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Freitag, 9. November 2012

Ich, der Piraten-Ober-Anti-Imperialist?

Nachdem man mich auf Twitter einen „Piraten-Ober-Antiimperialisten“ genannt und aus dem Grund geblockt hatte, wollte ich der Sache nachgehen, was denn einen „Antiimperialisten“ heutzutage überhaupt ausmachte. Und so kaufte ich mir das Büchlein „Mit Kapitalismus ist kein Frieden zu machen“ (1) der Linksjugend Hamburg, um mich auf den neusten Stand zu bringen. Denn schließlich will man seine Anti-Fans ja nicht enttäuschen und vielleicht plötzlich dem Weltbild nicht mehr entsprechen.

In meiner Jugend war der Begriff Anti-Imperialist eigentlich kein Schimpfwort, sondern eher eine anerkennende Beschreibung progressiven Denkens, das sich gegen hegemoniale Bestrebungen der Großmächte wandte. Oft vertrat man Positionen der so genannten Blockfreien Staaten, meist aus einer Perspektive der Linken. War damit automatisch auch Links. Aber so richtig konnte ich mich damals nicht dort einordnen. So war für mich die USA trotz aller Mängel, ja sogar trotz Vietnam, immer ein Hort der Demokratie und des möglichen Wechsels durch Bürgerwillen. Und Israel war für mich ein Staat, der ums Überleben kämpfte, mit dem man alleine deshalb sympathisieren musste. In beiden Fällen übersah ich viele Verbrechen, denen ich heute sehr viel kritischer gegenüber stehe. Während es früher für mich immer definierbare einzelne Verantwortliche gab, wegen denen man aber das System an sich nicht in Frage stellen durfte. War ich also erst zum Antiimperialisten geworden, nachdem es aus der Mode gekommen war? Kommen wir zurück zum Buch.

Das Buch beginnt damit, die Lüge zu beschreiben, die uns nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine friedlichere Welt versprach. Man versprach uns auch, dass der Hunger ausgerottet werden würde. Nichts von beidem wurde von den übrig gebliebenen Mächtigen der Welt eingehalten. Noch nie gab es mehr Kriege, noch nie war insbesondere Deutschland seit dem 2. Weltkrieg so intensiv wieder in Kriege verwickelt. Und dabei spielt die UNO eine tragende Rolle. Ihre Vorläufer hatten schon Kolonisation, sie selbst Imperialismus gestützt. Und das Veto-Recht ist der größte Verstoß gegen Menschenrechte das es gibt, und doch wird es wie selbstverständlich und unabänderlich im Westen akzeptiert. … Mit dem kleinen Unterschied, dass sich westliche Länder im Notfall eben über die UNO hinwegsetzen, da es nur noch eine wirklich große, unangefochtene Militärmacht auf der Welt gibt, die NATO, die sich das Recht dann eben selbst verleiht.

Interessant ist dabei die Rolle Deutschlands. Denn ihre Geschichte dient immer wieder zur Rechtfertigung gröbsten Unrechts. Hitler wurde bemüßigt als es um Saddam Hussein ging, später war es Slobodan Milosevic, dann wieder Hussein und „und heute verkörpert ihn der iranische Präsident Ahmadinedschad“. Und mit dem Wiederauferstehen kamen auch die Nazis wieder, also diejenigen, die sich gegen die Kriege und für Frieden einsetzten. „Das Establishment hat damit einen brillanten Schachzug vollzogen, um sich von Kriegsgegnern keinen Strich durch die Rechnung machen lassen zu müssen. Hat man die Regierung des nächsten Kriegsziels erst zum neuen Hitler und ihre Unterstützer zu Nazis erklärt, legitimiert sich jeder Krieg wie von selbst“.

In der Einleitung des Büchleins wird darauf hingewiesen, wie die Konsequenzen, die aus dem zweiten Weltkrieg gezogen worden waren, nämlich „NIE WIEDER KRIEG“ und „NIE MEHR FASCHISMUS“ längst der so genannten „Realpolitik“ geopfert wurde. Krieg ist wieder zu einem Mittel der Interessenvertretung geworden, nur klüger verpackt in Rechtfertigungen. Und selbst wenn diese sich nachträglich als Lügen herausstellen, funktioniert es beim nächsten Krieg wieder wie immer. Und dass dieses Erfolgskonzept ALLE Parteien ergriffen hat, selbst die Partei die LINKE wird ausdrücklich bestätigt:

„Parteipolitische Taktiererei sowie Bündnispolitik mit Kriegstreibern und –Befürwortern von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD auf dem Rücken von Millionen Menschen, über die die Kriegsmaschinen der NATO hinwegrollen, ist für uns nicht nur moralisch, sondern auch politisch völlig inakzeptabel. Es schadet der Reorganisation der Friedens- und Antikriegsbewegung und klaren Antikriegs- und Friedenspositionen. Gregor Gysis Abgesang auf den Antiimperialismus zum 60. Jahrestag der israelischen Staatsgründung oder die fraktionsoffizielle Verurteilung der internationalen Friedens- und Anti-Kriegsbewegung als „antisemitisch“ im Juni 2012 – um nur einiges zu nennen – offenbaren, dass auch in der LINKEN der friedenspolitische Konsens nicht in Stein gemeißelt ist und beständig neu erstritten werden muss.“
Wenn ich jetzt also als Anti-Imperialist bezeichnet werde, scheine ich wirklich aus der Mode gekommen zu sein. Aber da ich das Buch nun schon mal gekauft hatte, wollte ich auch weiter lesen, was denn Antiimperialisten, die wohl das Buch geschrieben hatten, denn so dachten.

WIEDERERSTARKEN DES IMPERIALISMUS MIT 9/11

Klaus Hennig weist im ersten Beitrag darauf hin, dass der Imperialismus mit 9/11 wieder erstarkte und immer größere Auswirkungen zeigte. Aber zunächst die Definition von Imperialismus:
„Unter Imperialismus wird das Bestreben eines Staates oder mehrerer Staaten verstanden, den eigenen Einfluss auf andere Länder, geografische Gebiete und Bevölkerungen auszudehnen.“
Die Definition wird dann noch detaillierter und mit anderen Definitionen verglichen. Und mündet schließlich in der Erklärung des Zusammenhanges zwischen Imperialismus und Kapitalismus, der von unkritischen Definitionen wiederum abgelehnt wird. Der Höhepunkt des neuen Imperialismus dürfte der Vorschlag von Paul Wolfowitz sein, einen amerikanischen Imperialismus zu schaffen, der die gesamte Welt „befriedet“. {Und einiges deutet darauf hin, dass es Versuche gibt, diese Pläne im Moment in die Praxis umzusetzen. Was aber nach Mearsheimer unmöglich sein wird (2).} Wolfowitz ist einer der einflussreichsten konservativen Intellektuellen in den USA, ehemaliger Weltbankpräsident und Berater praktisch aller Regierungen.

Allerdings weist der Autor darauf hin, dass solche Ideen keineswegs neu sind. Auch zur Zeit des Kolonialismus gab es viele Intellektuelle, die ihn als notwendig und legitim ansahen, und die den damaligen Imperialismus mit entsprechenden politischen, moralischen oder rationalen Motiven als notwendig begründeten. Allerdings wissen wir auch, dass solche Ideen in zwei Weltkriegen endeten.

Die Kritik an imperialer Politik ist keineswegs auf LINKE beschränkt gewesen. Es gab durchaus viele Liberale, die ihn ebenfalls ablehnten. {Anders als heute, da sie sich zumindest in der politischen Kaste, fugenlos eingereiht haben.}

DIE ROLLE DES STAATES UND DIE FORMEN DES IMPERIALISMUS


Der Artikel erklärt dann die Theorie von Leo Panitch über die Rolle des Staates und die Formen des Imperialismus. Und wenn schon zu Beginn auf das Kommunistische Manifest hingewiesen wird, kann es einen doch gruseln, wie weitsichtig damals schon linke Denker waren, wenn man die Auswüchse und Folgen des Neo-Liberalismus und der Globalisierung sieht:
„Schon im Kommunistischen Manifest wiesen Marx und Engels darauf hin, dass das Bedürfnis nach einem „Stets ausgedehnteren Absatz“ für ihre Produkte die Bourgeoisie „über die ganze Erdkugel“ jage.“ … „Dem Kapital sei daher, so Marx, eine Tendenz zu eigen, „den Weltmarkt zu schaffen“ und „jede geografische Grenze zu überwinden“.“
Nach kritischer Würdigung einiger Theorien erklärt der Autor die Parallelen des neuen Imperialismus mit denen der kolonialen und nach-kolonialen Zeit und schreibt:
„Auch den neuen Imperialismus unter der Führung der USA begreifen Panitch und Gindin als Ausdruck des Versuchs, die bisherige eher informell organisierte US-amerikanische Dominanz (vermittelt z.B. über US-geführte globale Finanzinstitutionen) durch den Aufbau eines formellen Imperialismus qua militärischer Unterwerfung der Peripherie auf eine neue Stufe zu stellen. Ein Grund dafür ist nicht zuletzt die wachsende Ablehnung der neoliberalen Entwicklungsstrategie in den peripheren Ländern und deren Weigerung, den informellen Imperialismus der USA zu akzeptieren.“
KRISENTHEORIE UND AKKUMULATION DURCH ENTEIGNUNG

Hier wird die Theorie von David Harvey erläutert, der auf eine ökonomische Krisentheorie zurückgreift. Und wieder gruselt es, denkt man an die Verschuldung der USA und gewisser Länder in der EU-Zone und den daraus möglicherweise resultierenden Konsequenzen.
„Das Problem des Kapitals in einer Überakkumulationskrise besteht in der Notwendigkeit, profitable Abflussmöglichkeiten für überschüssige Kapitale bei gleichzeitiger relativer Zunahme der Konkurrenz um diese Investitionschancen zu finden. Die offensichtliche Antwort auf dieses Problem liegt im Kapitalexport … oder in Kostensenkung durch Import von Niedriglohnarbeitskräften und billigeren Rohstoffen. … Für den Fall, dass Märkte und Rohstoffe nicht frei zugänglich sind, muss der Zugang bisweilen mit Hilfe von ökonomischem Druck bis hin zu militärischen Interventionen durchgesetzt werden.“
Im Prinzip ist dies die logische Weiterentwicklung von Thesen, die bereits Rosa Luxemburg aufgestellt hatte. Allerdings verschiebt Rosa Luxemburg die ursprüngliche Theorie, die auf „Raub, Betrug und Gewalt“ basierende Akkumulation in die Vergangenheit. Harvey vertritt dagegen die Auffassung, dass die ursprüngliche Akkumulation heute noch aktuell ist.
„Um dem Eindruck der historisch überholten Phase (ursprünglich) zu begegnen, nennt Harvey diese Form „Akkumulation durch Enteignung“ und grenzt sie von der Ausbeutung durch Lohnarbeit (Akkumulation durch erweiterte Reproduktion) ab."
Wieder gruselt es, denkt man an Griechenland. Und der Autor schreibt dann noch weiter über Harveys Theorie und was sie bedeutet. Um schließlich darauf hin zu weisen, dass die extreme Form heute in Zusammenhang mit den Kriegen der USA und ihrer Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten darstellt. Harvey sah einen deutlichen Zusammenhang zwischen den hervortretenden Krisenerscheinungen nach dem Zusammenbruch der „New Economy“ Blase und dem Kriegskurs der Bush-Regierung nach 2001.

Nun, man brauchte nicht Harvey gelesen zu haben, um zu einem ähnlichen Schluss gekommen zu sein. War ich jetzt ein Antiimperialist? Der Artikel fährt fort zu beschreiben, dass die Autoren Panitch und Harvey die USA als Zentrum des weltweiten imperialistischen Systems ansahen.
„Die primäre Waffe der „Akkumulation durch Enteignung“ ist nach Harvey das internationale Finanzsystem, das von den USA dirigiert wird und den peripheren Ländern Privatisierungen und Kürzungen aufzwingt.“
Das wurde ja auch schon von vielen Seiten als Kriegsgrund gegen Jugoslawien genannt. Interessant wird es dann auf Seite 25, wenn beschrieben wird, dass wir uns in einer neuen Phase des Imperialismus befinden. Diese ist nicht nur durch einen Niedergang der USA gekennzeichnet, sondern auch durch ihre Fähigkeit, andere kapitalistische Industrienationen mit ihrem Schicksal zu verknüpfen.
„Panitch geht davon aus, dass der Gedanke einer imperialistischen Konkurrenz zwischen den Industrieländern obsolet geworden ist.“
Nach einer Erklärung des „Ultraimperialismus“ wird darauf hingewiesen, dass Harvey aber im Gegensatz zu anderen Autoren und Panitch nicht von EINEM Imperialismus ausgeht, sondern von rivalisierenden Imperialismen. Nach Lesen der ausführlichen Diskussion neigt der Leser dazu, an einen Mittelweg zu glauben.

ANTIIMPERIALISTISCHE STRATEGIEN
Interessanterweise lehnt Leo Panitch eine Stärkung des Staates gegenüber dem Kapital zur Bekämpfung des Imperialismus ab. Für ihn ist die Rückkehr des Staates obsolet. Für ihn ist auch eine Reform der UNO keine Lösung zur Eindämmung des Imperialismus. Und schon denke ich, doch kein Antiimperialist, zumindest keiner im Sinne Panitchs zu sein, weil ich an eine Reform der UNO glaube. Panitch geht davon aus, dass es zwangsläufig zu einem Aufstand der Arbeiterklasse kommen wird, weil die imperialistischen Staaten nicht mehr in der Lage sein werden, ihre Forderungen zu befriedigen, und er sieht die Gefängnisse gefüllt wie nie zuvor. Wieder graust es, denkt man an die zur Zeit noch leer stehenden Internierungslager in den USA und die massive Aufrüstung der Polizei und Nationalgarde.

Harvey dagegen vertritt eine andere Kernthese. Für ihn ist der Widerstand gegen jede Form der Akkumulation wichtig, und die Friedensbewegung sollte sich verstärkt mit Bewegungen in der dritten Welt verbünden, die gegen den Raub der wertvollen Schätze der Länder kämpfen. Als Beispiele nennt Harvey die Landlosen in Lateinamerika.

In seinem Abschlusskommentar weist der Autor darauf hin, dass die Linke sich zunehmend auch mit anti-imperialistischen Bewegungen verbündet oder verbünden soll, die aus ethischen, religiösen oder weltanschaulichen Beweggründen kämpfen.

Oh, die nächsten Kapitel sind noch interessanter. Und nach der Besprechung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der europäischen und US-Kriegspolitik, der Entwicklung des Zionismus, schließt das Büchlein mit der Feststellung, dass die Medien militarisiert wurden. Aber ich kann leider aus zeitlichen Gründen nicht mehr darauf eingehen.

FAZIT

Wer sich mit Friedenspolitik beschäftigt, kommt um das Thema Imperialismus und Antiimperialismus und auch der Frage einer linken Ideologie nicht herum. Das Büchlein leistet einen interessanten Beitrag, da es den derzeitigen Stand des Imperialismus und seiner Analyse aus einer linken Position beschreibt.

In bin zu der Auffassung gekommen, dass ich derzeit ein Anti-Imperialist bin. Denn für mich ist der Neo-Imperialismus unter dem Eindruck immer knapper werdenden Ressourcen, der Hauptgrund für die zunehmenden Kriege in der Welt.

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(1) Mit Kapitalismus ist kein Frieden zu machen, Christine Buchholz/Stefan Ziefle ed.al, www.papyrossa.de ISBN 978-3-89483-504-0

(2) http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/06/begrundung-der-friedenspolitik-mit.html

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