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Samstag, 4. August 2012

Die Bankenkrise – mal anders gesehen

Heute Nachmittag fiel mir ein Tweet von UrbanP1rate auf, der besagte: „Die AG Geldwirtschaft hat sich soeben selbst disqualifiziert. Auflösung durch BuVo beantragen?" Natürlich war die Eine oder Andere sofort begeistert dabei „habe ich schon längst …“ andere fragten immerhin warum. Und so kam der Name Gesell als Antwort. Es wäre wissenschaftlich festgestellt worden, dass Gesell antisemitisch war. Worauf ich höflich bat, einen Link zu senden, da Wikipedia eher das Gegenteil besagte, denn Gesell hatte stets betont, nicht antisemitisch zu sein. Ich erhielt dankenswerter zwei Hinweise, einen Artikel, der von ATTAC (1) veröffentlicht worden war, und eine Suchaufgabe nach Äußerungen von Emil Altvater über Gesell. Der Attac-Link schloss implizit aus der Gesell-Lehre, dass es ein kleiner Schritt wäre, im Hintergrund den jüdischen Zinswucherer zu sehen. Und beschrieb Gesell zutreffenderweise als Sozialdarwinisten. Emil Altvater wiederum sah in Gesell das Musterbeispiel einer antilinken Kritik der Geldpolitik. Gesell hatte den Kommunismus als Form des Kapitalismus (Staatskapitalismus) bezeichnet. Beide Aussagen machten Gesell nicht unbedingt sympathisch. Und insbesondere die sozialdarwinistische Tendenz von Gesell steht im krassen Widerspruch zu meinen eigenen Überzeugungen. Aber ich fragte mich, ob nicht irgendwie alle Ökonomen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und beginnenden 20. Jahrhunderts sozialdarwinistisch oder sogar antisemitisch gedacht hatten.

Ausgehend von der Erinnerung an meinen eigenen Professor, der vor ca. 40 Jahren erklärte, dass das ideale Geld auf Bananenschalen gedruckt werden müsste, fragte ich mich, wer wohl nicht irgendwie letztendlich, und implizit, mit Antisemitismus in Zusammenhang gebracht werden könnte, wenn er denn das Zinssystem kritisiert. Und so stellte ich die Frage an UrbanP1rate, der daraufhin antwortete, dass der Zinskritiker Proudhon wohl unverdächtig wäre.

Nun, das war vielleicht nicht ganz fair [von mir], denn Pierre-Joseph Proudhon war explizit ein Antisemit. Was auch keiner großen Recherche bedurfte, sondern aus dem deutschen Wikipedia-Eintrag (2) zu entnehmen war. Interessanter Nebenaspekt: In den englischen Wiki-Seiten hielt man die Tatsache nicht für erwähnenswert.

Daraufhin erwiderte UrbanP1rate, dass wohl alle Ökonomen des beginnenden 20. Jahrhunderts Antisemiten gewesen wären. Ich möchte das nicht unbedingt bestätigen, glaube aber, dass die allermeisten Ökonomen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts irgendwie sozialdarwinistisch, antisemitisch oder elite-rassistisch waren. Ja ich möchte behaupten, dass es viele heute noch sind.

ERSTER SCHRITT: LEHRE VON PERSON TRENNEN

Ich schlug also UrbanP1rate vor, Personen und Lehre zu trennen, damit man überhaupt etwas hat, worüber man diskutieren kann. Er antwortete: „eher nicht. Oder nur unter der Prämisse, die antisemitischen Schlüsse zu benennen und explizit auszuschließen.“ Nun bin ich zwar der Meinung, dass es etwas seltsam ist, wenn man zu Beginn der Diskussion einer Theorie, erst mal feststellt, was sie NICHT sein soll, aber wenn eine solche Präambel gewünscht wird, sehe ich keinen Grund, sie nicht zu nutzen. Jedoch möchte ich sie nicht definieren müssen, weil gerade das Ausschließen von Antisemitismus wieder implizit Antisemitismus sein könnte.

ZWEITER SCHRITT: THEORIEN DES 21. JAHRHUNDERTS ENTWICKELN

Aber das Trennen von These und Autor kann nur ein erster Schritt sein. Warum müssen wir uns mit Thesen von Ökonomen beschäftigen, die vor der industriellen Revolution, lange vor der Globalisierung, und unendlich lange vor der Bankenkrise, kaum absehen konnten, was in den über 100 Jahren passieren würde.

D.h. die Thesen dieser Ökonomen können allenfalls Ausgangspunkte für neue, dem 21. Jahrhundert angepasste Theorien sein. Theorien, die basieren auf der UNO Menschenrechtscharta, und zwar auf allen Teilen, nicht nur denen, die z.B. von den USA ratifiziert wurden.

D.h. eine Geldpolitik muss so gestaltet sein, dass sie im DIENSTE der UNO-Menschenrechtscharta steht und ihre Ideale vertritt. Und zwar in einer Weise, die eine Güterabwägung trifft. D.h. ist das Leben eines Menschen wichtiger, oder seine politische Entfaltungsmöglichkeit? Ist die Gesundheit eines Menschen wichtiger, oder sein Recht Kapital unbeschränkt zu akkumulieren?

URSACHEN DER BANKENKRISE

Über die Ursachen der Bankenkrise ist viel geschrieben worden, und da es nicht mein Fachgebiet ist, habe ich nicht viel davon gelesen. Mich interessieren auch weniger die technischen Hintergründe, sondern mehr die politisch-moralischen Hintergründe. Und so stelle ich fest, dass die Verursacher der heutigen Bankenkrise aus den besten Universitäten kommen, den edelsten Familien und den wichtigsten Politikkreisen. Mit anderen Worten: Die Elite der Politik, gemeinsam mit der Elite der Wirtschaft, haben diese Situation verursacht.

Ich fand es sehr erhellend, als Finanzminister Schäuble einmal in einer Rede vor Bankenvertretern erklärte, dass „wir sind die Elite, wir müssen den Karren gemeinsam aus dem Dreck fahren“. Und ich hätte ihm gerne zugerufen: „Sie haben sie in den Dreck gefahren, jetzt gehen Sie zur Seite und lassen sie Andere innovative Lösungen entwickeln".

D.h. ich glaube nicht, dass jene Kreise, die uns in diese Krise geführt haben, auch wieder herausführen werden. Ich glaube, dass sie Zeit gewinnen wollen. Bis wir uns an ein „unabwendbares Schicksal“ gewöhnt haben. (3)

DIE LÖSUNG DER BANKENKRISE

Die Lösung der Bankenkrise liegt dort, wo die Lösung aller Krisen der Zukunft liegen. In Moral, Ethik und Glaubwürdigkeit. Eine Geldordnung, die in erster Linie die Rechte kleiner Kreise der Gesellschaft schützt, widerspricht diesem wichtigsten Anspruch. Die Erklärung aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, dass Eigentum verpflichtet, ist längst in Vergessenheit geraten. Was damit gesagt werden sollte, ist, dass es wichtigere Güter gibt, und im Zweifel das Recht auf Eigentum hinter anderen Gütern zurück bleiben muss.

Schauen wir uns die Situation grob vereinfacht, und ausdrücklich ohne Referenz auf irgendwelche möglicherweise sozialdarwinistischen, oder antisemitischen Quellen an. Wir haben Straßen, wir haben Krankenhäuser, wir haben Universitäten. Die Handwerker, die sie gebaut haben, erhielten ihren Lohn. Manche konnten sich ein Häuschen leisten, andere sparten für das Alter ein kleines Kapital zusammen. Alle sind eigentlich zufrieden, obwohl die Reallöhne in den letzten Jahren sanken, während die Unternehmensgewinne sich positiv entwickelten. Nur der Staat ist nicht zufrieden. Der Staat hat Schulden. Der Staat musste über Jahrzehnte mehr oder weniger hohe Zinsen zahlen, gleichzeitig reduzierte er die Steuern auf hohe Einkommen. Er "privatisierte" gewinnbringende Geschäftsfelder. Und was die Zinsen angeht, wurde uns immer erklärt, dass die Zinsen auch einen Risikozins beinhalten würden. Deshalb, so gerade aktuell die Aussage, würden ja die Zinsen für Spanien auf über 7% steigen. Mit anderen Worten, die Kapitalgeber haben über die Jahrzehnte diesen Risikozins erhalten, ohne dass sich das Risiko konkretisiert hätte. Bis heute. Dabei ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Kreditgeber zum größten Teil gar nicht ihr eigenes Geld dem Staat als Darlehen gegeben haben, sondern Geld, das sie selbst zu deutlich niedrigeren Zinsen … indirekt vom Staat … erhalten hatten.  Grob vereinfacht wie gesagt.

Was passiert, wenn wir nun einfach sagen: "Liebe Banken, tut uns leid, aber die Kredite können wir nicht zurückzahlen. Denn wir müssen die Einlagen der Kunden sichern und sicher stellen, dass die Menschen, die ihr Häuschen gebaut haben, und ihre Ersparnisse fürs Alter angesammelt haben, nicht in die Röhre schauen." Was würde passieren?

Da unser Rentensystem nicht kapitalbasiert ist, wäre dies zunächst für unser Rentensystem keine Katastrophe. Trotzdem wäre es eine gigantische Umverteilung. Umverteilung in dem Sinn, als jene, die Gläubiger des Staates waren, nun nicht mehr Gläubiger wären. Sie müssten die Darlehen abschreiben, wobei ein großer Teil des Verlustes ja eigentlich über Zinsgewinne aus Jahrzehnten ausgeglichen wäre.  Jene, die die Arbeit geleistet, und die Krankenhäuser und Straßen gebaut haben, könnten die Früchte ihrer Arbeit aber weiter genießen, weil SIE vom Staat geschützt werden. Ohne auf Details einzugehen. 

DIE REVOLUTION DES GELDWESENS

Ja es wird eine Revolution werden. Aber ich möchte sagen, es muss eine Konterrevolution geben. Denn es gab bereits eine Revolution, mit der der Allgemeinheit die Kontrolle über Geldmenge und Verfügbarkeit genommen wurde. “Gib mir die Kontrolle über die Währung einer Nation, dann ist es für mich gleichgültig, wer die Gesetze macht.“ Der Ausspruch wird unterschiedlichen Personen zugeschrieben. Aber er beschreibt die Situation. Wer die Geldmenge kontrolliert, kontrolliert den Staat. Es gibt fast unendlich viele Zitate, die deutlich machen, dass Demokratie sinnlos ist, wenn die Demokratie nicht auch die Geldmenge, das Geldsystem, das Geldvolumen kontrolliert und es der Allgemeinheit verfügbar macht.

Vor 100 Jahren waren wir der Meinung, dass es freie Güter gäbe. D.h. Luft, Wasser, Klima usw. „Sie sind in einem bestimmten Gebiet zu einem bestimmten Zeitpunkt im Überfluss vorhanden und kosten deshalb grundsätzlich kein Geld“. Jeder kann sich ihrer bedienen wie er will.

Dies war ein Trugschluss wie wir heute wissen. Es gibt keine freien Güter. Die "freien Güter" gehören der Allgemeinheit aber ihre Nutzung wurde privatisiert. Die Folgen können wir überall besichtigen. Am deutlichsten vielleicht in der Klimaveränderung. Trotzdem wollen z.B. die USA und China nicht zugeben, dass es keine freien Güter mehr gibt, und beharren auf ihrem Recht, sie zu nutzen, wie es ihnen gefällt.

M.E. ist es mit dem Geldvolumen ähnlich. Es kann doch nicht sein, dass Geld von privaten Organisationen geschöpft werden kann, und der Gewinn aus dieser Geldschöpfung privatisiert wird. Das ist das Denken des vorletzten Jahrhunderts. Sozialdarwinismus pervertiert.

Die Revolution des Geldwesens muss sicherstellen, dass es keine Umschichtung von Vermögen, von der Allgemeinheit zu einzelnen Personen oder Gruppen, in dem zuletzt beobachteten Umfang zukünftig gibt. Vielleicht bedarf es einer Übergangsfrist. Um mit den gleichen Werkzeugen zu arbeiten wie die Eliten, muss man vielleicht zunächst große Banken zerschlagen, um ihre Macht zu reduzieren, die Geldmärkte stärker und immer stärker regulieren. Bis dann in ein paar Jahren endlich wieder die Allgemeinheit, die Kontrolle über die Geldmenge, und die Verteilung des Vermögens, übernimmt. Aber das muss letztendlich das Ziel sein.

Welches System dann am Ende dabei herauskommt, das ist meine Meinung, wird wenig mit dem zu tun haben, was die Ökonomen des 19. und 20. Jahrhundert sich ausgedacht hatten.

FAZIT

Demokratie die von „Märkten“ erpresst wird, ist jedenfalls keine Demokratie. Wenn wir Demokratie wollen, müssen wir das Geldwesen „demokratisieren“.

SCHLUSSBEMERKUNG

In unserem Grundgesetz gibt es eine Lücke, die sich aus der Erfahrung aus dem Kaiserreich erklärt. Man wollte die Regierung unerpressbar machten und verhinderte die Schaffung einer unabhängigen Kontrollbehörde, die die Macht hat, Anklage gegen Regierungsmitglieder zu erheben und Gerichtsverfahren mit Strafandrohung durchzuführen. Im 21. Jahrhundert ist dies jedoch nicht mehr zeitgerecht. Wir benötigen dringend eine Behörde, die vollkommen unabhängig von der Exekutive in der Lage ist, gegen die Regierung oder Regierungsmitglieder strafbewehrte Klagen zu führen, wenn diese Mitglieder gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Dabei gibt es, wie immer im Recht, Abstufungen von absichtlich, mit bedingten Vorsatz, grober Fahrlässigkeit oder einfacher Fahrlässigkeit. Aber nur durch eine vollkommen unabhängige Gerichtsbarkeit werden wir die inflationären Verstöße gegen das Grundgesetz in den Griff bekommen. (4)

Und übrigens: Das Recht der Banken auf Geldschöpfung ist m.E. nicht im Grundgesetz verankert.

P.S. Sollte der Artikel ungewollt Spuren von Antisemitismus enthalten, bitte ich um Information, damit ich das klarstellen kann.


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(1) http://www.attacmarburg.de/?id=Thema.gesell

(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre-Joseph_Proudhon

(3) http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/06/noam-chomsky-10-strategien-der-medien.html

(4) http://wiki.piratenpartei.de/AG_Friedenspolitik#03_Friedenspolitik_im_Inneren (Siehe Punkt 9)


2 Kommentare:

  1. Hallo liebe Piraten,

    ich würde euch gerne einen Artikel zur Diskussion anbieten. In dem Beitrag geht es darum wie eine sachliche, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema "Geldsystem" durch Denunziationen und Diffamierungen torpediert wird.

    Da dies ja auch aktuell bei den Piraten geschehen ist, hoffe ich, dass sich einige mit dieser Thematik beschäftigen wollen.

    Auszug: "Um den Lesern dieses Blogs ein mühsames Verstolpern in den eifrig ausgehobenen Schlaglöchern der Geldsystemdebatte zu ersparen, werden im Folgenden die Highlights eben jener Kampagne dargestellt und kurz entkräftet. Im besten Fall werden so zusätzliche Ressourcen für die eigentlich viel wichtigere Frage freigesetzt: Wie kann man es denn besser machen?"

    Hier gehts zum Artikel: http://the-babyshambler.com/2011/11/29/neues-zur-geldsystemdebatte/

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  2. Das Geldsystem demokratisieren hieße beispielsweise die Zentralbank mit ihrem hohen Maß an Unabhängigkeit als das anzuerkennen was sie ist: Die 4. Staatsgewalt. Die EZB/Bundesbank als "Monetative" neben Legislative, Exekutive und Gerichtsbarkeit. Dazu muss eine Verpflichtung der Zentralbank auf das Gemeinwohl und ihre demokratische Legitimation etwa durch demokratische Wahl des Zentralbankrates kommen. Und zwar durch persönliche Abstimmung, niemals durch "liquid democracy", weil gerade die Wahl des Zentralbankrates Stimmenkauf lukrativ machte für die Finanzindustrie. Das Geldsystem muss folglich für das Volk Allgemeinbildung werden. Bestimmte Absurditäten des Systems müssten gar bereinigt werden, die Geldschöpfung aus dem Wirtschaftsgeschehen heraus hingegen ist ja so betrachtet nicht mal schlecht. Aber warum müssen Banken auf Kredite nur ultraniedrigen Zentralbankzins an die Zentralbank zahlen, die Regierung aber von Rating-Agenturen diktierten hohen Staatsanleihenzins an die privaten Banken? Das ist für die Bürger nicht vermittelbar. Ein demokratisch legitimiertes Zentralbanksystem müsste also zwangsläufig anders aussehen und das zugunsten des Staates und seiner steuerbelasteten Bürger, jedenfalls solange die Bürger noch hinter ihrem Staat stehen.

    Die Zentralbank als 4. Staatsgewalt könnte auch eine (von mehreren) Kontrollfunktion über Komplementärwährungen ausüben im Hinblick auf Gemeinwohl, damit nicht wie in der Vergangenheit lediglich Konsumankurbelungsgutscheine (Regiogeld), sondern nur gemeinwohlzweckoptimierte Komplementärwährungen erlaubt werden.

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