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Mittwoch, 26. Dezember 2012

Hoffnung für Syrien

Die Weltmächte sind verstrickt in ihre Hegemonialinteressen, die Regionalmächte wollen ihren Einfluss ausbauen, die UNO hat versagt zwischen den Großmächten zu vermitteln. Jeder kocht sein eigenes Süppchen auf dem Rücken der Menschen Syriens. Aber endlich gibt es Hoffnung. Eine Gruppe von Aktivisten hat Syrien bereist und demnächst soll eine weitere, größere Gruppe mit wichtigen Mitgliedern der internationalen Szene der Zivilgesellschaft nach Syrien reisen. Letzte Hoffnung auf ein Ende des Blutvergießens. Die Homepage der Initiative (www.peaceinsyria.org/) enthält den folgenden Reisebericht, den ich ins Deutsche übersetzte. An Ende folgt der daraus entstandene Aufruf. Ich sehe hierin eine Hoffnung für Syrien, wenn die Zivilgesellschaft der Welt es schafft, Ideologien beiseite zu schieben und im Interesse der Menschen mit einer Stimme zu sprechen. Daher unterstütze ich diese Initiative.


Der Krieg in Syrien
oder „Die Fäden eines blutbefleckten Teppichs“

Wir, die Unterzeichner, die einen großen Teil ihres politischen Lebens damit verbracht haben, sich für unterdrückte Menschen in Lateinamerika, Asien, dem Mittleren Osten und Palästina einzusetzen, haben zwischen dem 29. August und 12. September 2012 eine zweiwöchige Reise nach Beirut und Damaskus unternommen. Von Beginn an haben wir unsere Arbeit als eine Tatsachen-Findungs-Mission angesehen, die die Vorbereitung für eine größere und wichtigere Bemühung sein sollte, eine Friedensmission aus Vertretern hochrangiger Vertreter der internationalen Zivilgesellschaft, die in ein oder zwei Monaten stattfinden soll.

Während dieser Mission hatten wir die Gelegenheit Gespräche mit Vertretern fast aller politischen Kräfte zu führen, die in dem Konflikt involviert sind. Alle von ihnen widersprachen einer ausländischen Militärintervention und waren prinzipiell bereit, die Gewalt und Unterdrückung zu beenden, die in den meisten Teilen des Landes zu einem unerklärten Bürgerkrieg geführt haben.

Daher ist die Analyse, die wir vorstellen, vorläufig und sie wird versuchen, so objektiv zu sein wie möglich. Sie will weniger unsere eigenen unterschiedlichen Ansichten zur Situation wiedergeben, stattdessen mehr die der großen Vielfalt der Persönlichkeiten, die wir interviewten. Aus Sicherheitsgründen werden wir die Namen unserer Quellen nicht nennen, sondern nur das politische Milieu schildern, dem sie angehören. Falls es Widersprüche zwischen den verschiedenen Aussagen gibt, werden wir sie unkommentiert zulassen und es dem Leser überlassen, sie zu bewerten.

Da wir nicht behaupten können vollständig oder erschöpfend zu sein, sehen wir diesen Bericht als vorläufig an. In der Hoffnung, dass weitere folgen werden, die unter den gleichen Risiken unternommen werden, die mit dem Auftreten in der Region verbunden sind, und mit der Beobachtung des dramatischen Szenarios des komplexesten Konfliktes dieser Zeit.

Der Bericht enthält die folgenden Teile:
Inhalt
I Geschichte und Struktur des Regimes
II Von Konflikt zum Krieg
III Die Unterschiedlichkeit der Opposition
IV Über ausländische Intervention und Sektierertum
V Vorschläge für Frieden durch politischen Dialog

I Geschichte und Struktur des Regimes


Einige unserer Quellen waren Veteranen der Opposition, die mehr als 10 Jahre während des Regimes von Hafez Assad, dem Vater von Bashar al Assad, im Gefängnis verbracht hatten. Nach Auskunft von Dr. Fayez Fawas, einem hochgeachteten Führer der Opposition (einer der Gründungsväter der syrischen Kommunistischen Partei), basierte das syrische Regime seit dem Beginn im Jahr 1970 auf den Sicherheitsbehörden einerseits und der Baath-Partei, die mehr als eine Million Mitglieder hat, andererseits. „Die Armee, ob wir es gut finden oder nicht, ist der Staat“, sagte einer der Oppositionsführer. „Wenn sie zerstört wird, kann Syrien nicht länger als souveräner Staat existieren“. Während des Kalten Krieges hatte Hafez eine so genannte Nationale Front aufgebaut, um seine absolute Kontrolle über das politische Leben auszuüben. Er verbot Gewerkschaften ebenso wie linke Parteien und die Muslim-Brüderschaft. „Alle Befehle kamen von ganz oben“, sagte er, und die Menschen tolerierten in der Regel seine Befehle, da er große Teile des Landes verteilte und eine Politik der Vollbeschäftigung realisierte. Auf der anderen Seite übten viele rivalisierende Sicherheitsbehörden (nach unseren Quellen gibt es derzeit 16 im ganzen Land) ihre Macht in einem Maße, dass sie sogar Genehmigungen für Eheschließungen erteilten, wie einer der Interviewten erklärte.

Die Probleme begannen, als z.B. in 1976 größere Bewegungen gegen die Invasion des Libanon entstanden und mit einer Bewegung von Rechtsanwälten, die 1979 die Muslim-Bruderschaft verteidigte und eine so genannte Demokratisierung der Gesellschaft verlangten. Und schließlich in 1982, als die gesamte Stadt Hama bei einem Massaker, bei dem tausende von Menschen starben, zerstört wurde. Im Gegensatz zu seinem Vater, konnte Bashar al Assad nie die hierarchische Ordnung aufrechterhalten, die er sich entschlossen hatte im Jahr 2000 anzuführen. Er war der „Ersatzmann“ für seinen Bruder, der bei einem Autounfall plötzlich verstorben war. „Er ist nicht wirklich ein Politiker, aber er führt den Staat, zusammen mit seiner Frau, wie ein PR-Beamter“, sagte einer der Interviewten, der ihn persönliche kannte. Während seiner Regierungszeit öffnete er jedoch die Tür für neoliberale Privatisierung und ermutigte oder tolerierte spekulative Aktivitäten einer entstehenden neo-oligarchen Klasse in seiner Nähe. Diese Zusammenarbeit, so erklärte ein anderer Oppositionsführer, Salim Kheirbek, der mehr als 10 Jahre im Gefängnis verbracht hatte, die Kluft zwischen Arm und Reich. Dies ganz besonders auf dem Land, wo mehr als 30% der Bevölkerung leben. Als Folge davon emigrierten mehr als eine Million Menschen, besonders in den Libanon, Jordanien, die Golf-Staaten und Griechenland.

II Von Konflikt zum Krieg


Nach diesen Informationen können wir verstehen, wie das Land in die Krise geriet, die sich als breite, aber nicht offen ausgedrückte soziale Unzufriedenheit in den unteren Klassen ausdrückt, besonders in der sunnitischen Bevölkerung, die  ca. 55% der gesamten Bevölkerung ausmacht. Anders als die Angehörigen anderer Religionen wie Alawiten, Schiiten und verschiedener christlichen Glaubensgemeinschaften (in erster Linie aus dem Bereich der russischen und syrischen orthodoxen Kirche und dem Römischen Katholizismus) hatten sich die syrischen Sunniten bevorzugt der Muslim-Bruderschaft zugewandt, die, wie ein Führer der Palästinenser erklärte, immer dogmatischer gewesen waren, wie ihre ägyptischen, tunesischen oder türkischen Teile der Bruderschaft.

Trotz all dieser Fraktionen ist es wichtig sich in Erinnerung zu rufen, dass alle Syrer es gewohnt waren in einer nationalen Tradition ohne Bevorzugung irgendeiner Religionsgemeinschaft friedlich zusammen zu leben. Daher waren die Proteste, die plötzlich am 18. März 2011 aus einem lokalen Konflikt entstanden waren, nach Aussagen von Augenzeugen, eher beeinflusst durch die Unzufriedenheit mit lokalen Behörden, dem Bürgermeister der Stadt und den Sicherheitsbehörden, als durch ideologische Sichtweisen. Dieser Funke wurde dann unterstützt durch den so genannten „Arabischen Frühling“. Was dann in Homs, Hama, Idlib und in anderen Städten folgte, war eine echte Volksbewegung die zunächst demokratische Reformen verlangten, und, als ihre Forderungen ergebnislos verhallten, den Sturz des Assad-Regimes durch unbewaffnete Proteste forderten.

„Es ist richtig, dass die Sicherheitsbehörden einschritten“, sagte Dr. Bouthaina Shabaan, der bekannte Sonderberater des Präsidenten, den wir in Damaskus trafen. „Aber wir mussten feststellen, dass es von Anfang an bewaffnete Elemente in der Bewegung gab. Sie töteten unsere besten Leute und nun greifen sie Flughäfen an, wie die Israelis das sonst tun“.

Diese Diskussion „wer warf den ersten Stein“, und „wer schoss zuerst“, so hilflos er vielen in diesem Konflikt erscheinen mag, der nach UN Angaben inzwischen über 20.000 Tote gefordert hat, wurde zu einem Grundstein für beide Seiten des Konfliktes. Die Regierung benutzt ihn als Begründung für die Unterdrückung des Aufstandes mit Gewalt, die andere Seite nutzte ihn, um Hilfe aus Libyen zu rufen.

„Ich habe niemals Ausländer in meiner Nachbarschaft in Ost-Damaskus gesehen, aber ich habe viele ausländische Schwadronen nach der Explosion von Bomben gesehen“, sagte einer der Teilnehmer einer bekannten Demokratiebewegung in den Vororten von Damaskus, die nur eine von vielen Kampfgebieten der Freien Syrischen Armee (FSA) ist. Andere Zeugen sagten aus, dass das Verhören von Opfern und die Praxis von Massenexekutionen eine übliche Erscheinung dieser ungleichen Konfrontation zwischen paramilitärischen Gruppen der Opposition und der Shabiha (Miliz) waren. Letztere arbeitete eng mit den Sicherheitskräften und der Armee zusammen.


Es ist sehr schwer, die Beziehungen zwischen den militärischen Kräften zu ermitteln. Die Aufständischen die wir interviewten, sprachen von ca. 40.000 Bewaffneten auf ihrer Seite, während die syrische Armee auf 160.000 geschätzt wird, und eine der bestausgerüsteten der Region ist. Es gab einzelne Überläufer der Armee, aber noch nie hatte eine komplette Kompanie die Seiten gewechselt, wie AVAAZ berichtet, eine Quelle, die in der Regel gut informiert ist. Die Armee hat noch nicht ihre gesamte Schlagkraft zum Einsatz gebracht, vermutlich aus Angst, die Kontrolle zu verlieren. Denn ansonsten ist dies unverständlich. „Es ist immer das 4. und das 10. Bataillon, die so genannten Spezialkräfte, und die 52. Brigade, die operieren. Sie müssen jetzt langsam müde sein“, meinte die Quelle.

Die Armee selbst war nie in interreligiöse Konflikte verwickelt gewesen, die sich während des Konflikts entwickelten. Dies zumindest erklärte der Direktor einer Zeitung, die nicht der Regierung gehörte, als wir ihn in Damaskus besuchten. „… weil innerhalb der Armee auch viele unterschiedliche Religionen vertreten sind…“ Andere erklärten, dass die Sicherheitsbehörden wie die Milizen sehr wohl an sektiererischen Konfrontationen beteiligt gewesen wären. Jedoch würden die Soldaten die zivile Bevölkerung nicht beschützen, sondern eher das Gegenteil. Sie feuern in der Regel aus größerer Distanz, aus der Luft oder vom Boden aus, um die gesamte Region zu zerstören, in der Kämpfe stattfinden. Auf diese Weise wurde mehr als die Hälfte von Homs komplett zerstört.

Einer unserer Interviewpartner erklärte, dass „innerhalb Syriens die einzige Macht das Gewehr ist“. und der Koordinator einer Schwadron in Damaskus behauptete, dass es keinerlei „befreite Zone in Syrien geben könne, so lange diese durch Raketen und Flugzeuge erreicht werden kann“. Aus diesen Erklärungen kann sich nur ein Schluss ergeben: Es handelt sich um einen Krieg mit hoher Intensität, den viele mit dem Wort Bürgerkrieg beschreiben würden, und der gerade in Syrien stattfindet, und das keine der beiden Seiten gewinnen kann. Der Rest wird durch die Stille der Gräber und die enormen Flüchtlingsströme erklärt.

Die Zahl von 1,2 Millionen Binnenflüchtlingen und 250.000 Flüchtlingen, die in benachbarte Länder geflohen sind, scheint niedrig gegriffen. Der Direktor von CARITAS-Libanon, zum Beispiel, bezweifelt die offizielle Version, dass es nur 60.000 syrische Flüchtlinge im Libanon geben würde. „Es müssen mindestens 150.000 sein“, sagt er.

Wenn man die Flüchtlinge interviewt, enthüllt sich die Tatsache, dass der größte Teil der Bevölkerung von Angst besessen ist. Angst vor Bomben, Angst ins Kreuzfeuer zu geraten, Angst die Kehle von einem Extremisten einer der beiden Seiten durchgeschnitten zu bekommen, und Angst davor, nicht mehr in der Lage zu sein, über die Grenze zu fliehen. Es kann nicht bestätigt werden, dass die Mehrheit der Menschen auf der einen oder anderen Seite des Konflikts stünde, weil es viele Menschen, besonders aus dem Mittelstand gibt, die definitiv in Opposition gegenüber Basher al Assad stehen, die aber gleichzeitig mehr Angst vor der „Zeit danach“ haben. Es gibt auch viele (oft ohne das eigentlich zu beabsichtigen), die mit der bewaffneten Opposition in Berührung kamen, und die so sehr von ihrer eigenen militärischen Inkompetenz Angst haben wie vor den Bomben aus Flugzeugen.

All diese Fragen mussten in Betracht gezogen werden zur Beantwortung der Frage: „Wer wird den Krieg gewinnen“. Und die Antwort ist: NIEMAND!

III Die Unterschiedlichkeit der Opposition


Es ist sehr schwierig, den Charakter der syrischen Opposition zu beschreiben. Es gibt einen starken sozialen Aspekt, besonders im Teil der sozial eher benachteiligten Bevölkerung, in den städtischen Gebieten ebenso wie auf dem Land. Aber das ist nicht das komplette Bild. Es gibt auch eine politisierte und gebildete Minderheit, die in demokratischer Weise politisch kämpft.

Unter ihnen sind viele Intellektuelle, von denen wir einen in Damaskus sprechen konnten. Er hatte viele Jahre im Gefängnis von Hafez al Assad wegen seiner Beteiligung an Bewegungen und in linken Parteien verbracht, die er mitgegründet hatte. Andere leben jetzt im Ausland, viele von Ihnen in Paris. So wie Haytham Manna, der Vizepräsident der Oppositions-Koalition mit dem Namen „National Coordination Body for Democratic Change“ und Michel Kilo, ein Universitätsprofessor an der Sorbonne, der viele Anhänger hat und auch innerhalb des Landes über eine gewisse Infrastruktur verfügt.

Von diesen linken und links-liberalen Demokraten waren die Aufstände vom März 2011 als Möglichkeit angesehen worden, einen demokratischen Wandel in Gang zu bringen. Einen Wandel, für den sie ihr Leben lang gekämpft hatten. Zwei von ihnen, Dr. Fayezb Fawyas und Salim Kheirbek schrieben einen Brief an den Präsidenten, schon eine Woche nach dem ersten Aufstand in Daraa, aber sie hatten damals keine schnelle Antwort erhalten. Erst Monate später tauchte ein General auf, um Erklärungen zu erfragen.

Sie sind nicht die einzigen, die sich auf einem hohen Niveau für Demokratie einsetzen, und die den Willen der Syrer auf der Straße verkörpern. Einige hochrangige Anführer der libanesischen Hisbollah und der palästinensischen Hamas erklärten uns, dass Bashar al Assad von ihnen persönlich besucht worden wäre und zu demokratische Reformen zu einem schnellstmöglichen Zeitpunkt gedrängt worden wäre. Nach Aussage dieser Quellen wären sogar der Vizepräsident von Syrien und einige der Minister einer politischen Lösung des Konflikts gegenüber aufgeschlossen, einer Ansicht, mit der der Präsident offiziell ein Einklang steht.

Trotzdem dauerte es noch einmal ein Jahr und kostete es den Tod von über 10.000 Menschen, bevor er die so genannten demokratischen Reformen im Februar 2012 verkündete. Nach Auskunft von zwei syrischen Parlamentariern, die wir interviewten, bestanden die Verfassungsänderungen hauptsächlich aus drei Punkten.

1. Abschaffung der Vorschrift in der alten Verfassung, dass die einzige politische Partei in Syrien die Baath Partei sein darf. Diese Reform verursachte, dass die Baath Partei „nur“ 67% der Stimmen auf sich vereinen konnte, während 25% der Parlamentarier so genannte „unabhängige“ Kandidaten waren.
2. Erweiterung und Verbesserung der Bürgerrechte, z.B. das Recht zu demonstrieren und unabhängige Medien zu gründen. Diese Reform stand in scharfem Kontrast zu der extremen Gewalt und der systematischen Tötung von Demonstranten die diese jeden Tag erlitten.
3. Respekt vor kulturellen Unterschieden. Diese Verfügung war dazu gedacht, das Verbot der Muslim-Bruderschaft, der Salafisten und anderer islamischer Organisationen aufrecht erhalten zu können, die beabsichtigen eine Theokratie und die Scharia einzuführen.

Allen Interviewten außerhalb der syrischen Regierung war klar, dass diese „Reformen“ nicht nur in ihrer verfassungsmäßigen Form sehr schwach waren (sie waren ohne Beratung von außerhalb durch die Regierung selbst verfasst worden) und in ihrem Gehalt (d.h. der Versuch, die Muslim-Bruderschaft von der demokratischen Beteiligung auszuschließen). Aber man muss bedenken, dass diese Änderungen in einem Moment der äußersten militärischen Konfrontation eingeführt wurden.

Auf der anderen Seite bestätigten diese Fakten, dass es einige Spannungen innerhalb der Regierung oder innerhalb eines „inneren Zirkels“ geben muss, die auf eine militärische Lösung drängten, und die die Opposition um jeden (politischen und humanitären) Preis auslöschen wollten. Und dass es einen „äußeren“ Kreis geben musste, die von Anfang des Konfliktes an versuchten, auf eine politische Lösung des Konfliktes hin zu arbeiten.

Auf der Seite der Opposition ist die Spaltung noch größer zwischen denen, die glauben, dass eine politische Lösung möglich wäre, und den anderen, die zu einer bewaffneten Revolution aufrufen und dabei eine starke Unterstützung und sogar vielleicht eine militärische Intervention aus anderen Ländern wie Katar, Saudi Arabien, der Türkei, Frankreich und den Vereinigten Staaten fordern. In diesem Fall müssten sich die ersteren den Revolutionären unterordnen. Dies auf Grund der extremen Polarisierung des Konflikts und auch weil die „Militaristen“ durch Salafisten und Anführer der Muslim-Bruderschaft aufgestachelt werden. Diese bilden den „Syrien National Council“ (SNC) und sie verbringen die größte Zeit in der Türkei oder in den Golf-Staaten. Nach dem Ergebnis von Interviews mit Menschen vor Ort, sollte der Einfluss nicht überschätzt werden, trotz der großen Zahl von Waffen, die sie durch ihre Unterstützer sammeln konnten. „Die Salafisten begannen mit 11 Anhängern in Homs, und jetzt sind es möglicherweise 500“, sagte ein Aktivist, der sieben Mitglieder seiner Familie in dem Konflikt verloren hat.

Wir erhielten den Eindruck, dass es sehr wenig Koordination zwischen den verschiedenen militärischen Gruppen in Syrien gibt. Dies auf Grund einer erheblichen Aktivität der Sicherheitskräfte einerseits und der Tatsache, dass die Armee in der Lage ist viele der Städte zu kontrollieren, auch wenn sie nicht das Umfeld beherrschen kann. Außerdem konnte die Freie Syrische Armee keine einheitliche Kommandostruktur aufbauen, aus Gründen, die wir nicht nachvollziehen konnten. „Die Freie Syrische Armee ist keine Organisation, sondern ein Markenzeichen, das jeder Kämpfer für sich beansprucht“, sagte einer der Interviewpartner. Er erklärte uns, dass, als er zu einem Dorf in der Nähe von Idlib gekommen wäre, er zwei Einheiten von FSA-Kämpfern gesehen hätte, die sich gegenseitig bekämpft hätten. „Die eine Gruppe bestand aus Vertretern einer Volksgruppe aus den Bergen, die andere Gruppe aus Drogenschmugglern“.

Selbst wenn große Anstrengungen unternommen werden, zumindest auf einem regionalen Niveau, Koordination herzustellen, ist die Bewegung noch weit davon entfernt, eine kohärente Struktur aufzuweisen. Dies stellt für die Armee und die Sicherheitskräfte ein Problem dar. Denn es gibt keine Möglichkeit die Bewegung zu enthaupten. Auf der anderen Seite macht es dies der Bewegung schwierig, sich politisch zu artikulieren.
Das Fehlen eines Front- oder militärischen Oberkommandos, so wie er in vielen anderen bewaffneten Konflikten in der Welt existiert, muss weiter analysiert werden, um ein tieferes Verständnis für die syrische Opposition zu erhalten. Diese Abwesenheit einer Führung stellt außerdem ein ernsthaftes Handicap für die Aussichten einer nachhaltigen politischen Lösung für Syrien dar: Es gibt keine politische oder soziale Autorität, die eine bessere Koordination anstreben oder erzielen könnte.

IV Über ausländische Intervention und Sektierertum


Alle unsere Quellen deuteten darauf hin, dass dieser Konflikt, der bereits alle Charakteristika eines offenen Bürgerkrieges trägt, außer Kontrolle geraten war, weil zu viele ausländische Kräfte Einfluss genommen hätten. „Es ist ein Weltkrieg auf dem Boden Syriens“, sagte ein Vertreter der zivilen Opposition. Und tatsächlich, würde der Konflikt der Logik nationaler Interessen folgen, wäre er längst beendet, alleine aus wirtschaftlichen Gründen. „in 18 Monaten hat Syrien, das eines der wenigen Länder der Welt war, das keine ausländische Schulden hatte, 150 Milliarden US-Dollar verloren“, meinte einer der Quellen. „Es wird über 30 Jahre dauern, um sich von diesem Krieg zu erholen.“

Seit dem Ausbruch des Konfliktes haben fast alle Weltmächte ihre eigenen geopolitischen Interessen in Syrien entdeckt. Sie betrachten Syrien als einen Grundstein der politischen Architektur im Mittleren Osten. Seit der Zeit des Kalten Krieges, als Hafez Assad und Syrien die engsten Verbündeten der Sowjetunion waren, und selbst heute noch, unterhält Russland ihre wichtigsten Militärbasen der Region in Syrien.

Auf der anderen Seite, wie der Generalsekretär der Kommunistischen Partei des Libanon, erklärte, hätten die Vereinigten Staaten eine Allianz geschmiedet, die Präsident Obama die Allianz „des moderaten Islam“ nannte, und Katar, die Türkei und Saudi-Arabien (trotz der wahabitischen Fundamentalisten dort, die die Muslim Bruderschaft in Syrien unterstützen) beinhalten. Ein Palästinenserführer in Damaskus erklärte sogar: „Obama wurde der wichtigste Führer der Muslim Bruderschaft“, und er fügte hinzu: „Wenn diese Revolution die Korruption beendet, bin ich dabei, aber wenn König Abdallah behauptet sie anzuführen, dann können wir ihr nicht trauen“.

„Katar und die Türkei versuchen das Regime von Bashar al Assad zu unterminieren, aber in Wirklichkeit wollen sie Syrien zerstören“, sagte ein hochrangiger Führer des Arabischen Nationalkongress. Gefragt warum dies der Fall sein sollte, analysierte ein wichtiges Mitglied der libanesischen Hisbollah die Situation in der folgenden Weise: „Nach dem Rückzug der US-Truppen aus dem Irak öffnet sich ein strategischer Korridor von Teheran nach Bagdad bis Beirut und Damaskus. Eine neue strategische Allianz bildet sich, aus der nur Kairo ausgeschlossen bleibt. Was in Syrien auf dem Spiel steht ist nicht nur die Demokratie, sondern das gesamte Gelichgewicht des Mittleren Ostens. Wir können uns nicht erlauben, dass die hauptsächliche Front gegen Zionismus und Imperialismus gespalten wird.“

Dies ist auch der Grund, warum der Konflikt jetzt eine religiöse Dimension trägt. Weshalb sich die Muslim-Bruderschaft und die Salafisten besonders in dem Krieg engagieren. Fast alle Interviewten stimmten zu, dass der Krieg an sich keine religiösen Gründe hat, sondern dass die Kontroversen zwischen Sunniten und Schiiten, darunter die Alawiten, und zwischen Muslimen und Christen andererseits durch die Rebellen als Werkzeug missbraucht werden, um ihre politischen Ambitionen durchzusetzen, und das ideologische Vakuum zu füllen, das der gesamten Widerstandsbewegung innewohnt. Gleichzeitig wird der gleiche sektiererische Ansatz durch die Regierungsseite und Alawiten, die die regimetreuen Milizen Shabiha besetzten, genutzt.

V Vorschläge für Frieden durch politischen Dialog


All diese Faktoren zusammen genommen machen es außerordentlich schwer, die Situation zu analysieren, aber auch aus dieser Lawine von Bomben und Blutvergießen, unter der die Mehrheit der Syrer Tag und Nacht leiden, heraus zu kommen. Während unserer Tatsachen-Findungs-Mission wurde klar, dass trotz der Komplexität des Konfliktes, trotz der Unterschiedlichkeit der Ansätze, und der extremen Polarisierung, doch die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung einer Aussage zustimmt. Sowohl der Teil der aus hochgestellten und sich gut ausdrückenden politischen Anführern, sowohl von der Regierung als auch der Opposition, als auch von den Flüchtlingen innerhalb und außerhalb des Landes hört man: „WIR MÜSSEN DIE GEWALT BEENDEN“.

Aber wie könnte man das anstellen? Dies ist auch die große Frage, die wir uns während der gesamten Reise gestellt hatten. Was können wir empfehlen, wir, einfache Mitglieder der Zivilgesellschaft aus unterschiedlichen Ländern in Europa, die sich jeden Tag besorgter fragen, wie sie die Welt darüber informieren sollen, was in Syrien passiert? Wir sind keine offiziellen Mediatoren, deshalb können wir nicht behaupten, die wichtigen Mitspieler zu beeinflussen, ihre Ansichten in diesem Konflikt der geopolitischen Interessen von enormen Ausmaßen zu überdenken.

Was wir können ist die Menschen zu überzeugen, dass sie dringend die Notwendigkeit einsehen, einen Dialog zu führen, um den militärischen Konflikt in einen politischen zurück zu führen. In den meisten unserer Interviews entdeckten wir den Willen zum Eintritt in einen solchen Dialog – selbst wenn wir sagten, dass die andere Seite es nicht wünschte.

Um jeden Vorwand auszuschalten, sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass dieser Dialog ohne jede Vorbedingungen stattfinden muss. Weder der sofortige Sturz des Regimes, speziell die Absetzung von Assad, oder die sofortige Entwaffnung der Oppositionskräfte, oder der Rückzug der Armee kann eine Vorbedingung für einen solchen Dialog sein.

Jede reale sozial und politisch verwurzelte Kraft, die gewillt ist, sich in diesem Dialog zu engagieren, sollte daran teilnehmen. Es ist unbedingt notwendig, dass eine politische Kraft entsteht, die der Welt gegenüber demonstriert, dass Frieden nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist. Eine aktive Kraft, die jeden Tag in den armen Nachbarschaften und Wohneinheiten an Macht gewinnen kann, in den Regierungsbehörden ebenso wie innerhalb der Kräfte der Opposition, in den Militärs und den Straßensperren der Widerstandskämpfer.

Ein solcher Dialog sollte aus vielen einzelnen Gesprächen auf lokaler und regionaler Ebene stattfinden. Das Hauptaugenmerk sollte auf die unmittelbare Not der Bevölkerung gerichtet sein: Gesundheitsversorgung, Nahrung, Unterkunft und Sicherheit. Letzteres sollte durch unbewaffnete Menschenrechtskomitees geleistet werden, die in ständigen Verhandlungen mit den bewaffneten Kräften auf beiden Seiten des Konfliktes stehen müssen.

Gleichzeitig sollte ein nationaler Dialog in Syrien oder außerhalb des Landes stattfinden. Dieser nationale Dialog sollte die Basis eines dauerhaften Waffenstillstandes erarbeiten ebenso wie die Regeln für die Transition der Macht auf demokratische Strukturen. Beide Seiten, die Regierung ebenso wie die Oppositionskräfte, sollten Vertreter zu diesem Nationalen Dialog entsenden, und ihnen Autonomie bei den Verhandlungen gewähren, mit dem Mandat einen Prozess
anzuführen, der zu freien Wahlen und einem gewählten Parlament führt.

All diese Anstrengungen schließen nicht die Mediations-Anstrengungen aus, die derzeit von Regierungen ausgeübt werden, die ihren Einfluss auf Syrien geltend machen. Im Gegenteil geht eines nicht ohne das Andere. Nur eines sollte von Anfang an klar sein:

ES MUSS EINE SYRISCHE LÖSUNG GEBEN, ODER ES WIRD KEINE LÖSUNG DES KONFLIKTES GEBEN.

Wien, am 25. September 2012

Internationale Initiative den Krieg in Syrien zu beenden

Ja zur Demokratie, nein zur ausländischen Intervention!

Wir, die UnterzeichnerInnen dieses Aufrufs, sind als Teil der internationalen Zivilgesellschaft zunehmend besorgt über das schreckliche Blutvergießen, welches das syrische Volk gegenwärtig erleidet. Daher unterstützen wir folgende politische Initiative, die auf der Basis der Ergebnisse einer Fact-finding-Mission, die unsere Kollegen im September 2012 nach Beirut und Damaskus unternahmen, zu Stande gekommen ist: Wir rufen zu einer Delegationsreise hochrangiger Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf, die sich nach Syrien begeben sollen, um mit den wichtigsten politischen Akteuren zu sprechen. Damit soll geholfen werden, den Weg für eine politische Lösung des bewaffneten Konflikts zu ebnen, der den Weltfrieden ernsthaft gefährdet und die Existenz Syriens als unabhängiger und souveräner Staat bedroht. In diesem Sinn schließen wir uns folgender Erklärung an:

Alle Augen sind auf den Krieg in Syrien gerichtet, der dem Volk einen zu hohen Blutzoll abverlangt. Die legitime Bewegung des syrischen Volkes für demokratische Rechte begann ebenso friedlich wie die seiner arabischen Geschwister. Nun läuft sie Gefahr in einen konfessionellen Krieg mit regionaler und internationaler Beteiligung zu degenerieren. Auch die zunehmenden geopolitischen Verstrickungen sind besorgniserregend.

Wir sind uns bewusst, dass keine Seite einen solchen Abnutzungskrieg in kurzer Frist für sich entscheiden wird können. Währenddessen muss das syrische und arabische Volk zuschauen, wie die Errungenschaften ihres Widerstands gegen die westliche und israelische Vorherrschaft sowie die regionalen Diktaturen niedergehen und am Ende ganz zerstört werden könnten.

Um jedoch diese Errungenschaften zu retten und den Kampf für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Selbstbestimmung fortzusetzen, ist eine politische Lösung des Konflikts mittels Verhandlungen unumgänglich. Nur auf diese Art und Weise kann der Konfessionalismus eingedämmt, eine ausländische Intervention abgewendet werden und die demokratische  Massenbewegung die Oberhand behalten. Um das Blutvergießen zu beenden und eine politische Lösung zu unterstützen, handeln wir auf der Basis folgender Kriterien:

1) Volle Unterstützung für einen politischen Prozess, der mittels Verhandlungen und über einen Waffenstillstand beginnen sollen. Hand in Hand damit soll es zur Deeskalation und Entmilitarisierung des Konflikts kommen, was der Bevölkerung erlauben würde, dringend benötigte Hilfeleistungen entgegenzunehmen und ihren Willen friedlich und schließlich auch an den Wahlurnen zum Ausdruck zu bringen.

2) Da jede Lösung auf dem souveränen Willen des syrischen Volkes aufbauen muss, weisen wir jede Form ausländischer militärischer Intervention kategorisch zurück, von welcher Seite sie auch kommen möge.

3) Das Recht auf Selbstbestimmung zu respektieren bedeutet auch die demokratischen und sozialen Rechte der breiten Bevölkerungsmehrheit zu respektieren. Daher darf keine wichtige politische Kraft a priori aus einem politischen Prozess ausgeschlossen werden. Ein dauerhaftes Friedensabkommen muss zu einem konstitutionellen Prozess führen, der freie Wahlen, organisiert durch eine Übergangsregierung, vorsieht.

4) Da es im Verlauf des Konflikts zunehmend zu einer Instrumentalisierung konfessioneller Zugehörigkeiten gekommen ist, die den politischen Zusammenschluss der Bevölkerung auf der Grundlage der Demokratie erschwert, unterstützen wir alle Initiativen und Tendenzen unter den politischen wie militärischen Kräften, die sich für Toleranz zwischen den Religionsgruppen auf der Basis der Gleichberechtigung aller Staatsbürger einsetzen.

Mit unserer Unterschrift sprechen wir der internationalen Delegation, die sich Anfang 2013 nach Syrien begeben wird, unsere volle Unterstützung aus – in der Hoffung, dass diese Initiative einen wichtigen Beitrag für den Frieden in der Region leisten wird.

http://www.peaceinsyria.org/downloads/Peace%20Initiative%20Syria%20Platform%20de.pdf


Erstveröffentlicht in www.sppk.de


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