Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 28. November 2012

Deutungshoheit von Begriffen nicht Rechtsradikalen überlassen!

Ich bin ein entschiedener Gegner von Verboten und deshalb auch dagegen, Begriffe, die die Rechtsradikalen gekapert wurden, zu vermeiden wie die Pest. Wollen wir wirklich Teile unserer Sprache aufgeben, nur weil Rechtsradikale sie in ihrem Sinne missbrauchen? Wollen wir wirklich kapitulieren und tatenlos ansehen, wie immer mehr Begriffe von uns selbst anerkannt, rechtsradikal interpretiert werden? Wollen wir die lächerlichen Abläufe des ersten Tages auf dem BPT 2012.2 institutionalisieren, eine Wortpolizei einführen? (1)

Ich bin der Überzeugung, dass wir das nicht tun sollten. Und deshalb bin ich für die Nutzung von Begriffen, die auch die Rechtsradikalen verwenden. Und zwar Nutzung mit der eindeutigen Absicht, diesen Begriffen ihren ursprünglichen Sinn oder ihre Vielschichtigkeit wieder zurück zu geben. Oder diesen Begriffen eine angemessene Interpretation zu geben, die ihrer historischen Rolle gerecht wird.

Es ist ein Unding, tatenlos zuzusehen, wenn Rechtsradikale z.B. Kritik an Banken dazu nutzen, ihren Antisemitismus zu transportieren. Es ist ein noch größeres Unding, jemanden in die Nähe von Nationalsozialisten zu rücken, wie dies z.B. bei der Kritik am ESM durch ein Vorstandsmitglied der Piratenpartei der Fall war, nur weil die Rechten gleiche Argumentation übernommen hatten. Wenn wir weiter damit machen, uns dem Willen der Rechten unterwerfen, spielen wir ihnen perfekt in die Hände.  Wir verlieren gleichzeitig eine Möglichkeit Rechtsradikale sprachlos zu machen. Im Gegenteil, wir halten sie immer schön im Gespräch. Wenn wir aber in der Lage sind, die Begriffe zurück zu gewinnen, wird die Interpretation der Rechtsradikalen zu einer "Geheimsprache", aber nicht mehr zu einer gesellschaftlich relevanten Erscheinung. So traurig das auch für ihre extremistischen Feinde sein mag.

Und genau so ist es nicht länger hinnehmbar, wenn auf Grund des Missbrauchs unserer Sprache durch die radikalen Rechten, ihre extremistischen Gegner uns vorschreiben wollen, welche Begriffe benutzt werden dürfen und welche nicht. Betont und bestätigt man durch diese Hexenjagd nach "verbotenen Begriffen", dass die Rechten ein Alleinverwendungsrecht für die Begrifflichkeiten haben. Auch wenn die ganz anders interpretiert werden können ... wenn man denn will.

Kaum jemand ist mehr daran interessiert, den Begriff "Nationale Identität" in den Mülleimer der Geschichte zu befördern wie Friedenspolitiker. Denn zu oft wurde "Nationale Identität" missbraucht, um Menschen für Kriege zu begeistern. Und tatsächlich wurde besonders im Westen, nicht zuletzt durch das Zusammenrücken in der EU glücklicherweise eine solche missbräuchliche Verwendung immer schwerer. {Dafür werden heute Emotionen anders hervorgerufen, um Kriege für "Demokratie und Menschenrechte" zu führen.} Trotzdem bin ich ein totaler Gegner der Nichtnutzung des Begriffs.

Also ich werde zukünftig z.B. den Begriff "Nationale Identität" verwenden, und dabei darauf bestehen, dass die Rechten mit ihrer Interpretation KEIN Recht haben, den Begriff zu hijacken. Ich werde ihn verwenden z.B. im Sinne einer neutralen Interpretation wie auch in Wikipedia definiert:

"Im Feminismus und anderen Strömungen wird der Ausbruch aus einer festgelegten Identität allerdings auch positiv bewertet: weibliche Identität wird nicht mehr als Ideal empfunden, sondern als fremdbestimmte Sammlung von Verhaltensmustern, Stereotypen und Erwartungen. Männlichkeit oder „nationale Identität“ erscheinen ähnlich problematisch. Identität als Identifikation mit einer Gruppe ist oftmals auch das Ergebnis von Erziehung und äußeren Zwängen, der Ausbruch aus der bisherigen Identität kann ein Akt der Emanzipation sein. Ziel dieser Emanzipation ist nicht die Isolation, wohl aber die Lösung von fremdbestimmten Identitäten – hier bewusst im Plural, denn ein Individuum verkörpert stets mehrere sich überschneidende Identitäten: z. B. als Mann, als Europäer, als Intellektueller…

Allgemein verliert ein Mensch dann seine Identität, wenn er sich so verändert bzw. von außen beeinflusst wird, dass wesentliche Kriterien entfallen, anhand derer er identifiziert wird und sich identifiziert, oder wenn wesentliche Instanzen, welche die Identifizierung vornehmen, entfallen oder wesentliche Kriterien der Identifizierung geändert werden (z. B. Verlust einer Staatszugehörigkeit)...... " (2)
Diese Interpretation ist eine westlich emanzipatorische, die in anderen Regionen, und insbesondere in Schwellenländern oder Entwicklungsländern so überhaupt nicht geteilt wird. Sie gilt für uns. Wir dürfen uns aber nicht als Richter über Andere aufschwingen, die sich noch im Prozess der Nationenbildung befinden, und in diesem Zusammenhang oft noch unter autoritären Herrschaftssystemen leiden. Trotzdem schreibt Wikipedia richtig:
"Da Staatszerfall und instabile Identitäten für das regionale Umfeld oder die gesamte Staatengemeinschaft zur Gefahr werden können, wurde daher im 20. Jahrhundert des Öfteren versucht, Nationenbildung von außen zu fördern (vgl. Bosnien und Herzegowina, Kosovo ..., Mazedonien). Der Erfolg solcher Versuche ist umstritten. ...

Dennoch gilt Staatenbildung ohne Nationenbildung als problematisch, da in diesem Fall notwendige identitätsstiftende Stabilisierungs- und Ausgleichsmechanismen fehlen."
D.h. es gibt Länder, da sollten wir uns wünschen, dass es eine gemeinsame nationale Identität endlich gibt, damit Frieden zunächst innerhalb dieser Gesellschaften entstehen kann. Dass wir sie dabei unterstützen, diese Phase zu überwinden, und zu einem Teil der internationalen Gesellschaft zu werden, versteht sich dabei von selbst.


"Nation Building" ist auch eine Bemühung, die von der UNO im letzten Jahrhundert gefördert wurde. Die oft durch Kolonialstaaten willkürlich gezogenen Grenzen hatten große Probleme nach dem Erreichen der Unabhängigkeit erzeugt, und nur die Schaffung einer nationalen Identität konnte verhindern, dass Länder in Krieg und Chaos zerfielen. Wie man es in manchen "Failed States" wie Somalia, Irak und Afghanistan seit der Invasion, Liberia oder Sierra Leone als Beispiel erkennen kann. Und wie man es zukünftig erwarten kann, wenn die Angriffe von Rebellen und Terroristen auf den Staat Syrien erfolgreich sein werden und die nationale Identität des Staates zerstört wird.

Für jeden der genannnten Fälle ist eine  Anwendung des Begriffs von "nationaler Identität" legitim und angemessen. Und wie wir gesehen haben, kann "Nationale Identität" auch positiv besetzt sein, wenn sie im Befriedungsprozess einer Region nützlich ist. In jedem der genannten Fälle hat der Ausdruck also eine andere Interpretation. Und wer mir diese Interpretationen verbieten will, der ist nicht weniger als ein Helfershelfer der rechten Extremisten, die diesen Begriff einseitig und in ihrem Sinne definieren wollen.

Und genau so werde ich mit anderen Begriffen umgehen, die auf der "Liste der verbotenen Worte" steht. Und wer sich verbieten lässt, seine eigene Sprache mit seiner eigenen Definition zu verwenden, der muss sich überlegen, wie viel Freiheit er im Kopf schon aufgegeben hat.

----------
(1) http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/11/der-sieg-der-extremistischen.html
(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Identit%C3%A4t

3 Kommentare:

  1. Gut finde ich, dass sie offensichtlich bewusst die Interpretation der Rechten nicht erklärt haben. Statt Werbung für deren Deutung zu machen, zeigen Sie auf, wie es richtig ist! Bravo

    AntwortenLöschen
  2. Wir haben auch als Deutsche eine nationale Identität, zu der vielfach der Wunsch gehört, diese aufzugeben; eine ziemlich einmalige Sache, der ich im übrigen sehr skeptisch gegenüber stehe. Denn vielfach wird dabei, ohne zu überlegen, vorausgesetzt, dass das, was man selbst für selbstverständlich hält - aufgrund der eigenen nationalen Identität - universal ist, und damit allen anderen als reine Wahrheit übergezogen werden sollte. Das ist nichts anderes, als das, was sich in dem alten Spruch "am deutschen Wesen soll die Welt genesen" zeigt.

    Die nationale Identität wird von vielem bestimmt: von Sprache, Kultur, Geschichte, Manieren, Prioritätensetzung bei Werten, dem Verhältnis des Individuums zu seiner Familie, seiner sozialen Gemeischaft ... und man kann diese nationale Identität ohne weiteres auch wechseln. So ist meine Schwester Britin, 110-prozentige, gar nicht so selten beim Wechsel der nationalen Identität. Aber ich kenne auch eine Familie, die sind Schweizer. Obgleich sie in der 3. Generation am gleichen Ort in Deutschland leben. Fühlen sich so, wollen das bleiben, wollen ihre nationale Identität nicht wechseln, wollen sich nicht einbürgern lassen. Ihr gutes Recht. Inklusion heißt: so was gehört auch zu unserer Gesellschaft.

    Nation hat bei den Rechtsradikalen eine ganz andere Bedeutung. Die halten sich an Spengler, wonach eine Volksseele aus Blut und Boden wächst. Die ist erblich, genetisch, da kann man nicht 'rein wechseln, wenn man sich zugehörig fühlt. Nation ist für sie (lt. NPD-Definition) die Bewusstwerdung des Volkes, dass es eine einheitliche, aus Blut und Boden gewachsene Seele hat. Wobei diese Bewusstwerdung natürlich eines Führers bedarf, dem das Volk dann begeistert zu folgen hat; wem das nicht passt, der ist dann eben entartet. Mit Sprache, Kultur, Geschichte hat das überhaupt nichts zu tun. Für Nazis ist Kultur immer nur die Petersilie am Braten, kw, kann wegfallen.

    Nationale Identität gibt es. Die meisten halten eisern daran fest und sind stolz darauf. Wollen sich nicht ändern, wollen bleiben, wie sie sind. Und das haben wir zu akzeptieren. Mal abgesehen davon, dass nationale Identität ein Wert ist, weil sie an die Kultur ihrer Nation gebunden ist - und einen Wert hat jede Kultur.

    Wer das nicht glaubt, möge mal einem Franzosen mitteilen, er möge doch seine nationale Identität in den Mülleimer der Geschichte schmeißen.
    Ich bitte um Mitteilung, wie er reagiert hat.

    Gruß
    Otla

    AntwortenLöschen
  3. Was auf dem Bundesparteitag der Piraten passierte ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Gleichzeitig zeigt er das Demokratieverständnis gewisser extremistischer Kreise einerseits und die leichte Manipulierbarkeit von Mitgliedern andererseits. Ich denke nicht, dass sie so wählbar ist. Ich hatte gehofft sie wäre kämpferisch liberal, aber nicht extremistisch fundamentalistisch. Ein schöner Ausdruck der die Situation gut trifft.

    AntwortenLöschen