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Donnerstag, 3. Mai 2012

Die drohende Katastrophe in der Altenpflege


Theorie der Altenpflege
Kaum ein anderes Land der Welt hat ein so gut theoretisch untermauertes Bildungssystem im Bereich der Altenpflege wie Deutschland. Aber was bleibt davon in der Praxis übrig? Popo putzen, Essen anreichen, Betten neu beziehen und in der Küche helfen. Das ist die traurige Erkenntnis einer angehenden Pflegekraft nach dreijähriger intensiver theoretisch-praktischer Ausbildung.


In der praktischen Phase der Ausbildung stellt sich schon heraus, dass jede Kraft in der Pflege bis an die Grenzen der Belastbarkeit genutzt wird, um Bewohner und Patienten zu versorgen, nicht um sie zu pflegen. Denn eine wirkliche Pflege, wie sie in der theoretischen Ausbildung gelehrt wird, ist längst nicht mehr möglich. „Nein wir haben kein Zeit das so zu machen, das machst du nur in der Prüfung“, ist ein geflügeltes Wort während der Ausbildung. Lehrpläne, die sinnvollerweise vom Träger der praktischen Ausbildung erstellt wurden, bleiben unbeachtet. „Das ist nicht so wichtig“, heißt es dann auf Nachfrage. D.h. die Arbeitgeber können nachweisen, dass sie Lehrpläne erstellen, aber die Praktikanten bzw. Auszubildenden, und vor allen Dingen die Ausbildungsbetreuer haben gar keine Zeit, die Themen durchzuarbeiten. Ob es Ehrlichkeit oder Faulheit ist, dass inzwischen einige Träger von Altenpflegeeinrichtungen ganz auf solche Unterlagen verzichten, ist unklar.

Schon beim ersten Gespräch mit einem Träger, in dem eine angehende Pflegekraft ihr Interesse an einer Ausbildung äußert, erhält sie bei fast allen Trägern die Information, dass vor der Ausbildung ein mehrmonatiges Praktikum notwendig ist, um die Befähigung des Bewerbers zu prüfen. Eigentlich sinnvoll, denn Altenpflege stellt tatsächliche besondere Anforderungen an einen Mitarbeiter. Tatsächlich bedeutet dies aber für viele ein erzwungenes freiwilliges Jahr. Denn während der Praktikanten-Zeit erhält dieser lediglich ein Taschengeld von 200 bis 300 Euro für eine volle Arbeitswoche. Und bereits am dritten oder vierten Tag wird er, Befähigung vorausgesetzt, eingesetzt wie eine volle Hilfspflegekraft, die sonst 1200 bis 1400 Euro verdient.

Nach einigen Monaten, und zunehmender Unzufriedenheit beim Praktikanten, kommt schließlich die Nachricht, ob eine Ausbildung möglich ist. Meist wird vorgeschlagen, eine nur einjährige Ausbildung zum Helfer /Helferin zu absolvieren. Besteht man auf einer dreijährigen Ausbildung mit Examen, muss man oft noch einmal warten, die Schulkosten selbst übernehmen, oder einen Sponsor, z.B. das Arbeitsamt, für die Übernahme der Schulkosten, finden.

In Krankenhäusern ist die Situation in Bezug auf die besonderen Bedürfnisse alter Menschen dann vollends katastrophal. Wer in Einrichtungen der Altenpflege arbeitet wird bestätigen können, dass in der überwiegenden Zahl von Fällen, in denen statisch liegende Menschen aus dem Krankenhaus zurück ins Heim kommen, deutliche bis offene Zeichen von Dekubitus, Wunden auf Grund fehlender oder falscher Mobilisierung, zu erkennen sind. Oder in selteneren Fällen Infektionen die Folge-Pflege erschweren. Der Grund ist einerseits in der noch angespannteren Personalsituation im Krankenhaus zu suchen, aber andererseits auch darin, dass dort zu wenig altenspezifische Pflege beachtet wird.

Neben dem Internet sind Bücher immer noch wichtig

THEORIE UND PRAXIS

Um es noch einmal zu betonen: Theoretische Altenpflege und auch die gesetzlichen Grundlagen in Deutschland sind vorbildlich. Auch die Organisation von Überwachung und Beurteilung von Pflegeeinrichtungen hat einen sehr hohen Standard. Was fehlt ist die konsequente Umsetzung dieser Standards in die tägliche Praxis. „Wohin mit den Bewohnern?“ Fragte eine Mitarbeiterin des medizinischen Dienstes des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen), das für die Überwachung von Altenpflegeeinrichtungen und auch heimische Pflege verantwortlich ist, als es um Mängel in großen Heimen ging.

Wenn wir uns fragen, wie es sein kann, dass in manchen Einrichtungen der Krankenstand der Pflegemitarbeiter 50% beträgt, sollten wir uns die folgenden Aussagen anschauen:

„Ich würde so gerne anwenden, was ich gelernt habe, aber immer heißt es ‚zack-zack‘“, beklagt sich eine Pflegerin. „Stattdessen werden wir gezwungen, außerhalb unseres normalen Dienstes noch an Weiterbildungsmaßnahmen teil zu nehmen, obwohl wir schon den jetzigen Standard nur theoretisch erfüllen. Das macht mich fertig.“

„Heute habe ich mit einer Examinierten 28 Bewohner betreuen müssen, und zusätzlich noch in der Küche aushelfen. Ich hatte weder Zeit zum Trinken, noch für eine Pause,“ erzählt eine Praktikantin.

„Als ich heute fragte, wer die Flüssigkeitsmenge von Herrn X dokumentiert hatte, hieß es ‚der trinkt immer ein Glas, schreib es einfach auf‘.“ Aussage eines Auszubildenden.

„In der Theorie lernen wir genau, wann und wie Arzneimittel verabreicht werden. In der Praxis müssen wir sie mörsern und schnellstmöglich einflössen, egal ob es magensaftresistente Tabletten sind oder Retardformen, egal ob sie vor oder nach dem Essen verabreicht werden sollen.“

„Elf Tage mit schwersten Pflegefällen ohne Unterbrechung bringt mich an die Grenzen meiner Belastbarkeit“.

„Wir haben zwar ein Lift für die schweren Fälle, aber keine Zeit ihn einzusetzen. Deshalb tut mir der Rücken weh.“ Die Heimleitung besteht darauf, dass Lifte eingesetzt werden müssen, gleichzeitig aber werden Stellen gestrichen oder Unterbesetzungen stillschweigend akzeptiert. Was die Verantwortung, die Versorgung der Bewohner auf die pflegenden Kräfte abwälzt, während die Leitungen und Einrichtungen eine „saubere Weste“ haben. Wenn „nach Vorschrift“ gearbeitet wird, droht die Entlassung. Mit wenig Aussicht auf Einstellung in einer anderen Einrichtung, wenn der Grund der Entlassung „notorische Nörgelei und fehlender Arbeitseinsatz“ ist.

FORDERUNGEN ALTENPFLEGE

1) Die gut ausgebildeten Fachkräfte müssen dringend von einfachen Grundpflegeleistungen entlastet werden, um Zeit für die eigentliche Aufgabe zu erhalten: Anleitung und Weiterbildung der HelferInnen, altenspezifische Behandlung von Bewohnern und Patienten, korrekte Erfüllung der Dokumentationserfordernisse, Überwachung von Maßnahmen der Hygiene und Pflege und Einführung von Maßnahmen nach dem neuesten Stand der Altenpflege.

2) Es muss ein Schlüssel aufgestellt werden, der die Anzahl an Pflegekräften pro Pflegefall (je nach Pflegestufe) vorschreibt. Aber auch die Anzahl an Hilfskräften je examinierter Pflegekraft.

3) Kosten der Ausbildung sind eine Aufgabe der Allgemeinheit. Die Schulkosten dürfen nicht auf die Auszubildenden oder die Agentur für Arbeit abgewälzt werden.

4) Mitarbeiter, die Missstände publik machen, müssen in geeigneter Weise vor Sanktionen geschützt werden (Whistleblowerschutz).

5) Die Arbeitszeiten müssen mehr Erholungspausen enthalten. 5 Tage Arbeit, zwei Tage Ruhepause müssen die Regel werden.

6) Pflegekräfte müssen stärker psychologisch betreut werden. Dazu muss ein regelmäßiges Beratungsgespräch während der Arbeitszeit gehören. Pflegekräfte, die unter besonders erschwerten Bedingungen arbeiten, z.B. mit besonders schwergewichtigen Fällen, oder schweren Demenzfällen, müssen zusätzliche psychologische Betreuung erhalten.

Wenn wir nicht schnell diese Forderungen aufgreifen, droht uns in wenigen Jahren ein Kollaps der Versorgung der immer größer werdenden Zahl alter Menschen. Wenn wir den theoretischen Standard erfüllen wollen, den wir uns selbst gesetzt haben, und die Menschen, die die Leistung zu erbringen haben nicht in körperliche und geistige Verzweiflung bzw. zum Aussteigen treiben wollen, müssen wir jetzt etwas unternehmen.


 

1 Kommentar:

  1. Hallo.

    Also ich muss dir da sowas von recht geben, daher Danke für diesen Beitrag!

    Gruß,
    Marco

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