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Freitag, 14. Oktober 2016

Was bedeutet der Tod von Thailands König?

Quelle: Wikipedia
Thailand ist eine typische Militärdiktatur, legitimiert durch eine Monarchie. Das entspricht zwar nicht dem offiziellen Narrativ, aber den Tatsachen. Thailand hat die höchste Dichte an Generälen im Verhältnis zu Mannschaftsdienstgraden (ca. 1:300) und Soldaten sitzen in allen wichtigen Gremien, Vorständen oder Aufsichtsräten des Landes. Die Streitkräfte haben eigene Unternehmungen, eigene Radio- und Fernsehsender und erhalten Millionen Dollar "Militärhilfe" aus den USA. Die Herrschaft der Generäle wird abgesichert durch ein militärisch-monarchisches Netzwerk, zu dem die Spitzen der Justiz und Verwaltung gehören. Nun verstarb die Spitze dieser Hierarchie. Was bedeutet das für Thailand?

DIE JÜNGERE GESCHICHTE

Erst 1997 wurde (nach 1946) wieder eine demokratische Verfassung, die so genannte Volksverfassung, in Kraft gesetzt. Die ersten Wahlen unter dieser Verfassung brachten einen progressiven Milliardär an die Macht, Thaksin Shinawatra. Dieser durchbrach die bisherige Ordnung, nach der Autorität durch Hierarchie, an dessen Spitze der König steht, erzeugt wird. Er basierte seine Macht auf Wählerstimmen. Durch für Thailand revolutionäre soziale Reformen, wie z.B. eine allgemeine, erschwingliche Krankenversicherung, stärkte er seine Position und erhielt bei Wahlen unangefochten die Stimmen, insbesondere der ärmeren Schichten, aber auch aufgeklärter gebildeter Menschen.

Als seine Macht unaufhaltsam wuchs, führte das Militär 2006 einen Putsch aus, der diese Phase der Demokratisierung beendete, und die alte hierarchische Ordnung wieder herstellen sollte. Das gestaltete sich aber schwieriger als gedacht, da der Geist der Demokratisierung nicht mehr zurück in die Flasche wollte. Und erst nach einer blutigen Niederschlagung von Demonstrationen 2009, einem Massaker mit fast 100 Toten und vielen hundert Verletzten 2010, und einem weiteren Putsch im Mai 2014, der vorerst Wahlen ausschließt, schien die alte Ordnung wieder gefestigt zu sein.

Der jetzt verstorbene König Bhumibol, Rama IX war die magische Rechtfertigung für eine Monarchie, die nie eine wirklich konstitutionelle Monarchie war, wie Wikipedia eine Zeitlang vorgab. Der König stand seit der Förderung der Monarchie durch diverse Militärdiktatoren und der  CIA über der Verfassung. So gab der König den insgesamt ca. 19 Militärputschen die Legitimation.

Militärdiktaturen und Propagandaprogramme der CIA haben nachhaltige Spuren in der thailändischen Gesellschaft hinterlassen. Davon kann sich jeder ein Bild machen, der die Massen an Trauernden, teilweise hysterisch weinenden Menschen, vor dem Krankenhaus sah, in dem der König verstarb. Und die Heldenverehrung geht durchaus weiter. Für über einen Monat werden im Fernsehen ausschließlich Dokumentationen über die guten Taten des quasi heiligen, unantastbaren Königs, ausgestrahlt. Die offizielle Trauer soll ein Jahr betragen.

Die Rolle von Rama IX in der öffentlichen Wahrnehmung, auch im Westen, ist, ähnlich wie bei anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, doch umstritten. In seinem Buch „The King Never Smiles“ von Paul Handley wurde erstmals versucht, eine realistische Wahrnehmung der Geschichte der thailändischen Monarchie zu zeichnen. Der Autor bezahlte das mit der Unmöglichkeit nach Thailand zu reisen, Menschen, die Übersetzungen ins Thailändische anfertigten oder diese Übersetzungen verbreiteten, wurden mit langjährigen Gefängnisstrafen verfolgt. Handley beschreibt den König als verfolgt vom Schatten des Todes seines Bruders, und im ständigen Kampf mit den unterschiedlichen Militärdiktatoren und Politikern. Wobei die Behauptung, Bhumibol wäre ein politischer Reformer, ein Demokrat gewesen, weitgehend zerstört wird.

Das Gerücht, dass der König selbst seinen Bruder erschossen hätte (siehe „König Ananda“ von Mark Teufel), wurde mit drakonischen Gesetzen und deren Verfolgung, unterdrückt. Jedoch sind bis heute die Umstände des Todes von König Ananda ungeklärt, und ein Unfall, ähnlich dem, der der spanischen Monarchie widerfuhr, wäre denkbar, wurde aber auf Grund der Unantastbarkeit und Unfehlbarkeit eines quasi heiligen Königs, niemals untersucht. 

Die Rolle der Monarchie und des Königs war in der offiziellen Wahrnehmung des größten Teiles des thailändischen Volkes bis 2006, die einer einigenden, gütigen und wohlwollenden Institution. Jedoch gab es Teile der aufgeklärten Intellektuellen, die nach den Massakern von 1976 und 1992 dieses Narrativ bestritten, und darauf verwiesen, dass es direkte Verbindungen zwischen den Unterdrückungssystemen der Diktaturen und der Monarchie gab. Die absolute Mehrheit der Bevölkerung aber huldigte dem König in einer Art und Weise, wie man es sonst nur im Personenkult autokratischer Diktaturen findet. Die Erziehung zum gefälligen Untertan seiner Majestät beginnt in der Schule, führt über die Universität bis hin in die Beamtenschaft oder die Privatwirtschaft. Da viele von dem hierarchischen System, an dessen Spitze der König sthet, darunter das Militär, dann die Justiz und die Beamtenschaft sowie die Wirtschaftsführer, profitieren, hatte das Establishment kein Interesse daran, dieses System zu durchbrechen. Bis, wie gesagt Thaksin Shinawatra, seine Politik auf Basis von Wählermacht, durchsetzen wollte.

Mit dem Putsch von 2006 aber, der für viele wie ein Schock kam, da die meisten geglaubt hatten, dass Thailand die Phase der Militärdiktaturen überwunden hätte, brach für viele Thailänder eine Welt zusammen. Sie mussten sehen, wie (im Inland) der Militärcoup als „Putsch für den König“ gerechtfertigt wurde, und von diesem innerhalb von Stunden legitimiert wurde. Dass der Putsch maßgeblich durch den Kronrat inspiriert worden war, konnte kaum übersehen werden. Und im Laufe der Jahre wurde immer deutlicher, wem die Vertreter der Monarchie ihre Sympathien entgegen brachten.

Die letzten beiden Militärcoups von 2006 und 2014 hatten noch ein weiteres Ziel. Die Angst ging um, dass das bestehende System ins Wanken geraten könnte, wenn die Schlüsselfigur, der König, starb, und eine Regierung an der Macht war, die dann evt. versuchen könnte, aus der Monarchie eine Republik zu machen. „Republikaner“ ist eines der schlimmsten Schimpfworte, die man einem Thailänder an den Kopf werfen kann.

Nun ist es geschehen, und entgegen verschiedenen Gerüchten wurde keine Änderung in der Thronfolge bestimmt. D.h. entsprechend einem alten Gesetz des Hofes, übernimmt aller Voraussicht nach der älteste Sohn, Maja Vajiralongkorn, die Rolle des Königs. Für konservative Monarchisten eine Horrorvorstellung.

DIE NACHFOLGE

Während das Land nach dem Tod in einer kollektiven Schockstarre verharrt (siehe Fernsehsendungen), findet hinter der Bühne ein heftiges Ringen um die besten Plätze bei den offiziellen Feierlichkeiten statt, und Auseinandersetzungen darüber, wer im Komitee, das über die Trauerfeierlichkeiten wacht, sein darf.

Zunächst wurde eine „ausgedehnte Periode der Trauer“ verkündet. Wenn die Nachfolgeregelung nicht durch Ultra-Monarchisten versucht wird, zu ändern, wird der Kronprinz als König gekrönt. Dieser hat aber bereits erklärt, dass er das erst nach der Trauer, „zu einem angemessenen Zeitpunkt“ realisieren wolle.

Die (nicht gewählte, sondern ernannte) Nationalversammlung der Militärdiktatur, die eindeutig von aktiven oder pensionierten Militärs sowie Monarchisten beherrscht wird, wurde kürzlich von 217 auf 250 Mitglieder erweitert. 28 der neuen Gesetzgeber sind aktive Mitglieder des Militärs oder der Polizei. Deshalb hat der Anführer der Putschisten von 2014, General Prayuth die unumschränkte Kontrolle darüber, was die gesetzgebende Versammlung beschließt. Und jetzt wird es spannend.

Die graue Eminenz hinter dem König, der Kronratsvorsitzende Prem Tinsulanonda und andere Ultra-Monarchisten, die den Kronprinzen als „ungeeignet“ ansehen, König zu werden, sind sicher in der Lage, die Trauerzeit zu verlängern, um eine schnelle Krönung des Kronprinzen zu verhindern. Schon das alleine wird die Legitimität einer Krönung verwässern. Die Ultra-Monarchisten werden nun sicher versuchen zu argumentieren, dass der König in Wirklichkeit ja gar nicht den Sohne als Nachfolger bestimmt hätte. Sie werden darauf drängen, dass als König eine Generation übersprungen wird, und Prinzession Sirindhorn als Regentin für den Kindkönig, also den Sohn des Kronprinzen, eingesetzt wird.

Die Ultra-Monarchisten treibt die Angst um, dass der Kronprinz, der früher einmal gute Beziehungen zum nun im Exil lebenden Ex-Premierminister Thaksin hatte, diesem eine Amnesty gewähren könnte, was alle Anstrengungen seit dem Putsch von 2006 hinfällig machen würde. Die Demokratisierung würde sich dann zwangsläufig wieder die Bahn brechen.

Die Ultra-Monarchisten, das ganze Establishment hasst den Kronprinz. Das kann man bis in die Berichte der deutschen Medien hinein verfolgen. Viele im Kronrat, im königlichen Haushalt, und in der Milliarden Dollar umfassenden Vermögensverwaltung (der König gilt laut Forbes als reichster Monarch der Welt) haben in privaten Gesprächen erklärt, unter keinen Umständen für den Kronprinzen arbeiten zu wollen. Sie werden die Gelegenheit nutzen, um in den Ruhestand zu gehen. Diese Abneigung beruht aber auf Gegenseitigkeit.

Ein Analyst, der verständlicherweise unter Pseudonym schreibt, notierte in der akademischen Internetseite New Mandala:

„… Zu viele [aus inneren Kreis der Monarchisten] haben mir im Laufe der Jahre erklärt, dass sie unter keinen Umständen unter dem Kronprinz dienen würden (ehrlich gesagt eine außergewöhnliche Verletzung von lese majeste, aber sie sind unantastbar). Der Kronprinz wird eine vollkommen neue Art des Charakters einbringen, und es ist wahrscheinlich, dass es wenige Reste des alten Systems geben wird. Dies wiederum wird einen großen Verlust an Institutionellem Gedächtnis bedeuten und dadurch möglicherweise Einschränkungen für den neuen Monarchen. Aber es könnte auch die Ultramonarchisten entmachten. Meine Vermutung ist, dass der erste und wichtigste der gehen wird, Prem selbst sein wird….“
Die militärische Führung versteht sich mit der Kronprinzessin Sirindhorn wesentlich besser als mit dem Kronprinzen. Aber sie hat bisher aus politischer Zweckmäßigkeit auf den Kronprinzen gesetzt.  Die Militärdiktatur ist zerbrechlich, weshalb sie darauf angewiesen ist, eine Menge an Unterdrückungsmaßnahmen einzusetzen, um jede Opposition zu abzuwürgen. Zu denen gehören der Missbrauch des Gesetzes über Majestätsbeleidigung (Artikel 112 des Strafgesetzbuches), das Gesetz über Computerverbrechen, willkürliche Verhaftungen und andere Methoden.

Die Militärs glauben, sie können auch den Kronprinzen kontrollieren, können die Macht in seinem Namen ausführen, während sie ihm die bequeme Möglichkeit eröffnen, sich nicht um Politik kümmern zu müssen. Wobei aber zu beachten ist, dass der Kronprinz einen nicht zu verachtenden Hebel besitzt, nämlich Thaksin Shinawatra eine Amnestie zu gewähren.

Aber was passiert, wenn der neue König, ähnlich wie in Spanien, entscheidet, nun Thailand eine vom Militär unabhängige, eigene Politik zu ermöglichen? Wenn er versucht, die in Befürworter einer Demokratie und auf Wahlen basierenden Regierung, und Anhänger der Militärdiktatur, gespaltene thailändische Gesellschaft wieder zusammen zu führen? Was, wenn er tatsächlich ein Monarch wird, der sich als Aktivist entpuppt? Als jemand, der bemüht ist, sein Erbe zu sichern, und eine unabhängige Basis der Unterstützung und Legitimation aufzubauen, die unabhängig ist von der königliche thailändischen Armee?

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Literaturhinweise:

„The King Never Smiles“ von Paul Handles
https://www.academia.edu/8599856/Paul_M._Handley-The_King_Never_Smiles_A_Biography_of_Thailands_Bhumibol_Adulyadej-Yale_University_Press_2006_

Jahrbücher der Phase zwischen 2006 und 2013, politische Reden der Opposition, Buch über den Tod von König Ananda:
http://www.xinxii.com/adocs.php?aid=13018

Akademische Internetseite über Süd-Ost-Asien-Politik
http://www.newmandala.org/






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