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Freitag, 22. Juli 2016

Die Türkei-Krise

Präsident Erdogan bei Ansprache nach Putsch
(Screenshot)
Im Moment ist sehr en vogue, den Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdogan  alle möglichen schlimmsten Eigenschaften zuzuschreiben. Nach dem, das Land mit harter Hand sicher und geschlossen haltenden Diktator Saddam Hussein des Irak, einem Muammar al-Gaddafi, dem nicht rein demokratisch legitimierten Revolutionsführer eines prosperierenden Libyens, das der Vision eines vereinigten Afrika folgte, und nach Dr. Baschar al-Assad, dem gewählten Präsidenten eines ehemals unabhängigen und schuldenfreien Syriens, der in den säkularen Staat Millionen Flüchtlinge aller Religionen aus dem Irak und Palästina aufnahm, und der mit Abstand der in seinem Land beliebteste Staatsführer des mittleren Ostens ist, wird nun also Erdogan am häufigsten mit Hitler verglichen. Nun ist Erdogan sicher eher der Typ des autokratischen und charismatischen Führers als eines Demokraten. Interessant sind aber die Zusammenhänge, die dazu führten, dass er scheinbar medial "zum Abschuss" frei gegeben wurde.

Wer sich mit der Politik der USA, Israels  und des Mittleren Ostens beschäftigt, wird wissen, dass das Prinzip "teile und herrsche" von äußerster Wichtigkeit ist. Und dass dabei die Rollen von Feinden schnell in die von Verbündeten und umgekehrt wechseln. So war Al-Kaida nach 9/11 der angebliche Grund für den US-amerikanischen weltweiten Feldzug "gegen den Terror", nachdem die Vorläufer der Organisation mit US-Hilfe als Verbündete gegen die damalige Sowjetunion dieselbe aus Afghanistan vertrieben hatten. Osama bin Laden wurde innerhalb weniger Jahre vom gefeierten Freiheitskämpfer zum meistgesuchten Terroristen. Aber dann konnte man in den letzten Jahren beobachten, dass die USA Al-Kaida wieder verschonten, sie lobten, ja unterstützten, nämlich als diese Krieg gegen Syrien führte.

TÜRKEIS POLITISCHE NEUORIENTIERUNG?

Und so musste Erdogan oder seinen Beratern klar sein, dass eine Rolle als Verbündeter der USA in einer volatilen Region nicht viel Wert ist. Im besten Fall endet es damit, dass die USA sowohl einem selbst, als auch dem Feind Waffen liefert, mit denen man sich dann bekämpfen kann. Wie seinerzeit im Irak-Iranischen Krieg, dem 1. Golfkrieg. Ich könnte mir gut vorstellen, dass dies die Gründe waren für eine Umorientierung der Politik der Türkei. Zuerst die Annäherung an Syrien und Geheimverhandlungen über Frieden und die Kurden mit Assad, dann die Entschuldigung für den Kampfflugzeugabschuss und Versöhnungsangebot an Russland. Und schließlich noch Kontaktaufnahme mit dem Iran. Man stelle sich die Karte vor und überlege, was eine so angedeutete Politikänderung in der Region bewirken würde: Die Eindämmung Russlands im Süden wäre gescheitert. Von Afghanistan, das sich immer mehr versucht von USA-Einfluss zu befreien, über den Iran, Irak, Syrien bis zur Türkei hätte Russland wieder einen breiten Gürtel von freundlich gesinnten Pufferstaaten.

WEM MISSFÄLLT DAS?

Erdogan hat in einem Interview mit Al Jazeera am 20. Juli 2016 erklärt, dass einige der gefassten Putschisten gestanden hätten, und dass diese Geständnisse darauf hinwiesen, dass "mehrere ausländische Staaten" in den Coup verwickelt sein könnten. Im gleichen Atemzug warnte der türkische Präsidenten die USA, Gülen nicht auszuliefern, das wäre ein großer Fehler.

Schon länger ist der Dissens zwischen den USA und der Türkei in der Kurdenfrage öffentlich. Während die USA versuchen, Syrien zu zerstückeln, und einen eigenen Kurdenstaat zu errichten, versucht die Türkei, den nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak, zu verhindern. Ein Streit, der immer höhere Wellen schlug. Und Gülen ist der zweite große Streitpunkt. Die USA werden aber Gülen kaum ausliefern. Andererseits hat Erdogan sein Prestige eingesetzt, diese Forderung aufzustellen. Für die USA fällt die Auslieferung deshalb schwer, weil Gülen ein Trumpf-Ass des CIA ist. Wenn Gülen durch den türkischen Geheimdienst verhört werden würde, hätte das weitreichende Folgen für die Aktivitäten der CIA in der Region, insbesondere in der Türkei. Darüber hinaus könnte es aber auch Auswirkungen auf andere Länder haben, in denen Gülen ein Netzwerk aufgebaut hat, was vom CIA genutzt wird. Teilweise als direkte Organisationen, um Aktionen durchzuführen, teilweise lediglich als Informationsnetzwerk.

Israel hatte sich zwar in letzter Zeit der Türkei wieder angenähert, ist aber immer noch empört über dessen Verbindungen zu Hamas. Und Israel hätte ebenfalls gerne, wie die USA, einen kurdischen Staat. Die Aktionen des Mossad braucht man wohl kaum zu erwähnen.

Nun sollte man auch wissen, dass in einer Saudi-Arabischen Zeitung, Asharq Al-Awsat, die dem Kronprinzen Faisal, Sohn von König Salman, gehört, ein erstaunlich deutlicher Artikel erschienen war. Saudi ARabien hatte gerade ein Konsulat in Erbil, der kurdischen Region des nördlichen Iraks eingerichtet, und unterstützt offensichtlich die Gründung eines kurdischen Staates. Der Artikel macht ziemlich klar, das man erwartet, dass sich Erdogan zwar aufregt, aber keine wirklich entscheidenden Maßnahmen gegen jene Länder unternehmen wird, die den Coup angezettelt hatten, weil sonst der wirtschaftliche Kollaps, und damit die Unterstützung der Bevölkerung erodieren würde.

VERKALKULIERT SICH DER WESTEN?

Die interessante Frage wird sein, ob sich der Westen und Saudi-Arabien, Katar usw. nicht in der Einschätzung der Situation irren. Ähnlich wie Russland, könnte die Türkei aus einem Embargo durch die westlichen Länder nicht so stark geschwächt werden, dass ein Regime-Change die Folge ist. Indem sich die Türkei wieder Russland, dem Iran und China zuwendet. Ähnlich wie Russland sind Türken stolz und legen großen Wert auf Ehre. Erdogan könnte diese Gefühle nutzen, um wirtschaftliche Einschränkungen auszugleichen. Andererseits hat Erdogan schon viele Wendungen gemacht. Genau so gut kann er sich schließlich wieder in das Imperium eingliedern, wenn er gewisse Konzessionen z.B. in der Kurdenfrage erreicht hat. Immer aber wird ihm bewusst sein, dass ein Regime-Change hinter jeder Ecke lauert.

REGIME CHANGE SYNONYM FÜR TERRORISMUS

Im Westen kritisieren viele Erdogans "Terrorismus"-Sympathisanten-Verfolgung als antidemokratisch und vollkommen übertrieben. Aber Erdogan hat aus Libyen, aus Syrien und der Ukraine gelernt. Ihm geht es weniger um den Kampf gegen Terror, sondern vielmehr um den Kampf gegen Netzwerke, die schließlich einen Regime-Change betreiben könnten. Und wenn Erdogan das "Gulen-Geheimdienst-Netzwerk" zerstören will, geht es ihm dabei um die Regime-Change Fähigkeiten des CIA und seiner Metastasen. 

FAZIT

Hätte nicht Erdogan als autoritärer Nationalist, der mit Hilfe der Religion eine große Machtbasis gewinnen konnte, die Macht übernommen, wäre die Türkei zu einer Militärdiktatur geworden, die nicht mehr als eine Marionette der USA wäre. Mit welcher Brutalität das Militär vorging deutet darauf hin, dass die Folgen ähnlich wie 1980 gewesen wären. D.h. Todesstrafen, Folter, tausende politische Gefangene. Am 12. September 1990 sprach die Cumhuryet von 650.000 politischen Festnahmen, drakonischen Gesetzen usw. (Wikipedia)

Wenn nun "Demokratie-Aktivisten" plötzlich einem misslungenen Militärputsch mit ausländischer Beteiligung betrauern und Erdogan aufs schärfste verunglimpfen, herabsetzen und mit Hitler vergleichen, sollten sie vielleicht lieber einmal abwarten, wie sich die nächsten Wochen politisch entwickeln, und welche Zusammenhänge noch zu Tage treten.

2 Kommentare:

  1. Wenn die Türkei schon Mitglied in der EU wäre, dann hätte Erdogan die Todesstrafen schon legal vollstrecken können.
    Die EU ist der Türkei dabei um einiges voraus.
    Der EU-Vertrag von Lissabon trat am 1. Dezember 2009 in Kraft. Dort heißt es: „Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.“
    In den sogenannten Erläuterungen zur Grundrechtecharta steht aber: „Eine Tötung wird nicht als Verletzung des Artikels betrachtet,“ wenn es erforderlich ist, „einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen“.
    Die zweite Ausnahme, wann die Todesstrafe verhängt werden darf: „Für Taten in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr.“

    Erdogan hätte also, nach EU-Recht, die Aufständischen erschießen dürfen, das Kriegsrecht verhängen können und dann die Putschisten und Aufständischen hinrichten lassen können.
    Aber- wie soll das der Michel begreifen, wenn er rund um die Uhr über Regierungsfernsehen oder über die Blödzeitung Falschinformationen erhält.
    Man- die Amis wollen Erdogan weg haben.
    Und wenn Merkel nun von Washington noch einmal ihre Stasakte unter die Nase gehalten bekommt, lässt sie Erdogan auch fallen.
    Erdogan wird Gaddafi folgen, da werden die Amis schon für sorgen.

    Viele Grüße aus Andalusien
    H. J. Weber

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  2. Auch sehr gute Analyse und zusätzliche Informationen:
    https://www.facebook.com/Hinter.d.Kulissen/photos/a.468318626595334.1073741828.468302239930306/1075100385917152/?type=3&theater

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