DIE GESELLSCHAFTLICHE SITUATION IN SAUDI ARABIEN
Politische Parteien und Wahlen sind verboten. Das Land ist der Besitz einer Familie. Der König bestimmt die Regierung und die Minister. Auch Gouverneure der relativ Provinzen werden von ihm ausgewählt und kontrolliert. Alle haben eine Eigenschaft gemeinsam: Sie sind Verwandte der Königsfamilie, wie Monarchien eben schon seit Jahrhunderten ihre Dynastie absichern. Frauen werden in Saudi Arabien ausgegrenzt wie in keinem anderen Land der Welt, außer vielleicht in Afghanistan unter dem Regime der Taliban.
Und nun will Deutschland Panzer in das Land liefern. Fahrzeuge, in einer Ausführung, die besonders geeignet gegen Aufständische und für Straßenkämpfe sind. Mit kurzem Rohr und Räumschild. Und dabei gibt es in dem Land Proteste, trotz brutaler Unterdrückung, Hinrichtungen, Verschleppungen und Folter. Nur wird über sie niemals in westlichen Medien berichtet. In Saudi Arabien sind die Medien sowieso streng reglementiert. Die meisten Webseiten, die neutral oder kritisch sind, werden blockiert.
Der saudische Journalist Khaled al-Harbi schätzt, dass das Königreich über 400 Milliarden Dollar an Einkünften im Jahr hat, zum größten Teil aus Öllieferungen. Weshalb diese Einkommen auch je nach Preis des Öls schwanken. Trotzdem leben ca. 60 Prozent der Bevölkerung in Armut. Die den König beratende „Versammlung“ nennt lediglich 22% (1). Vermutlich weil nur die Staatsangehörigen als vollwertige Menschen gezählt werden, nicht die zahlreichen Gastarbeiter im Land.
DIE MODERNEN SKLAVEN
Der Einkommensunterschied zwischen Arm und Reich ist ungeheuer. Zuwendungen für die Armen hängen alleine von der Willkür bzw. den Almosen ab, die von der königlichen Familie verteilt werden. Diese Familie, die das Land als ihren persönlichen Besitz ansieht, und von ihr gepflegte Eliten teilen sich praktisch die gesamten Staatseinnahmen auf. Obwohl die Arbeitslosigkeit hoch ist, werden Gastarbeiter angeworben. Sie arbeiten unter unwürdigen, unmenschlichen Bedingungen zwischen 10 und 12 Stunden am Tag.
Ich selbst war vor einigen Jahren in Bangladesch auf einer Dienstreise. Mein Gesprächspartner empfing mich und brachte mich in einen Bürokomplex. Davor wartete eine lange Schlange von Menschen. Wie ich später erfuhr, mussten Sie ihre handwerklichen Fähigkeiten in einem Test beweisen, weil sie sich für einen Auslandseinsatz bewarben. Gönnerhaft klopfte mir mein Gastgeber auf die Schulter: „Das hier sind die besten Handwerker, die das Land hat. Alle wollen ins Ausland. Wenn Sie sie vermitteln, zahle ich Ihnen 1000 Dollar pro Kopf.“ Tatsache war, dass diese Arbeiter einen Dreijahresvertrag abschließen mussten. Das erste Jahr arbeiteten Sie, um die Vermittlungsgebühr abzuzahlen, das zweite Jahr um die Reisekosten zu finanzieren, die sie selbst tragen mussten, und um Darlehen, die sie in der Familie gesammelt hatten, um die Anwerber zu bestechen. Das dritte Jahr schließlich, wenn sie es so lange aushielten, gesund blieben und keinen Unfall hatten, konnten sie für das eigene Einkommen sparen. Natürlich war das nicht offiziell, wie mein Gesprächspartner lächelnd erklärte. Offiziell übernahm seine Firma die Reisekosten und offiziell gab es keine Vermittlungskosten.
Jene Arbeiter leben in Gettos in Saudi Arabien und benötigen besondere Erlaubnis, wenn sie dieses verlassen wollen. Inzwischen sind ca. 80% der Arbeiter Ausländer. Sie haben keinerlei Rechte. Normale Saudis werden von diesen „niedrigen“ Arbeiten ausgeschlossen. Rund 40% der 20-24-jährigen Männer sind arbeitslos. Die allermeisten Frauen.
DIE RELIGION
Der Islam ist die Staatsreligion. Andere Religionen sind verboten. Die herrschende Minderheit gehört zur Sunnitischen Glaubensrichtung, genauer gesagt sind es Wahhabiten (2), während die unterdrückte Mehrheit schiitisch lebt. Also jener Glaubensrichtung angehört, die im Iran Staatsreligion ist. Weshalb man sagen kann, dass die Panzerlieferung zwar gegen den Iran gerichtet ist, aber gegen die Anhänger des Irans im eigenen Land. Besonders in den östlichen Provinzen gibt es immer wieder soziale Spannungen, die sich dann als „religiöse“ Spannungen darstellen. Weil die Religion eine größere Rolle für die Menschen in den arabischen Ländern spielt als im Westen, und weil die Armutsgrenze entlang der Religionsgrenze verläuft. Delikaterweise liegen 90% der derzeit explorierten Ölreserven in diesem Gebiet.
MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN
Als Saudi Arabien im Jahr 2011 auf das Hilfeersuchen von Bahrain eingegangen war und Truppen entsandt hatte, um mit militärischer Gewalt den dort entstehenden arabischen Frühling blutig zu zerschlagen, war das einer der wenigen Fälle, die bekannt wurden. Tatsächlich wird der Einsatz deutscher Panzer in erster Linie zu diesem Zweck zu erwarten sein. Während der Niederschlagung in Bahrain wurden, bezogen auf die Einwohnerzahl des Landes, ungefähr die gleiche Anzahl an Menschen getötet, gefoltert, interniert und vermisst wie in Syrien. Mit dem bitteren Beigeschmack, dass dieser Aufstand ohne das Eingreifen Saudi Arabiens möglicherweise zu einem erfolgreichen Umsturz hätte führen können. Niemand im Westen empörte sich. Die Bundesregierung erklärte, dass ja Reformen angekündigt wären. Man müsse die erst abwarten. Das Warten wird vermutlich einige Jahrzehnte dauern.
Ein Beispiel für die vollkommen willkürlich durch die Elite ausgeübte Macht: Am 19.06.2012 wurde ein Mann wegen „Hexerei und Schamanismus“ durch Köpfen mit dem Krummschwert hingerichtet. (4) Nur selten gelangen solche Nachrichten in Ausland.
In Saudi Arabien kommt es täglich zu schweren Menschenrechtsverletzungen, von denen man jedoch auch nichts hört. Willkürliche Verhaftungen, Isolationshaft, Folter, körperliche Züchtigungen, öffentliche Auspeitschungen und öffentliche Hinrichtungen sind an der Tagesordnung. Proteste, wie in Qatif werden brutal nieder geschlagen und verheimlicht. (3) Trotzdem breitet sich die Unruhe aus, ohne dass wir ab er im Westen darüber etwas in den Massenmedien erfahren.
Im März diesen Jahres wurde der angesehene Prediger Scheich Tawfiq alAmer verhaftet, weil er eine konstitutionelle Monarchie gefordert hatte. Die Sicherheitskräfte gingen mit großer Brutalität gegen jeden vor, der seine Forderungen wiederholte oder verbreitete. Damals erklärte der im Exil lebende politisch Anaylst Mohamed al-Massari im zugegeben feindlich gesinnten iranischen Fernsehen, dass genügend Menschen inzwischen bereit wären, mit der Waffe in der Hand gegen das Regime zu kämpfen. Die Angriffe von Sicherheitskräften gegen Frauen wären besonders dumm gewesen und sollten sich bitter rächen, sagte er im März.
Am 9. Juli kam es in der Region Qatif wieder zu Unruhen, als einem angesehenen schiitischen Prediger (Shaikh Nimr al-Nimr) bei der Verhaftung ins Bein geschossen wurde. Die Sicherheitskräfte sind eben nicht zimperlich. Ihm wurde vorgeworfen, die sunnitische Bevölkerung aufzuwiegeln. Natürlich war er nicht der einzige Verletzte. In westlichen Medien war davon nichts zu hören oder lesen. Wohl aber im Iran. (5) {Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland wurde dem iranischen Fernsehen verboten, über Satellit seine Sendungen auszustrahlen. Obwohl ihm kein einziger Fall von Verstoß gegen Mediengesetze nachgewiesen wurden, basierten die Entscheidungen auf Formalien.}
Die US-Soldatenzeitung berichtete schließlich von Unruhen, die die Soldaten verunsicherten. Weil sie nicht verstanden, warum in einem Fall Demonstrationen blutig nieder geschlagen werden durften, im anderen Fall aber von ihrer Regierung verurteilt wurden. (6) Und im gleichen Artikel kann man lesen, dass sich die Unruhen bereits von Bahrain auf den Osten Saudi Arabien ausgeweitet haben. Obwohl die Sicherheitskräfte mit eiserner Faust vorgehen, scheinen sie die Proteste nicht verhindern zu können, und der Virus der Rebellion breitet sich immer weiter aus.
DEMONSTRATIONEN
Selbst die NYT berichtet von Protesten in Saudi Arabien. (7) So laut ist die Stimme des Aufstandes schon geworden. Demonstranten rufen antireligiöse (im Sinne der Wahhabiten) Slogans und fordern Arbeit und Reformen. Sie fordern Freiheit für die Inhaftierten, soziale Gerechtigkeit und das Ende des Absolutismus. Das Königshaus benötigt dringend für den Straßenkampf geeignete Panzer um den wachsenden Widerstand der Bevölkerung zu brechen.
DIE ROLLE DER USA
Seit 1945 unterhält die USA hervorragende Beziehungen zu Saudi Arabien. Denn Saudi Arabien, so war schon damals bekannt, verfügte über ungeheure Vorräte an Öl, vielleicht das größte Vermögen aller Länder dieser Welt.
Die Linke Zeitung schreibt:
„Der 23. September ist der Nationalfeiertag Saudi-Arabiens. 2009 nutzte Hillary Clinton dieses Datum, "um König Abdullah für seine führende Rolle bei der Bewältigung regionaler und globaler Problem zu danken".FAZIT
Er setze sich "für einen umfassenden Dialog ein, der die von uns allen anerkannten Grundsätze der Mäßigung, der Toleranz und des gegenseitigen Respekts beachtet".
Ähnliche Lobeshymnen sang sie auch 2010 und 2011. In den Beziehungen des Königreichs zu Washington geht es nicht nur um Öl. Diese Partnerschaft trägt auch zur Aufrechterhaltung der imperialen Gesetzlosigkeit bei, und Saudi-Arabien greift tief in die Tasche, um sie zu finanzieren.
Für die aus Ölverkäufen erlösten Dollars kauft Saudi-Arabien US-Waffen, US-Staatsanleihen oder investiert sie in den USA. Deshalb werden die Beziehungen der US-Regierung zum saudischen Königshaus auch so gepflegt, und deshalb wird dessen despotische Zwangsherrschaft immer wieder beschönigt.“
Deutschland muss steht an einem Wendepunkt. Werden wir eine macchiavellinische Politik betreiben und uns mit allen Konsequenzen ins Fahrwasser der USA begeben? Oder handeln wir eigenständig und erachten wir ein Mindestmaß an Moral und Ethik in der Politik für notwendig.
Wer Arbeitsplätze und Wohlstand mit dem Leid und Not anderer Menschen aufrechnet, sollte von uns nicht unterstützt werden. Spätere Generationen werden ansonsten diesen Fehler bitter bereuen.
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(1) http://de.wikipe-dia.org/wiki/Schura_%28Islam%29
(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Wahhabiten
(3) http://en.wikipedia.org/wiki/Qatif
(4) http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-18503550
(5) http://german.irib.ir/galerien/videos/item/208408-demonstrationen-in-al-awamiya-saudi-arabien-zur-unterst%C3%BCtzung-der-bev%C3%B6lkerung-von-qataif
(6) http://www.stripes.com/with-bahrain-home-to-5th-fleet-us-faces-dilemma-over-crackdown-on-protests-1.168370
(7) http://www.nytimes.com/2012/07/11/world/middleeast/in-saudi-arabia-thousands-at-funeral-of-protester.html
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