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Dienstag, 25. Dezember 2012

Warum Weihnachten an Krieg erinnert

Natürlich hängt eine politische Überzeugung mit den persönlichen Erfahrungen zusammen, die man im Leben gemacht hat. Und das Elternhaus spielt eine besondere Rolle. In der Regel begehrt man auf und entwickelt gegensätzliche Ansichten und Aktivitäten, oder man übernimmt die vorgelebten Verhaltensmuster. In meinem Fall bin ich wohl geflohen. Vermutlich auch vor dem Anblick meines auf Grund von Kriegsverletzungen sich in Krämpfen windenden Vaters und meiner von Albträumen aus Kriegszeiten geplagten Mutter. Mein Vater starb inzwischen, nachdem er 65 Jahre unter den Folgen eines Krieges gelitten hatte. Und nachdem ich im Ausland Elend, Tote und Verletzte gesehen hatte, was mich erst motivierte mich zu engagieren, begriff ich nun zurück in Deutschland, dass die größten Opferzahlen in keiner Statistik des Krieges auftauchen.


Alle Welt spricht von den ca. 3.000 Toten durch den Terroranschlag von 9/11. Und die toten US-Soldaten aus dem Irak- und Afghanistankrieg werden einzeln als Helden geehrt. Schon viel weniger denken an die über 1,75 Millionen nicht US-Bürger, die durch die Kriege zu Tode kamen. Noch weit weniger reden von den tausenden, vielleicht zehntausenden von missgebildeten Kinder durch Uranmunition (2). Und niemand spricht von den Millionen, die körperlich und / oder seelisch schwerst verletzt wurden, die ihr Leben lang an der Bürde eines Krieges zu tragen haben.

Und wieder hört man in Deutschland, dass Krieg auch mal notwendig sei. Man hört, dass es einen „gerechten Krieg“ gäbe. Man erklärt uns, dass Deutschland „seinen Beitrag leisten müsse.“ Man erklärt uns, dass wir den Menschen helfen müssten „sich zu befreien“. Was nichts anderes bedeuten soll, als sich unseren Idealen, unserem Weltbild anzupassen. Was automatisch bedeutet, dass wir Krieg als ewigen Begleiter akzeptieren sollen.

Niemand kommt auf die Idee, etwas Neues auszuprobieren, etwas, dass noch niemand in der Geschichte der Menschheit wirklich versucht hat. Nämlich die archaischen Rituale unserer Vorfahren aufzugeben, und kooperatives, solidarisches und friedliches Zusammenleben auszuprobieren. Realpolitiker bezeichnen es als „Utopie“ die niemals realisiert werden kann. Das stimmt, so lange es Realpolitiker wie diese gibt.

Und es gibt auch Wissenschaftler, die erklären, dass Kriege zwangsläufig sind wie Sommer und Winter. Manche behaupten, Kriege wären die logische Weiterentwicklung des darwinistischen Prinzips. Zu den "Realisten" gehört z.B. John Maersheimer, der schon seit Jahren die Ansicht vertritt, dass der nächste große Krieg der zwischen China und den USA stattfinden wird (1). Während US-Strategen in ihren bekannt gewordenen Kriegsszenarien eher davon ausgehen, dass es einen noch größeren Krieg zwischen den USA und seinen Verbündeten gegen China, Russland und den Iran geben wird.(3)) Aber Maersheimer geht in seinen Thesen davon aus, dass sich im Denken der Menschen nichts verändern wird. Und das wird es auch nicht, wenn WIR nicht unser Denken ändern. Selbst in autoritären Staaten kann ein Regime auf Dauer keine Kriegspolitik gegen den Willen seiner Bürger mehr durchsetzen. Noch weniger ist das möglich in einer Polyarchie wie in den USA, oder einer rudimentären Demokratie. Wir, wir alle, entscheiden darüber, ob sich etwas verändert oder nicht. Und ich habe Maersheimer in meinem Artikel widerlegt (1) ... was sich aber nur realisieren wird, wenn wir denn unseren Hintern hoch bekommen. Wenn wir endlich erkennen, was wichtig und was weniger wichtig ist.

Wer nicht will, dass Millionen Kinder für ihr Leben traumatisiert werden, wer nicht will, dass Menschen unter Verletzungen Jahrzehnte leiden müssen, wer nicht will, dass Familien den Ernährer verlieren, wer nicht will, dass Kinder wegen den Folgen von Uranmunition missgebildet oder tot zur Welt kommen .... Wer nicht will, dass durch Leid und Hass noch mehr Terroristen ausgebrütet werden, die ihr eigenes Leben geringer Schätzen als den "Gewinn" anderen Tod zu bringen …. Der kann sich eigentlich nur gegen die derzeitige Aufrüstungs- und Machtpolitik einsetzen. Und wenn er die Albträume alter Menschen über einen Krieg hört, der 67 Jahr vorbei ist, wächst die Motivation dazu immer wieder neu.

Krieg entsteht aus Angst und Ungeduld. Wenn wir unsere Angst und Ungeduld überwinden, werden wir auch keinen Krieg mehr als notwendig ansehen. Und wenn wir keinen Krieg mehr als notwendig ansehen, werden sich andere weniger bedroht fühlen und ihrerseits Angst verlieren. Es ist eigentlich ganz einfach. Nur macht eben niemand den Anfang. Stattdessen spielen diejenigen, die das große Politikspiel spielen, "Wer zuerst blinzelt hat verloren" und rasen mit voller Geschwindigkeit aufeinander zu. Aus Angst zu verlieren. Wir sollten uns weigern, das Spiel mit zu spielen.

Ja, wir müssen "unseren Beitrag leisten". Aber diesen Beitrag kann man auch leisten, indem man wirklich wirkungsvoll gegen den Hunger in der Welt antritt (4), indem man sich für die Demokratisierung und damit Sozialisierung der Wirtschaft in bestimmten Ländern einsetzt, statt aus korrupten Systemen Vorteile zu ziehen. Man kann einen Beitrag leisten, indem man lange vor einem Krieg durch zivile Krisenprävention agiert, bevor eine Spirale der Gewalteskalation begonnen hat. Man kann sinnvolle Produkte für Umwelt und zur Verbesserung der Lebensbedingungen entwickeln und verbreiten, statt todbringende High-Tech-Waffen. Man kann .... wenn man will. Wenn man bereit ist den schwierigeren Weg zu gehen, statt den glatten, ... so wie immer. Wenn man bereit ist, wirtschaftlichen Partikularinteressen den Bestandsschutz zu verweigern. Und mit entsprechenden Übergangsphasen und -Lösungen kann man es auch schaffen. ... Wenn man will. ... Und wenn die Unterstützung von uns, der Basis dazu vorhanden ist.

Oder wir hören uns bei den nächsten Weihnachtsreden wieder die Vorwürfe an, die natürlich nur die anderen betreffen, vielleicht erschauern wir ja auch ein bisschen. Aber spätestens beim Gänsebraten sind wir wieder frei gesprochen von jeder Schuld. So gehts ja auch. Aber wenn wieder vom Selbstmord eines Soldaten berichtet wird (5), erhält dieses Bild Risse. 

Ich habe mit Menschen gesprochen, die durch Scharfschützen der Armee bei der Auflösung einer Demonstration fast die Hälfte ihres Kopfes verloren haben, und nur durch ein Wunder überlebten. Scharfschützen, die durch unsere Verbündete ausgebildet worden waren, in einem Land, zu dem wir hervorragende Beziehungen unterhalten. Ohne ein einziges Mal über die Art der "Terroristenbekämpfung" gesprochen zu haben. Ich habe mit Menschen gesprochen, die in einem Land gefoltert worden waren, weil sie für ihre Rechte demonstrierten. Einem Land, dem wir nun Panzer verkaufen wollen. Panzer, die besonders gut zur Aufstandsbekämpfung geeignet sind. Die Liste könnte noch lange weiter gehen. Die Gespräche haben mir mehr und mehr deutlich gemacht, wie viel früher man etwas gegen gewalttätige Krisen unternehmen könnte und dass Deutschland seine Schuld, seine Verpflichtung und seine Versprechen aus dem Geist des Grundgesetzes vergessen hat. Was inzwischen selbst die Politologin Sabine Jaberg, eine Dozentin an der Bundeswehr-Führungsakademie, einräumt.(6) Und irgendjemand muss etwas dagegen tun.

Einmal erhielt mein Vater Besuch von ehemaligen Soldaten, die mir erzählten, wie viele Leben mein Vater unter Beschuss gerettet hätte. Aber er selbst hat mir niemals erzählt, welche Albträume ihn außer seinen Schmerzen Nachts durchs Haus trieben. In einem Krieg gibt es immer Täter und Opfer. Aber am Ende macht jeder Krieg aus jedem Teilnehmer und unendlich vielen Unbeteiligten ... Opfer.

WAS TUN IN DER PIRATENPARTEI?

- Verhindert Beschlüsse, die "Gewalt nicht grundsätzlich ausschließen". Das hört sich zunächst harmlos an, ist aber der Einstieg in die Nutzung von militärischer Gewalt für politische und wirtschaftliche Zwecke. Unterstützt vielmehr Anträge, die für militärische Einsätze hohe Hürden fordern. Es gibt solche Anträge, die entweder eine Befragung der Bevölkerung verlangen, oder andere die das Votum einer Enquete-Kommission fordern, die aber bisher nicht behandelt wurden.

- Unterstützt auch Anträge, die grundsätzlich pazifistisch sind. Sie werden zwar keine Chance auf das Erreichen einer 2/3-Mehrheit haben, weil zu viele Menschen noch zu viele Ängste umtreiben, aber damit werden Signale in eine bestimmte Richtung gesetzt.

- Verhindert die weitere Abgabe von militärischer Kompetenz an die EU, lasst keine deutschen Soldaten unter EU-Kommando zu. Denn das ist der erste Schritt, um das Grundgesetz für Militäreinsätze gänzlich außer Kraft zu setzen. Setzt Euch vielmehr für eine Stärkung von Organisationen der Sicherheitspartnerschaft ein, durch die Frontsituationen abgebaut werden, die durch die NATO  aufgebaut wurden. 

- Es ist zu befürchten, dass eine EU-Verfassung dazu genutzt wird, den pazifistischen Geist des deutschen Grundgesetzes endgültig in den Orkus des Vergessens zu spülen. Wehrt euch dagegen. Stimmt einer EU-Verfassung nur zu, wenn sich das Verbot eines Angriffskrieges wiederfindet, ohne die Verwässerung, die sich in Deutschland schleichend ergab.

- Lasst Euch nicht blenden durch "ich habe das studiert", denn was er studiert hat ist möglicherweise nichts anderes als das Anwenden Jahrhunderte alter Traditionen.  Lasst euch nicht blenden durch "das ist nicht möglich weil es gegen Gesetze und Verträge verstößt". Denn Gesetze und Verträge sind änderbar. Dafür ist eine Partei schließlich angetreten. Solche Aussagen sind die von Technokraten, Beamten, die die Visionen von Politikern gefälligst umzusetzen haben (7). "Wenn wir es nicht tun, tun es andere". Wenn niemand angefangen hätte aufrecht zu gehen, würden wir es heute noch nicht tun. Für jedes Argument gibt es mehr als ein Gegenargument.

Lasst Euch nicht ins Bockshorn jagen, folgt Eurem Gewissen. Ablassbriefe sind unwirksam. Spätestens seit Martin Luther. Also glaubt nicht, dass die Tatsache, dass "alle staatstragenden Parteien" der "Realpolitik" zustimmen, für Euer Gewissen ein Ablassbrief wäre.

DIE WIEDERHOLUNG DER GESCHICHTE?

Solche Diskussionen wie heute über R2P, gerechte Kriege oder Militäreinsätze gab es in anderen Zusammenhängen schon immer. Wie groß war einst die Zustimmung zur Sklavenpolitik. Wie begeistert waren die Menschen über die Kolonien. (Wie war noch gleich der Grund: "Sie haben keine Kultur"). Wie groß der Widerstand, Frauen das Wahlrecht einzuräumen. Heute ist es der Kampf gegen den Krieg, der wie immer in der Vergangenheit, gegen eine Mauer aus Angst, Konventionen, wirtschaftliche und politische Interessen geht.


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(1) http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/06/begrundung-der-friedenspolitik-mit.html

(2) http://www.youtube.com/watch?v=GTRaf23TCUI

(3) http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/06/buchbesprechung-towards-world-war-iii.html

(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/autor-jean-ziegler-der-aufstand-des-gewissens-wird-kommen-1.1462597

(5) http://german.ruvr.ru/2012_12_24/Afghanistan-Kommandeur-der-US-Navy-SEALs-Selbstmord-begangen/ 

(6) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58460

(7) http://jomenschenfreund.blogspot.de/2012/12/sind-die-piraten-eine-partei-der.html



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