Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 23. Dezember 2015

UKRAINE, KRIM, die EU, NATO und Russland-Teil 15

Quelle: Wikipedia
Im letzten Artikel hatten wir von den Verbrechen, der vom Westen als "Revolutionäre" dargestellten, Ultra-Nationalisten, gehört, mit einem Höhepunkt in dem Massaker an politischen Gegnern in Odessa. In diesem Artikel werden wir lesen, warum der Krim dieses Schicksal, und das Gefühl, besetztes Gebiet zu sein, aus Sicht der Bevölkerung dieser Halbinsel, erspart blieb. Seit den Schüssen auf dem Maidan, die nach aktuellem Stand der Erkenntnisse, mit aller Wahrscheinlichkeit dem jetzigen Regime nahe stehende Kräfte begangen hatten, und dem folgenden Gesetzentwurf, der die russische Sprache aus der Gesellschaft entfernen sollte, nach unzähligen Zerstörungen von Denkmälern, Morden und der Bedrohung von Oppositionellen, war die Angst auf der Krim allgegenwärtig.

Die Zurückweisung der von der EU vermittelten Vereinbarung, und der Akzeptanz der Gewalt durch die EU, bedeutete, dass Russland etwas unternehmen musste. Abgelenkt durch die Olympischen Winterspiele in Sotchi hatte sich Moskau bemerkenswert ruhig verhalten. Dadurch war der Kreml unter zunehmende Kritik von Nationalisten, aber auch breiten Teilen der Bevölkerung geraten. Die Krim war tief verwurzelt in der Seele der russischen Bevölkerung, als ein Teil Russlands. Viel Blut war hier vergossen worden, nicht nur im 2. Weltkrieg. Und die Krim war erst 1954, durch eine verfassungsrechtlich äußerst umstrittene Aktion Chruschtschows, von Russland abgetrennt, und der Ukraine zugeschlagen worden. Allerdings war damals die Krim noch vom Krieg weitgehend zerstört, und auf die Wasserversorgung aus der Ukraine, angewiesen.Sakwa schreibt zur Situation der Krim:
"... Russland wurde der Staat, der die Rechte und Pflichten der UDSSR übernahm, ihre Verantwortlichkeit, Vertragsverpflichtungen und Privilegien. Schon zu dem Zeitpunkt des Transfers im Jahr 1954, war Sewastopol als ein ‚Objekt von Bedeutung für die gesamte Union‘ angesehen worden, und hätte deshalb, rein technisch gesehen, an Russland als Staat, der die Verpflichtungen der Union weiterführte, zurückgegeben werden müssen. Jelzin aber verfolgte die Angelegenheit nicht, in der Annahme, dass die CIS Visafreiheit und andere Beziehungen, zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken, ununterbrochen weiter gewährleistet wären. In diesem Fall hatte die Ukraine zwar den größten territorialen Transfer von der Russisch Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) erhalten, war aber am wenigsten gewillt, im Rahmen des CIS zusammen zu arbeiten, ein Widerspruch, der 2014 offensichtlich werden sollte...." (Seite 101)
Nicht nur in Russland, sondern von Anfang an auch auf der Krim, fühlte man sich weniger der Ukraine zugehörig, denn als eine selbständige Einheit, bzw. Teil Russlands. Und so hatte die Bevölkerung der Krim, sofort nach der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine, versucht, sich selbst von der Ukraine für unabhängig zu erklären, zumindest eine große Autonomie zu erhalten. Nach einigem hin und her wurde die Halbinsel schließlich 1996 "Autonome Republik" in der Ukraine, und die Zentralregierung hatte umfangreiche Machtbefugnisse auf sie übertragen. Kulturell fühlte man sich zweifellos auf der Krim immer eher Russland zugehörig als der Ukraine, und es gab starke Strömungen in Russland, die das auch aktiv unterstützten. Sakwa erklärt die Bedeutung der Halbinsel für die russische Regierung dann wie folgt:
"...  Die Krim war für Russland aus einer Reihe von Gründen wichtig, vor allem wegen seiner strategischen Bedeutung. Sewastopol war der Heimathafen der Schwarzmeerflotte (BSF), und es gab Befürchtungen, dass Russland nach der Februar-Revolution [in Kiew 2014], die Basis räumen müsste, trotz einer Vereinbarung über den Truppenstatut, der mit der Ukraine unterzeichnet worden war. Sewastopol ist mehr als nur eine Marinebasis, nämlich ein riesiges Netzwerk von Flughäfen, Radar-Stationen und Werften. Aus russischer Sicht eröffnete das Projekt des ‚ausgedehnten Europas‘ die Tür für den Beitritt der Ukraine zur NATO, etwas, das 2008 auf dem NATO Gipfel in Bukarest versprochen worden, und niemals widerrufen worden war. Auch wenn die Bukarester NATO-Mitgliedschaft auf kleiner Flamme gekocht wurde, und keine unmittelbar drohende Entscheidung war, übersah Moskau nicht die Implikationen des Assoziierungsabkommens mit der EU. Die orangene Bewegung hatte nicht nur die Verlängerung des Truppenstatus bis 2042 verurteilt, sondern auch die Rechte der Basis nach 2017 in Frage gestellt, was potentiell dazu geeignet war, externen Kräften zu erlauben, eine eigene Basis zu errichten. Die Nutzung von Sewastopol zu verlieren, wäre ein vernichtender Schlag für Russland gewesen. Das Land hatte Jahre versucht, einen alternativen Warmwasserhafen zu finden, und dabei auch die Marine-Anlagen bei Noworossijsk erweitert und Basen in Otschamtschire und Abchasien gegründet, aber keine kann es mit Sewastopol aufnehmen. Noch schlimmer aber war, dass Russland vor der Aussicht stand, dass Sewastopol von der 6. US-Flotte übernommen werden könnte, die derzeit in Neapel stationiert ist. Die NATO mag nicht länger Russlands Feind sein, aber die Aussicht auf seine Schiffe, Raketenabwehrsysteme und zahlreiche Basen, entlang Russlands Grenzen, bedeutete eine strategische Niederlage, und eine existentielle Bedrohung allererster Ordnung...." (Seite 102)
Und dass die US Marine uneigennützige Schulsanierungen nach US-Standards auf der Krim, verständlicherweise mit quasi Blick auf die Schwarzmeerflotte, in Auftrag gegeben hatte, verstärkte natürlich noch die Befürchtungen. Die Entscheidung, der Bevölkerung der Krim den Weg aus der unberechenbaren Zukunft der Ukraine zu ebnen, hatte Putin, wie auch die New York Times vermutete, nach Konsultation mit nur wenigen Vertrauten gefällt. Sakwa beschreibt in seinem Buch dann, wie der Plan umgesetzt wurde:
"... In den Tagen nach der Flucht von Janukowytsch, begannen pro-russische Kräfte auf der Krim damit, Freiwillige für die Selbstverteidigungs-Milizen zu werben, mitten in Berichten, dass bewaffnete ukrainische Nationalisten in die Region vordringen wollten. Am 26. Februar traf sich das Parlament der Region, um die Abhaltung eines Referendums, über das Lösen der Verbindungen zu Kiew, zu diskutieren, begleitet von Massendemonstrationen gegen das neue Regime. Auf Grund des Nichterreichens des Quorums, konnte eine Abstimmung nicht erfolgen. Am frühen Morgen des nächsten Tages besetzten pro-russische Aufständische das Gebäude und erklärten den Premierminister, Anatoly Mogilev, der von Janukowytsch ernannt worden war, für abgesetzt. Er war ein Mitglied der regierenden PoR, die 80 der 100 Sitze besetzte, und unterstützte die Autonomie, aber innerhalb der Ukraine. An diesem Abend stimmten 53 Abgeordnete dafür, Mogilev durch Sergei Aksjonow zu ersetzen, und 61 stimmten für das Abhalten eines Referendums über ‚Souveränität‘. Die Umstände, die zu diesen Entscheidungen führten, wie die früheren [in Kiew], brachen alle parlamentarischen Regeln, und die Sitzung wurde im Geheimen abgehalten. Aksjonow wurde nachgesagt, Verbindungen zur kriminellen Unterwelt zu unterhalten, was ihm den Spitznamen ‚Goblin‘ einbrachte. Seine Partei, Russische Einheit, hatte nur 4% der Stimmen bei den Parlamentswahlen der Krim im Jahr 2010 gewonnen, was ihm drei Sitze einbrachte. Die Russische Einheit war der politische Flügel der überzeugtesten pro-russischen Gruppe, der russischen Gesellschaft der Krim, deren Vorsitzender Sergei Tsekov war, der nun stellvertretender Sprecher wurde. Mehrere Umfragen zwischen 2011 und 2014 hatten ergeben, dass die Unterstützung für eine Vereinigung mit Russland zwischen 23 und 41% lag, was eher wenig oder viel ist, je nach der eigenen Perspektive. ..." (Seite 103)
Aber durch die gewalttätigen Proteste in Kiew, durch die Schüsse auf dem Maidan, und den anderen, von der EU geduldeten, wenn nicht sogar unterstützten Aktionen, der Ultranationalisten, hatte sich die Stimmung auf der Krim drastisch geändert.

Sakwa schreibt, dass es zu diesem Zeitpunkt, keine Fälle von ethnischer Verfolgung gegeben hätte. Was aber ausschließlich für die Krim, nicht das Umland, zutrifft. Ein Autokonvoi zur Krim, nach Simferopol, wurde am 20. Februar überfallen und Menschen ermordet und misshandelt. Augenzeugen berichten darüber z.B. in einem Dokumentarfilm über die Ereignisse. Am 10. März meldete die Junge Welt: "Jagd auf Linke, Ukraine: Demonstrationen gegen neue Machthaber unmöglich. Kommunisten angegriffen und misshandelt. Faschisten patrouillieren mit der Polizei" (Susann Witt-Stahl, Kiew). Den Begriff "Linke" kann man hier überwiegend mit einer Ethnie in Beziehung bringen. Und am 16. April berichtet die Zeitung, dass die neuen Machthaber in Kiew die "Nationalgarde", die zum großen Teil aus rechten Schlägertrupps bestanden, die sich auf dem Maidan zusammen gefunden hatten, in den Osten des Landes schicken würden. Und so wird diese Aussage Sakwas, auch kurz darauf schon wieder in den folgenden Sätzen in Frage gestellt:
"... Der Rechte Sektor drohte damit, einen ‚Zug der Freundschaft‘ zur Krim zu schicken, dessen Charakter unschwer zu erahnen gewesen war. Bewaffnetes Personal in Uniform ohne Insignien, später identifiziert als Mitglieder der russischen Streitkräfte, übernahmen die Kontrolle über strategische Objekte, in einer bemerkenswert gut organisierten Operation. Russland leugnete, Truppen gesandt zu haben, sondern dem Land war erlaubt worden, 25.000 Soldaten in der Region zu stationieren, was in Übereinstimmung mit dem Truppenstatut für Sewastopol war, weshalb die Russen, technisch gesehen, nicht gegen diesen Vertrag verstoßen, auch wenn die Soldaten in einer Art stationiert waren, der nicht mit der Basis der Vereinbarung übereinstimmte, weil sie außerhalb der gemieteten Basis operierten. ..." (Seite 103)
Auch hier spürt man, wie Sakwa immer wieder versucht, nicht den Rahmen des erlaubten Diskurs zu verlassen. Sieht man die Gewalt, die sich ihren Weg in Richtung Osten bahnte, war es verständlich, dass die Bewohner der Krim die Bewaffneten ohne Abzeichen, als freundliche grüne Männer bezeichneten, die ihnen Sicherheit gaben, und Gewalttaten, wie sie im Rest der Ukraine täglich stattfanden, verhinderten. Putin hatte immer wieder betont, dass nur die Menschen der Krim entscheiden sollten, wie ihre Zukunft aussehen wird. Und zunächst stand wohl eine erweiterte Autonomie der Region im Raum. Bis dann Kiew einen entscheidenden Fehler machte:
"... aber als die Behörden in Kiew, strafrechtliche Untersuchungen gegen die neuen Führer der Krim starteten, wurde eine neue Dynamik frei. Rechtzeitige Konzessionen wegen der russischen Sprache, Föderalisierung, und andere lange gestellte Kernforderungen, hätten die Sezession der Region wohl noch verhindern können, und sicher auch den folgenden Konflikt im Dombass. Aber unter dem Eindruck, den militanten Gesten, die von den neuen Behörden in Kiew kamen, organisierte Aksjonow eine weitere Abstimmung im Parlament, die Russland aufforderte, die Krim zu annektieren. Schon am 4. März hatte Putin die Natur der friedlichen Übernahme betont: ‚Es gab keinen einzigen bewaffneten Konflikt, keine einzigen Schuss‘. Als er nach den Menschen die ‚Uniformen trugen, die stark an die der russischen Armee erinnerten‘ gefragt wurde, erklärte er, dass dies ‚lokale Selbstverteidigungs-Einheiten‘ wären. Darüber hinaus erhob er Vorwürfe über den erzwungenen Regime-Change:
„Ich habe manchmal den Eindruck, dass jenseits des großen Teiches, in Amerika, Menschen in ihren Laboratorien sitzen, und Experimente veranstalten, wie mit Ratten, ohne die Konsequenzen wirklich zu verstehen, was sie überhaupt tun. Warum war das nötig? Wer kann das erklären? Es gibt überhaupt keine Erklärung dafür.“ (5)
Das Referendum wurde auf den 16. März festgesetzt, und nach vielen Debatten über die Wortwahl, bestand der Wahlzettel am Ende aus zwei einfachen Fragen (gedruckt in Russisch, Ukrainisch und den Sprachen der Tataren): ‚Sind sie für eine Wiedervereinigung der Krim mit Russland als Teil der Russischen Föderation?‘ und ‚Bevorzugen Sie die Wiedereinführung der Verfassung von 1992 und den Status der Krim als Teil der Ukraine?‘ Nach Auskunft der Referendum-Kommission, gaben 83% der stimmberechtigten Wähler ihren Wahlzettel ab (1.274.096), davon unterstützten 96,7% die Wiedervereinigung mit Russland (1.233.002). So hatten also 82% der gesamten Krim-Bevölkerung der Wiedervereinigung zugestimmt. Ein Bericht des russischen Rates für die Zivilgesellschaft und Menschenrechte schätzte später, dass die Teilnahme nur bei 30 bis 50% gelegen hätte, von denen ca. 50-60% für eine Vereinigung mit Russland gestimmt hätten, mit einer höheren Wahlbeteiligung von 50-80% in Sewastopol, wobei hier überwiegend zugestimmt worden wäre. So dass für die Halbinsel als Ganzes, nur zwischen 15 bis 30% der Bevölkerung zugestimmt hätten, mit Russland vereinigt zu werden. (6) Kiew und das Tatar Mejlis, das Präsidium des traditionellen Krim-Tataren-Parlaments, der Kurultay, drängten Wähler, das Referendum zu boykottieren, und falls die Teilnahme unter 50% sinken würde, wäre die Abstimmung automatisch ungültig, und die Mehrheit der Tataren blieben der Wahl offensichtlich fern. Trotzdem ist es angemessen zu vermuten, dass auch unter perfekten Bedingungen, die Mehrheit der Krimbewohner für eine Einheit mit Russland gestimmt hätte, und in Sewastopol wäre der Ausgang wohl überwältigend gewesen. (7)..." (Seite 104)
Am 18. März schon wurde die Krim dann mit Russland wieder vereint, Teil der Russischen Föderation. Putin hielt bei der Gelegenheit eine leidenschaftliche Rede, in der er den Putsch in Kiew als von Elementen betrieben beschrieb, die die "ideologischen Erben Banderas, Hitlers Komplizen" waren.
"...jene, die gegen den Putsch waren, wurden sofort mit Repressionen bedroht. Natürlich in erster Linie war es die Krim, die russisch sprechende Krim. Unter diesem Eindruck, wandten sich die Einwohner der Krim und von Sewastopol an Russland, und baten um Hilfe, ihre Rechte und ihr Leben zu verteidigen, und die Ereignisse zu verhindern, die sich dann entwickelten, und immer noch stattfinden, in Kiew, Donezk, Charkiw und anderen ukrainischen Städten. Natürlich konnten wir die Bitte nicht ungehört verhallen lassen, wir durften die Krim und ihre Bewohner nicht ihrem Schicksal überlassen. Das wäre ein Verrat durch uns gewesen. ... Zuerst haben wir Bedingungen geschaffen, dass die Bewohner der Krim, zum ersten Mal in der Geschichte, in der Lage waren, friedlich ihren freien Willen, in Hinsicht auf ihre eigene Zukunft, auszudrücken. Aber was hören wir von unseren Kollegen im westlichen Europa und Nord-Amerika? Sie sagen, dass wir die Normen internationalen Rechts verletzt hätten. Zunächst hat es etwas Gutes, dass sie sich endlich daran erinnern, dass so etwas wie das internationale Recht existiert - besser spät als nie.... “
Sakwa beschreibt die Rede dann weiter wie folgt:
"... Putin insistierte, dass Russland die nominalen Personalgrenzen von russischen bewaffneten Kräften in der Krim nie überschritten hätten. Er fuhr dann fort, den Westen verbal anzugreifen, indem er die Sorgen wieder aufgriff, die er in seiner Münchner Rede von 2007 betont hatte, und fügte diesen einige mehr hinzu: Die selbstherrliche und beleidigende Behandlung Russland wie eine besiegte Macht, die Bombardierung von Belgrad 1999, den Irak, Afghanistan, den Kosowo, Syrien, den Raketenabwehrschirm, die NATO-Erweiterung in Richtung russischer Grenze, und den Versuch, eine entweder/oder Logik der EU-Erweiterung durchzusetzen, indem die Länder zwischen Brüssel und Moskau wählen müssten. Ohne Ausflüchte zu suchen, stellte er fest: ‚Wir sind zu oft angelogen worden‘. (8)..." (Seite 105)
Russland, das einmal gegenüber dem Westen vollkommen offen, ja naiv gläubig, agiert hatte, war vollkommen desillusioniert worden. Und das galt nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch die politische Führung. Sakwa beschreibt das wie folgt:
"... Das Land hatte wahrgenommen, dass es seit 1991 auf dem Rückzug war, und hatte es zugelassen, dass endlose ‚Rote Linien‘ überschritten worden waren, allen voran die NATO-Erweiterung, und die westlichen Interventionen auf dem Balkan, und im Mittleren Osten. Und obwohl es einen Warnschuss in Georgien im Jahr 2008 abgegeben hatte, begann es erst jetzt, zurück zu drängen. Was für Moskau eine defensive Reaktion war, um vor allen Dingen auf der Krim, die Wiederholung eines Vorgangs, den man als Putsch ansah, wie in Kiew, zu verhindern, bestätigte das Vorgehen im Westen, tief sitzende Vorurteile über Russlands potentielle Herausforderung, der vom Westen dominierten internationalen Ordnung. ..." (Seite 105)
Sakwa entschuldigt also schon wieder die westlichen Politiker, und schiebt es auf die Wahrnehmung, als ob Russland und der Westen Mann und Frau wären, und sich nicht verstehen würden, weil sie vom Mars bzw. der Venus kamen. Er verschwendet keinen Gedanken daran, dass zielstrebig genau auf diese Reaktion Russlands hin gearbeitet worden war.

Außerhalb Russlands und der NATO-Einflusssphäre, wurde die Übernahme der Krim als bemerkenswert sanfte und intelligente Aktion angesehen, das Selbstbestimmungsrecht einer Region zu ihrem Recht zu verhelfen. Innerhalb Russlands trieb die "Wiedervereinigung" die Popularität Putins in noch nie gesehene Höhen.

Für den Staat Russland hatte die neue Republik natürlich einige angenehme Nebeneffekte mitgebracht, weshalb die Aktion durchaus nicht als selbstlose Aktion zur Verteidigung der Rechte einer Minderheit, dargestellt werden kann:
"... Die Republik der Krim wurde Russlands zweiundzwanzigste Republik, während Sewastopol, wie Moskau und St. Petersburg, als ‚Stadt mit föderaler Signifikanz‘ (Artikel 65 der Verfassung der russischen Föderation), beitrat. (10) Da der Hafen nun Teil von Russland war, kündigte Putin am 2. April die Vereinbarungen von Charkiw vom April 2010, in denen die russische Miete der Hafenanlagen auf der Krim für 25 Jahre stipuliert waren, was mit einem großen Nachlass auf den Strompreis verbunden gewesen war. Entgegen seiner Beschreibung als ‚pro-russisch‘, hatte Janukowytsch einen hohen Preis verhandelt. Die Vereinbarung kostete Russland ca. 45 Milliarden $ und machten Putin ‚rasend‘: ‚Ich wäre bereit, Janukowytsch und seinen Premierminister für diese Art von Geld aufzufressen. Keine Militärbasis der Welt kostet so viel‘. (11) Als Janukowytsch nach Russland floh, wollte Putin ihn zunächst nicht treffen. Umfragen hatten ergeben, dass der überwältigende Teil der Russen, der Eingliederung der Krim zustimmten, und dies als ‚legal, unwiderruflich und wünschenswert‘ ansahen. (12)..." (Seite 107)
Kritiker der Wiedervereinigung behaupten, dass das Referendum der Krim gegen die ukrainische Verfassung verstoßen hätte, sowie gegen internationales Recht. Wie aber konnte man von den Menschen auf der Krim erwarten, sich an eine Verfassung zu halten, die in Kiew von den "Revolutionären" missachtet worden war, z.B. durch die vollkommen mit der Verfassung im Widerspruch stehenden Absetzung des Präsidenten?

Und so gibt es auch immer mehr Stimmen im Westen, die zweifel am Narrativ der Nato entwickelt haben, dass Russland einen zutiefst verbrecherischen Akt begangen hätte. Interessanterweise wurde immer wieder die Unabhängigkeit des Kosovo als Beispiel angeführt, der durch die NATO herbei gebombt worden war. Nur mit dem Beigeschmack, dass es hier noch nicht einmal ein Referendum gegeben hatte. Und natürlich wurde das, wie Sakwa es ausdrückt "anrüchige" Gutachten des Internationalen Strafgerichtshofs, über die Legalität der Unabhängigkeitserklärung des Kosovos, von Putin auch als Rechtfertigung für die Legalität der Unabhängigkeit der Krim heran gezogen. Während die NATO das Gutachten natürlich gerne, ausschließlich zu ihren Gunsten, für den Kosowo-Fall verwendet sehen möchten.

Einer der ersten Kritiker des westlichen Narrativs einer feindlichen Übernahme, einer gewaltsamen "Annexion", war Reinhard Merkel in der FAZ. Ihm schlossen sich Prof. Anne Peters, Prof. Dr. Horst Schneider und Prof. Dr. Hermann Klenner (ua),  und Prof. Dr. jur. Karl Albrecht Schachtschneider, und andere, an.

Innerhalb Russlands war schon lange diskutiert worden, dass die Überlassung der Krim an die Ukraine gegen die damalige Verfassung der Sowjetunion verstoßen hätte, also sowieso Null und Nicht gewesen wäre. Sakwa erklärt:
"... . Zunächst gibt es den prozeduralen Punkt, mit dem argumentiert wird, dass der Transfer der Halbinsel, nach der Entscheidung durch das Präsidium des Zentralkomitees  der CPSU vom 25. Januar 1954, nicht einmal den korrekten Sowjet-Formalitäten entsprochen hätte. Die Entscheidung war durch das Präsidium des RSFSR Obersten Sowjet am 5. Februar, und dann durch das Präsidium des Obersten Sowjets der UDSSR, am 19. Februar, ratifiziert worden. Die Anwendung des Gesetzes der Übertragung durch den Obersten Sowjet der UDSSR, am 26. April 1954, bestätigte lediglich eine Entscheidung, die schon früher gefällt worden war. Zu keinem Zeitpunkt war die Vollversammlungen in die Entscheidung involviert gewesen, was, entsprechend der Verfassung der RSFSR zu diesem Zeitpunkt, bei einem territorialen Transfer, der Fall hätte sein müssen. (14) Zusätzlich war der Hafen von Sewastopol, seit dem 29. Oktober 1948, ein ‚Objekt der Signifikanz für die ganze Union‘. D.h. selbst wenn die Halbinsel unter die Jurisdiktion der Ukraine gefallen wäre, hätte Sewastopol weiter unter der direkten Kontrolle von Moskau gestanden. Als der Sowjetstaat zerbrach, gewann Russland als ‚Fortsetzender Staat‘ automatisch die Souveränität über die Stadt. Wie bereits festgestellt, wurde dies Jelzin mitgeteilt, als die Ukraine am 24. August 1991 ihre Unabhängigkeit erklärte, und eine enorme Debatte unter der russischen Führungselite provozierte. Appelle wurden vorgebracht, in Hinsicht auf den russisch-ukrainischen Vertrag vom 19. November 1990, hinsichtlich der Unverletzlichkeit der Grenzen, aber russische Kritiker beharrten darauf, dass seine Bedingungen nur die administrative Trennung zwischen einzelnen Sowjetstaaten betraf, nicht die unabhängiger Staaten. Am Ende setzte Jelzin durch, dass durch die Bildung der CIS am 8. Dezember 1991, verbunden mit dem Plan für eine einzige CIS Militärkommandostruktur, der formale Status von Sewastopol nicht mehr wichtig wäre. Wie ich schon erwähnte, ist dies einer der ‚verräterischen Akte‘ Jelzins, die ihm die russischen Nationalisten nicht vergeben werden. ..." (Seite 108)
Sakwa beschreibt dann zwei weitere Argumente, die von Verteidigern der Einbindung der Krim in die russische Föderation vorgetragen werden:
"... Das vorausgreifende Argument ‚Responsability to Protect‘ rechtfertigt in diesem Fall nicht genügend die Aufhebung internationalen Rechts, außer man betrachtet die Situation im Kontext der langfristigen Unzufriedenheit auf der Krim über die Versuche, eine kulturelle Hegemonie der monistischen Vision des ukrainischen Staates, zu erzwingen. Die Krim hatte ihre eigene Verfassung, aber die war ein stark verwässerter Abklatsch der Version von 1992, und erfüllte nicht die Erwartungen eines großen Teils der Bevölkerung der Krim. Falls die Gelegenheit, die sich mit der Februar-Revolution geboten hatte, eine echte Debatte über die verfassungsmäßige Basis eines pluralistischeren Staatsgebildes zu führen, ergriffen worden wäre, hätten die späteren Spaltungen verhindert werden können. Stattdessen scheint es nun so, dass die Revolution die Intensivierung des Monismus repräsentierte, der bereits intensive Unzufriedenheit in der russischsprachigen Bevölkerung, und unter den Minderheiten ausgelöst hatte.

Das dritte Argument betont das Recht der Menschen auf Selbstbestimmung, ein Kardinalprinzip des modernen internationalen Rechts (jus cogens). Allerdings ist keine Prozedur festgelegt, wodurch das Recht genutzt werden kann, und die Vermutung steht gegen eine Sezession, bis ein klares und transparentes öffentliches Mandat erreicht wurde, was gewöhnlich durch ein Referendum, oder als Heilung gegen Verfolgung, wie in Kosovo und Ost-Timor, erreicht wird. Die beiden Male, da in Quebec Referenden stattfanden, im Jahr 1980 und 1995, und das Referendum von Schottland im September 2014 sind Modelle dafür, wie sie abzuhalten sind, unbeachtet ihres Ausgangs. Das Referendum auf der Krim entsprach nicht diesem Standard. Nicht nur waren bewaffnete Truppen vor Ort, sondern die Abstimmung wurde auch in großer Eile arrangiert, und weit entfernt von transparenten Umständen. Außerdem verstieß die Abstimmung gegen die ukrainische Verfassung und war von der amtierenden Regierung abgelehnt worden. Die Befürworter einer Sezession der Krim argumentieren, dass besonders der letzte Punkt die anderen Zweifel an dem Referendum widerlegt. Die gewaltsame Machtergreifung durch radikale Nationalisten, repräsentierte den Zusammenbruch der verfassungsmäßigen Ordnung in Kiew, und wenn die Verfassung in der Hauptstadt nicht anwendbar war, wie konnten seine Regeln dann für die Regionen gelten? Für die Verteidiger der Wahl der Krim wäre das die schlimmste Form einer selektiven Justiz...." (Seite 109)
Im nächsten Artikel werden wir sehen, welche Konsequenzen die Entscheidungen auf der Krim und in Moskau verursachten.

---> Frontline Ukraine - Crisis in The Borderlands, Richard Sakwa, I.B. Tauris, London, 2015 (Englisch)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen