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Sonntag, 20. Januar 2013

Die unblutige Revolution der Kurden in Syrien

Schon verschiedene Male hatte man Berichte gehört, dass das syrische Regime kurdischen Gebieten eine gewissen Autonomie einräumen wollte. Im Rahmen des derzeit stattfindenden Krieges im Land haben Kurden nun ihr Schicksal in die eigene Hand genommen und weitgehend unblutig die Verwaltung von Regionen und Städten selbst übernommen. Für das Regime in Damaskus war es offenbar einfach, dies zugestehen, weil Kurden weitgehend säkular eingestellt sind, dadurch religiöse Unruhen nicht zu erwarten sind. Andererseits hatten sie nie Forderungen nach Unabhängigkeit erhoben, sondern wollten lediglich eine erweiterte Autonomie für ihre Siedlungsgebiete.

Das Gewähren einer Autonomie hat für die syrische Regierung einen weiteren Vorteil. Da die Gebiete entlang der Grenze zur Türkei in Nordostsyrien liegen, wirkt diese Region wie eine Pufferzone für den Fall einer erwarteten Invasion der NATO aus der Türkei. So konnten die Kurden bis Dezember 2012 inzwischen die Städte Ain al-Arab, Amude, Afrin, al-Qahtaniya, al-Darbasiya, Tall Tamr und al-Malikiye unter ihre Verwaltung und Kontrolle stellen.

Immerhin stellen Kurden 9-15% der Bevölkerung Syriens (je nach Quelle). Und sie sind nicht nur in den o.g. Siedlungsgebieten, sondern auch in Großstädten, teilweise konzentriert in speziellen Vierteln, wie z.B. in Aleppo, nicht zu übersehen. Fast alle Kurden bekennen sich zum sunnitischen Islam, aber einige sind auch Jesiden, Christen oder Nusairier. Ohne dass dies zu nennenswerten Spannungen führen würde.

Säkulare Einstellung, unblutige Revolution, hoher Organisationsgrad und Disziplin sollten für den Westen Grund genug sein, die Kurden als Gruppe anzusehen, die eine der wichtigsten Ansprechpartner für eine friedliche Lösung in Syrien sein könnte. Tatsächlich aber werden Kurden weitgehend übergangen und totgeschwiegen in westlichen Medien, Konferenzen und Verhandlungen. Einerseits vermutlich begründet in der Tatsache, dass die Kurden keinen gewaltsamen Sturz des Regimes, sondern eine gewaltfreie Transition befürworten. Andererseits dürfte ein wichtiger Grund im Interesse der Türkei liegen, keine türkische Autonomieregion an der Grenze zu dulden, aus Angst vor Forderungen der türkischen Kurden nach gleichem Recht, oder sogar einem eigenen Staat. Statt dessen verhandelt der Westen also nun mit Unterstützern von Massenmördern, Terroristen und religiösen Extremisten. 

Es muss daher befürchtet werden, dass die gerade jetzt entstehende Selbstverwaltung und Demokratieentwicklung in den kurdischen Gebieten an der Grenze zur Türkei als eine der ersten Aktionen in einer drohenden Intervention bzw. einem Angriff der NATO gegen Syrien zerstört werden wird. Aus diesem Grund möchte ich diese Phase der Geschichte der Kurden in Syrien nicht undokumentiert lassen. Hier ein Bericht aus der Region (1) von Civaka Azad (Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.)

Mit der folgenden Serie sollen Einblicke in die gegenwärtigen historischen Entwicklungen in Westkurdistan gegeben werden. Wie ist es zu dem revolutionären Prozess in Westkurdistan gekommen? Wie verläuft die Revolution in Westkurdistan? Wie wirkt sich die Revolution auf das gesellschaftliche Leben der Kurdinnen und Kurden aus? Und was sind die Perspektiven dieser Revolution? Auf diese und weitere Fragen werden wir versuchen mit dieser Serie Antworten zu geben. Die wiedergegeben Informationen basieren auf der Berichterstattung der Journalistin Hazal Peker, die sich für die Frauennachrichtenagentur JINHA in Westkurdistan befindet. Die vollständige Serie wird in der türkischsprachigen Tageszeitung Özgür Gündem veröffentlicht.

In Syrien tobt gegenwärtig ein blutiger Bürgerkrieg. Jeden Tag erscheinen Meldungen von bewaffneten Auseinandersetzungen und Massakern in den Medien. Doch in Syrien findet gegenwärtig auch eine Revolution statt. Es ist die Revolution von Westkurdistan. Bevor wir uns näher anschauen, um was für eine Revolution es sich genau handelt, wollen wir noch ein paar Hintergrundinfos zu den Kurdinnen und Kurden aus Syrien und Westkurdistan vorweg geben.

Situation der KurdInnen vor der Revolution
In Syrien und Westkurdistan leben rund 3 Mio. KurdInnen. Der größte Teil von ihnen lebt in den westkurdischen Städten wie Qamislo, Kobanî, Efrîn, Amudê oder Dêrik. Aber ein nicht unbedeutender Teil der Kurdinnen und Kurden musste, zumeist aus ökonomischen oder politischen Gründen, ihre Heimat verlassen und in syrische Städte wie Aleppo (Heleb) oder Damaskus ziehen. Heute gibt es in Aleppo, wo rund 600.000 KurdInnen leben, oder in Damaskus, wo es auch annähernd 500.000 KurdInnen sind, ganze kurdische Stadtbezirke. Die politische Situation des kurdischen Volkes in Syrien unterschied sich nicht bedeutsam von den anderen Teilen Kurdistan. Auch hier wurde die Sprache des kurdischen Volkes nicht anerkannt, auch hier führten die Machthaber aus Damaskus eine rigorose Assimilations- und Verleugnungspolitik gegenüber der Bevölkerung Westkurdistans. In Syrien gab es vor der Revolution ganze 16 kurdische Parteien, deren politischer Spielraum war jedoch stets äußerst begrenzt. Aufgrund der systematischen Repressionen wurden viele politische AktivistInnen festgenommen und verschwanden zum Teil hinter den Mauern der Gefängnisse des Baath-Regimes. Viele zogen es aufgrund der Repressionen vor, ins Ausland zu flüchten und verloren dadurch ihre Verbindung zur Basis in Westkurdistan.

Die Revolution beginnt …
In Westkurdistan ist die Revolution nicht von heute auf morgen vom Himmel gefallen. Ein ganzes Jahr haben sich die Kurdinnen und Kurden auf die passende Situation vorbereitet. Die erste Stadt, in der sich die Bevölkerung angefangen hat zu organisieren, war Dêrik. Von Dêrik aus verbreitete sich die Organisierung der Bevölkerung über ganz Westkurdistan und weit darüber hinaus. Denn auch in den kurdischen Stadtteilen im Rest von Syrien erreichte die Bevölkerung Westkurdistan einen hohen Organisierungsgrad. Organisierung der Bevölkerung – das ist die größte Waffe der KurdInnen gegenwärtig in Syrien. Nur dadurch kann die eigene Sicherheit inmitten eines Bürgerkrieges gewährleistet werden. So gelingt es der kurdischen Bevölkerung gegenwärtig in der umkämpften Stadt Aleppo die Gefechte aus ihren Stadtteilen herauszuhalten. Die Organisierung der Bevölkerung ist aber zugleich auch ein Garant für die Errungenschaften der KurdInnen in dieser revolutionären Phase.
Was die Bevölkerung erreichen kann, wenn sie organisiert auftritt und handelt, wurde bereits vor der Revolution in der westkurdischen Stadt Kobanî ersichtlich. Dort hatte das Assad-Regime vor langer Zeit schon die Ländereien der Bevölkerung beschlagnahmt. Doch vor drei Monaten entschied sich die Bevölkerung in einer organisierten Aktion die Länder wieder unter ihre eigene Kontrolle zu bringen. Und sie setzten ihre kollektive Entscheidung kurzerhand um und beschlagnahmten sozusagen ihr eigenes Land zurück. Zum Schutz des Landes wurden zudem bewaffnete Einheiten aus der Mitte der Bevölkerung organisiert. Diese Selbstverteidigungseinheiten, die sich später während der Revolution in allen kurdischen Orten unter dem Namen YPG organisieren sollten, beschützten die Ländereien erfolgreich, und die Regierung Assads beschloss lieber freiwillig die Länder aufzugeben, anstatt eine Eskalation der Situation zu riskieren. Diese Aktion in Kobanî kann gerne als die gelungene Generalprobe vor der Revolution verstanden werden.

Ausgangspunkt der Revolution waren die Moscheen
„Zu Zeiten des Propheten Mohameds waren die Moscheen immer auch Zentren, in denen soziale Probleme diskutiert und gelöst worden sind. Nach seinem Tod verloren die Moscheen diese Funktion. Wir wollen die ursprüngliche Funktion der Moscheen wiederbeleben.“ Das sind die Worte eines religiösen Geistlichen aus Kobanî. Und auch in seiner Moschee beschloss das Volk, dass in der Nacht vom 18. auf dem 19. Juli die Revolution losgehen soll. Um ein Uhr nachts Ortszeit nahmen die Volksverteidigungskräfte der YPG die Straßen, die in die Stadt hinein- und hinausführen unter ihre Kontrolle. Die Bevölkerung setzte zeitgleich die Belagerung und Einnahme aller staatlichen Institutionen der Stadt ein. Schließlich versammelte sich die Bevölkerung vor dem Militärstützpunkt der Assad-Armee in Kobanî. Eine Delegation aus der Bevölkerung wurde hineingeschickt, um mit dem Militär zu verhandeln. Sie sollten ihre Waffen abgeben und man werde für ihre Sicherheit garantieren, das war das Angebot der kurdischen Seite. Und angesichts der Ausweglosigkeit gegenüber den Volksmassen willigten die Soldaten ein. Später kehrte ein Teil der ehemaligen Soldaten zu ihren Familien in die arabischen Städte zurück, während ein anderer Teil es aufgrund der Bedrohung durch die Freie Syrische Armee vorzog, in Kobanî zu bleiben.
Kobanî wird im kollektiven Gedächtnis der kurdischen Bevölkerung stets seinen Platz als Ausgangsort der westkurdischen Revolution behalten. Von Kobanî aus weitete sich die Revolution in den darauffolgenden Tagen auf weitere Städte Westkurdistans aus. Wie die Revolution weitergeht, denn sie ist noch im vollen Gange, und wie sie sich auf das Leben der Bevölkerung auswirkt, soll in den kommenden Teilen dieser Serie beschrieben werden.
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Im zweiten Teil unserer Serie geben wir die erste Hälfte aus einem ausführlichen Interview mit dem Mitglied des kurdischen Hohen Rates Ilham Ahmet wieder. Das Interview wurde von der JINHA Journalistin Hazal Peker geführt.

Die Entwicklungen in Syrien sind weltweit weit oben auf der politischen Agenda. Wieso gibt es auf der ganzen Welt solch ein Interesse daran, ob es Syrien zu einem Regimewechsel kommt oder nicht?
Syrien hat eine historische Bedeutung. Und die Entwicklungen in Syrien werden eine Reihe von Veränderungen, die über Syrien hinaus gehen, mit sich bringen. Insbesondere für die Staaten, die eine Vormachtstellung in der Region spielen, hat es deshalb eine besondere Rolle, in welche Richtung sich Syrien entwickelt. Man darf nicht vergessen, dass das internationale Kapital und die äußeren Mächte bereits mit dem Irak-Krieg begonnen haben, ihre Projekte für den Nahen und Mittleren Osten umzusetzen. Nach dem Irak mussten dann auch andere Staaten dran glauben. Syrien spielt nun hierbei eine Schlüsselrolle, denn die Auswirkungen eines Regimewechsels in diesem Land werden weitaus größer sein, als beispielsweise in Ägypten oder Libyen. Und deswegen hat jede Macht seine eigenen Kalkulationen hinsichtlich Syriens. Wir reden hier also nicht bloß von einem Aufstand des Volkes oder einem Bürgerkrieg, denn auch die äußeren Mächte spielen eine gewichtige Rolle in diesem Konflikt. Dieser Krieg verläuft so blutig, weil es eben auch eine russische Front oder eine europäische Front gibt. Jede dieser Mächte versucht in Syrien ein System nach ihren Vorstellungen zu installieren. Und jede dieser Mächte hat selbstverständlich auch große Angst, ihren Einfluss in Syrien zu verlieren. Denn sollte das geschehen, wäre das praktisch gleichbedeutend damit, dass diese Mächte auch in der gesamten Region nichts zu sagen hätten und dadurch kein Stück des Kuchens im Mittleren Osten mehr erhalten würden.

Durch diesen Wirrwarr an Machtinteressen in Syrien herrscht allerdings auch eine ernsthafte Gefahr vor, dass das Land dreigeteilt werden könnte. Dann würde es vermutlich zu einem alawitisch-arabischen, einem sunnitisch-arabischen und zu einem gemeinsamen kurdischen und christlichen Teilstaat in Syrien kommen. Diese These wird von vielen Kreisen angesichts der Eskalation der Situation als nicht unrealistisch angesehen.
Welche Auswirkungen hat dieser Krieg auf die verschiedenen Minderheiten im Land?
Zwischen den verschiedenen Volksgruppen in Syrien herrscht zum größten Teil eigentlich ein harmonisches Verhältnis. Es kommt eigentlich zu keinen Kämpfen zwischen den verschiedenen Gruppen. Hinzu kommt, dass der ehemalige syrische Präsident Hafiz al-Assad eine sehr geschickte Politik verfolgte. Er gewährte den Volksgruppen gewisse Rechte und versuchte dadurch den Menschen das Gefühl zu geben, sie seien frei. So durften die Kurden zu Hause und auf der Straße ihre Sprache sprechen und in ihrer traditionellen Kleidung auf die Straße gehen. Mit dieser Politik unterband Assad, dass die verschiedenen Volksgruppen weitere Forderungen an das Regime stellten. Gleichzeitig verfolgte das Regime aber auch eine Assimilationspolitik gegenüber den KurdInnen. Vielen Menschen wurde die syrische Staatsbürgerschaft aberkannt und sie verloren dadurch ihre elementaren Grundrechte. Zusätzlich wurden im Rahmen der Politik des „Arabischen Gürtels“ systematisch AraberInnen in den kurdischen Gebieten angesiedelt und KurdInnen enteignet und deportiert.

Abgesehen von der Staatspolitik war und ist das Verhältnis zwischen den Völkern allerdings friedlich. Als Beispiel kann ich das Zusammenleben der Kurden, Assyrer, Armenier und Araber in Derîk oder Qamişlo anführen. Das Zusammenleben ist so sehr ineinander gewachsen, dass man diese Gruppen nicht mehr trennen kann. Jede Gruppe spricht ihre eigene Sprache und lebt ihre eigene Kultur. Zugleich hat sich die kurdische Sprache, weil die KurdInnen in der Mehrheit sind, auf natürlichem Weg zur gemeinsamen Sprache entwickelt. Und das stört die anderen Gruppen nicht, denn die KurdInnen haben ihre Sprache und Kultur nicht den andere zwanghaft aufgedrängt.
Der kurdischen Bevölkerung ist es in den Gebieten, in denen sie leben, gelungen, die Kontrolle ohne Blutvergießen an sich zu nehmen. Sie erklärten, dass sie sich selbst verwalten wollen. Welche politischen Schlussfolgerungen kann man aus der Situation der KurdInnen in Syrien ziehen?
Wir können deutlich sagen, dass die KurdInnen die dritte oppositionelle Kraft, nach den äußeren Mächten wie Europa und islamischen Opposition im Inland, sind. Und während das System und die übrige Opposition einen blutigen Kurs fahren, setzen die KurdInnen auf einen friedlichen Widerstand. Wir halten das für den sinnvolleren Weg. Es ging uns nicht darum, sofort die Waffen in die Hand zu nehmen und sie gegen das Regime zu richten. Wir wollen unser Ziel eines demokratischen Syrien mit friedlichen Mitteln umsetzen. Wegen diesem Kurs wurden uns von vielen Seiten Vorwürfe gemacht. „Warum kämpft ihr nicht? Ihr leistet gar keinen Widerstand“, hieß es von verschiedenen Kreisen. Aber wir haben versucht zu erklären, dass wir unseren Kurs für den richtigeren Weg erachten. Der Nahe und Mittlere Osten ist für sein Blutvergießen bekannt. Wir wollen als KurdInnen beweisen, dass es auch anders gehen kann, dass mensch auch mit friedlichen Mitteln für seine Rechte einstehen kann. Und die Tatsache, dass wir mit dieser Politik bisher recht erfolgreich waren, bringt die restliche Opposition zum Grübeln. Auch der Staat und die äußeren Mächte sind regelrecht schockiert über die Ergebnisse unserer Politik.

Lange Zeit hat sich der syrische Staat mit Gewalt gegen unsere Politik gewehrt. Sie dachten, dass das kurdische Volk Syrien spalten will. Und sie haben Dutzende unserer Freundinnen und Freunde inhaftiert, gefoltert und ermordet. Und dabei haben die KurdInnen stets nichts mehr verlangt, als ihre grundlegenden Rechte. Aber der Staat hat auf seiner Verleumdungs- und Vernichtungspolitik beharrt. Jetzt mischt sich das Regime nicht sonderlich in die Entwicklungen in Westkurdistan ein. Sie lassen mehr oder weniger die KurdInnen gewähren. Das Regime denkt sich das Ganze wie folgt: „Wir lösen zunächst das Problem unter den Arabern, und danach werden wir uns schon um die KurdInnen kümmern.“ Das ist ihre gegenwärtige Herangehensweise. Aber sie lassen außer Acht, dass sich einiges geändert hat. Wir schreiben das Jahr 2012 und die Umstände haben sich ein wenig verändert. Sie können nicht mehr so leicht wie früher in unsere Städte hineinspazieren und tun und lassen, was sie wollen. Wir sagen, dass sowohl das Regime als auch die Opposition falsch an die Sache herangehen. Beiden Seiten geht es nur darum sich an der Macht zu halten bzw. die Macht an sich zu reißen. Die KurdInnen agieren da schlauer und bauen gegenwärtig ihre kommunalen Verwaltungsstrukturen in ihren Ortschaften auf. 
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In diesem Teil unserer Serie zu den Hintergründen der Revolution in Westkurdistan geben wir den zweiten Teil des Interviews mit Ilham Ahmet wieder. Ahmet ist eine von zwei weiblichen Mitgliedern des Kurdischen Hohen Rates. Sie beantwortet die Fragen der JINHA-Reporterin Hazal Peker.

Was wollen die Kurdinnen und Kurden für Westkurdistan?

Was wir in Westkurdistan aufbauen wollen, ist die Demokratische Autonomie. Und der größte Teil der kurdischen Bevölkerung unterstützt dieses System. Für sie ist das die bestmöglichste Lösung hier. Und die Arbeiten für die Demokratische Autonomie laufen auf Hochtouren.
Gibt es überhaupt ein Fundament in Westkurdistan für die Demokratische Autonomie? Wenn ja, wie sieht dieses aus?
Wie gesagt, wir befinden uns in der Aufbauphase und das Fundament entwickelt sich. Überall organisiert sich das Volk in Rätestrukturen. Es entstehen parallel hierzu Frauenräte. Es entwickelt sich eine starke Zivilgesellschaft, ÄrztInnen, IngenieurInnen, LehrerInnen und weitere Berufsgruppen organisieren sich. In so gut wie jedem Lebensbereich organisiert sich die Bevölkerung. Das ist das Fundament der Demokratischen Autonomie. Ein wichtiges Thema ist natürlich auch die Wirtschaft. Hier haben sich ebenfalls die ersten Komitees zusammengeschlossen. Aber aufgrund der aktuellen politischen Situation haben wir noch nicht den Fokus unserer Arbeiten auf die Wirtschaft gelegt. Wir werden die Arbeiten in diesem Bereich, sobald es möglich ist, wieder auf unsere Tagesordnung setzen. Das wirtschaftliche Ziel in der Demokratischen Autonomie wird es sein, Projekte zu entwickeln, durch die sich die Bevölkerung in Westkurdistan weitgehend selbst versorgen kann.
Es ist die Rede von 16 politischen Parteien in Westkurdistan. Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen den Parteien aus? Kann das Ziel einer gemeinsamen kurdischen Politik erfolgreich umgesetzt werden?
Du hast Recht. Es gibt insgesamt 16 kurdische Parteien in Westkurdistan. Und wir haben von Anfang an betont, dass es für die Kurden von großer Wichtigkeit ist gemeinsam zu agieren. Aber es war natürlich auch nicht leicht dies umzusetzen. Denn vor allem die Kräfte aus dem Ausland versuchten die eine oder andere kurdische Partei für ihre eigenen Interessen zu gewinnen und zu instrumentalisieren. Die einflussreichste kurdische Partei hier ist die PYD (Partei der Demokratischen Einheit). Sie genießt den meisten Zuspruch der westkurdischen Bevölkerung. Und sie hat die Politik der kurdischen Einheit sehr stark vorangetrieben. Wir wussten von Anfang an, dass es zwar keine ideologische Einheit geben kann, aber unter den gegebenen Umstände musste eine politische Einheit der Kurdinnen und Kurden her. Deswegen haben wir uns alle in Qamişlo getroffen und beschlossen, gemeinsam zu handeln. Daraus ist der Kurdische Hohe Rat entstanden und diese Entwicklung hat die kurdische Bevölkerung sehr gefreut. Die meisten kurdischen Parteien sind Teil dieses Rates und diejenigen Parteien, die nicht Teil der kurdischen Einheit werden wollen, werden von der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert. Natürlich stört die kurdische Einheit die äußeren Mächte, allen voran die Türkei. Auch andere Mächte, die auf dem Rücken der kurdischen Parteien ihre Interessen in Syrien verwirklichen wollen, fühlen sich gestört und versuchen mit aller Kraft die Einheit wieder zu spalten. Aber wie gesagt, keine kurdische Partei kann es sich leisten losgelöst vom Kurdischen Hohen Rat Politik zu betreiben. Ganz einfach, weil das kurdische Volk sofort sehen würde, dass diese Partei dann nicht mehr im Interesse der kurdischen Bevölkerung handelt.
Wie sieht es mit der Sicherheitspolitik des Kurdischen Hohen Rates aus? Gibt es Vorbereitungen für den Fall eines möglichen Angriffs?
Seit dem Massaker von Qamişlo am 12. März 2004 haben die Kurden angefangen ihre eigenen Sicherheitskräfte zu organisieren. Nachdem die Bevölkerung in der letzten Zeit eine Stadt nach der anderen in Westkurdistan eingenommen hat, übernahmen die aus der Bevölkerung zusammengesetzten Sicherheitskräfte die Verantwortung für den Schutz der Städte. Das ist die Geburtsstunde der sogenannten Volksverteidigungskräfte (YPG). Die Kräfte der YPG kontrollieren heute die Zufahrtsstraßen in die kurdischen Städte, tragen Mitverantwortung für die öffentliche Ordnung in den Städten und kontrollieren die Grenzgebiete zu der Türkei und zu den arabischen Gebieten.
Aber unsere Selbstverteidigungsmechanismen laufen nicht allein über die bewaffneten Kräfte. Für uns heißt Selbstverteidigung auch, dass die Bevölkerung im politischen Bereich seinen Einfluss wahren kann. Das heißt, dass das Volk seinen Willen zum Ausdruck bringen können muss. Zudem muss es seine Kultur und seine Sprache wahren und weitergeben können. Das sind für uns auch elementare Bereiche der Selbstverteidigung. Und sowohl die bewaffnete als auch die unbewaffnete Selbstverteidigung läuft über die Organisierung des Volkes.
Gibt es noch etwas, dass du sagen möchtest?
Für uns ist es ganz wichtig, dass die Welt versteht, worum es den Kurdinnen und Kurden in Syrien geht. Uns geht es nicht darum die Macht zu ergreifen und die Türken, Araber oder die Perser zu unterwerfen. Wir wollen ausschließlich unsere eigene Existenz schützen, uns selbst verwalten und unsere Kultur ausleben. Zunächst geht es uns darum, dass wir unsere Errungenschaften schützen. Das zweite wichtige Ziel ist der Aufbau der Demokratischen Autonomie.
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(1) http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/erklaerungen/2012/09/01.htm

Weitere interessante Links:

http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/erklaerungen/2012/09/13.htm 

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