung jeder Opposition gegen den Putsch auf dem Maidan kommen, noch ein kurzer Hinweis auf eine Freundin unserer Bundeskanzlerin, nämlich Julia Timoschenko. Eine Politikerin, die dem Westen so wichtig für die Demokratisierung erschien, dass man ihre Freilassung aus der Justiz zeitweise als Voraussetzung für ein Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU genannt hatte. Ihre Aussagen beschreibt ein Artikel im Freitag:
"...Die ukrainische Ex-Regierungschefin und Präsidentenkandidatin Julia Timoschenko hat die Verbrennung von Menschen in Odessa als „Schutz administrativer Gebäude“ und den Überfall der Radikalen auf ein Anti-Maidan-Lager als „friedliche Demonstration“ bezeichnet. ..."
Aber was passierte nach dem Mord in Odessa dort? Sakwa beschreibt, wie Nationalisten Straßensperren aufbauten, und die Bewohner drangsalierten. Es war genau das, was die Bewohner der Krim befürchtet hatten, und weshalb sie in einem Referendum so überwiegend für eine Abtrennung von Kiew stimmen sollten. Sakwa weist darauf hin, dass Odessa bekannt gewesen war, für seinen toleranten und entspannten Lebensstil. Durch die Nationalisten erhielt die Stadt jetzt aber den Charakter einer besetzten Stadt, in der die Maidan-Demokraten Büros einrichteten, um die lokale Bevölkerung zu beobachten. Verständlicherweise gab es keine Anti-Maidan-Proteste mehr.

Die Reaktion der deutschen "Leit"-Medien war erschreckend für jene, die glauben, dass wir in einer pluralistischen Medienwelt leben. Ein Blog beschreibt die Reaktion der Medien in Deutschland auf das Blutbad in Odessa:

"... Bereits am 4.5., also zwei Tage nach dem Massaker, hat Richard Zietz in seinem Blog beim “Freitag” das skandalöse Schweigen der deutschen Konzernmedien angesichts des Massakers kritisiert. Tatsächlich finden sich in der Mainstreampresse kaum Artikel, die sich mit dem verheerendsten Vorfall seit dem Putsch in Kiew beschäftigen. Wenn doch, dann wird verharmlost, verzerrt oder die Vorgänge werden Putin in die Schuhe geschoben. Der Grund ist klar: Der westlichen Presse, die von Beginn an den Putsch in Kiew medial unterstützte und gegen Russland hetzte, passt es nicht ins Propagandabild, dass Maidan-Anhänger ein solches Massaker angerichtet haben.

Gleiches gilt nicht minder für die deutschen Staatsmedien ARD und ZDF. Ein Zusammenschnitt aller Berichte in “heute”, “heute-journal”, “tagesschau”, “tagesthemen” und “Brennpunkt”, die sich mit dem Massaker und den Folgen in Odessa beschäftigten, kommt auf gerade einmal 15 Minuten Gesamtlänge und zwar über einen Zeitraum von 4 Tagen! Darunter sind Wiederholungen von Beiträgen, die in “Tagesschau” und “Tagesthemen” oder “heute” und “heute-journal” doppelt verwertet wurden.

Obwohl Golineh Atai (ARD) und Katja Eichhorn (ZDF) bereits in den ersten Meldungen am Freitag Abend den Tathergang weitestgehend richtig beschreiben – beide sind nicht vor Ort, sondern in Donezk – rücken die Nachrichtensendungen einen Tag später von diesem Hergang ab und sprechen von “einem Gebäude, das in Brand geriet.”

Freitag 2.5. ARD Brennpunkt – Golineh Atai:

“Die pro-ukrainischen Demonstranten hätten die pro-russen Anhänger in ein Gebäude getrieben und dieses Gebäude angezündet.”
Freitag 2.5. ZDF heute-journal – Katja Eichhorn:
“Eine Gruppe hat dann die andere Gruppe verfolgt, in ein Haus getrieben und dieses Haus – das Haus der Gewerkschaften – angezündet. Wahrscheinlich – so entnehmen wir es zumindest den Netzwerken – waren es die Pro-Ukrainer, die die Pro-Russen in dieses Haus getrieben haben.”
Einen Tag später ändert sich die Schilderung der Ereignisse. Offensichtlich hat es Druck von oben gegeben. Dass die Maidan-Anhänger so ein Massaker begangen haben sollen passt den transatlantisch gleichgeschalteten Staats- und Konzernmedien nicht in die Propaganda. Die Version lautet jetzt, “das Gebäude ist in Flammen aufgegangen” oder “Unbekannte haben Molotov-Cocktails” auf das Gebäude geworfen.

Samstag 3.5. ZDF heute – Anne Gellinek:
“Pro-russische Anhänger fliehen schliesslich ins Gewerkschaftshaus das in Brand gerät.“ Danach kommt unmittelbar eine Sprecherin des Geheimdienstes der Junta In Kiew zu Wort, die die irre Thesen ausbreiten darf, Gefolgsleute von Janukowitsch hätten das Massaker aus dem Ausland gesteuert.
Samstag 3.5. ARD tagesschau – Susanne Daubner:
“Bei schweren Auseinandersetzungen geriet ein Gebäude der Gewerkschaft in Brand.” Henrik Hübschen:“Brandursache waren offenbar Molotov-Cocktails.” Wer die geworfen hat, weiß das Propagandamaul Hübschen nicht. Dafür weiß er genau, dass es zuvor Pro-Russen waren, die Pro-Ukrainer in der Stadt angegriffen haben. Die tagesschau führt eine ältere Dame vor, die in ihrer Trauer und Wut auf die Faschisten schimpft, die für diese Tat verantwortlich seien.
Samstag 3.5. ZDF heute-journal Katrin Eigendorf:
“Selbst in Momenten der Trauer reagiert der Hass und die Verblendung.” Eigendorf bezieht sich auf die gleiche Dame, die bereits zuvor in der ARD vorgeführt wurde. “Diese Schweine und Faschisten…sie müssen ausgelöscht werden diese Faschisten”, sagt die offensichtlich verzweifelte Frau, die in ihrer Trauer erneut missbraucht wird, um als Beispiel für Hass und Verblendung herzuhalten. Als vorbildliches Gegenbeispiel wird nun Präsidentschaftskandidat Poroschenko zusammen mit Klitschko gegengeschnitten, die – persönlich völlig unberührt – staatstragende Worte salbadern können. Der propagandistische Effekt ist offensichtlich: Erst die aufgehetzte pro-russische Alte, dann die vernünftigen Kiewer. Über die Vorgänge im Gewerkschaftshaus verliert die Propagandistin kein Wort, dabei ist längst bekannt, dass Menschen im Haus erschossen wurden.
Samstag 3.5. ARD tagesthemen – Thomas Roth:
“In Odessa sind am Tag nach den Straßenschlachten und den mehr als 40 Toten, die in einem brennenden Haus umkamen, viele Einwohner fassungslos.” Erneut wird die verzweifelte alte Dame vorgeführt und vermeintlich vernünftige Pro-Ukrainer als Kontrast dagegen gesetzt.

Nach dem Brand hat die Polizei in Odessa ausschliesslich pro-russische Aktivisten festgenommen. Obwohl viele Polizisten beim Brand vor Ort waren, wurde nicht ein Täter verhaftet. Am Sonntag befreien Pro-Russen die Verhafteten mit Gewalt aus dem Gefängnis. Ein Vorgang der in ARD und ZDF ausgiebig skandalisiert wird. Dass keine Brandstifter verhaftet wurden, verschweigen die Staatssender.
Sonntag 4.5. ZDF heute – Torge Bode:
“Am Freitag starben bei Ausschreitungen und dem anschliessenden Brand in einem Gewerkschaftshaus mehr als 40 Menschen.” Kein Wort zu den Erschossenen, kein Wort zum Tathergang.
Sonntag 4.5. ARD tagesschau –
Henrik Hübschen deutet den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse vom Freitag an: “Am Freitag hatten die Sicherheitskräfte weder den Angriff der pro-russischen Aktivisten auf ukrainische Fußballfans, noch die folgende Racheaktion ukrainischer Gewalttäter beim Brand des Gewerkschaftshauses verhindert.” Dass Pro-Ukrainer das Haus durch den Bewurf von Molotov-Cocktails in Brand setzten, sagt er natürlich nicht. Es wird verschwiegen, dass Anhänger des Rechten Sektors das Haus stürmten und dass Personen erschossen wurden. Kein Wort über die erdrosselte Schwangere im oberen Geschoss.
Sonntag 4.5. ZDF heute-journal Katrin Eigendorf:
“Odessa, Süd-Ukraine: Pro-russische Banden greifen das Polizeigebäude an und befreien mehr als Hundert ihrer Leute, die gestern festgenommen wurden.”
Sonntag 4.5. ARD tagesthemen – Thomas Roth:
“Ein mit Knüppeln bewaffneter pro-russischer Mob versuchte im Lauf des Tages das Hauptquartier der Polizei von Odessa zu stürmen. Es gelang ihnen von der Polizei die Freilassung von 67 Gefangenen zu erzwingen.” .. "
Reicht sich schämen für die deutschen Medien aus?

Sakwa beschreibt dann auch, was die Erlebnisse des Maidan und der Gewalt danach in Russland verursacht hatte:
"... Für den Kreml war der 21. Februar der Wendepunkt, als die EU unwillig oder unfähig war, seine eigenen Vereinbarungen ernst zu nehmen, und die illegale Machtübernahme zu verurteilen. Die ‚ukrainische‘ Krise wurde an diesem Punkt internationalisiert, und wurde zur ‚Ukraine-Krise‘, mit einem Kreml, der wütend über die wachsende Macht der russophoben Nationalisten war. Die Machtübernahme durch monistische Nationalisten, verbündet mit widerwärtigen rechtsextremen Elementen, entfremdete die Pluralisten und ließ Ängste aufkommen, dass die exklusive Form des Nationalismus, dessen Eigenschaften bereits unter Juschtschenko gut artikuliert worden waren, nun freien Raum gewährt werden würde. Auf der Krim, in Odessa und vor allen Dingen im Donbass war die Bühne für eine Konfrontation vorbereitet, für Gebietsverlust und Bürgerkrieg...." (Seite 99)
Im nächsten Artikel werden wir den Verlauf auf der Krim beleuchten, und lesen wie er von Sakwa gesehen wird.

---> Frontline Ukraine - Crisis in The Borderlands, Richard Sakwa, I.B. Tauris, London, 2015 (Englisch)







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