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Dienstag, 29. Januar 2013

Rückte Israel nach der Wahl weiter nach rechts?

Zunächst glaubte ich erleichtert sein zu können, hatte doch bei der letzten Wahl eine neu auftretende „sozial-demokratisch“ erscheinende Partei mit einem ehemaligen Fernsehstar eine wichtige Rolle errungen, und hatten die extrem rechten Parteien, die sich offen für eine Okkupation Palästinas ebenso aussprachen wie für einen Krieg gegen den Iran, schlechter abgeschnitten als erwartet. Aber je mehr Analysen von Kennern der Region bekannt werden, desto stärker wurde der Zweifel,  ob der Rechtsdrift der Politik aufgehalten worden wäre, und die Möglichkeit eines Friedens mit den Palästinensern näher gerückt. Eine Argumentation dafür findet man in den Argumenten von Yousef Munayyer (1) der Folgendes, aus palästinensischer Sicht, erklärt:

„Die Stimmzettel sind ausgezählt und die Wahl in Israel ist vorbei. Die Berichte über die Wahlen und die Analysen der Ergebnisse sind voller Spekulationen und  Falschinformationen. Hier nun die Erklärung, was der Ausgang der Wahlen wirklich bedeutet und was er sicher nicht bedeutet:

Das Wahlergebnis bedeutet NICHT dass die israelischen Wähler die Politik Netanyahus gegenüber den Palästinensern zurück gewiesen haben. …..


Viele haben das Ergebnis als Rückschlag für Netanyahu beschrieben. Einerseits hat die Partei jetzt einige wenige Sitze weniger, aber die Politik gegenüber den Palästinensern und gegenüber dem palästinensischen Territorium blieb weitgehend nicht hinterfragt. Es ist wichtig sich zu erinnern, dass der neue Star der israelischen Politik, Yair Lapid, dessen Partei 19 Sitze errang und damit die zweitgrößte Partei des Landes wurde, keineswegs einen Wahlkampf geführt hatte, in dem er sich von Netanyahus Politik distanzierte. Statt dessen war seine Kampagne auf zwei Probleme fokussiert: Neuverteilung der sozialen Verantwortung – besonders in Hinsicht auf die Ausnahmen, für religiöse Gemeinden – und Umverteilung von Vermögen durch Programme von denen Mittelklasse Israelis profitieren. Das Wahlprogramm echote in großen Teilen die Aussagen der Demonstranten von 2011, die wirtschaftliche Reformen gefordert hatten. Natürlich waren diese Demonstranten weitaus mehr am Preis von Käse interessiert, als an irgendetwas, das die Palästinenser betraf, die Besetzung oder Kolonisierung. Ebenso verstärkte der Aufstieg von Lapid die Realität der Mobilisierung der Bevölkerung Israels in Opposition zu Netanyahu ausschließlich in Hinsicht auf die Wirtschaftsfragen, und nicht in Hinsicht auf seine Politik gegenüber den Palästinensern. Lapid und Netanyahu wissen, dass Yesh Atids Mandat keines ist, das Frieden heißt, und deshalb, während Lapids Sitze ihm ein gewisses Gewicht für Koalitionsverhandlungen geben, wird das Gewicht mit Sicherheit nicht in Bereichen eingesetzt werden, in denen es um die Schaffung von Frieden geht.

Das Wahlergebnis bedeutet NICHT, dass es eine Spaltung der Wähler gibt, bei denen eine Hälfte Rechts und eine Hälfte Links gewählt hat. Dies ist vermutlich die am meisten verbreitete Fehlannahme …

Ich habe die Nachwahl-Kommentare und Analysen aufmerksam verfolgt. Da gibt es Einige, die erklären, dass es der richtige Weg wäre, auf dem sich die israelische Politik bewegen würde, aber in erster Linie, weil sie es selbst so sehen wollen. In Wirklichkeit ist das nicht der Fall. Amerikaner, die besonders empfänglich dafür sind, was ein ehemaliger Professor mir einmal als „System von Eseln und Elefanten“ erklärte, sind für diese Fehlsicht besonders leicht zu begeistern. Die israelische Politik jedoch enthält weit mehr Akteure, Urgesteine und ethno-religiöse Interessen. Jeder, der den Begriff Rechts oder Links verwendet, sollte in der Lage sein zu erklären, was das für ein Spektrum ist, über das er redet. Aber nur wenige können das.

Die Spaltung des Landes ist in Wirklichkeit lediglich eine zwischen den natürlichen Verbündeten von Netanyahu und seinen politischen Gegnern. Das darf man nicht mit einer ideologischen Spaltung verwechseln, oder sogar einem Streit über die richtige Politik hinsichtlich der Besetzung Palästinas. Außerdem wurde behauptet, dass der „linke“ Block einige nicht zionistische arabische Parteien einschließen würde, die ungefähr 9-12 Sitze errungen hätten. Diese Parteien hatten aber noch nie in der Geschichte Israels eine Rolle in einer Regierungskoalition gespielt. Während ihre Anwesenheit einige Grenzen für die größte Partei aufzeigt, die von Netanyahu, also ihn etwas einschränkt in der Freiheit Koalitionen einzugehen, bedeutet aber die Beurteilung dieser kleineren Parteien die sie als Stimmblock gemeinsam mit zionistischen Parteien sieht, ein krasses Missverständnis ihrer Politik und ihres Platzes in einem feindlich gesinnten zionistischen politischen System. Seit 2009, als Netanyahu in der zweitgrößten Partei des Landes war, ist immer noch er, und nur er in der realistischen Position eine Koalition zu schmieden. Natürlich wird die neue Koalition etwas anders aussehen als die letzte, weil jetzt Lapid dabei sein wird, oder weniger stabil, weil sie weniger Sitze haben wird, aber trotzdem wird Netanyahu im Zentrum der Macht sein, und seine Palästina-Politik wird weiterhin weitgehend nicht hinterfragt bleiben.

Der Wahlausgang bedeutet nicht, dass die Aussichten für einen diplomatischen Prozess sich verbessert hätten. ….

Der diplomatische Prozess, auch wenn er weitgehend fruchtlos geblieben war, hatte in den letzten Jahren einen kompletten Stillstand erfahren. Viele hatten geglaubt, dass bestimmte Variablen definiert werden müssten, bevor die politischen Parteien ihre Strategien neu bestimmen könnten. Und Teile davon wären die Wahlen in den USA und Israel gewesen. Nun, jetzt kennen wir den Ausgang. Präsident Obama wurde wiedergewählt und ebenso Netanyahu. Netanyahu hatte vier Jahre von Obamas Palästina-Initiativen überlebt, indem er eine Ausrede nach der anderen anwandte. Aus dem Märchen des Siedlungsbaustopps, der nie wirklich zum Tragen kam, bis zu der Tatsache, dass das iranische Atomprogramm an die Spitze der israelisch-amerikanischen Tagesordnung gesetzt wurde, über die Behauptung, dass selbst die kooperativsten palästinensischen Behörden kein zufriedenstellender Verhandlungspartner wären, schaffte es Netanyahu immer wieder auch jeden Hauch eines Fortschrittes zu verhindern. Dies während er gleichzeitig er immer weiter dabei fortschritt palästinisches Gebiet zu kolonisieren. Natürlich waren Natanyahus Verbündete im US-Kongress und in der Öffentlichkeit instrumentalisiert worden, den US-Präsidenten in Schach zu halten. Glauben Sie wirklich, dass die 2. Amtszeit anders aussehen wird. (2) Vielleicht sollten Sie Chuck Hagel darüber befragen.

Netanyahu muss jetzt nur noch 2 Jahre ausweichen, bis sich die ganze Aufmerksamkeit auf Obamas potentiellen Nachfolger richten wird. Während dieser Zeit wird er die gleichen Ausflüchte und Entschuldigungen benutzen, und vermutlich werden zwei neue hinzukommen. Er wird die Instabilität der Koalition anführen, weshalb er behauptet, keine entscheidenden Veränderungen in der Politik vornehmen zu können. Und potentielle Wechsel in der palästinensischen Führung, sollte es tatsächlich zu einer Phase der Versöhnung kommen, wird auch wieder von Netanyahu mit leichter Hand genutzt werden, um einen weiteren Grund für den Erhalt des Stauts-Quo zu finden.

Dieser Wahlausgang bedeutet DOCH, dass Israel nach rechts gerückt ist …

Einige Beobachter atmeten erleichtert auf, als Naftali Bennets Jewish Home Party nur 11-12 Sitze gewann, statt der erwarteten 14-15. Und sie glaubten, dass dies ein Beweis wäre, dass die Behauptung, die Gesellschaft drifte nach rechts als grundlos anzusehen wäre. Diese Meinung hat aber zwei gravierende Mängel. Erstens gewann die Jewish Home Partei signifikant Sitze dazu, nämlich von 7 auf 12 fast verdoppelt, gegenüber ihren früheren Teilen, der National Union und der Jewish Home aus dem Jahr 2009. Die Anzahl an Sitzen wäre noch wesentlich höher gewesen, hätte vielleicht sogar zu einem Machtwechsel geführt, wären die Wähler in Tel Aviv, die weitgehend unbeeindruckt von der Besetzung Palästinas sind, nicht so skeptisch gegenüber religiösen Fragen.

Der zweite und vielleicht noch wichtigere Grund, warum die Ansicht falsch ist, dass die Gesellschaft nicht nach rechts gerückt wäre, ist die Tatsache, dass die Anzahl der Sitze, die Bennets Partei gewann, nicht das einzige messbare Zeichen für den Rechtsruck in Israel ist. Nehmen Sie z. B. die Tatsache, dass in den Vorwahlen für den Likud, die sich selbst als erste siedlerfreundliche Regierung in der Geschichte des Landes bezeichnet, die Partei noch mehr siedlerfreundliche Elemente in ihre Führung wählte. Der Likud, der sich erst vor einer Wahlperiode mit Avigdor Lieberman verschmolzen hatte, einem Mann, den man ständig als „Rechtsaußen“ und „Ultranationalisten“ bezeichnete, ist die größte Partei im israelischen Parteienspektrum. Und einige ihrer engsten Koalitionspartner waren offen und unabbringbar für eine Kolonisierung und sogar Annektion Palästinas. Keine einzige Partei in der zionistischen Opposition hinterfragte ernsthaft das Unternehmen der Besiedelung, vielleicht mit Ausnahme von Meretz, die lediglich 7 Sitze gewannen. Diese 7 Sitze übrigens waren darüber hinaus ein bemerkenswerter und unerwarteter Triumph.

Es bedeutet doch, dass die Israelis überwiegend Frieden nicht als ihre Priorität betrachten. …
Die Oppositionsparteien hatten überwiegend sozioökonomische Fragen behandelt und Frieden vollkommen außer Acht gelassen. Labor und Yesh Atid, waren die beiden größten Gewinner. Labor fokussierte sich darauf die weiblichen Wähler anzusprechen, und wirtschaftliche Fragen zu behandeln. Lapids Yesh Atid behandelte überwiegend wirtschaftliche Fragen und forderte eine Reform der Gesetze, die religiöse Gemeinden bevorzugten. Parteien, die eine Wiederaufnahme von Verhandlungen zum Thema machten, wie selbst die streng zionistische  Livin Hatnuah, schnitten wesentlich schlechter ab. Wenn die israelischen Wähler irgendetwas von Netanyahus Politik abgelehnt hatten, war das sicher nicht seine siedlerfreundliche Politik, und seine Feindschaft gegenüber dem Iran, sondern lediglich die Art und Weise, wie die Regierung diese Angelegenheiten vor den wirtschaftlichen Problemen priorisierten, wodurch der durchschnittliche Israeli betroffen wurde. Dass die erfolgreichen Oppositionsparteien es nicht gewagt hatten, die zwei Dinge miteinander zu verknüpfen zeigt, wie wenig wichtig die Politik Frieden betrachtet, und wie gleichgültig man gegenüber dem Schicksal von Millionen Seelen geworden ist.

Ja, es bedeutet, dass das Apartheid-System sich weiter verstärkt. …

Letztendlich wird diese Wahl wenig Veränderungen für den Status-Quo bringen. Der Ansporn für die nächste israelische Regierung wird sein, so wie die der letzten Regierung, und der davor, die Besatzung immer weiter auszubauen und zu zementieren, was nichts anderes ist als ein Apartheid-System. Schon bevor die Stimmzettel ausgezählt worden waren, hatte Washington klar gemacht, dass der Ausgang der Wahlen keinen Einfluss auf ihren Standpunkt haben werde. US-Innenpolitik, wie die Prostration von Chuck Nagel vor den pro israelischen Interessengruppen, wird weiter sicher stellen, dass die US-Politik helfen wird, die Kosten der fortgesetzten Besetzung durch Unterstützung des Militärs, der Wirtschaft und der Diplomatie zu lindern. Damit Israels koloniales Unternehmen politisch und wirtschaftlich profitabel bleibt. Israels Politik kann sich dann weiter auf die Innenpolitik konzentrieren, und wie man am besten den Wohlstand der jüdischen Israelis verbessern kann, während man die Palästinenser durch eine Mauer abtrennt, ebenso wie den größten Teil der Welt.

Die Hälfte der Menschen die unter israelischer Kontrolle leben sind Palästinenser. Sie haben entweder kein Recht zu wählen, oder sie werden als Bürger 2. Klasse behandelt. Der Ausgang dieser Wahlen zeigt, dass die Israelis diese Realität nicht bekämpfen wollen. Es ist unsere Pflicht sicher zu stellen, dass das Auszählen von ein paar Stimmzetteln nicht als Feigenblatt genommen wird, um Millionen von Menschen zu entrechten.“
Original in Englisch: http://www.thejerusalemfund.org/ht/display/ContentDetails/i/37718/pid/2254

(1) http://en.wikipedia.org/wiki/Yousef_Munayyer

(2) Inzwischen ist Obama ja auch von seinem Versprechen abgerückt, das illegale Strafgefangenenlager auf Kuba aufzulösen. Wer gegen eigene und internationale Gesetze und gegen eigene Versprechen verstoßen kann, wird sich kaum weitergehend für eine Lösung des Palästinenserproblems einsetzen.


1 Kommentar:

  1. Das ist aber sehr zurückhaltend ausgedrückt. Wesentlich deutlicher wird dieser Kommentar hier: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18706

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