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Samstag, 26. Dezember 2015

UKRAINE, KRIM, die EU, NATO und Russland-Teil 16

"Isolation" Russlands Quelle: Wikipedia
Im letzten Artikel berichtete ich über die Hintergründe des Anschlusses der Krim an die russische Föderation. In diesem Teil will ich die Konsequenzen beleuchten, und dabei, wie bisher auch, aufzeigen, wo Sakwa in seinem bemerkenswerten Buch es nicht wagt, über die erlaubten Grenzen des Diskurses hinaus zu gehen. Zunächst aber die Meinung von Sakwa über das westliche Narrativ des "Landraubs":
"... Insgesamt ist die Ansicht, eines russischen ‚Landraubs‘ in die Irre führend, wenn man darunter den langfristigen Plan versteht, die Krim zu annektieren und Russland einzuverleiben. Selbst nach dem Fall von Janukowytsch, war die russische Politik zögerlich, und zunächst einen weiteren ‚eingefrorenen‘ Konflikt erwägend, statt die Krim, oder nur Sewastopol zu annektieren.

Die Idee, die Marinebasis von seinem Hinterland zu trennen, wurde schnell als, aus technischen Gründen, nicht realisierbar verworfen, also blieb nur die Verschiebung der Überlegungen von einer Sezession, hin zu einer Annektierung. Während es ein Problem löste, wurde dadurch aber nicht das größere Problem des geopolitischen Status der Ukraine gelöst. So wurde Russland in den Donbass-Konflikt hinein gesaugt, und die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew und dem Westen, weiter vergiftet. Mankoff drückt es so aus: ‚Russlands Schachzüge sind weit davon entfernt, die Ukrainer davon abzuhalten, ihre Zukunft in der EU zu suchen, sondern sie werden nur ein stärkeres Gefühl des Nationalismus in allen Teilen des Landes schüren, und die ukrainische Elite, möglicherweise für Generationen, gegen Russland aufbringen‘. (19). Und die Vorgänge alarmierten auch die Partner Russlands in der EEU, die nun darauf bestanden, dass die Eurasische Union (EaU) nicht mehr als eine Freihandelszone war, und Pläne für eine engere politische Integration, zurückwiesen. ..." (Seite 112)
Nachdem die Krim sich entschieden hatte, lieber russisch werden zu wollen, war eine der ersten Akte der neuen ukrainischen Machthaber, einen Damm zu errichten, um die Versorgung der Krim mit Wasser über den nördlichen Krim-Kanal zu unterbinden. Der Mangel an Frischwasser zerstörte die Reisernte 2014, und reduzierte drastisch die Erträge von Sojabohnen und Mais. Die ukrainische Wasser-Agentur behauptete, dass die Konsumenten ihre Schulden aus den letzten Jahren nicht bezahlt hätten, und dass sie den Kanal wieder eröffnen würden, wenn die Krim 143 Millionen $ Schulden ausgleicht. Ähnliches passierte bei der Stromversorgung, die zu 75% aus der Ukraine stammte. Sakwa beschreibt die Folgen für die Industrie:
"... Die Annektierung der Krim gefährdet die Arbeit von zwei wichtigen Anlagen in der Region, Krymsky Titan (Krim Titan) und Krymsky Sodovy Zavod (KSZ, Krim Sodium-Werke). Krymsky Titan ist der größte Produzent von Titanoxyd in Osteuropa, und liefert 2% des Weltmarktbedarfes für Titanoxyd-Pigmente, mit einem möglichen Produktionsvolumen von ca. 120.000 Tonnen pro Jahr. Der Rohstoff wird für die Herstellung von Lacken und Farben, Plastik, Granulat, Gummi, Papier und andere Güter genutzt. Ca. 20% des Ausstoßes gingen auf den russischen Markt, was die Binnen-Wettbewerber verärgerte. Das gleiche gilt für KSZ, das ca. 40% der Produktion nach Russland verkauft. Die neuen Krim-Behörden, auf Russlands Geheiß, könnten den Zugang zu den natürlichen Ressourcen der Krim unterbinden - Krimsky Sodovy entnimmt Wasser aus dem Sivash Salzwassersee. Bis zum September 2014 arbeiteten die Fabriken mit voller Kapazität, aber es gab einige größere Herausforderungen, vor allen Dingen die Versorgung mit Rohstoffen, Zugang zu den Märkten, sowie rechtlich, steuerliche und regulatorische Rahmenbedingungen, die sich geändert hatten. Die Fabriken waren ursprünglich eng in die ukrainische Wirtschaft integriert gewesen, lagen nun aber plötzlich auf russischem Territorium. Sie hängen weniger vom Gas ab als die Fabriken auf dem Festland, aber Gas macht immer noch 15% der Produktionskosten in den beiden Fabriken aus. ..." (Seite 113)
Das Hauptproblem für die Industrie war sicher der Export. Der lief eigentlich über die Häfen der Ukraine, was nun aber problematisch wurde. Außerdem würde das die Kosten der Produkte nun erheblich erhöhen. Und die Ukraine verhängte Sanktionen über alle Schiffe, die die Krim anliefen, was in den folgenden Monaten zu einigen Verwicklungen führen sollte.

Die beiden von Sakwa genannten Firmen, Krim Titan und Krim Sodium-Werke, lieferten fast 60% des BIP der Krim. Früher zahlten sie Steuern an die ukrainischen Behörden, aber wenn sie sich als russische Unternehmen neu registrieren lassen, werden sie automatisch von den europäischen und EU-Sanktionen getroffen werden. Sakwa schreibt zu der seltsamen Situation:
"... Gleichzeitig werden sie angreifbar und könnten von großen russischen Mitspielern übernommen werden. Unter russischem Recht können die Konten eines Unternehmens eingefroren, und das Insolvenzverfahren eingeleitet werden, wenn sich die unbezahlten Steuern zu einer gewissen Summe aufgebaut haben. Das ist einer der Gründe, warum Firtasch es vorgezogen hatte, zwischenzeitlich die ukrainische Firmenregistrierung beizubehalten, und so Steuern an die ukrainische Regierung zu zahlen. Die Krim-Behörden scheinen keine Pläne zu verfolgen, die Fabriken zu verstaatlichen, möchten aber gerne, dass sie sich neu in Russland registrieren. Mit den Worten einer Analyse gesprochen: ‚Dies deutet auf eine Unterstützung Moskaus für Firtasch hin‘. Auch seine Fabriken in der Ukraine kämpfen um die Versorgung mit Gas, dem wichtigen Betriebsstoff für seine chemischen Fabriken, insbesondere für Riwne Azot in Tscherkassy, der Fabrik Sjewjerodonezk Azot und dem Stirol-Konzern in Gorlovka. (16)..." (Seite 111)
Die Situation dürfte sich für die beiden Firmen aber verändern, nachdem 2016 die Handelspräferenzen, auf Grund der Übernahme der Ukraine von EU-Regeln und Präferenzen, von Russland aufgekündigt wurden.

Eine Folge des Beitritts zur russischen Föderation war dann am 21. April 2014 zu beobachten, als ein präsidialer Erlass die Krimtataren formell rehabilitierte. Eine Forderung, die diese seit 1986 immer wieder vorgetragen hatten. Die Sprache der Tataren, obwohl Volksgruppe mit sinkendem Minderheitenanteil, wurde offizielle Staatssprache, neben Russisch und Ukrainisch. Auch wenn es eine starke Strömung in der Tatarengemeinschaft gab, die gegen die Sezession von der Ukraine argumentierte, gab es auch wichtige Fürsprecher. Sakwa schreibt:
"... Eine dieser Gruppen, Milli Firka, begründet das damit, dass Kiew wenig dazu beigetragen hätte, die Krim-Tataren während den vergangenen 23 Jahren der Unabhängigkeit zu rehabilitieren: ‚In weniger als zwei Monaten hat Russland so viel mehr für die Krim-Tataren getan, als die Ukraine je tat. Erst nachdem die Krim ein Teil von Russland geworden war, erinnerte sich Kiew daran, dass wir existierten‘, sagte Vasvi Abduraimov, der Vorsitzende von Milli Firka. (18) Trotzdem hielten die Spannungen mit der Tatar-Gemeinde weiter an, und führten im September zu der Beschlagnahme des Gebäudes der Organisation Mejlis...." (Seite 112)
Im September 2014 wurden in der Krim, wie in den meisten russischen Regionen, Wahlen zum Regionalparlament abgehalten. Auf der Krim erzielte die Wahlliste der Partei Vereinigtes Russland von Aksjonow 70,4% der Stimmen, was zweifellos die Dankbarkeit ausdrückte, dem Chaos und der Gefahr der Unterdrückung durch die Ukraine entkommen zu sein. Nationalistische Gefühle wurden durch die LDPR mit 8,9% vertreten. Die Kommunisten schafften den Sprung über die 5% Hürde nicht.

DIE INTERNATIONALE REAKTION

Jeder dürfte wissen, dass die Wiedervereinigung der Krim mit Russland, und die Aktionen im Dosbass, eine Welle von Sanktionen durch den Westen hervorriefen. Um das Veto Russlands im UN-Sicherheitsrat zu umgehen, veranlassten die USA eine Abstimmung in der UNO Vollversammlung, zur Unterstützung "der territorialen Integrität der Ukraine", mit der die "Annektierung" der Krim verurteilt wurde. Einhundert Länder stimmten für den Antrag, während 11 dagegen stimmten, darunter Kuba, Nord-Korea, Venezuela und andere ‚linke‘ Latein-Amerikanischen Staaten wie Bolivien und Nicaragua. Unter den 58 Ländern die sich der Stimme enthielten, waren wichtige Staaten, besonders China und andere BRICS-Staaten, und Brasilien, gemeinsam mit den anderen latein-amerikanischen Staaten wie Argentinien, Uruguay und Ecuador.

Auf den ersten Blick scheint die Verurteilung Russlands gegeben. Aber auf den zweiten begreift man das Gegenteil. Zunächst muss gesehen werden, welchen politischen und wirtschaftlichen Druck die USA ausübten, um das Wahlverhalten der Staaten zu beeinflussen. Dass es trotzdem zu so vielen Enthaltungen gekommen war, ist eher eine Überraschung. Sakwa analysiert das wie folgt:
"...Mit anderen Worten war Latein-Amerika zunehmend unabhängig geworden, wenn nicht sogar mit russischen Ansichten sympathisierend. In einer ihrer wichtigsten Demarchen, veröffentlichten die BRICS-Länder eine Erklärung, in der die internationale Gemeinschaft für die Isolierung Russlands verurteilt wurde. Das sechste BRICS-Gipfeltreffen in Brasilien, vom 15. bis 17. Juli 2014, vereinbarte die Einrichtung einer neuen Entwicklungsbank mit Sitz in Schanghai, und einen Währungs-Reserve-Pool. Zwar waren diese Pläne schon lange diskutiert worden, aber die Ukraine-Krise hatte den Plänen neue Wichtigkeit verliehen. Wie ein russischer Hochschullehrer es ausdrückte: ‚Das Gipfeltreffen zeigte, dass das unipolare Welt-System, an dem sich die Amerikaner und Europäer klammern, schon nicht mehr länger funktioniert‘. (20) Die BRICS-Länder weigerten sich, Russland für seine Aktionen in der Ukraine zu kritisieren, aber sie waren auch nicht gewillt, Maßnahmen zu ergreifen, zu denen Putin gedrängt hatte, um ‚Sanktionsangriffe‘ durch die USA vorzubeugen, die Länder zu ‚drangsalieren‘, die zu ihrer Politik in Opposition standen. (21) China behielt eine wohlwollende Neutralität gegenüber der Übernahme durch Russland, was, unter Berücksichtigung der eigenen Probleme mit Separatistenbewegungen in Tibet und Xinjian, effektiv bedeutet, dass China der Grenzverschiebung seine stillschweigende Zustimmung gab, von der Art, die sie im Südchinesischen Meer erwarteten. ..." (Seite 113)
Sakwa bestätigt dann, was ich auch in verschiedenen Artikeln hier, hier und hier, zum Ausdruck gebracht hatte, nämlich, dass der vom Westen unterstützte Sturz einer demokratisch gewählten Regierung, darauf hindeutete, was der Westen bereit war zu unternehmen, um gegen so genannte "autokratische" Regierungen vorzugehen.

Und schon wieder zerstört Sakwa durch kühle Analyse ein Narrativ, nämlich die Behauptung, dass Putin das alte Sowjetreich wieder aufleben lassen wollte:
"... Eine Ansicht, die in westlichen Kommentaren herausstechend war, fokussierte sich größtenteils auf die folgenden Krim-Ereignisse, und erklärte, dass Putin die Neigung hätte, das russische, oder das Sowjet-Imperium, wieder auferstehen zu lassen. Deshalb wurde seine Unterstützung für den Aufstand im Donbass, nur als erster Schritt gewertet, ‚Novorossiya‘ aufzubauen. General Philip Breedlove, der Oberkommandierende General der NATO in Europa (SACEUR), sprach zu diesem Zeitpunkt von einem Russland, das durch den Donbass, und den Rest von Novorossiya, eine Verbindung mit der abtrünnigen moldawischen Region Transnistrien schaffen würde. Transnistrien ist die Heimat von 300.000 Menschen, überwiegend Russen, die sich von Moldawien abgetrennt hatten, als die Republik 1991 ihre Unabhängigkeit erklärt hatte. Mitte 1992 wurden über 1000 Menschen in einem kurzen Krieg getötet, als Transnistrien, unterstützt von Russland, sich der Absorption durch Moldawien widersetzte, aus Angst, Moldawien plane eine Wiedervereinigung mit Rumänien. Seitdem sind 1500 russische Soldaten permanent dort stationiert, angeblich um die riesigen Waffenvorräte aus der Sowjet-Ära zu bewachen. Transnistrien hielt zwei Mal ein Referendum über die Selbstbestimmung der Region ab, eine in 1991 und eine in 2006, beide endeten mit überwältigender Zustimmung. Das zweite Referendum ging darüber hinaus, den Grad der Unterstützung für eine staatliche Unabhängigkeit zu ermitteln, und frage explizit: ‚Unterstützen Sie den Kurs zur Unabhängigkeit für die Transnistrische Moldawische Republik, und seine anschließende freie Vereinigung mit der Russischen Föderation?‘ Bei einer Wahlbeteiligung von 78% stimmten 97% zugunsten eines Anschlusses an Russland. Wenn Russland wirklich ein landräuberischer expansionistischer Staat wäre, wie seine Kritiker behaupten, dann wäre das längst genug Grund gewesen, sich das Gebiet einzuverleiben. ..." (Seite 114)
Transnistrien ist ein anderer "eingefrorener Konflikt", in dem Russland immer wieder versucht, einen Deal zu vermitteln, was aber durch den Westen blockiert wird. Was aber, wie die gesamte Politik der NATO, eher zum Nachteil des Westens gereichen wird. Schon kurz nach der Wiedervereinigung der Krim mit Russland, sandte der Transnistrische Oberste Sowjet eine offizielle Anfrage an Moskau, der russischen Föderation beitreten zu dürfen.

Auch wenn Putins Ablehnung durch Nationalisten, durch seine Krim-Politik gemildert wurde, und sie auf ein Wiederaufleben des Sowjetreiches hoffen mögen, gibt es keinerlei Hinweise dahingehend, die einer ernsthaften wissenschaftlichen Analyse standhalten, die Putin ein solches Verhalten nachweisen. Und so schreibt auch Sakwa zu dem immer wieder verzerrt wieder gegebenen Zitat Putins:
"...Putins Kommentar, in seiner Rede an die Nation vom 25. April 2005, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion ‚eine der größten geopolitischen Katastrophen‘ des zwanzigsten Jahrhunderts, und ‚eine Tragödie für das russische Volk‘ wäre‘, wurde zu oft aus dem Zusammenhang gerissen, um damit genau das Gegenteil von dem Putin in den Mund zu legen, was er sagte - dass es keine Frage sein könnte, die Sowjet-Union zu restaurieren. (23)
Diese Fehlinterpretation nährte ein Narrativ - mit dem Saakaschwili furios in Tiflis, Maidanite Kiew, einer Menge russophobischer ehemaliger Sowjetstaaten, dem The Economist und dem US-Außenministerium, hausieren ging - ein Narrativ, das besagte, dass Russland versessen darauf ist, die Weltordnung, auf Grund eines angeborenen destruktiven Charakters, zu zerstören. In seiner Ansicht sind russische Motive und Sorgen automatisch ausgeschlossen, und stattdessen machen einige primitive kulturelle Zwänge Russland, zu einem Verderber und Vernichter. Für die Unterstützer seiner Ansicht, ist die einzige Antwort darauf: Sanktionen, mehr Sanktionen, und Isolation. Ein Leitartikel der Kyiv Post schreibt:
„Mehr als zwei Monate, nachdem Russland die Ordnung nach dem Kalten Krieg zerstörte, indem es in die Krim einmarschierte, und annektierte, fahren die europäischen Schwergewichte Frankreich, Deutschland und sogar Großbritannien, damit fort, angesichts der Aggression Putins zu zittern. Ihre Schwäche hat bewiesen, dass Lobbyisten des Business in den drei Nationen gewillt sind, Moskaus Kriegsverbrechen zu übersehen, so lange ihre Unternehmen Gewinn machen. Jetzt verstehen wir besser die Gefahren des Appeasements, und warum in Europa zwei Weltkriege starteten. Die EU hat die Realität nicht verstanden, dass der Weltfrieden in Gefahr ist, durch einen Kreml, der Isolation und die härtest möglichen Wirtschaftssanktionen, für seine Angriffe gegen die Ukraine, verdient hat. Das bedeutet, dass der Westen Russlands Finanzen, Energie-, Militär- und High-Tech Sektor, bestrafen sollte, - in allen diesen Gebieten spielen die drei Nationen Schlüsselrollen.“ (24)
Dies würde nicht weniger als eine vernichtende Demütigung und Zerstörung verursachen, und der Glaube, dass es eine auf Prinzipien basierende Antwort, statt eine auf Korruption basierende, geben würde, die die Vorsicht von Deutschland und Frankreich hervorruft, wird geleugnet. Die Pragmatiker verstanden die Komplexität der Motivationen, die die Krise provoziert hatten, und sie waren sich klar darüber, dass Sanktionen eine Waffe des letzten Auswegs sind. Aber stattdessen trieben Ideologien des Kalten Krieges neue Blüten, verwarfen sie die Pragmatiker, und verleugneten ihren guten Willen. Der The Economist verurteilte die ‚Ostpolitik‘ als ‚naiv‘ und warnte, dass ‚die Risiken Deutschlands transatlantische und europäische Allianzen unterminieren‘. (25) Genau diese Allianzen hatten Europa wieder einmal an die Schwelle eines Krieges gebracht, weshalb die gegenteilige Schlussfolgerung gesichert ist...." (Seite 115)
Europa war wieder im Kalten Krieg angekommen, und die alten Krieger und ihre Schüler freuten sich, endlich wieder die Feindbilder schärfen zu können. Anders Fogh Rasmussen sagte, dass Russland eine revisionistische Macht geworden wäre, ‚gewillt, Gewalt zu benutzen, um Einfluss und Kontrolle über souveräne Staaten, in einer glatten Missachtung internationalen Rechts, zu erhalten‘. Sakwa hält entgegen:
"...  dieses Argument führt in die falsche Richtung, denn es vergisst die Faktoren mit in Betracht zu ziehen, die Russland zu diesem Punkt getrieben haben. Der Extremismus der ukrainischen monistischen Elite, eingespeist in den internationalen Diskurs, machte die Diplomatie nutzlos, und führte dazu, dass sie nur die Flammen weiter schürte. Dies war der wirkliche Revisionismus, der mit den westlichen Gefühlen spielte, um die Widersprüche in dem ukrainischen Staatenbildungsprozess zu überspielen, (so wie sie es vorher mit den Widersprüchen in Georgien getan hatten), um eine Krise des Weltfriedens zu provozieren. Post-kommunistische revanchistische Pathologien wurden mit der Lupe vergrößert dargestellt und überbewertet, was Russland in etwas verwandelte, was einmal eine relativ defensive, konservative, neo-revisionistische Macht war, in einen sortenreinen revisionistischen Staat. Argumente zugunsten eines Engagements, Dialoges, und Versuch des Verstehens, wurden mit einem Bombardement von Verwünschungen und falschen historischen Analogien beantwortet (München, Appeasement, und so weiter.)..." (Seite 116)
Wichtig ist auch eine weitere Begründung, mit der Sakwa nachweist, dass Russland in keiner Weise ein "landräubender Staat" ist, der sein Gebiet ausdehnen will, was angesichts der Osterweiterung der NATO sowieso von Heuchelei kaum zu überbieten ist:
"... Russland unter Putin war das Gegenteil eines landraubenden Staates. Putin gab mehr russisches Territorium auf, als jeder andere Führer des Landes, außer Lenin, der im Frieden von Brest-Litowsk mit den Deutschen, im März 1918, Zeit erkauft hatte, im Tausch gegen Land. Lenins Schachzug hatte sich ausgezahlt, und am Ende war das imperiale Deutschland zusammen gebrochen, und die großen Territorien fielen an Russland zurück, das nun in einen Bürgerkrieg verstrickt war. Im Oktober 2004 erreichte Putin eine abschließende Einigung mit China, über ihre gemeinsame 4.400 km lange Grenze, im Tausch für den Transfer von verschiedenen wichtigen Inseln im Ussuri Fluss, die unter chinesische Jurisdiktion fielen. Im September 2010 erreichte er eine Vereinbarung mit Norwegen über die lange umstrittene maritime Küstenlinie in der Barents-See, wobei er zustimmte, sie in der Mitte zu teilen, was Norwegen eine Menge an Energie-Ressourcen bescherte. Unter Putin wurde schließlich eine Grenzeinigung mit Estland und Lettland abgeschlossen, obwohl in beiden Ländern Hoffnungen bleiben, einen Teil von Russlands benachbarter Region Pskow zu erhalten, die zwischen den beiden Kriegen, Teil der Republiken war. Putin bot sogar an, zu der Vereinbarungen von 1956 mit Japan zurück zu kehren, und vier der Kurilen-Inseln (Nördliche Territorien) dem Land zurück zu geben. Zugegeben waren es die beiden kleinsten, aber in mathematischen Zahlen wäre die Ehre die gleiche gewesen....." (Seite 116)
Sakwa geht wir also wieder bis an die Grenzen der erlaubten Kritik. Aber er weigert sich, als Konsequenz für die westliche Reaktion eine Politik zu erkennen, die nicht darauf angelegt war, Russland als Partner zu akzeptieren, sondern ihn nicht nur zu unterwerfen, sondern zu demütigen, zu bestrafen, ja zu vernichten. Statt dessen weicht er aus, nach kurzen Hinweisen auf kriegerische und unsachliche Angriffe aus dem Westen, und zeigt auf, wer die Wiedervereinigung der Krim mit Russland begrüßte oder akzeptiert hatte:
"... In Russland, hatte Gorbatschow, der Architekt der Perestroika und des Endes des Kalten Krieges, lange den Weg verurteilt, auf dem der gemeinsame Sieg verdreht wurde, in eine einseitige Erklärung des Sieges. Er befürwortet nun Russlands Übernahme der Krim:
„Während zunächst die Krim durch sowjetisches Gesetz der Ukraine zugeteilt worden war, genauer gesagt, entsprechend den Gesetzen der Kommunistischen Partei, unter Missachtung der Meinung des Volkes, haben nun die Menschen selbst eine Entscheidung treffen können, um diesen Fehler zu korrigieren. Dies sollte begrüßt werden, statt deshalb Sanktionen zu verhängen.“ (28)    
Eduard Limonow und andere Nationalisten, die ursprünglich in Opposition zu Putin standen, haben die Wiedervereinigung auch begrüßt. Im Ausland waren zwei ehemalige Bundeskanzler bereit, den Schachzug zu billigen. Helmut Schmidt, in Die Zeit, argumentierte, dass es nicht unbedingt legitim wäre, aber ‚verständlich‘, während Gerhard Schröder sich eher enthusiastisch äußerte. Der ehemalige Präsident Tschechiens, Vaclav Klaus, war der Meinung, dass Russlands Annektierung durch die zunehmenden Sorgen der Krim-Bevölkerung ausgelöst wurde, und dass die Bewegung für Unabhängigkeit, den echten Willen der Menschen ausdrückte. Er verurteilte die Radikalisierung auf dem Maidan, und betonte, dass Janukowytsch bemerkenswerte Zugeständnisse gemacht hatte, über eine Frage, die letztendlich die illegale Besetzung des zentralen Platzes, einer der wichtigen europäischen Hauptstädte war, während er die Ereignisse in den Kontext der langen und engen Verbindungen mit Russland stellte, und die lange Geschichte unterschiedlicher Traditionen und Perspektiven der Regionen, die die derzeitige Ukraine ausmachen. (29)
... " (Seite 117)
Russland wurde in dem Diskurs um die Krim immer wieder vorgeworfen, internationales Recht gebrochen zu haben. Darauf hat Alexander Lukin, Professor am Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) scharfsinnig bemerkt:
"... „Es war nicht Russland, sondern der Westen, der die Idee einer globalen Politik, basierend auf internationalem Recht, die nach der Auflösung der Sowjetunion hätte geschaffen werden können, zurückwies. Es war nicht Russland, sondern der Westen, der, glaubend an ‚das Ende der Geschichte‘, die Gelegenheit ergriff, auf Grund zeitweiser Omnipotenz, eine Welt zu erschaffen, in der einer sich alles nehmen kann, was ihm in den Weg kommt, jede Grenze annullieren kann, und jede Vereinbarung verletzen, zum Nutzen eines ‚guten Ziels‘. Es war nicht Russland, sondern der Westen, der absichtlich das Nachkriegs-System zerstörte, das auf der Souveränität der Staaten basierte, indem sie ihre Theorien der ‚humanitären Interventionen‘ und ‚responsability to protect‘ vertraten. Es war nicht Russland, sondern der Westen, der Druck auf den Internationalen Strafgerichtshof der UNO ausübte, eine Entscheidung zu fällen, die die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht als Bruch der internationalen Gesetze sah. ... Als Ergebnis wird die Position des Westens im Fall der Krim, bei der sich ihre Anführer auf die territoriale Integrität und Unverletzlichkeit der Grenzen beziehen, lediglich als hochgradige Heuchelei angesehen. […] Denn die Prinzipien der Unverletzlichkeit der Grenzen funktionieren nicht mehr, es sind die Erwartungen der Menschen, die beachtet werden müssen....
Die Frage, die im Westen nie gestellt wurde, war, warum den Menschen der Krim verweigert werden sollte, was als Menschenrecht kodifiziert, und in anderen Fällen den Menschen immer wieder zugebilligt worden war, nämlich über ihr Schicksal zu entscheiden. Der Grund wurde von Noam Chomsky erklärt, der wiederum den Kolumnisten Thanassis Cambanis zitiert:
"... Putins Annektierung der Krim ist ein Bruch in der Ordnung, auf die Amerika und seine Alliierten sich seit dem Ende des Kalten Krieges verlassen hatten, nämlich auf eine Ordnung, in der eine Hauptmacht nur militärisch interveniert, wenn es einen internationalen Konsens auf seiner Seite gibt, oder, falls das misslingt, wenn es keine Überschreitung der Roten Linien eines Rivalen gibt. ..."     
Und Sakwa stellt fest, dass der Irakkrieg, den Chomsky "das größte internationale Verbrechen dieser Ära" bezeichnete, in dieser Auslegung kein Bruch der Weltordnung wäre, weil die Aggressoren nicht die roten Linien Russlands oder Chinas überschritten hätten. Im Gegensatz dazu aber, hatte "Putins Übernahme der Krim" und seine Ambitionen in der Ukraine, die Rote Linie der Amerikaner überschritten, also die furiose Reaktion in Washington ausgelöst, und den Versuch, Russland zu isolieren, und seine regionalen Ambitionen zu dämpfen. Aber wie kam es zu dieser Roten Linie der USA? Sakwa:
"... Anders ausgedrückt, hat Amerika seine Roten Linien an die Grenzen Russlands vorgeschoben. Deshalb verstießen die Ambitionen Russlands ‚in seiner eigenen Nachbarschaft‘ gegen die Weltordnung und schufen eine Krise. Die USA, die sich selbst als den Welt-Hegemon sehen, konnten eine solche Herausforderung ihres Monopols, selbst zu entscheiden, wenn eine Rote Linie überschritten ist, nicht hinnehmen, verbunden mit der überzeugten Verpflichtung der Wolfowitz Doktrin, die versucht zu verhindern, dass ein feindlich gesinnter Gegen-Hegemon in der Region auftritt. Putins kühner Streich, stellte eine fundamentale Herausforderung von Amerikas hegemonial behaupteten Wahrens von ‚Frieden und Stabilität‘ dar, definiert in Chomskys Worten als ‚Subordination gegenüber US-Forderungen‘. ..."  (Seite 119)
Umso lächerlicher musste für einen Beobachter eigentlich erscheinen, wenn Kerry erklärte, dass "man sich im 21. Jahrhundert nicht in der Art des 19. Jahrhunderts verhält, und eine Invasion gegen ein anderes Land ausführt, unter vollkommen erdichteten Behauptungen". Was entweder von einer sehr kurzen Erinnerungszeit Kerrys herrührt, angesichts der diversen Invasionen der USA, insbesondere im Irak, oder einer vollkommenen Losgelöstheit von jeder Realität. Putins Rede wird in diesem Licht verständlich, wenn er am 18. März erklärt:
"... [Die USA und ihre Alliierten] haben uns betrogen haben, immer und immer wieder, sie machten Entscheidungen hinter unserem Rücken, präsentierten uns unabänderliche Fakten, mit der Expansion der NATO in den Osten, mit der Verlegung von militärischer Infrastruktur an unsere Grenzen. Sie sagten immer das gleiche: „Well, das geht euch nichts an“. .... " 
Sakwa lässt dann etwas durchblicken, was an den Grenzen der erlaubten Diskussion rüttelt. Denn wenn man sich klar wird darüber, dass westliche Politiker dies gewusst haben MÜSSEN, erscheint die trotzdem durchgesetzte westliche Politik in einem anderen Licht, als die der reinen, harmlosen Dummheit:
"... Das Timing der Konfrontation war nicht von Putin gewählt worden, aber die Entwicklungen in der Ukraine repräsentierten eine Herausforderung, die Putin als unausweichlich empfand. Zum ersten Mal in der Geschichte nach dem Kalten Krieg, hatte eine Großmacht das Handtuch in den Ring geworfen, um die Transatlantische Definition der Weltordnung heraus zu fordern. Die Motivation war nicht die Errichtung eines ‚Groß-Russlands‘, oder sogar der Wiedereinführung der Sowjetunion, (auch wenn die Ereignisse von jenen besetzt wurden, die solche Ziele verfolgen), sondern die Verteidigung der kontinentalen Idee eines Groß-Europas, und von russischen Interessen. Putin hat das Recht der USA hinterfragt, Rote Linien zu ziehen, und damit den Transatlantismus in seiner Gesamtheit in Frage gestellt. Als Antwort haben die USA den neuen Kalten Krieg gegen Russland erklärt, angestachelt durch die politisch-mediale Elite, und gefolgt mit größerer oder geringerer Zurückhaltung seiner europäischen Verbündeten. ..."
Im nächsten Artikel dieser Serie werden wir die folgenden Monate in der Ukraine beleuchten, insbesondere die Präsidentenwahl und darauf folgende Politik innerhalb der Ukraine, die maßgeblich von den USA, und in geringem Maße auch den den EU-Politikern mitbestimmt wurde.

---> Frontline Ukraine - Crisis in The Borderlands, Richard Sakwa, I.B. Tauris, London, 2015 (Englisch)

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