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Donnerstag, 20. Juni 2013

Die Saison um zu sterben in Guantánamo

Andy Worthington ist der wohl beste Kenner der Umstände in und um Guantanamo. Sein Buch „The Guantanamo Files“ gibt ein eindrucksvolles Bild der Insassen im größten illegalen Gefängnis der Welt und ihrer Schicksale wieder. Sie sind Insassen eines Gefängnisses, das nicht nur ein Verbrechen gegen Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte darstellt, sondern auch die Moral und Ethik einer Macht in Frage stellt, die einst die Führungsrolle für „Demokratie“ beanspruchte. Aber Guantanamo geht darüber hinaus. Sie stellt die Glaubwürdigkeit aller Länder in Frage, die dieses Gefängnis stillschweigend akzeptieren, während sie selbst behaupten, anderen Ländern Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bringen zu wollen, und Menschenrechte zu verteidigen.


Jeder der von „Gemeinsamen Werten“ mit den USA redet, sollte sich gründlich überlegen, ob man diese Werte nicht deutlicher beschreiben sollte, und welche dieser Werte inzwischen zu leeren Phrasen wurden.

Andy Worthington schrieb am 18. Juni aus aktuellem Anlass folgendes über Guantanamo:

Vor 7 Jahren, am späten Abend des 9. Juni 2006, starben drei Gefangene, Ali al-Salami, ein Jemenit, Mani al-Utaybi sowie Yasser al-Zahrani, beide Saudis, in Guantanamo. Ein Vorfall, den die Behörden als Dreifachselbstmord beschrieben, auch wenn diese Erklärung damals sehr dubios wirkte und bis heute nicht überzeugender wurde.

Der damalige Gefängniskommandeur, Rear Adm. Harry B. Harris Jr, zog damals Kritik auf sich, weil er die Tode als einen „kriegerischen Akt“ bezeichnete. Er sagte: „Sie sind klug, sie sind kreativ, sie sind überzeugt. Sie haben keinerlei Achtung vor dem Leben, weder vor unserem, noch vor ihrem eigenen. Ich glaube, dass es kein Akt der Verzweiflung war, sondern ein Akt der asymmetrischen Kriegführung gegen uns“.

Ich beschrieb die Tode in meinem Buch „The Guantanamo Files“, das im Jahr 2007 veröffentlich wurde, nachdem es einen 4. Toten, Abdul Rahman al-Amri, ein Saudi, am 30. Mai 2007 gegeben hatte. (1)

Ich verfasste meine erste Erinnerung an den Tod der Männer zwei Jahre nach dem angeblichen Selbstmord, im August 2008. Darin eine skeptische Analyse des Berichts des Naval Criminal Investigative Service (NCIS). Dieses zu erhalten hatte mich zwei Jahre gekostet.

Im nächsten Jahr, 2009 wurde die Erinnerung überdeckt durch den Tod eines fünften Gefangenen, Muhammad Salih, ein weiterer Jemenit.

Ich nenne dies die Saison des Todes, weil alle fünf Männer in einem Zeitraum starben, der zwischen Ende Mai und Anfang Juni liegt. Und bis heute wurde keiner der Tode zufriedenstellend geklärt. Es ist auch signifikant, dass alle fünf Männer in einem lang anhaltenden Hungerstreik waren.

Auch wenn im Jahr 2006 Zweifel über die Todesumstände der drei Männer, die in diesem Jahr verstorben waren, geäußert wurden, erhöhten sich die Zweifel bei Muhammed Salihs Tod, ausgedrückt durch seinen Freund, einem Bürger Großbritanniens, Binyam Mohamed, der gerade vier Monate vor dem Tod von Salih entlassen worden war. Aber es dauerte noch bis zum Januar 2010 bis die Geschichte über den angeblichen Selbstmord auf eine größere Leserschaft traf, als Scott Horton im Harper’s Magazine einen Leitartikel darüber schrieb. Wobei er sich bezog auf die Aussagen von Soldaten, die in der Nacht in Guantanamo Dienst getan hatten, als Ali al-Salami, Mani al-Utaybi und Yasser al-Zahrani starben, und die darauf bestanden, das die Geschichte eines Dreifachselbstmorden ein Lüge wäre.

Der Hauptzeuge war Army Staff Sgt. Joe Hickman, der auf einem der Wachtürme in der Nähe des Blocks stationiert war, in dem die Männer angeblich Selbstmord begangen hatten. Hickman, ein ehemaliger Marine, der nach den Angriffen vom 11. September zur Nationalgarde eingezogen worden war, hatte seinen Dienst in Guantanamo im März 2006, zusammen mit seinem Freund, Specialist Tony Davila, angetreten.

Bei der Ankunft wurden die Männer über etwas informiert, was Horton beschreibt als einen „offiziell nicht existierenden Bereich ohne Namen“ außerhalb des inneren Zauns des Hauptgefängnisses. Er erklärte, dass eine Theorie besagte, „dass dieses Anlagen durch einige nicht uniformierten Beamte der Regierung, die von den meisten für CIA-Agenten gehalten wurden, und die immer wieder in dem Gefängnis auftauchten, benutzt wurden.“

Ich erklärte in meiner Analyse des Artikels von Horton seinerzeit:
„Hickman und Davila waren von der Anlage – die von den Soldaten „Camp No“ als Ausdruck dafür, dass es nicht existierte, fasziniert. Und Hickman war in dem Wachturm in jener Nacht, in der die drei Männer starben. Er sah damals einen weißen Van, dessen Spitznamen „paddy wagon“ war, in dem die Marine-Wachen üblicherweise die schwer gefesselten Gefangenen, jeweils einzeln, in das Camp Delta und heraus brachten. Das Fahrzeug hatte keine Fenster an der Rückseite und enthielt einen Hundekäfig, groß genug für einen einzelnen Gefangen. Es fuhr 3 x nach Camp 1, wo die Männer gefangen gehalten wurden, und fuhr dann hinaus zu Camp No. Alle drei Gefangene waren gegen 8 Uhr in Camp No.

Gegen 11:30 Uhr fuhr der Van zurück und lud etwas an der Krankenstation ab, und innerhalb einer halben Stunde „war das Gefängnis in Aufregung“, erklärte Horton.

„Hickman ging zur Krankenstation, die das Zentrum der Ereignisse zu sein schien, um den Grund für die Unruhe zu erfahren. Er befragte eine aufgelöste Sanitäterin was passiert wäre. Sie sagte, dass drei tote Gefangene in die Station eingeliefert worden wären. Hickman erinnerte sich, dass sie sagte, dass sie gestorben wären, weil Stofffetzen in ihrer Kehle gesteckt hätten, und dass einer von ihnen schwere Verletzungen aufwies. Davila sagte mir, dass er mit den Marine-Wachen gesprochen hätte, die ihm erklärten, dass die Männer an Lumpen gestorben wären, die in ihren Kehlen gesteckt hätten.“
Trotz der deutlich sichtbaren Fehler bei dem Versuch der Vertuschung – die auch offensichtlich wurden durch „Death in Camp Delta“, einem sehr detaillierten Bericht, der durch Forscher der Seton Hall Law Scholl in New Jersey durchgeführt worden war (2), sperrte sich die US-Regierung gegenüber einer Untersuchung.

Zum vierten Jahrestages der Tode schrieb ich einen Folgeartikel mit dem Titel: „Mörder in Guantanamo: Die Vertuschung geht weiter“ (3) Und ich versuche ihn immer wieder zu veröffentlichen, weil den Angehörigen der Toten keine Gerechtigkeit vor US-Gerichten widerfährt. Und schließlich machte mein Freund, der norwegische Regisseur Erling Borgen, eine Dokumentation über die Morde, die er auch „Tod in Camp Delta“ nannte.

Nach diesem Zeitpunkt hatte ein weiterer Freund, der Psychologe Jeff Kaye die Autopsie-Berichte von Abdul Rahmann al Amri und Muhammad Salih, also von den Gefangenen, die im Jahr 2007 und 2009 starben, entdeckt, und einen bezweifelnden Artikel über ihren angeblichen Selbstmord in Truthout (4) veröffentlicht. Aber im September letzten Jahres fand ein weiterer umstrittener Selbstmord statt, der von Adnan Farhan Abdul Latif. Er war ein geistig verwirrter Jemenit, der angeblich Medikamente gehortet hatte, um sich durch eine Überdosis zu töten. Was äußerst zweifelhaft erscheint, wenn man die obsessive Vorsichtsmaßnahmen kennt, mit denen die Gefangenen behandelt werden.

Während der gefängnisweite Hungerstreik, der jetzt in seinen 5. Monat geht, Guantanamo erschüttert, bleiben die Jahrestage der Toten von 2006, 2007 und 2009 eine bestürzende Erinnerung daran, wie zweifelhaft die US-Behörden mit Hungerstreikenden in der Vergangenheit umgingen. Und dass man die in Guantanamo verbleibenden Gefangenen, von denen 41 nun zwangsernährt werden, niemals vergessen sollte.

Am 23. Mai 2013 hatte Präsident Obama versprochen, die Gefangenen aus Guantanamo zu entlassen, ein Prozess, der in erster Linie blockiert wird, durch ein Veto des Kongresses und das seit zwei Jahren. Aber er muss es tun, und er muss sofort damit beginnen, um die Verzweiflung der Hungerstreikenden (103 der verbliebenen 166 Männer, nach Auskunft der Behörden, und 130 nach Auskunft der Gefangenen selbst) zu lindern. Nur so kann er sicher stellen, dass nicht noch weitere Gefangene sterben während sie von jedem Recht entblößt sind, in einem Gefängnis, das der Präsident selbst in seiner Rede vom 23. Mai beschrieb als „Eine Anlage, die niemals hätte eröffnet werden sollen“.

Quelle: http://sfbayview.com/2013/the-season-of-death-at-guantanamo/


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