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Freitag, 31. August 2012

Selektive Wahrnehmung

Das größte Problem, Menschen von aktiver Friedenspolitik zu überzeugen ist, sie zunächst von ihrer selektiven Wahrnehmung zu befreien. Dieser natürliche Schutzreflex ist tief in den menschlichen Genen versteckt und manifestiert sich schon in der Kindheit, wenn man die Hände vor die Augen schlägt, im Glauben dann nicht gesehen zu werden. Hat man dann unter vielen Schmerzen ein komplexeres Weltbild entwickelt, tut man alles, um dieses zu schützen. Man kämpft darum, dieses Weltbild zu behalten. Manche Ehen bestehen nur noch aus dem Kampf, das Bild vom Partner aufrecht zu erhalten. Und wer einmal geschieden wurde, weiß wie schmerzhaft die Realität ist, das Lernen, dass es da noch ein anderes, ein konkurrierendes Weltbild gibt. Und so halten sich Menschen im Internetzeitalter politisch ihr Weltbild aufrecht, indem sie die Ignoranz von Tatsachen zur Ideologie erklären. „So einen Scheiß les ich doch nicht“. Oder „von dem schau ich mir doch kein Interview an“.



Besonders schwer ist es, Menschen von ihrer selektiven Wahrnehmung weg zu bekommen, wenn sie sich noch dazu in Gefahr glauben. Und so hört man von der einen Seite: „Wenn der Iran eine Nuklearbombe hat, kann er die auf Deutschland ab schießen. Und was, wenn er sie auf Israel schießt? Das sind doch verrückte Fanatiker.“ Dass der Iran noch lange keine Trägerrakete hat, die Deutschland sicher erreichen kann, und dass bestimmt andere Ziele aus Sicht des Iran attraktiver erscheinen könnten, wird ausgeblendet. Dass der Iran seit 200 Jahren keinen Angriffskrieg geführt hat, und selbst US-Geheimdienst-Analysten dem Regime bestätigen, eben keine Irren zu sein, wird vollkommen ausgeblendet, und dass das Regime deshalb sicher keinen Angriffskrieg gegen einen Atomstaat beginnen wird, der noch dazu vom größten Atomstaat der Erde beschützt wird ... wird ausgeblendet.

Der Iraner auf der anderen Seite sagt: „Seit 1953 führt die USA Krieg gegen uns. Nach der Verstaatlichung der Ölindustrie klagte die USA vor dem Weltgericht und verlor, daraufhin organisierten sie einen Putsch, zerstörten unsere junge Demokratie und setzten den Schah als Diktator ein. Nachdem der Schah durch eine Revolution gestürzt war, versuchen die USA wieder Einfluss zurück zu gewinnen und unterstützten auch das Regime von Saddam Hussein bei seinem Angriffskrieg gegen uns. Und seit Jahren droht die USA mit Krieg, umzingelt uns mit einer ungeheuren Militärmacht und einige sprechen sogar vom Einsatz von Nuklearwaffen gegen unsere Bunkereinrichtungen. Die wollen uns vernichten.“ Hier sieht man ein vollständiges Ausblenden der rassistischen Hasstiraden der Führung gegen Israel, und des provozierenden Auftretens im Sicherheitsrat, weshalb das Bild des „verrückten religiösen Extremisten“ überhaupt in der Propaganda erschaffen werden konnte. Ausblenden der Tatsache, dass der Iran aus seiner Sicht Freiheitskämpfer unterstützt, die gegen die illegale Besetzung Palästinas kämpfen, aber aus der Sicht der USA Terroristen sind. Weshalb es überhaupt möglich ist, den Iran mit internationalem Terrorismus in Verbindung zu bringen.

Beide leben in ihrer eigenen Welt. Weigern sich, etwas in Betracht zu ziehen, was ihr eigenes Weltbild in Frage stellen könnte. Denn instinktiv fürchten sie die dann eintretende Verwirrung, vielleicht sogar Verzweiflung und vor allen Dingen den verlorenen Halt.

Und genau mit dieser Angst spielt die Propaganda, die immer wieder und immer wieder die gleiche Nachricht sendet: „Wir sind die Guten, das sind die Bösen“. Und basierend auf diesem Prinzip der selektiven Wahrnehmung tun die Mächtigen dann, was sie jeweils tun wollen. Und wie in einem Spiel reizen sie den anderen, weil dadurch die Einigkeit der eigenen Reihen durch die Angst vor dem Feind gesichert ist. (Dabei kann man sich natürlich auch verkalkulieren, wie Saddam Hussein vor dem 1. Irak-Feldzug. Oder wie die USA in Afghanistan, was ihr zweites Vietnam werden wird.  Zynischerweise ausgerechnet Afghanistan, dessen Rebellen Sie einmal gezielt unterstützt hatten, "um Russland sein Vietnam zu verursachen".)

Wer die Formel findet, wie der Mensch auf die nächste Stufe der Evolution gehoben werden kann, auf der er in der Lage ist, selektive Wahrnehmung zu erkennen und zu bekämpfen, der findet die Formel für den Frieden. Denn ohne die Unterstützung der eigenen Bevölkerung ist heute kein Krieg mehr zu führen, auch nicht in den absolutistischsten Diktaturen. Höchstens ein Krieg. Der Krieg gegen das eigene Volk.


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