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Donnerstag, 6. Dezember 2012

Sind die Piraten eine Partei der Technokraten?

Mit Überraschung habe ich zugetragen bekommen, dass es innerhalb der Piratenpartei eine Gruppe gibt, die sich weigert, Anträge von Mitgliedern überhaupt zu lesen "weil die gar nicht qualifiziert sind" Anträge zu formulieren. Nur sie, mit dem entsprechenden Jura- oder Politikwissenschaftsstudium, wären in der Lage, überhaupt politische Grundlagen zu entwickeln. Und immer wieder liest man in den Mailinglisten auch das Argument  ... "da fehlt dir die Ausbildung" oder "ich habe das schließlich studiert". Oder wie man mir einmal jemand antwortete, als er nicht mehr zu argumentieren wusste: "Das ist viel zu komplex ... da hat xyz eine Dissertation drüber geschrieben... da kann man hier nicht drüber diskutieren". Dass ich ein solches Verhalten für elitär, aufgeblasen und undemokratisch halte dürfte sich jeder denken können. Es  demonstriert aber außerdem ein vollkommen falsches Politikverständnis und ich will daher näher darauf eingehen.


KEINE FACHIDIOTEN MIT SCHEUKLAPPEN ALS POLITIKER

Einige Mitglieder der Piratenpartei mit einem Studium, von dem sie glauben, dass es zum Politikmachen qualifiziert, vergessen, dass der Platz für Technokraten in der Bürokratie ist. D.h. sie sollten ihre Karriere über die Laufbahn eines Beamten machen. Nicht aber versuchen, Politiker zu werden. Denn sie, die Fachleute für technische Details, sind diejenigen, die beraten, umsetzen, realisieren, was Politiker als Visionen und Ziele entwickeln. Mit ihrem Beharren darauf, dass nur ihre fachliche Qualifikation sie befähigt Politik zu entwickeln beweisen Sie genau das Gegenteil. Nämlich dass sie, um es brutal auszudrücken, unfähig dazu sind, außerhalb eingefahrener Fach-Lehrmeinungen zu denken.

Diese Mitglieder ähneln stark den Spitzenabsolventen der Eliteuniversitäten dieser Welt, die uns die Bankenkrise gebracht haben, die verhindern, dass alle 5 Sekunden ein Kind wegen Hunger stirbt, und die uns die tollsten Tötungsmaschinen bescheren, die immer unmenschlicher werden. Es sind jene, die die Schwelle zum Töten durch das Nutzen eines Joysticks senken wollen, damit man Krieg wieder leichter als Mittel der Politik einsetzen kann. Und es sind solche Menschen, die verhindern, dass neue Wege beschritten werden, die außerhalb des Mainstream-Studiums und herrschender "Lehrmeinungen" liegen.

Leider sind die meisten unserer derzeitigen Berufspolitiker durch die jahrelange Beschäftigung mit "realpolitischen Zwängen" inzwischen selbst zu Politik-Technokraten geworden. Sie haben Scheuklappen entwickelt und ignorieren Lösungen außerhalb der antrainierten und in der Kaste der Technokraten vertretenen Meinung.

Umso frischer war der Wind, der durch Politiker der Grünen in die Politik gebracht wurde. Was daraus wurde, wissen wir. Nun sind die Politiker der Piraten die neue Hoffnung. Und was passiert? Sie passen sich an schon bevor sie überhaupt im Bundesparlament sind? Nicht nur das, sie bekämpfen auch noch jene, die neue Wege und Visionen entwickeln wollen?

Wenn wir zulassen würden, dass jene, die glauben durch ihr Studium quasi einen Anspruch darauf zu haben, dass andere ihnen alleine deshalb folgen, wären wir ein Haufen bildungs-hierarchiegläubiger Idioten. Wenn sie darüber hinaus glauben durch ihr Studium ein Vorrecht auf ein Mandat zu haben, sollten wir ihnen endgültig die Rote Karte zeigen. Der Staat braucht Beamte, die gute Technokraten sind, aber die Partei braucht Ideengeber, Vordenker und Visionäre in die Mandate.


DIE GESCHICHTE UND GEGENWART DER TECHNOKRATIE

Technokratie war einmal die große Hoffnung der internationalen Linken. Auch in den USA war in den 1930er Jahren Technokratie kein Schimpfwort. Man hoffte auf eine utopische neue soziale Weltordnung durch Technokraten. Dann aber zeigten Technokraten ihr wahres Gesicht. Bürokratenherrschaften wie im faschistischen Nazi-Deutschland oder in der Sowjetunion zeigten, was Technokratien erschufen. George Orwell nannte daher Technokratie den Vorläufer des Faschismus.

Aber wer hat in den letzten Jahrzehnten Stück für Stück die Menschen, die Staaten entmachtet und Geldschöpfung und Vermögen in den Händen einer kleinen Elite kumuliert? Es waren die besten der Absolventen der Eliteuniversitäten. Wer hat vollständig dabei versagt die unsägliche Schande der Menschheit zu beseitigen, die darin besteht, dass alle 5 Sekunden ein Kind an Unterernährung stirbt? Es waren die Wirtschaftstechnokraten, die alles, nur keine Visionen zur Lösung von Problemen entwickeln. Wer hat entscheidend dazu beigetragen, dass nicht weniger, sondern mehr Kriege stattfinden? Technokraten, die eilfertig immer indirektere Methoden zur Tötung von Menschen gefördert haben. Und die jetzt behaupten, dass die Verpflichtung aus dem einst visionären Atomwaffensperrvertrag (NVV), Kernwaffen zu echten "realpolitisch nicht durchsetzbar sind". Um noch konkreter zu werden: Wer hat Griechenland mit ungeheuren Tricks dazu verholfen, die Euro-Richtlinien scheinbar zu erfüllen? Ja es sind jene Banken-Technokraten, die heute als nie gewählte Präsidenten die "Krise lösen" sollen, die sie selbst herbeigeführt haben.

Das Märchen des Kaisers neue Kleider gelten heute wie nie zuvor. Mit einer eigenen Sprache, mit Abschlüssen bester Universitäten glänzen diese Technokraten und ehrfürchtig, wie früher vor einem Monarchen, gehen die Menschen in die Knie. Wir auch?

Ich denke, dass wir das nicht sollten. Wir müssen Ziele und Visionen entwickeln. Und die Aufgabe der Technokraten muss darin bestehen, Wege aufzuzeigen, wie diese Ziele und Visionen erreicht werden können. Wir sollten uns weigern, uns durch Ausdrücke wie "realpolitische" Zwänge, "Staatsraison" oder "Vernünftige Politik, die nur Fachleute machen können", blenden zu lassen.

Ich will keinen überzeugten Soldaten als Verteidigungsminister, keinen Banker als Finanzminister, keinen Unternehmer als Wirtschaftsminister. Und ich will sicher keinen Juristen als Justizminister. Nur wenn auf diesen Stellen Menschen sitzen, die Visionen und Ideen haben, und ihre Beamten täglich in die Verzweiflung treiben, weil sie nicht wissen, wie sie deren Ideen umsetzen sollen, nur dann haben wir die Chance eine menschliche, soziale, gerechte und in den Menschen verwurzelte Gesellschaftsordnung zu erhalten, nur dann werden die Technokraten wirklich gefordert die Leistung zu erbringen, zu der sie dank ihrer Ausbildung fähig zu sein behaupten.

WENN TECHNOKRATEN VISIONEN ENTWICKELN

Man muss nicht bis ins 3. Reich zurück gehen, und an die schreckliche Perfektion der Menschenvernichtungsmaschine der Nazis denken, um Beispiele zu finden, dass Technokraten noch gefährlicher werden, wenn sie auch noch politische Gestaltungskraft erhalten.
"Der technokratische Glaube an eine vermeintlich «gute Technik» wurde durch Krieg und Massenvernichtung ad absurdum geführt." (1)
Erich Pauer schreibt über die Geschichte der Technokratie in Deutschland (2):
"Schon im ersten Weltkrieg wird in Deutschland die Übertragung ingenieurmäßigen Handelns auf die Politik unter Leitung der Ingenieure gefordert. Von deutschen Ingenieuren wird dann, unabhängig von der amerikanischen Technokratiebewegung, in den 1920er Jahren ein "Herrschaftsanspruch" formuliert, dessen Grundzüge bereits nahe an den Technokratievorstellungen liegen. Gleichzeitig wird eine Gegenposition zur Weimarer Republik entwickelt."
Dieses Gegenposition gegen demokratische Systeme hat sich die Technokratiebewegung bis heute erhalten. Und so schreibt Pauer im Schlusswort seiner Arbeit:
"Der Technokratie ergeht es wie letzlich allen utopischen Gesellschaftsentwürfen - sie landen auf dem Müllhaufen der Geschichte".
Und dort sollten wir die Idee auch belassen. Aber leider scheinen die Gerippe wieder aus dem Grab aufzuerstehen. Die Zeit schreibt in einem Artikel:
"Rund hundert Jahre nach Thorstein Veblens amerikanischem Traum von der technocracy steigt der Druck auch in der Gegenwart: Lasst die Experten ran! Oder wie Veblen gesagt hätte: Wir brauchen eine von Technokraten verwaltete Wirtschaft und Gesellschaft ohne Politikwirrwarr, in der entlang der offensichtlichen und natürlichen Linien das Richtige entschieden wird." (4)
Und wenn man sehen will, dass auch ein Schwarm irren kann, oder pardon, eine Herde, liest man ebendort auch:
"Gefährlicher noch sind Zeiten, in denen es einen weitreichenden Konsens gibt. Eine kleine Rückblende: Im vergangenen Jahrzehnt waren sich die allermeisten Bankexperten einig darin, dass auch Deutschland seine Finanzmärkte öffnen müsse. Tatsächlich sind Schröders und Merkels Regierungen dem auch gefolgt. Das Ergebnis ist allgemein bekannt und kann heute noch in Bad Banks besichtigt werden. Die Herde kann irren. Auch eine Herde von Experten."
Und doch glauben jene Götter der Fachwelt, sie wären unfehlbar. Obwohl es z.B. in Wirtschaftsfragen so viele Meinungen von Fachleuten gibt wie Religionen. Und so erklärte Mario Monti, der Ex-Banker und nie vom Wähler bestätigte Ministerpräsident Italiens:
"Während der Konsultationen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Abwesenheit von Politikern der Regierung die Arbeit erleichtert, da sie einen Grund für Befangenheit beseitigt. (Über sein Regierungsteam aus Technokraten in Italien)" (5)
Wer kennt nicht die Aussage von Angela Merkel, die Demokratie müsse den Märkten angepasst werden, oder das Zitat, mit dem Monti erklärte: "Die Regierungen müssen Parlamente erziehen" (8)

Klingt das nicht ganz so wie jene "Technokraten" die sich weigern Anträge zu lesen, weil sie nicht von Akademikern verfasst wurden, wobei sie noch nicht einmal wissen, ob das der Fall ist ... Denn nicht jeder geht mit seiner Bildung hausieren oder prahlt mit seinem Wortschatz oder Wissen.

WEM DIENEN TECHNOKRATEN?

Der Tagesanzeiger vom 15.11.2011 hat eine Antwort auf die Frage:
"Technokraten wurden eingesetzt und die sind vor allem darum bemüht, Neuwahlen so lange wie möglich hinauszuschieben. Bejubelt wird das von den Politikern der Eurozone und bis zu einem gewissen Grad auch von den Finanzmärkten. ...
.. Steht das stark integrierte Staatengebilde (entsprechend der Rodrickschen Hyperglobalisierung) der Währungsunion im Vordergrund und haben sich dieser nationale Sonderbedürfnisse unterzuordnen, geht das nur, wenn auf der nationalen Ebene die Demokratie weitgehend ausgeschaltet ist. Denn demokratische Entscheide in einzelnen Ländern könnten in Widerspruch zu den Plänen der gesamten Währungsunion geraten" (6)

DER STREIT MIT TECHNOKRATEN

Alois Reutterer zitiert in einem Aufsatz Horst Stern mit den Worten:
"Es ist sinnlos mit Technokraten zu streiten, die kennen den Preis von allem und den Wert von nichts" (3)
Was damit gesagt werden soll dürfte klar sein. Staatsraison, Machiavellismus, Technokratie. Nicht Ideen, Gedanken und Werte bestimmen das Denken, sondern technische Machbarkeiten und kurzfristige Erfolge, die angeblich dann wiederum neue Erfolge gebären sollen.

VERTRAUEN IN TECHNOKRATEN?

Markus Diem Meier scheint kein großes Vertrauen in Technokraten zu haben. Er schreibt in seinem Tagesanzeiger-Blog (6):
  • Der erste generelle Einwand betrifft das Vertrauen in die scheinbar weisen Technokraten.
  • Der zweite generelle Einwand betrifft die notwendige grundsätzliche Legitimation jeder Politik bei der Mehrheit der Bevölkerung.
  • Der erste Eurozonen-spezifische Einwand schliesst hier unmittelbar an. Besonders schwer wiegt der Legitimationsverlust, wenn ein Technokrat als Vertreter fremder Interessen wahrgenommen wird.
  • Der zweite Eurozonen-spezifische Einwand gegen die Hoffnung auf Technokraten liegt in einem fundamentalen Irrtum über die Ursache der Krise.
Wen die detaillierte Begründung lesen möchte, dem empfehle ich den Artikel (6)

Ein beliebtes Argument für Technokraten und gegen Politiker führt ... die Financial Times Deutschland ins Feld: Politiker sind korrupt, Technokraten sind sauber. (7) Es sind im Prinzip die gleichen Argumente, mit denen versucht wird, demokratische Politiker zu diskreditieren und den Anschein zu erwecken, als ob Technokraten weniger anfällig für Korruption wären.

IST TECHNOKRATIE MIT PIRATENWERTEN VEREINBAR?

An der Uni Halle scheint man eine Technokratiebewegung als diametral der Bürgerbewegung und --beteiligung entgegen gesetzt anzusehen. Z.B. liest man:
"In den 1970er Jahren erfuhr die Technokratie- Debatte eine neue Rahmung durch die Kontroversen um ökologische Fragen. Der "Atomstaat"(..) avancierte nun zum Synonym einer Bedrohung der Demokratie durch dem "industriellen Wachstumswahn" verfallene Technokraten. Doch auch die Ökologiebewegung brachte ihre "Technokraten" hervor(...).  Zudem lassen sich die über "Technokratie" Debattierenden nur schwer in Einklang mit den klassischen politischen Lagergrenzen sortieren – was die unterschiedlichen durch den Topos "Technokratie" eher lose verbundenen Debatten der sechziger und siebziger Jahre zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand macht. Hier artikulierte sich einerseits ein Gegenentwurf zur Demokratie, andererseits aber eine Skepsis gerade von Protagonisten des "Mehr Demokratie wagen!" hinsichtlich der Möglichkeiten der Bürgergesellschaft, die existentiellen Herausforderungen der Weltrisikogesellschaft zu meistern. Durch einen vergleichenden Blick nach Japan wird es in diesem Zusammenhang möglich, die spezifisch westeuropäisch-nordamerikanischen oder gar spezifisch deutschen Perspektiven auf die Chancen und Gefährdungen einer demokratisch verfassten hochtechnisierten Gesellschaft zu identifizieren."
FAZIT

Wer sich mit seiner Bildung brüstet, und meint dadurch eine höherwertige politische Aussage formulieren zu können, wer sich weigert, andere Thesenpapiere überhaupt zu diskutieren, der demonstriert nicht nur Überheblichkeit und soziale Inkompetenz, sondern folgt dem Weg der historischen Technokratiebewegung.

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(1) Die Technokratiebewegung in Nordamerika und Deutschland zwischen den Weltkriegen, Willeke, Stefan, Frankfurt ISBN 978-3-631-48039-7

(2) http://www.uni-hamburg.de/Japanologie/noag/noag2004_5.pdf

(3) https://sites.google.com/site/aloisreutterer/zum-nachlesen-2/lobbys-multis-technokraten

(4) http://www.zeit.de/2011/48/Kapitalismus-Alternative

(5) Focus 48/2011

(6) http://blog.tagesanzeiger.ch/nevermindthemarkets/index.php/5551/der-technokraten-irrtum/

(7) http://www.ftd.de/politik/europa/:kolumne-tobias-bayer-das-zeitalter-der-technokraten/70003680.html

(8) http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/italiens-ministerpraesident-monti-die-regierungen-muessen-die-parlamente-erziehen-11844531.html

1 Kommentar:

  1. Bitte mich nicht miß zu verstehen.

    Ich bin ein Gegner jeder Gewalt.ich weiß, dass aller Fanatismus meistens entsteht, wo soziale Ungerechtigkeiten überhand nehmen.
    Ein ganz großes Problem der Islamisten ist, dass fast alle Analphabeten sind, die gar nicht in der Lage sind, selber den Koran zu lesen und zu verstehen.
    Wir aus den westlichen Staaten können die Art von Fanatismus überhaupt nicht nachvollziehen, weil diese Menschen mindestens 100 Jahre hinter uns zurückliegen.
    Ich kann das deshalb so sagen, weil ich selber sehr viel mit geflüchteten Afghanen zu tun habe für die ich kämpfe.
    Dinge ,die für uns selbstverständlich sind, müssen von solchen Menschen erst einmal verstanden und verarbeitet werden.
    Auch wird immer vergessen, dass auch bei uns wirkliche Freiheit noch nicht sehr alt ist.
    Auch hier gerade in Deutschland fehlt auch noch die wirklich totale Trennung von Staat und Kirche.
    Deshalb bemüht sich ja auch unsere Partei um .

    Trennung von Staat und Kirche für den Beginn einer Neuordnung und die Umsetzung Artikel 4 Absatz 2
    Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
    Religionsfreiheit auf freiwilliger Basis kein Zwang.

    Gewalt ist immer ein Zeichen von Hilflosigkeit.
    Leider hat auch unsere Freiheit den Tod vieler Menschen gekostet.
    Anscheinend ist dies aber kaum anders möglich, man braucht nur die Geschichte an zu schauen.
    Diese Entwicklungen scheinen ihre Zeit zu brauchen, mir wäre auch lieber, es würde anders gehen.

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